Historisches Wörterbuch der Philosophie online 

Begriffsgeschichte

Begriffsgeschichte 415 10.24894/HWPh.415Helmut G. Meier
Disziplinen und Fächer Sprachhistorie, strukturelle Terminologiegeschichte1 793f Terminus1 793ff Wort/Begriff1 794 übergeschichtlich1 795 Modethemata1 800 Topik, chronologische1 802 Wortgebrauchsgeschichte1 806f Leben, geistiges1 794
1. Übersicht. – Das Wort ‹B.› erscheint zuerst in Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte; dabei bleibt offen, ob es von Hegel selbst geprägt wurde oder ob es bei der Vorlesungsnachschrift entstanden ist. Hegel verwendet es zur Kennzeichnung einer der drei Weisen des «Geschichtsschreibens» und versteht unter B. diejenige Art der «refiectierten Geschichte», die nach allgemeinen Gesichtspunkten ausgestaltet – etwa als Geschichte der Kunst, des Rechts und der Religion – «einen Übergang zur philosophischen Weltgeschichte» darstellt [1]. Dieser Wortgebrauch von ‹B.› bleibt Singular und ohne Einfluß auf die Entfaltung des Verständnisses von B. als historisch-kritischer Behandlungsweise der begrifflich gefaßten philosophischen Gegenstände.
Die so verstandene B. bildet sich im Zusammenhang der philosophischen Lexikographie und im Rahmen einer Philosophie der Philosophiegeschichte aus. Erste Ansätze sowie methodisch und systematisch ungesicherte Vorformen begriffsgeschichtlicher Arbeiten werden im 18. Jh. sichtbar. In zunehmendem Maße gerät die B. in den Bannkreis historistischen Denkens; sie entzieht sich in der zweiten Hälfte des 19. Jh. dem Sog geschichtlichen Relativierens, indem sie aus distanzierender Gegenstellung vom Standpunkt der philosophia perennis her dem Historismus entgegenwirkt. Andererseits verfällt sie dem Prozeß der Verweltanschaulichung von Philosophie und verspielt damit ihren wissenschaftlichen Anspruch. Erst um die Mitte des 20. Jh. emanzipiert sich die B. und erlangt den Rang einer von diesen Denkweisen unabhängigen Disziplin der Philosophie. Gegenwärtige B. versteht sich als eigenständiges methodisches Instrument für philosophische Theorie. Wenn auch als Konsequenz des Verselbständigungsprozesses Aufgabenbereich und Funktion der B. noch nicht eindeutig definiert sind, so wird doch eines kaum bestritten: Philosophische B. kann sich nicht in okkupatorischer Manier an die Stelle der Philosophie selbst setzen und als Philosophieersatz fungieren wollen. Jedoch bedingen philosophische Theorie und B. einander. Jene wird sich – sofern sie nicht bloß willkürlich-subjektiver Meinungsentwurf bleibt – auf Begriffe stützen, deren Bedeutungsgeschichte möglichst umfassend aufgeklärt ist. B. gehört somit nicht lediglich zur philosophischen Propädeutik; sie bietet mehr als letztlich funktionslose Aggregate historischer Materialien und erschöpft sich keineswegs in gelehrter Philologie der Fachwörter. B. ist in der Weise integraler Bestandteil der Philosophie selbst, daß diese vernünftiges Begreifen und wissenschaftliche Erkenntnis der gesellschaftlich-geschichtlichen und natürlichen Welt und Wirklichkeit in einer allgemeinen und umfassenden Theorie nur dann erfolgreich zu leisten imstande ist, wenn der jeweilige Begriffsgebrauch der verwendeten Begriffe in seiner geschichtlichen Wirksamkeit aufgearbeitet und der Begriff dadurch im eindeutig geklärten Bedeutungszusammenhang systematisierbar wird.
Eine Theorie der B. ist zur Zeit noch Desiderat. Sie hätte die einzelnen begriffsgeschichtlichen Standpunkte kritisch zu analysieren und aufzuzeigen, inwiefern reine Wortgeschichte, umgreifende Terminologiegeschichte, definitorische oder hermeneutische B. und allgemeine Begriffsbedeutungsgeschichte strukturelle Momente einer umfassenden philosophischen B. darstellen. Sie müßte darüber hinaus den Zusammenhang erhellen und die Verflochtenheit aufdecken von B. und Problem-, Ideen- und Sachgeschichte, Metaphorologie, Topos- und Modellforschung, Denkformenlehre und Sprachwissenschaft.
In besonderem Maße wird die Theorie der B. den Einfluß sichtbar zu machen haben, der gerade von der Entwicklung der modernen Sprachwissenschaft auf die B. ausgegangen ist. Sie wird aufzeigen, daß dabei die Wendung von der linearen historischen Erfassung einzelner sprachlicher Phänomene zur strukturell orientierten Sprachforschung, wie sie im Anschluß an F. de Saussure vollzogen wurde, die entscheidenden Anstöße geliefert hat. Ihr besonderes Interesse richtet sich auf die «strukturelle Sprachhistorie», für die nach K. Baldinger zur Strukturforschung in Hinsicht auf sprachliche Bedeutungen und Bezeichnungen aus ihrem Eingebettetsein in Kulturgeschichte ein soziologischer Aspekt hinzutritt: Sie behandelt Wortgeschichte und Geschichte des Menschen korrelativ. Zu diesem dreidimensionalen Charakter der strukturellen Sprachwissenschaft wird die Theorie der B. ihr spezifisches Verhältnis herstellen müssen, wobei sie insbesondere die Beziehungen zur Semasiologie und Onomasiologie zu klären hat [2].
Wenn B. «auf dem rohen Boden» der Sprache angesiedelt werden soll, so hat sie sich weiterhin mit der Problematik der Sprachinhalts- und Feldforschung, speziell mit inhaltsbezogener Wortforschung und ihrer wortvergleichenden und wortgeschichtlichen Methodik auseinanderzusetzen [3].
Die Theorie der B. wird die Bezugspunkte zur «linguistischen Methode in der Philosophie» ermitteln, deren Grundsätze R. Haller ausgearbeitet hat [4].
B. steht demgemäß nicht bloß im Kontext zur Geschichte von Ideen, Problemen und Sachen, sofern diese ihre begriffliche Fassung erhalten haben, sondern bildet ihr Methodenbewußtsein aufgrundständiger Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Sprachwissenschaft sowie der analytischen Sprachphilosophie und auch der deskriptiven oder empirischen Semantik, soweit im faktischen Sprachgebrauch die Bedingung für die Möglichkeit von Wissen gegeben ist und also im Sinne L. Wittgensteins «in der Sprache alle begrifflichen Distinktionen schon vorliegen, welche Menschen im Laufe der Geschichte getroffen haben» [5].
Anstöße zu einer Theorie der B. gibt R. Wiehl (1970), wenn er die methodische Funktion der B. herausstellt und sie auf Verhältnisbestimmungen von Begriffen bezieht, welche selbst als Methode zu ihrer Wesensbestimmung aufgefaßt werden. B. erscheint dann ebenfalls als methodisches Mittel zur Wesens- und Verhältnisbestimmung von Begriffen. Da zu dem je fraglichen Begriffsverhältnis in bestimmter Weise B.en korrespondieren, müssen die verschiedenartigen Begriffe von Geschichtlichkeit und Wahrheit aufgesucht werden; damit ist eine Theorie der B. impliziert, die zweierlei verlangt: eine Theorie der Begriffe und eine Theorie der Geschichte [6].
Darüber hinaus hat die Theorie der B. das Vorfeld von Begriffen zu reflektieren und wird daher die Methodik und die Ergebnisse der Metaphorologie im Sinne von H. Blumenberg in ihren Horizont einbeziehen, welche Metaphern als «Artikulationsmittel des Unbegreifens und Vorbegreifens» oder als die «tragende Substruktur» begreift. Die Metapher tritt insoweit an die Seite des Begriffs, als die «vielgestaltige Metaphorik» konstitutiv in die philosophische Terminologie hineingehört. Die B. berücksichtigt Metapherngeschichten, weil Metaphorologie, die eine «Metakinetik der geschichtlichen Sinnhorizonte» aufschließt, als Teilbereich zur Begriffshistorie zählt und sich definiert als «Hilfsdisziplin der aus ihrer Geschichte sich selbst verstehenden und ihre Gegenwärtigkeit erfüllenden Philosophie» [7].
Im Umfeld der B. besitzen Motiv-, Modell- und Toposforschung ihre Bedeutung, wie sie gegenwärtig etwa von A. Diemer für die Philosophie gefordert werden [8]. Die Theorie der B. wird die systematische Relevanz dieser Richtungen für B. festzustellen haben und kann hier an Überlegungen von O. Pöggeler anknüpfen, der historische Toposforschung im Sinne kristallisierter Tradition erfaßt und ihr Bemühen aufzeigt, «Überlieferung in quellengemäßer Weise von ihren Elementen her aufzuschließen», also die leitenden Begriffe für die Interpretation «aus den interpretierten Quellen selbst» zu gewinnen [9].
1967 liefert K. Gründer Ansätze zu einer kritischen Sichtung des Stellenwerts von B., indem er feststellt, es habe keinen Sinn, «durch einen bestimmten Begriff von B. Einschränkungen zu präjudizieren». B. muß sich für das «ganze Spektrum» offenhalten. Die zu verzeichnende Zunahme des begriffsgeschichtlichen Interesses zeitigt in Wort- und Wortgebrauchsgeschichte, Problemgeschichte und Metaphorologie legitime Tendenzen, während das sprachanalytische Insistieren auf dem gegenwärtigen Sprachgebrauch gegenüber dem geisteswissenschaftlichen Bedürfnis nach historisch-genetischer Reflexion aufs eigene Kategorienganze in sich problematisch er scheint. Das gilt entsprechend für Bestrebungen, B. «im näheren nur als Terminologiegeschichte zu nehmen» [10].
Im Anschluß daran fordert H. Blumenberg, die terminologische Problematik nicht auf geisteswissenschaftliche Disziplinen einzuschränken, sondern das Feld der B. in der Richtung einer umfassenden «Terminologieforschung» zu erweitern, welche «Begriffsbildungen als Vorgänge ‹mit Folgen›» begreift und kritisch praktiziert. Dabei bleibt – wie bei K. Gründer – den definitorischen Bestrebungen gegenüber eine gewisse Skepsis bestehen, denn Definitionen waren oft nur «der Schein der Genauigkeit vor der theoretischen Realität der notwendigen Ungenauigkeiten». So ist die Einsicht in den Charakter von Exaktheit als einem Produkt «der Interferenz von Unbestimmtheiten» bereits eine terminologiegeschichtlich vermittelte Einsicht [11].
[1]
G. W. F. Hegel, Werke, hg. Glockner 11, 33.
[2]
Zur Entwicklung der modernen Sprachwiss. vgl. K. Baldinger: Sprache und Kultur. Ruperto-Carola 29 (1961) 29–46; Die Gestaltung des wiss. Wb. Roman. Jb. 5 (1952) 65–94; R. Hallig und W. von Wartburg: Begriffssystem als Grundlage für die Lexikographie (21963); W. von Wartburg: Sprachgesch. und Kulturgesch. Schweiz. Mh. Politik u. Kultur 3 (1923/24) 552–564; zu sprachwiss. Problemen vgl. auch: H. Kronasser: Hb. der Semasiol. (1952); M. Rassem: Allgemeines zur Wortbedeutungslehre. Hefte kunstgesch. Sem. Univ. München 3 (1957); E. Wüster: Die Struktur der sprachlichen Begriffswelt und ihre Darstellung in Wörterbüchern. Stud. gen. 12 (1959); G. C. Lepschy: Die strukturale Sprachwiss. (1969); L. Seiffert: Wortfeldtheorie und Strukturalismus (1968).
[3]
Vgl. dazu J. Trier: Das sprachliche Feld. Neue Jb. Wiss. u. Jugendbild. 10 (1934) 428–449; Dtsche. Bedeutungsforsch., in: Festschrift O. Behagel (1934) 173–200; H. Gipper: Bausteine zur Sprach-inhaltsforsch. (1962); L. Weisgerber: Grundzüge der inhaltsbezogenen Grammatik (1962); Hauptgesichtspunkte inhaltsbezogener Wortforsch., in: Europ. Schlüsselwörter 1 (1963) 13–17; W. Schmidt-Hidding: Zur Methode wortvergleichender und wortgesch. Stud., in: Europ. Schlüsselwörter 1 (1963) 18–33.
[4]
R. Haller: Die linguistische Methode in der Philos. Wiss. u. Weltbild 18 (1965) 132–142.
[5]
a.a.O. 142; Haller bezieht sich auf J. L. Austin: Philos. papers (1961) und L. Wittgenstein: Philos. Untersuch. (1953); vgl. auch G. König: Der Begriff des Exakten. Eine bedeutungsdifferenzierende Untersuch. (1966) 1–4.
[6]
R. Wiehl: Begriffsbestimmung und B. Hermeneutik u. Dialektik 1 (1970) bes. 167–182.
[7]
H. Blumenberg: Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philos. Begriffsbildung. Stud. gen. 10 (1957) 432–447; Paradigmen zu einer Metaphorol. Arch. Begriffsgesch. 6 (1960) 84ff.
[8]
A. Diemer: Grundriß der Philos. 1. 2 (1962–1964) vgl. 1, 456 und bes. 2; Ansätze schon bei R. Eucken: Bilder und Gleichnisse in der Philos. (1880); vgl. dazu auch H. Leisegang: Denkformen (21951).
[9]
O. Pöggeler: Dialektik und Topik. Hermeneutik u. Dialektik 2 (1970) 273–310, vgl. bes. 288ff.; vgl. auch Diemer, a.a.O. [8] etwa 1, 41.
[10]
K. Gründer: Ber. über das ‹Arch. Begriffsgesch.›. Jb. Akad. Wiss. Lit. Mainz (1967) 74–79.
[11]
H. Blumenberg: Nachbemerkung zum Ber. über das ‹Arch. Begriffsgesch.› a.a.O. 80.
2. B. in der philosophischen Lexikographie. – J. G. Walch weist 1726 als erster auf den «historischen» Aspekt der Begriffe hin, der gleichberechtigt neben dem «dogmatischen» untersucht und dargestellt werden muß. In seinem Lexikon befleißigt er sich dieser «doppelten Betrachtung» und sucht einmal «die Sachen selbst nach allen Theilen derselbigen» vorzutragen, darüber hinaus auch die in der Philosophie «vorkommenden Termini» zu erläutern. Dabei wird das Erklären und Definieren durch die Bemühung ergänzt, eine den «Umständen» gemäße «historische Vorstellung» der Termini sowie philosophiegeschichtlich relevanter Meinungen, Lehrsätze und «Controversien» zu vermitteln. Die «historische Erzählung» über philosophische Begriffe bleibt standpunktgebunden: auf kritische Beurteilung wird verzichtet, da die lexikalische Aufarbeitung «aller Theile der Philosophie» und ihrer «Kunst-Wörter» aus jedem Meinungsstreit herausgehalten werden soll [1].
1774 konzipiert J. G. H. Feder die «Idee eines philosophischen Wörterbuchs» mit dem Ziel, die Philosophie von dem Übelstand zu reinigen, mit «nicht genau bestimmten Begriffen» arbeiten zu müssen. Abhilfe schafft die gründliche «Aufklärung des wahren Gehaltes und Ursprungs» der Begriffe. «Bearbeitungen einzelner philosophischer Begriffe», sofern diese aus der «Anwendung des Wortes» allererst entstehen, erweisen ihre «Realität», vermindern «Wortstreitigkeiten» und bestimmen genau und zweckmäßig die «merkwürdigsten Kunstwörter aus der speculativen Philosophie». Neben etymologische Betrachtungen und das Ausfällen «überflüssiger Synonyma» rückt die historische Untersuchung «strittiger Begriffe» in den Mittelpunkt: sie erfolgt auf wortbedeutungsgeschichtlichem Wege und mündet schließlich in eine «systematische Ordnung» aller Begriffe [2].
Der hier aufweisbare begriffshistorische Akzent tritt bei S. Maimon wieder in den Hintergrund. Er richtet in seinem Wörterbuch von 1791, das er mit einer «Wechselkurstabelle» vergleicht, das Hauptaugenmerk auf die Begriffsdefinition. Dabei bereitet das Problem der Nichtdefinierbarkeit von philosophischen Grundbegriffen deshalb erhebliche Schwierigkeiten, weil auf historische Begriffsbestimmung verzichtet wird. So leidet die gewünschte Aufstellung eines in sich geordneten Begriffssystems unter der Vernachlässigung des historischen Moments: Maimon beschränkt sich auf die Darlegung von Abstraktionsstufen der Begriffe, deren Rangfolge er in Parallele zur «großen und kleinen Münze» und zum «Papiergeld» herstellt [3].
Erst W. T. Krug kommt mit seiner Forderung nach einem begriffsgeschichtlich orientierten Lexikon über die Anfänge historischer Begriffsbetrachtung hinaus und formuliert bereits 1806 das Programm für ein «historischkritisches Wörterbuch der Philosophie»: «Es müßte sehr instruktiv sein, wenn man von allen philosophischen Begriffen und Sätzen ein Werk hätte, welches sie in alphabetischer Ordnung reihete, dabei ihren Ursprung, ihren Fortgang, ihre Veränderungen, ihre Anfechtungen und Verteidigungen, Entstellungen und Berichtigungen mit Angabe der Quellen, der Verfasser, der Zeiten bis auf den gegenwärtigen Augenblick angäbe» [4]. Hiermit wird erstmalig die Absicht erklärt, in der philosophischen Lexikographie eine begriffsgeschichtliche Methode anzuwenden.
In dieselbe Richtung zielt auch Ch. A. Brandis, wenn er 1815 Philosophiegeschichte als die Geschichte ihrer Begriffe konzipiert und zur Ausarbeitung eines «philosophischen Wörterbuchs von den ältesten uns zugänglichen Zeiten» an aufruft, das in historischen Begriffsforschungen die gesamte philosophische Terminologie erfassen und sie «vom Beginn der Philosophie bis zu ihrem Verfall» weiterverfolgen soll. Daneben erarbeiten «Specialwörterbücher der vornehmsten Philosophen» die begriffliche Sprache einzelner Denker [5].
Vorerst verwirklicht die philosophische Lexikographie die von ihr selbst aufgestellten begriffsgeschichtlichen Postulate nicht: B. bleibt in den Wörterbüchern zunächst auf wenige, mehr zufällig als systematisch abgefaßte Einzelleistungen beschränkt. Dieses Entwicklungsstadium überwindet die B. im 19. Jh. erst unter dem Einfluß einer sich gründenden, ausgesprochen begriffsgeschichtlich orientierten Richtung innerhalb der Philosophiegeschichtsschreibung [6]. Der begriffsgeschichtlichen Lexikographie gibt dann 1872 R. Eucken mit seinem Aufruf zur «Herausgabe eines geschichtlichen Lexicons der philosophischen Terminologie» den entscheidenden Impuls für diejenigen bis in die Gegenwart hineinreichenden Bemühungen zur Realisierung eines Unternehmens, welches alle Wörter umfaßt, die «eine eigenthümliche philosophische Bedeutung erhalten haben» und sie «in ihrer Entstehung und Entwicklung bis auf die Gegenwart» darstellt [7].
Das geforderte Wörterbuch, das eine «rein historische Zusammenstellung der Termini» bringen sollte, unterscheidet sich in seiner begriffsgeschichtlichen Konzeption grundsätzlich von den älteren Lexika, da es nicht als reines Sachwörterbuch den Interessen einer philosophischen Richtung dient, sondern als nicht standpunktgebunden aufgefaßt wird: Es soll die gesamte Terminologie der Schulen erfassen und die Entwicklung der Begriffe in den einzelnen philosophischen Disziplinen verfolgen [8].
Eucken stellt dieses Lexikon ganz in den Dienst einer Philosophiegeschichtsschreibung, welcher es im Sinne der von A. Trendelenburg angeregten und von ihm selbst noch vorgelegten philosophiehistorischen Studien um den Nachweis geschichtlich gegründeter Kontinuität der Probleme geht. Die Stichhaltigkeit dieser Ansicht über die historische Entwicklungsweise der Philosophie soll durch die begriffsgeschichtliche Darstellung ihrer Terminologie dadurch nachgewiesen werden, daß im Wörterbuch der organische Zusammenhang der gesamten Philosophiegeschichte hervortritt, dessen Evidenz durch die individuell gebundenen terminologischen Eigentümlichkeiten der einzelnen Philosophen verschleiert worden ist.
Die B. hat sich bis heute aus der hiermit initiierten Verflechtung von begriffsgeschichtlich konzipierter Lexikographie und Philosophiegeschichtsschreibung nicht mehr gelöst. Die gegenwärtigen Überlegungen zu ihrem Selbstverständnis und die Versuche einer lexikographischen Funktionsbestimmung philosophischer B. reflektieren mehr oder weniger kritisch diese Position.
1879 verfaßt Eucken seine Geschichte der philosophischen Terminologie in ausdrücklicher Anlehnung an Trendelenburg, der ihre Bedeutung geltend gemacht und «zu ihrer Aufnahme in die wissenschaftliche Arbeit erheblich beigetragen» hat [9]. Eucken entwickelt eine umfassende Theorie der Terminologiegeschichte, die zunächst dem positiv-historischen Zweck genügt, die «mannigfachen Schicksale der einzelnen Termini vom Ursprünge bis zum Untergange» darzubieten. Dabei darf sie keinesfalls zur «bloßen Sammlung von Notizen und Curiositäten» herabsinken. Allerdings erhält sie ihre Berechtigung als philosophisch relevante Arbeit erst dann, wenn sie «die innere Geschichte der einzelnen Termini» zur Darstellung bringt und damit in B. umschlägt. Ihr «begrifflich-philosophisches» Ziel erreicht sie durch die Behandlung der wechselvollen Geschicke, welchen die «mannigfachen Beziehungen von Wort und Begriff» unterworfen waren. Da der Terminus sein «inneres Leben» vom Begriff her gewinnt, läßt sich Terminologiegeschichte letztlich in einer Geschichte der Begriffe ausformen [10].
Jede begriffsgeschichtliche Forschung befindet sich anfangs in der schwierigen Situation, die Entstehung der vorhandenen Termini mit exakten Angaben beschreiben zu müssen. Wenn leitende Begriffe auch oft aufführende Denker hinweisen, so vollzieht sich nur in seltenen Fällen bei ihnen deren «sprachliche Verkörperung». Um den Zufall auszuschalten und den Vollzug des Übergangs von den ersten Anfängen bis zur scheinbaren Selbstverständlichkeit im Gebrauch der Termini aufzuspüren, bietet es sich an, einzelne Philosophen und ganze Zeitabschnitte zusammenfassend und vergleichend zu untersuchen. Ein spezifisch philosophisches Interesse liegt auch in der gruppenweisen Aufarbeitung von Ausdrücken und Schlagwörtern, wodurch die Ordnung sichtbar gemacht wird, in welcher sich die Terminologie einzelner Disziplinen ausgebildet hat; dabei kennzeichnet eine vergleichende Feststellung über Reihenfolgen den Entwicklungsgang von Begriffen und Überzeugungen. B. entscheidet, ob der Begriff, dem der Terminus dient, «dem technisch philosophischen Denken entspringt oder ob er einer Bewegung des allgemeinen Lebens sein Dasein verdankt». Die Ausgestaltung der Begriffe erfolgt ihrer Form nach entweder als «Einzelleistung» und «schöpferischer Akt» durch reflektiertes Tätigwerden der Persönlichkeit oder aus einer «Gesamtströmung» heraus im «scheinbar instinctiven Wirken des Ganzen» und durch das «gemeinsame Bilden ungezählter Kräfte» [11].
B. analysiert den Umwandlungsprozeß von «Ausdrücken des gewöhnlichen Lebens» ins Philosophische und die terminologische Bereicherung, welche sich durch «Überführung des Bildlichen in Begriffliches» ereignet. Dabei geht B. den «Zusammenhängen von Lebens- und Gedankenkreisen» nach [12].
Eine gesonderte Betrachtung erfordert die Vorgeschichte der Termini. Wort und Begriff einigen sich im Durchlaufen verschiedener Stadien zu fester Verknüpfung. Die mannigfachen Vorbedingungen des Zusammenwebens bis zur technischen Fixierung sind im einzelnen aufzuhellen. Wenn die Existenz des Begriffs vom Terminus letztlich unabhängig bestehen bleibt – denn das im Begriff Erfaßte kann durch eine Mehrzahl von Ausdrücken sprachlich umschrieben werden – so beschäftigt B. doch die zentrale Frage, was die Ausprägung des Terminus für den Begriff und seine Geschichte bedeutet und an welchem Punkt des terminologischen Entwicklungsganges der Begriff sich zuerst verkörpert. In diesem Vollzug, der einen äußerst wichtigen Abschnitt in der Geschichte eines Begriffs markiert, wird dessen ambivalenter Charakter offenbar: Begriffe sind gleichzeitig selbständig und abhängig, denn der sprachliche Ausdruck ist «natürlich nicht bloßes Mittel, er behauptet seine Eigenthümlichkeit und wirkt also auf den Inhalt zurück» [13].
B. zeigt nun alle möglichen Konsequenzen auf: etwa die Gefahren aus der Mehrdeutigkeit von Worten oder die Problematik des möglichen Zusammentreffens mehrerer Begriffe in ein und derselben sprachlichen Fassung. In alledem wird offenkundig, daß das Wort dem Begriff nicht nur «gewisse Verbindungen, Merkmale, Färbungen» zuführt, sondern nicht selten die «Wertschätzung seines Inhalts» veranlaßt: in den Bezeichnungen liegen Urteile [14].
Die Terminologie befindet sich gegenüber dem Begriffssystem unvermeidlich in einem Rückstand. Im geschichtlichen Gang stellt sich eine Differenz zwischen Terminus und Begriff ein, weil die «Anpassung des Ausdrucks an den Begriff» eine gewisse Zeit erfordert. Treten beide Seiten in offenen Gegensatz, dann kann die Meinung aufkommen, die «sachlichen Irrungen» seien in «Mißständen der Sprache» gegründet. Letztlich aber läßt sich kein philosophisches Problem auf einen bloßen «Wortunterschied» zurückführen: «Aller Streit mag sich in einem Gegensatz von Worten darstellen lassen, darum ist er doch nicht ein Streit um bloße Worte» [15].
B. untersucht die einzelnen Ausbreitungsstufen der Termini; sie gibt jedoch nicht quantifizierte Auskünfte, sondern analysiert die verschiedenen qualitativen Graduierungen, die der Terminus in seiner Verwendungsgeschichte vorzuweisen hat. So erfaßt sie im Wechsel der Verbreitung «etwaige Perioden der Evolution und Involution» einzelner Termini und damit den Zusammenhang, den das «Hervortreten eines Terminus auf bestimmte Strömungen des geistigen Lebens» zeigt. Die Darlegung des qualitativen Umgestaltungsprozesses der Termini gestattet einen «Blick in die innere Arbeit der Gedanken» [16]. Der Terminus als spezifische Verbindung von Begriff und Wort paßt sich begrifflichen Verschiebungen an und verändert damit seinen Inhalt. Termini sind dann vom «Untergang bedroht», wenn sie der Begriff verläßt. So stellt sich die Geschichte der Terminologie insofern als B. dar, als sie die «am Begriff erfolgende Verschiebung» herausarbeitet, welche von der «philosophischen Theorie» oder «vom Wort her» veranlaßt sein kann. Da Begriffe in «steter Umwandlung» sind, bringt ihre Bewegung die Termini fortwährend in eine kritische Lage. Dem «ungezügelten Neuschaffen der Worte» sind allerdings durch den tatsächlich gegebenen Zusammenhang aller Begriffe und auch wegen der Notwendigkeit zur Verständigung Grenzen gesetzt. Der Sinn der Termini wechselt mit dem veränderten Stellenwert der Begriffe im wissenschaftlichen System. Meist folgt der Terminus dem in ein anderes Gebiet wandernden Begriff; durch solche Überführung wandeln sich beide: Nicht selten erfährt der Begriff eine Erweiterung «dem Umfange nach» oder dehnt seinen Geltungsradius aus. Der engere wissenschaftliche Bereich wird überschritten, sobald «jede große Weltanschauung» in «scheinbar particularen Begriffen einen allgemein werthvollen Inhalt» entdeckt. Andererseits können Termini derart einschrumpfen, daß nur «leere Abstractionen» übrigbleiben. In anderen Fällen erfolgt eine «Bewegung zur Specificierung hin»: Jedes philosophische System engt empfangene Termini ein und präzisiert sie [17].
Das Ineinandergreifen von Begriffs- und Terminologiegeschichte beruht darauf, daß Eucken Philosophie in Welt- und Lebensanschauung umbildet, so daß «jede große Umgestaltung des geschichtlichen Lebens Begriffe und Termini aus begrenzten Kreisen der Gesamtheit zuführt». Ihre Bewegung ist mit dem «Kampf des Ganzen» verknüpft. Dabei bewahren verdrängte Begriffswörter die untergegangenen, ruinenartigen geistigen Gebilde.
Begriffs- und Terminologiegeschichte spiegeln «in der Mannigfaltigkeit der Kräfte und Lage» Weltgeschichte: «Die im Stillen wirkende Arbeit des Gedankens und die Macht äußerer Umstände kommen hier im Schaffen zusammen». In den Worten bilden sich «fortschreitend Gefäße complicirter Begriffe, eine geistige Welt arbeitet sich zusehends in das Äußere hinein». So strahlt philosophische Terminologie in die Einzelwissenschaft. Philosophie wirkt noch als «Gesammtmacht»: Diese Funktion verdeutlicht die B. und dient damit der Philosophie als der im «Dienst des Ganzen» stehenden «Weltmacht», die den «Gehalt des Lebens» steigert, Welt und Leben schöpferisch umgreift, nicht aber auf «bloße Selbstbespiegelung» reduziert ist [18].
Solche B. kann durch eine «Untersuchung der Formeln in der Philosophie» ergänzt werden, in denen ebenfalls die «eigentümliche Wirkung der geschichtlich-gesellschaftlichen Umgebung auf das Individuum vorliegt» [19]. B. widerlegt die «dürftige und hochmüthige Ansicht», welche Philosophie «auf die subjective Reflexion der Individuen zurückführt». Letztlich vollzieht sich durch sie die «Erhebung über das Geschichtliche», die eben nur mittels «Versenkung in die Geschichte» und besonders in die der Begriffe erreicht werden kann [20].
Derart hohem Anspruch muß B. genügen. Ihre Konzeption durch Eucken, die exemplarischen Charakter trägt, ist von diesem Pathos erfüllt; auch wenn zunächst «Geschichte der Begriffe ein wichtiges Stück der historisch-philosophischen Forschung» ausmacht, wird sie schließlich zum «Ausdruck von Hauptbewegungen der gesamten Denkarbeit» und enthüllt ein «eigenthümliches Bild» einzelner Denker und der ganzen Geschichte [21].
In den Jahrzehnten um die Wende zum 20. Jh. erscheinen eine Reihe von Darstellungen zur philosophischen Begriffshistorie, die von Euckens Entwurf einer Gesamtgeschichte der philosophischen Terminologie beeinflußt sind. Die Einwände gegen diese Konzeption sucht schon 1885 K. Merkel zu widerlegen, indem er die B. gegen den Vorwurf verteidigt, sie liefere nur tote Bruchstücke, nicht ein systematisches Ganzes. Er macht geltend, inwiefern die historische Darstellung inhaltlicher Begriffsveränderungen als Geschichte der «Ausdrücke», in denen sich die innere geistige Gesamtbewegung spiegelt, mehr bietet als nur ein Aggregat von beziehungslosen Elementen: Im «Organismus» der historisch aufgearbeiteten Begriffe manifestiert sich die Geschichte vom «wirklichen inneren Fortschritte des philosophischen Geistes» [22].
Im 20. Jh. tritt in der Lexikographie der Anspruch wieder zurück, den die B. einzulösen bereit war; so etwa bei R. Eisler, der zwar in der Kombination von klassifikatorischer und chronologisch-genetischer «Dispositionsweise» eine «Geschichte der philosophischen Begriffe und Ausdrücke» beabsichtigt, sich jedoch mit der Anhäufung typischer Begriffsbestimmungen, Definitionen und möglicher Problemlösungen begnügt, wobei eine «systematische Weltanschauung», die auf subjektiver Denkweise basiert, die begriffsgeschichtliche Absicht überlagert [23]. Gerade aus diesem Grund kritisiert später E. Rothacker ein solches Unternehmen, dem die leitende «Idee einer B. im Sinne des historischen Bewußtseins» fehlt. Die nur «nachlässig geordnete Zitatenmasse» kann dem Anspruch nicht gerecht werden. Rothacker fordert seit 1927 die lexikalische Aufarbeitung aller philosophischen Positionen und eine «befriedigende Verzeichnung der kulturphilosophischen Grundbegriffe»; er bezieht in die begriffsgeschichtliche Forschung geistes- und geschichtswissenschaftliche Grundlagenforschung und Methodologie ebenso ein wie historische Theologie, Literatur- und Kunstgeschichte, Schriftstellerei und Dichtung [24].
Rothacker konstituiert in seiner Theorie der B. diese als Synthese von Terminologie- und Problemgeschichte. Er schließt damit einmal an Eucken an, zum anderen zeigen sich Einflüsse von Dilthey, sofern die auf den Ausdruckssinn bezogenen Weltanschauungsgeschichten sich in Problemgeschichten transponieren lassen, die wieder den Sachgehalt des Überlieferten erfragen, und von N. Hartmann[25].
Die vielschichtige Verflechtung wird für eine «mit philologisch-historischer Sorgfalt durchgearbeitete Geschichte der gesamten philosophisch-weltanschaulichen» und kulturwissenschaftlichen Terminologie Ausgangspunkt zur Klärung der «mit dem Begriff gemeinten Probleme», die unterhalb der terminologischen Schicht wiederum ihre eigene Geschichte haben. So verwendet Rothacker das Wort «begriffsgeschichtlich» nur aus kritischer Distanz, denn nicht eigentlich Begriffe, sondern Termini und Probleme vollziehen ihre Geschichte, durch deren Aufklärung und Durchleuchtung die gesamte europäische Philosophie- und Geistesgeschichte mit ihren zeit- und ideengeschichtlichen Hintergründen aufgedeckt und die «Problematik, Aporetik, Typik und Dialektik des philosophischen Denkens überhaupt» durchsichtig gemacht werden kann. Darüber hinaus liefert die B. ihren Beitrag zur Sprachgeschichte, da sie in vielseitiger Weise an die Sprachstruktur gebunden bleibt. Seine Konzeption von B. beginnt Rothacker in dem 1955 gegründeten ‹Archiv für B.› zu realisieren: Es geht um die Sache der Begriffe selbst, die von ihren geschichtlichen Wirkungszusammenhängen her behandelt und damit jeder bloß standpunktbedingten Sicht entzogen werden [26].
In der Gegenwart wird die Diskussion über die Fragen einer begriffsgeschichtlichen Lexikographie lebhaft geführt. 1967 bestimmt L. Geldsetzer in seinem Bemühen um eine Theorie der philosophischen Lexikographie die Funktion der Wörterbücher: Sie fungieren «als Leitfaden für das Verständnis eines historisch-zeitgenössischen Sprachhorizontes». Die lexikalische Arbeit bleibt auf die «philosophische Etymologie» der Begriffe verwiesen und verschafft einen Überblick über die Stationen von Begriffsentwicklungen. Diese B. vermag Begriffe durch «den Rückgriff auf die Genese ihrer Gehalte» für den Horizont ihrer gegenwärtigen Verwendbarkeit aufzubereiten. Wenn B. «die alten Begriffe und Meinungen, die Themen, Methoden, Systeme, Probleme, Streitigkeiten» untersucht, verhindert sie damit ein Philosophieren, welches «kontinuitätslos neue Begriffe erfindet und in seiner eigenen Terminologie schwelgt» [27]. Soll B. ein Instrumentarium für die Bewältigung aktueller Problemstellungen liefern, so verschafft sich darin ein bereits am Beginn historischer Begriffsbetrachtung aufgetauchtes Motiv wieder Geltung: Die eigene philosophische Position kann auf einem umfassend historisch geklärten Begriffssystem ruhen.
Durch die Diskussion um die philosophische B. beeinflußt, erörtert 1968 H. H. Eggebrecht methodische Fragen der B. für ein begriffsgeschichtliches Wörterbuch der Musik. Er bezieht sich auf die geisteswissenschaftliche Konzeption der Musikwissenschaft von W. Gurlitt, wonach B. als Verstehensinstrument für Sachen und Sachverhalte in ihrem geschichtlichen Sein und Gelten aufgefaßt und gegen den «herrschenden lexikographischen Positivismus» abgegrenzt wird [28].
Dabei kommt das Verhältnis zwischen Wort-, Begriffs-, Sach- und Problemgeschichte erneut in den Blick, das auch von R. Koselleck (1967) – ebenso wie das Beziehungsgefüge zwischen Vokabel und Terminus, Bedeutungs- und Bezeichnungsgeschichte – in seinen Erläuterungen zu einem Lexikon politisch-sozialer Begriffe thematisiert wird, das mit historisch-kritischer Methode dem Umwandlungsprozeß dieser Begriffswelt während der «Sattelzeit» nachgeht. B. ermöglicht eine «semantische Kontrolle für den gegenwärtigen Sprachgebrauch». Sie analysiert geschichtliche Bewegung, wie sie sich in Begriffen spiegelt und soll Geschichte durch «ihre jeweiligen Begriffe» interpretieren: Thema ist nicht die Identität, sondern die «Konvergenz von Begriff und Geschichte». Solche B. gründet auf der geschichtsphilosophischen Prämisse, daß Geschichte nur begrifflich faßbar ist, da sie sich in bestimmten Begriffen verfestigt.
Die B. verbleibt in der Spannung zwischen Wortbedeutungswandel und Sachwandel; in ihr treffen semasiologische, onomasiologische, sach- und geistesgeschichtliche Fragestellungen zusammen. Sie berücksichtigt zwar den semasiologischen und onomasiologischen Aspekt, liefert aber keine detaillierten Wortgeschichten: Ohne das ganze Bedeutungsfeld eines Wortes ausmessen zu wollen, registriert sie repräsentative Benennungsvorgänge und notiert nicht alle Bezeichnungen für den vorgegebenen Sachverhalt.
Begriffe sind stets mehrdeutig, sie bündeln die vielfältigen geschichtlichen Erfahrungen und Sachbezüge. Die «Vieldeutigkeit geschichtlicher Wirklichkeit» geht in die «Mehrdeutigkeit eines Wortes» so ein, daß im Begriff Bedeutung und Bedeutetes zusammenfallen. Daher interpretiert B. als «Zeitgeschichte» der Begriffe diese, sofern sie «Konzentrate vieler Bedeutungsgehalte» sind.
Die B. macht die Bezogenheit aller Begriffe aufeinander sichtbar, erfaßt das Beziehungsgefüge von Begriffsgruppen, ermittelt Überlappungen, Verschiebungen, neuartige Zuordnungen sowie den Stellenwert synchronisch im Querschnitt durch die gegebene Situation und diachronisch in der Tiefengliederung einer geschichtlichen Bewegung. Als integrales Moment bezieht die B. die Funktionalität der Begriffe in die Untersuchung ein. Sie diskutiert die soziologische Frage nach Schicht, Interessenbildung und Standortbezogenheit der Begrifflichkeit und deckt bei parteigebundenen «Perspektivbegriffen» die sich in der Begriffsbildung abzeichnende mögliche sprachliche Manipulierbarkeit und den Zusammenhang von Gesellschaftsordnung und Begriffswelt auf [29].
Grundsätze einer Theorie zur begriffsgeschichtlichen Lexikographie der Philosophie entwickelt J. Ritter in den Leitgedanken für ein ‹Historisches Wörterbuch der Philosophie›. Auch er reflektiert das weithin umstrittene Verhältnis von Begriff, Wortbedeutung, Wort und Sachverhalt, das die B. zu klären hat. Methodische Richtschnur für den Aufbau begriffsgeschichtlicher Lexikonartikel wird die Geschichte der begrifflichen Bedeutung von Wörtern sein: Ihr philosophischer Gebrauch ist in der Weise Leitfaden der Darstellung, daß durch den Aufweis ihres repräsentativen Auftretens und ihrer historischen Wirksamkeit die in ihnen begrifflich gefaßte Sache selbst zum Gegenstand gemacht wird. So zeigt das Lexikon die Philosophie «im Horizont ihrer Geschichte und ihrer geschichtlichen Herkunft». In diesem Verständnis von B. wirkt eine Idee von Philosophie, derzufolge sie «im Wandel ihrer geschichtlichen Positionen und in der Entgegensetzung der Schulen und Richtungen als die Eine perennierende Philosophie das ihr immanente Prinzip vernünftigen Begreifens zu immer reicherer Entfaltung bringt». Die B. verhindert die abstrakte Definition philosophischer Begriffe und ihren «unreflektierten dogmatischen Gebrauch».
Ritter stellt damit die geschichtliche Begründung der Philosophie als das begriffsgeschichtlich tragende Prinzip heraus und setzt diese Position gegen die cartesische ab, wonach der klare und distinkte Begriff «auch den Gegenstand der Philosophie in endgültiger, allem geschichtlichen Wandel entzogener Präzision» begreift [30].
Im Sinne dieser cartesischen Begründung der Philosophie, die philosophische Kontroversen als Streit um Wortbedeutungen entlarven möchte, verfährt das Lexikon von A. Lalande, um durch definitorische Bedeutungsklärung schließlich zu einer international verbindlichen Terminologie zu kommen [31]. Von einer anderen Seite sucht auch H. Krings die lexikalische B. neuzubestimmen: Analytische Abhandlungen der Grundbegriffe sollen das philosophische Problembewußtsein vergegenwärtigen [32]. Demgegenüber hat H. Blumenberg herausgearbeitet, daß ein Verlangen nach vollendeter Terminologie die B. destruiert. Würde die philosophische Sprache ihren begrifflichen Endzustand erreichen und das Ideal einer endgültigen Terminologie verwirklichen können, so hätte die B. ihre Rolle ausgespielt; sie behielte dann allenfalls einen «kritisch-destruktiven Wert»: Es ginge für sie lediglich um die «Abtragung» der «vielfältigundurchsichtigen Traditionslast» [33].
Die gegenwärtige begriffsgeschichtliche Theorie im Rahmen der Lexikographie muß für sich einen Philosophiebegriff beanspruchen, durch den sie die geschichtliche Funktion für das aktuale Philosophieren einsichtig machen kann. B. hebt sich dann selbst auf, wenn die systematische Funktion der Philosophie von ihrer Geschichte abgetrennt wird; insofern bleibt die B. stets an die Philosophie der Philosophiegeschichte verwiesen. Die begriffsgeschichtliche Lexikographie präzisiert ihr Verständnis von B. dadurch, daß sie ihr Verhältnis zur Geschichte der Philosophie eindeutig fixiert und klärt. Theorie der B. definiert sich nicht aus dem Bemühen um die allgemeingültige Bedeutungsfestlegung aller Begriffe, sondern muß im Gegenteil auf deren geschichtlicher Prägung und daraus resultierender Verflochtenheit mit dem philosophischen Gegenstand insistieren. Damit hebt sie gleichzeitig die historisch bedingten Aspekte dieses Gegenstandes hervor. Bei alledem reflektiert sie die Gefahr, einem relativierenden Historismus zu verfallen, der die systematische Seite der Begrifflichkeit zugunsten der natürlichen Zeitgebundenheit von Begriffen und ihres definitorischen Eingebettetseins in den historischen Horizont verleugnet. Die B. weist diese Position historistischer Einengung von Begriffsbestimmungen ab: Aufhellung der geschichtlichen Wirksamkeit macht Begriffe für die philosophische Reflexion brauchbar und schafft den genügend begründeten Rückhalt für ihre stringente Anwendung; dadurch kann B. den Graben zwischen Historismus und normativer Bedeutungssetzung schliessen.
[1]
J. G. Walch: Philos. Lexicon (1726) Vorrede XVIII–XXVI.
[2]
J. G. H. Feder: Idee eines philos. Wb. nebst etlichen Proben., in: Encyclop. J. 1 (1774) 8. Stück, 3–12.
[3]
S. Maimon: Philos. Wb. oder Beleuchtung der wichtigsten Gegenstände der Philos. in alphabetischer Ordnung 1. Stück (1791) XIII–XVI.
[4]
W. T. Krug: Rezension des Mellinschen Encyclop. Wb. der krit. Philos. Neue Leipziger Lit.-Ztg. 22. Stück (1806) Sp. 346.
[5]
Ch. A. Brandis: Von dem Begriff der Gesch. der Philos. (1815) 81.
[6]
Vgl. unten Nr. 3, Anfang, bes. die Ausführungen zu Brandis und Teichmüller.
[7]
R. Eucken: Aufforderung zur Begründung eines Lexicons der philos. Terminol. Philos. Mh. 8 (1872/73) 81f.
[8]
a.a.O. 82; vgl. dort auch die redaktionelle Anm.
[9]
R. Eucken: Gesch. der philos. Terminol. (1879, Nachdruck 1960) 6; Eucken bezieht sich direkt auf A. Trendelenburg: Log. Untersuch. 1 (1840, 1862) Vorworte zu beiden Aufl.; vgl. auch A. Trendelenburg: Hist. Beiträge zur Philos. 1–3 (1846–1867).
[10]
Eucken, a.a.O. [9] 7.
[11]
166–174.
[12]
179.
[13]
174f. 178f. 181.
[14]
183.
[15]
184.
[16]
189f. 199.
[17]
191–198.
[18]
213–220.
[19]
Beiträge zur Einf. in die Gesch. der Philos. (1906) 176; vgl. Anm. [8 zu 1] zur Modellforsch, bei Eucken.
[20]
Gesch .... a.a.O. [9] 220.
[21]
Beiträge ... a.a.O. [19] 172ff.
[22]
K. Merkel: Über die Entstehung und inhaltliche Veränderung der beiden philos. Ausdrücke a priori und a posteriori (Diss. Halle 1885) 1–6.
[23]
R. Eisler: Wb. der philos. Begriffe 1 (41927) Vorwort.
[24]
E. Rothacker: Sammelber. über Hilfsmittel des philos. Studiums. Dtsch. Vjschr. Lit.wiss. 5 (1927) 766–791, bes. 766. 780; vgl. Heitere Erinnerungen (1963) 75.
[25]
Geleitwort. Arch. Begriffsgesch. 1 (1955) 5ff.; vgl. dazu Gründer, a.a.O. [10 zu 1].
[26]
Rothacker, a.a.O. [25] 5ff.; vgl. dazu Das akad. ‹Wb. der Philos.›. Das goldene Tor 5 (1950) 94–97; Ber. über die Arbeiten zur B. Jb. Akad. Wiss. Lit. Mainz (1956) 144–148; K. O. Apel: Das begriffsgesch. Wb. der Philos. Z. philos. Forsch. 6 (1951/52) 133–136.
[27]
L. Geldsetzer: Zur philos. Lexikographie der Gegenwart. Zur Gesch. ihrer Theorie und über das Lexicon Philosophicum des Stephanus Chauvin (1967) V; Was heißt Philosophiegesch.? (1968) 16f.
[28]
H. H. Eggebrecht: Das Handwb. der musikalischen Terminol. Arch. Begriffsgesch. 12/1 (1968) 114–125; zu W. Gurlitt vgl. Ein begriffsgesch. Wb. der Musik. Kongr.-Ber. int. Ges. Musikwiss. (1953).
[29]
R. Koselleck: Richtlinien für das Lexikon politisch-sozialer Begriffe der Neuzeit (verfaßt 1963). Arch. Begriffsgesch. 11/1 (1967) 81–89.
[30]
J. Ritter: Zur Neufassung des ‹Eisler›. Z. philos. Forsch. 18 (1964) 704–708; Leitgedanken und Grundsätze eines ‹Hist. Wb. der Philos.›. Arch. Gesch. Philos. 47 (1965) 299–304; Arch. Begriffsgesch. 11/1 (1967) 75–80.
[31]
A. Lalande: Vocabulaire technique et critique de la Philosophie (Paris 1902/03, 91962).
[32]
H. Krings: Idee und Grundsätze für das Hb. philos. Grundbegriffe (1969).
[33]
H. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorol. Arch. Begriffsgesch. 6 (1960) 7f.
3. Begriffsgeschichtliche Philosophie der Philosophiegeschichte. – Die Anfänge der B. im Rahmen der Philosophiegeschichtsschreibung werden in den letzten Jahrzehnten des 18. Jh. in den mannigfachen, dogmatisch und kritizistisch ausgerichteten Versuchen sichtbar, den Stellenwert der Philosophiegeschichte innerhalb des Systems philosophischer Disziplinen durch eine umfassende Definition zu ermitteln. Dabei tritt sehr bald neben das ständig wiederholte Vorstellungsklischee einer Philosophiegeschichte als der bloß referierenden Geschichte philosophischer Systeme die Auffassung, sie habe es mit «Ideen», «Problemen» und «Begriffen» zu tun, die – den Systemen immanent – als auslösende und verbindende Momente für die Systembildungen zu analysieren sind. Im Sinne der traditionellen Topik werden an diesem Leitfaden nun verschiedenartige Philosophien einander entgegengestellt. Zunächst beharrt die ideen-, problem- und begriffsgeschichtliche Betrachtung auf der These endgültig fixierter Problem-, Ideen- und Begriffsgehalte um so jeden Skeptizismus und Relativismus auszuschließen. Auf der Basis dieser noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. vertretenen Prinzipien [1] kommt es schrittweise zur Ausbildung regulärer Problemgeschichte, der es um die Bearbeitung von philosophischen Problemkomplexen geht, wie sie G. G. Fülleborn etwa unter dem Titel «Modethemata» subsumiert, wobei ihre Charaktere der Unveränderlichkeit und stetigen Wiederkehr betont werden [2]. Parallel zur Ausbildung dieser Problemgeschichtstheorie entwickelt sich die begriffsgeschichtliche Philosophiegeschichte. Zunächst begnügt sich die B.-Schreibung mit der Untersuchung von Bezeichnungsvariationen und ist weithin onomasiologisch orientiert; der Bedeutungswandel in der Begriffshistorie wird nur am Rande erfaßt. Demgegenüber zeigt die gegenstandsbezogene und nach Motivkomplexen geordnete ideen- und problemgeschichtliche Arbeitsweise in diesem Zeitabschnitt bereits ausgesprochen semasiologische Züge. Als erster akzentuiert J. Gurlitt 1786 sein Programm aufklärerischer Philosophiegeschichte zugleich ideen- und begriffsgeschichtlich, indem er für die Ausarbeitung einer «Geschichte der menschlichen Begriffe und Meinungen» sowie der «philosophischen Wortsprache und Charakterschrift» plädiert, worin ein «chronologisch und systematisch geordneter Inbegriff» derjenigen inhaltlichen Begriffsveränderungen gegeben wird, den philosophische Begriffe «von den ältesten bis auf unsere Zeiten erlitten haben» [3].
Erste Schritte zur Verwirklichung dieses Programms macht Ch. G. Bardili, der 1788 die «Epochen der vorzüglichsten philosophischen Begriffe» darstellt. Seine «psychologisch-historischen Untersuchungen über die stufenweise Entwickelung derjenigen Begriffe, welche man zum Gebiete der Metaphysik rechnet», sollen Grundlage einer «raisonnirten Geschichte der Philosophie» sein. Bardili verfolgt Ursprung und Fortgang der Begriffe nicht nur in den Systemen, sondern ebenso in der «Sprache des gemeinen Lebens», bei den Dichtern und innerhalb der alten Religionen [4].
Während sich das philosophiegeschichtliche Interesse zunächst auf Geschichten einzelner Begriffe richtet, bietet G. G. Fülleborn 1794 in der Abhandlung ‹Über Geschichte der philosophischen Kunstsprache unter den Deutschen› erstmals Grundsätze für B., die als «Organ der Philosophie» charakterisiert wird und eine «deutsche Terminologie der Philosophie» erarbeitet, indem sie philosophische Kunstwörter vom Beginn ihrer Prägung an in ihrer «technischen» und «eigentlichen», oft schwankenden Bedeutung analysiert. Zum ersten Mal erfolgt hier eine Periodisierung der Terminologiegeschichte: Der Zeitraum von Thomasius bis Chr. Wolff wird als «übersetzende», die Zeit der Wolff-Schule als «verdeutschende» und der anschließende Abschnitt bis zu «Kants Reformen der Philosophie» als «neueste Periode» begriffsgeschichtlicher Entwicklung aufgefaßt [5].
Fülleborn arbeitet die Grundsätze der B. noch detaillierter heraus und betont 1795, daß die «Geschichte der philosophischen Sprache», die «eben so nützlich als nothwendig ist», sich auf die Kenntnis der «alten Philosophen» gründet. Die «eigenen» Begriffe je gegenwärtiger Philosophie können nur aus der «Vergleichung» mit dem Vorrat geschichtlich vorgegebener Begriffe verdeutlicht und berichtigt werden. Die Vergegenwärtigung ihrer Geschichte befestigt die durch «langen und vielfachen Gebrauch, durch verschiedene Erklärungen, oft auch durch allerhand Neben-Ideen» vieldeutig und unbestimmt gewordenen Begriffe. Sie sollten aber nicht durch sprachliche Neubildung entstehen, sondern aus der Tradition übernommen oder doch umgebildet werden. Seine Theorie verwirklicht Fülleborn 1799 in einer Geschichte des Begriffs der Politik als Geschichte der «menschlichen und bürgerlichen Verhältnisse» und gibt «flüchtige Umrisse» weiterer B.en, wobei er stets die ersten Spuren in den «ältesten Philosophemen» findet [6].
Auch Ch. A. Brandis entwickelt 1815 aus einem Begriff der Philosophiegeschichte eine Theorie zur B. Es ist Aufgabe der Philosophiegeschichte, die historische Entwicklung der Begriffe darzustellen, ihr «Fortschreiten» zu verfolgen. Dadurch schafft sie die Basis für B., indem sie den «sich immer erweiternden Besitz von Begriffen» sichtbar macht und schließlich durch die so entwickelten und aus ihr selbst bedingten «Begriffsreihen» auf Wissenschaft, Kultur und Bildung einwirkt. Die B. deckt das «innere Wesen des Begriffs» auf, zeigt, wie sich die «Grundbestimmungen» der Begriffe nach verschiedenen Seiten entwickeln und dabei «ihr Gepräge» verdunkeln. Sie vermittelt die Einsicht, daß selbst durch die «trügerische Kunst» von Sophisten die. begriffliche Grundbestimmung nicht verbildet werden kann, so sehr sich auch, je nach Zeitalter und Individuen, die Auffassung der Begriffe verändert. Die Philosophie als Wissenschaft von «den Begriffen als Begriffen» bedarf der B., da nur sie durch «genaue Erörterung der Begriffsbezeichnung» und des «Begriffsumfangs» den «inneren Zusammenhang der Begriffe selbst» nachweisen und somit zum Träger des Fortschritts der Philosophie aufrücken kann [7]. Diese frühe und weiterwirkende Konzeption philosophiegeschichtlicher B. bezieht auch Sprachforschung und sprachliche Analysen der Ausdrücke ein. Der Aspekt verselbständigt sich vorübergehend vor allem in den dreißiger Jahren des 19. Jh. bei der geschichtlichen Aufarbeitung theologischer Grundbegriffe, wie sie zwischen 1835 und 1841 in den ‹Theologischen Studien und Kritiken› etwa von J. G. Müller, F. Ch. Baur, Ch. H. Weisse, J. F. K. Gurlitt, G. M. Redslob und F. Dietrich in sprach- und wortgeschichtlichen Abhandlungen zu einzelnen Begriffen vorgenommen werden [8]. Dabei wird besonders die Spannung zwischen Wortbildung und bezeichnetem Begriff gesehen. Das bloß etymologische Verfahren wird ergänzt durch Sprachgebrauchsanalysen, die für sich betrieben jedoch zu einem rohen und willkürlichen Empirismus führen würden [9].
Ein für die spätere Theorie der B. folgenreiches Thema greifen Ch. H. Weisse und F. Ch. Baur auf: Sie wollen das Problem klären, ob ein «begriffsmäßiges Verfahren in geschichtlichen Dingen» zu neuer Begriffsbestimmung führen kann. Auf der einen Seite steht die Auffassung von der «Realisation des Begriffs als solchen in der Geschichte», wobei die genetische Entwicklung ganz der Sache selbst folgt und dann der Begriff «aus dem historisch Gegebenen abstrahiert» wird. Dem gegenüber steht eine Auffassung, welche die geschichtliche Darstellung des Begriffs für nicht gerechtfertigt hält, da sie den «reinen Begriff der Sache», der nur von aller Geschichte unabhängig durch streng logische Entwicklung immanenter Momente gewonnen werden kann, zum «Objekt» geschichtlicher Bewegungen degradiert und somit beeinträchtigt und entstellt. B. setzt voraus, daß das «notwendige logische Verfahren» kein «aprioristisches Konstruieren» ist, sondern der begriffshistorischen Analyse nachfolgt [10]. Wesentliche Impulse für die Theorie der B. liefert die Philosophiegeschichtsauffassung A. Trendelenburgs, wie er sie in den historischen Beiträgen zur Philosophie praktiziert [11]. Von seiner Devise, «mit der Geschichte zu gehen und der geschichtlichen Entwickelung der großen Gedanken in der Menschheit zu folgen», wurde nicht nur Eucken beeinflußt. Mit ausdrücklichem Bezug darauf bildet G. Teichmüller seine Theorie der B. aus und versteht sie als Verwirklichung dieses Programms der notwendigen historischen Besinnung, durch welche die Philosophie ihrer Auflösung in allgemeine Kulturgeschichte und Nationalliteratur entgeht und nicht als «vorübergehendes Kulturelement» und «Echo von den veränderten Empfindungen des Tages» in eine «demütigende Stellung» gedrängt verharrt [12].
Teichmüller empfindet B. als wirksames Organon, durch das Philosophie ihre alte Machtstellung zurückerobern und ihren festen Platz im Verband der Wissenschaften behaupten kann. «Geschichte der Begriffe» im Sinne der Studien Teichmüllers ist erste Bedingung für Fortschritte in der Philosophie, denn sie zeigt die «Motive jeder Theorie» auf und die «Bahnen, welche jeder Begriff seiner Herrschaft unterworfen hat, ebenso aber auch die Collisionen mit den übrigen Wahrheiten und die Auflösung eitler Machtansprüche» [13]. So beschäftigen sich mit B. «eigentliche» Philosophen, denn Philosophie als Vernunftwissenschaft hat ihren Bestand einzig in Begriffen, nicht in Meinungen und Überzeugungen. B. richtet sich gegen jede «historische Psychologie» und schließt die Erforschung der «Einflüsse des persönlichen Lebens, der gesellschaftlichen Zustände, der religiösen und politischen Atmosphäre auf die Ausbildung der philosophischen Systeme» aus [14].
Teichmüller konzipiert B. als eine «chronologische Topik», durch die, der logischen Topik verwandt, das Gleichzeitige und Aufeinanderfolgende «durch Erinnerung» fixiert wird. Da die Wahrheit dem «ideellen Inhalte des Denkens» zugeordnet ist und bloß «semiotisch» die Idee des Wesens und der Realität sowie die Idee des Guten und Schönen umfaßt, können weder diese Ideen, noch die Begriffe im Verhältnis «dialektischer Unterordnung» stehen, sondern müssen in einem «Koordinatensystem» zueinander geordnet werden. Auf Grund dieser angenommenen «Topographie» für die geistige Welt hat jeder Begriff, wie «im Raum jeder Punkt», in einem allgemeinen Begriffssystem seine «durch bestimmte Bedingungen fest und nothwendig geordnete Lage». B. bestimmt die «Örter in dem Koordinatensystem», denen die Begriffe so zugeordnet werden, daß schließlich ein Parallelogramm aller Begriffe entsteht [15].
B. als chronologische Topographie steht gegen die Auffassung einer perspektivischen Entwicklungslehre, die durch ihre Standpunktgebundenheit in einen geschichtlichen Relativismus einmündet. B. meint in diesem Verständnis nicht historistische Entwicklungsgeschichte von Begriffen; ihr Vollzug erfolgt in bewußter Abgrenzung gegen phänomenologische oder positivistische Geschichtsbetrachtung. Soll B. die «festen Koordinationen» der Begriffe im Gesamtsystem ermitteln, dann gehört sie in die «echte Geschichte, wonach das Ganze in einen providentiellen Blick zusammengefaßt und als ein technisches System betrachtet wird» [16].
B. bedient sich einer an Platon und Aristoteles orientierten dihäretischen Methode, wenn sie «Quellen zum Beweise» prüft und «neue Gesichtspunkte der Auffassung» verwertet. Das dihäretische Verfahren wird von der logischen auf die historische Dimension übertragen, so dass die verschiedenartigen Begriffsbedeutungen nach «Confirmationen» und «Instanzen» abfragbar sind. Dieser Arbeitsweise ist es eigentümlich, den Begriffsinhalt – trotz aller geschichtlich aufweisbaren Anwendungsvariationen – als mit sich identisch und unverändert bleibend anzunehmen [17].
Dihäretische B. verfolgt die Entfaltung der Begriffsbedeutungen, um an ihnen Bekräftigungen oder Widerlegungen des ursprünglichen Begriffsgehaltes festzustellen. Sie geht davon aus, in den begrifflichen Spätbildungen, bei aller in die Augen fallenden phantastischen Ausführung, keine vollendeten Prägeformen zu sehen: Scheinbare Vervollkommnung bedeutet in der Regel Verhüllung des ursprünglichen Begriffszustandes. Auf diese Weise gelingt der B. der Nachweis, daß die Griechen Väter und Schöpfer aller philosophisch relevanten Begriffe gewesen sind. Natürlich blieben die Begriffe «viele Jahrhunderte hindurch lebendig» und bildeten den «höchsten Inhalt des menschlichen Denkens bis auf unsere Tage»: So ist es zwar für die B. interessant, den «Lauf eines Flusses» zu verfolgen, die Quelle aber bleibt das Wichtigste. B. macht die ewige Weisheit der Griechen in der modernen Philosophie geltend, die in ihrer Terminologie nicht über den «Ideenkreis des Altertums» hinausgelangt ist. Zum «ererbten Begriffsschatz» kam nur ein «dürftiges Häuflein originaler Begriffe» hinzu, in der Regel liegen akzidentielle Anpassungen überkommener Begriffe vor. B. zeigt, daß die Philosophiegeschichte eine «Sammlung aller bisher erarbeiteten» Begriffe als allgemein anerkanntes Gut enthält [18].
Der Nutzen von B. besteht darin, daß sie gegenwärtige Philosophie aus ihrer antiken Wurzel verständlich macht und dadurch einen Maßstab zur Beurteilung auch historischer Auffassungen gewinnt, schließlich den «bleibenden und lebensvollen Gedankenformen» zur Anerkennung verhilft [19]. B. vermittelt die Einsicht in den inneren Gang der Philosophie, deren Geschichte sich in der Bewegung regelmäßig wiederkehrender Adaptationen typologisch erfaßbarer Stellungen vollzieht, welche von den philosophischen Grundbegriffen entsprechend der anthropologisch bedingten Möglichkeiten philosophischer Theorie eingenommen werden können.
Bereits in den siebziger Jahren des 19. Jh. erhebt H. Lotze Einwendungen gegen diese Theorie der B. Sie wird der Hegelschen Auffassung von Philosophiegeschichte nicht gerecht, da sie lediglich historisch «aus der kritischen Kombination des Überlieferten auf das Ganze» zurückschließt, einem vorgeordneten Prinzip «über die Reihenfolge der zu erwartenden Standpunkte» jedoch entsagt und deshalb nicht den wirklichen Entwicklungsgang der Gedanken trifft: Das realisiert nur Ideengeschichte, die zu ermitteln hat, in welcher Reihenfolge die Gedanken des menschlichen Geistes aus «unbewußt wirkenden Antrieben» und «halbpoetischer Weltkonstruktion» sich zu «bewußten Begriffen und methodischen Prinzipien» wissenschaftlicher Weltbetrachtung in den spezifischen Ausformungen einzelner Systeme entfalten [20].
Teichmüller klärt daraufhin das Verhältnis von Ideengeschichte und B., indem er Begriffe als diejenigen wissenschaftlichen Ausdrücke beschreibt, die erst durch bewußte Gedankenarbeit von den allgemeineren Ideen abstrahiert werden. Letztere sind nicht derart eingeschränkt, sondern finden sich in Natur, Geschichte, Religion, Kunst, im sittlichen und politischen Leben. Demzufolge besitzt die Ideengeschichte keinen so speziellen Charakter wie B. und hätte mindestens Mythologie und die gesamte Kulturgeschichte zu umspannen [21].
Im Anschluß an die Theorie der B. von Teichmüller erscheinen zahlreiche begriffsgeschichtliche Monographien, die im wesentlichen die vorgegebene Position festhalten. Darüber hinausgehend fordert 1911 C. Knüfer, die B. habe sich nicht bloß an der Ursprungsbedeutung der Begriffe zu orientieren, sie müsse auch den speziellen Verwendungen nachgehen und «Stellung und Wertung des Begriffs im Ganzen der einzelnen Systeme» erfragen [22]. Dagegen akzentuiert 1918 A. von Harnack die Prinzipien Teichmüllers, wenn er den begriffsgeschichtlichen Schwerpunkt auf Analysen über den ursprünglichen Sinn einzelner Begriffe legt: So verstandene B. klärt die theologische Terminologie und dient einer differenzierten Erkenntnis der Religionsgeschichte [23].
Von der allgemeinen Entwicklung begriffsgeschichtlicher Theorie unabhängig fragt 1887 Nietzsche nach «Fingerzeigen», welche Sprachwissenschaft und etymologische Forschung für die Entwicklungsgeschichte von Begriffen bereithalten. Auch er betont Beziehung und Verwandtschaft, in der philosophische Begriffe «zueinander emporwachsen»: Sie entfalten sich nicht nach eigenem Belieben. Gerade durch die entwicklungsgeschichtliche Sicht des Begriffssystems wird die anthropologische Konstante der Philosophie aufgedeckt und offenkundig, wie «die verschiedenen Philosophen ein gewisses Grundschema von möglichen Philosophien immer wieder ausfüllen» [24].
Die philosophische B. okkupiert in zunehmendem Maße die Theorie der Philosophiegeschichtsschreibung, und setzt sich dabei der Gefahr aus, ihren eigenständigen Charakter in diesem Prozeß zu verlieren. Als repräsentative Figur einer solchen Richtung markiert W. Windelband einen Knotenpunkt. Die geläufige Auffassung sieht in ihm den Begründer der Problemgeschichte, obwohl er 1891 eine weltanschauliche Philosophiegeschichte als ein Ineinandergreifen von Problem- und B. konzipiert. Dieses Ganze entsteht, wenn in der historischen Untersuchung die Verflechtung von Begriffen und Problemen in einem «Grundriß allgemeingültiger Begriffe der Weltauffassung und Lebensbeurteilung» in der Weise aufgezeigt wird, daß die immer wiederkehrenden und «jedes ernste Menschenleben bewegenden» Probleme und die mannigfachen, zu ihrer Lösung herangezogenen Begriffe auf eine stets höhere Reflexionsstufe gehoben werden. Letztes Ziel der Problemgeschichte und B. ist es, die Philosophie in den Stand zu setzen, «in der Formung ihrer Probleme und ihrer Begriffe das nur historisch Geltende der Veranlassungen und Vermittlungen von dem an sich Geltenden der Vernunftwahrheit abzulösen und von dem Zeitlichen zu dem Ewigen vorzudringen». Diese philosophiegeschichtliche B. spielt eine nur untergeordnete Rolle und trägt einen propädeutischen Charakter für die allgemeine weltanschauliche Bildung. «Vieles, was begriffsgeschichtlich von Wichtigkeit ist», verliert deshalb jedes Interesse, weil die Philosophie ihre höchste Aufgabe in der Beschäftigung mit Fragen der Welt- und Lebensanschauung sieht. Bei Windelband pervertiert B. im Verweltanschaulichungsprozeß der Philosophie [25].
1909 meint N. Hartmann, in der begriffsgeschichtlichen Position Teichmüllers eine Vorstufe seines problemgeschichtlichen Denkens zu erkennen. Bei ihm wird sichtbar, wie auch zur Begründung eines nicht-historistischen Standpunkts der Philosophiegeschichte Problemgeschichte und B. in systematischer Hinsicht eine Symbiose eingehen. N. Hartmann bestimmt Begriffe so, daß er B. in reine Problemgeschichte überführen kann. Begriff im strengen Sinn ist der «auf seine definitorischen Grundmomente reduzierte Bestand eines systematischen Problems». Tritt der Begriff als Abbreviatur des Problems zurück, gelangen «systematische Problemstellungen» in den Blick, verstehbar als Besonderungen der «in sich einheitlichen Vernunft auf eines ihrer Teilgebiete». Von ihnen aus läßt sich das Mannigfaltige der historischen Problemstufen als kontinuierliche Abfolge begreifen: Die besonderen Probleme oder Begriffe sollen dann innerhalb der mehr oder weniger geschlossenen Zeitabschnitte in ihrer Entfaltung aufgewiesen werden.
Aufgrundder Identifizierung mit Problemgeschichte betrachtet B. «Vernunfteinheiten in ihrer zeitlichen Selbstentfaltung». Das Wiedererkennen durchgehender Probleme wird zum Leitfaden der Darstellung genommen. Diese Auffassung von der Problemidentität als einem Kontinuum fortschreitender Einsicht überwindet die philosophische «Impotenz» der geistesgeschichtlichen Haltung. So erobert der Problembegriff den Rang einer mittleren Proportionale zwischen den an sich inkommensurablen Forderungen systematischer und historischer Philosophie: Die «Prachtbauten des Gedankens» zerfallen; Begriffsbildung und Terminologie sind beweglich, denn «derselbe Ausdruck wechselt schon von einem Denker zum anderen die Bedeutung, über längere Zeiträume muß das, was er besagte, immer erst rekonstruiert werden» [26].
Reine Problemgeschichte in diesem Verständnis umfaßt B. nur subsidiarisch, sie hat Problemaufschlüsse zu liefern und fixiert bleibende Problem- und Begriffswerte.
Zugunsten der Systemidee hebt H.-G. Gadamer schon 1924 vom Standpunkt der Hermeneutik her die ewige Idealität der Probleme auf, entlarvt sie als Selbsttäuschung und setzt im Zuge eines existentiell orientierten Denkens an die Stelle des überzeitlichen identischen Problembestandes das Prinzip der Wandelbarkeit der Probleme und ihrer Abhängigkeit von der jeweiligen Grundhaltung dem Dasein gegenüber. Reine Problemgeschichte schlägt um in hermeneutische Problemgeschichte und erzeugt eine den geschichtlichen Seinsweisen verbundene hermeneutische B. Das philosophische System, verstanden als Problemsystem, verbleibt im Ganzen des menschlichen Daseins und seiner Geschichte: Von da her rechtfertigt sich die systematische Struktur der philosophischen Gegenstände. «Nicht dort liegen die gleichen Probleme vor, wo in angeblichem geschichtlichen Selbstbewußtsein die gleichen Worte und Begriffe im Gebrauch sind», sondern dort, wo – selbst bei gänzlich unterschiedlicher Begriffssprache – dieselbe geistige Tradition und Daseinsauffassung anzutreffen ist [27].
In den fünfziger Jahren leitet Gadamer die «Senatskommission für begriffsgeschichtliche Forschung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft» und wird Initiator einer interdisziplinär orientierten B., die «wichtige Grundbegriffe der Philosophie und der Wissenschaften im Austausch zwischen den Vertretern der einzelnen Wissenschaften und der Philosophie» zu klären sucht [28].
Seit 1960 zeigt Gadamer, welche Funktion in einer Hermeneutik der Geistesgeschichte B. ausübt. Sie erhält ihren Stellenwert in der hermeneutischen Philosophie, welche die «Sprach- und Denkgewohnheiten vor das Forum der geschichtlichen Tradition stellt», sich nicht von der Sprache treiben lassen will und sich gerade in ihrem Bemühen um ein «begründetes geschichtliches Selbstverständnis» «von einer Frage der Wort- und Begriffsgeschichte in die andere genötigt» sieht [29]. Hermeneutische B. wird methodisches Instrument einer Philosophie, die ihren Zugang zu den Sachen vom Verstehen und Auslegen des schon Vorhandenen her definiert, und stellt ein neues Verhältnis zu den überkommenen Begriffen her, die in ihrem ursprünglichen Bedeutungsgehalt nicht unbefragt übernommen werden können, soll der Erwerb geschichtlicher Selbstdurchsichtigkeit nicht gefährdet werden.
1965 löst H. Lübbe in seiner begriffsgeschichtlichen Theorie der Philosophiegeschichte die Konjunktion zur Problemgeschichte und bestimmt B. im Sinne einer Wortgebrauchsgeschichte, die sich als Methode zur Regulierung in Fällen von chaotischem Wortgebrauch empfiehlt. Sie ist das Ordnungsmedium, in dem der willkürliche Umgang mit dem Wort gefiltert und in einer neuen Wortgebrauchsempfehlung aufgehoben wird, die eine neue Verbindlichkeit für die weitere Verwendung des Wortes schaffen soll. So erscheint die Definition als Resultat der Geschichte des Wortgebrauchs, in der allein der Begriff für die begriffsgeschichtliche Forschung greifbar wird. In dieser Bindung kann die Definition, «unbeschadet ihrer faktischen Verbindlichkeit», historisiert und damit als «Endstadium jenes begriffsgeschichtlichen Prozesses durchsichtig» gemacht werden, der sich in der Wortgebrauchsgeschichte ereignet hat.
Die sich an der funktionalen Sprachtheorie orientierende B. kann Verbindlichkeiten definitorischer Art stiften, außer Fassung geratene Begriffe stabilisieren und abgerissene Kontinuitäten im philosophischen Sprachgebrauch durch Korrektur wiederherstellen.
Die B. will hier ausdrücklich Philosophiegeschichte sein, welche die Arbeit des Begriffs, die den Fortschritt der Philosophie treibt, erkennbar macht aus der «Durchblicke von großer Tiefenschärfe gewährenden Perspektive der begriffsgeschichtlichen Fragestellung» heraus. Diese B. faßt Begriffe nicht als absolute zeitlose Größen, sondern als «Momente kategorialer Kontexte», die sich ändern.
Wenn Begriffe in solchem Sinne «Orientierungs- und Handlungsschemata für Theorie und Praxis sind» und ihre Bewährung ihre Wahrheit ist, dann gewinnt die B. eine weitere Dimension durch ihre Hinwendung zu Begriffen aus der ideenpolitischen Praxis. Sie untersucht mit Vorliebe Begriffe einer Philosophie, die sich als Geisteskampf versteht und mit ihren Begriffen weltanschauliche Standpunkte fixiert. Somit zeigt B. hier nicht die Theorieunfähigkeit der Vernunft an, wohl aber, wie Begriffe «die Bereitschaft des Willens steigern, sich ideenpolitisch zu engagieren». Sie sortiert damit Begriffe, die zwar keine «Wirklichkeitsaufschließende Kraft» besitzen, in der ideenpolitischen Frontenbildung jedoch provokatorisch wirken [30].
Rein gebrauchspolitisch ausgerichtete B. setzt allerdings unkritisch Begriff und Wortgebrauch in eins. Zwar kann Wortgebrauchsgeschichte im Idealfall alle Bedeutungen und Aspekte eines Begriffs fassen. In allen anderen Fällen muß sie auf die im jeweiligen Wortgebrauch nicht reflektierten Voraussetzungen und Gehalte reflektieren, will sie in ihren Ergebnissen die Sache selbst in den Griff bekommen. Zwar kann es als zentrale Aufgabe der B. angesehen werden, Wandlungen und Veränderungen des Begriffswortes aufzufinden, den Gründen für die Veränderungen nachzuspüren und eine haltbare Deutung zu liefern; dabei können an Knotenpunkten der Begriffsentwicklung Struktur und Schichtung umfassend aufgeklärt werden. B. hat dann aber zu berücksichtigen, daß Begriffe ihre je eigene Zeit haben, sie wurzeln in einer bestimmten Epoche. Erst wenn sie aus dem Zustand ihrer Aktualität geworfen sind, ihre Hoch-Zeit vorüber ist, werden sie formalisierbar und der Methode sprachanalytischer Begriffshistorie zugänglich. Allerdings sind sie dann meist in ihrer Bedeutung weitgehend umfunktionalisiert worden. Es ist fraglich, ob sie sich einer aktuellen Fixierung unterziehen lassen. Die B. führt hier lediglich zur Einsicht in die Unbrauchbarkeit solcher Begriffe für den strengen Gebrauch in den Fachsprachen der Wissenschaften und der Philosophie. Andererseits wirkt die B. der Verfallstendenz durchaus entgegen und kann den Begriff in einer funktional-eindeutigen Bestimmung wieder aufarbeiten, denn sie reduziert sich nicht auf Verfallsgeschichten von Begriffsbedeutungen.
Die historisch-genetische B. greift damit in die gegenwärtige Bedeutungsfixierung ein: Sie macht Begriffe entweder brauchbar oder unbrauchbar für die exakte Verwendung.
Gründet die B. in der Philosophiegeschichtsschreibung und bringt Materialien bei, die den Geschichtsprozeß der Philosophie aufdecken, so zeichnet sie dann verantwortlich eine Begriffshistorie nach, wenn sie umfassende genetisch-funktionale Aufklärung leistet. Keinesfalls darf sie absolute Bezeichnungen deduzieren und diese dann im historischen Aufriß verfolgen.
Vermittels der B. werden die Strukturen der Geschichte von Philosophie und Wissenschaften sowie die Entwicklung von Begriffen selbst sichtbar, ohne daß eine Wiederkehr des philosophischen Historismus ermöglicht wird. Die Theorie der B. versteht diese als Instanz zur Klärung des Kategorienganzen und als Reflexion aufs Kategorien- und Begriffsganze, in dem sich die philosophische Weltorientierung bewegt. B. erarbeitet eine praktikable und einsichtige Methode für die Historiographie der in der philosophischen Fachsprache gebrauchten Wörter und Termini. Sie erweist die geschichtliche Wirksamkeit der Begriffe und bringt Aufklärung über ihren funktionalen Stellenwert im philosophischen Begriffssystem.
Helmut G. Meier
[1]
Vgl. dazu etwa J. Gurlitt: Grundriß der Gesch. der Philos. (1786); G. G. Fülleborns Beyträge zur Gesch. der Philos. (1794ff.); Ch. A. Brandis: Von dem Begriff der Gesch. der Philos. (1815); K. A. Schaller: Hb. der Gesch. philos. Wahrheit durch Darstellung der Meinungen der ersten Denker alter und neuerer Zeit über dieselben, mit Winken zu ihrer Prüfung (1810); C. F. Bachmann: Über Gesch. der Philos. (21820); J. F. I. Tafel: Die Fundamentalphilos. in genetischer Entwickelung mit besonderer Rücksicht auf die Gesch. jedes einzelnen Problems 1. Theil (1848); L. Strümpell: Die Gesch. der theoretischen Philos. der Griechen zur Übersicht, Repetition und Orientierung bei eigenen Studien (1854); K. Fischer: Gesch. der neueren Philos. 1 (21865) Vorwort; J. H. Schölten: Gesch. der Relig. und Philos. (1868); L. Geldsetzer gibt eine Deutung dieser philosophiegesch. Positionen in: Die Philos. der Philosophiegesch. im 19. Jh. (1968) vgl. 2: Die Systematik der Problemstellungen der Theorie der Philosophiegesch.
[2]
Repräsentativ dafür etwa: Bachmann, Tafel, Strümpell und Schölten, vgl. Anm. [1]; vgl. auch G. G. Fülleborn: Verzeichnis einiger philos. Modethematum, in: Beyträge zur Gesch. der Philos. 10. Stück (1799) 143–161.
[3]
Gurlitt, a.a.O. [1] 1, 255–258. 269f.
[4]
Ch. G. Bardili: Epochen der vorzüglichsten philos. Begriffe (1788) III–VIII.
[5]
G. G. Fülleborn: Über Gesch. der philos. Kunstsprache unter den Deutschen, in: Beyträge zur Gesch. der Philos. 4. Stück (1794) 118ff.
[6]
Über einige Vortheile aus dem Studium der alten Philosophen, a.a.O. 7. Stück (1795) 115ff.; Frg. einer hist. Vorbereitung zu einer Gesch. der Politik und Verzeichniss einiger philos. Modethematum, a.a.O. 10. Stück (1799) 79. 148f.
[7]
Brandis, a.a.O. [1] 48. 61ff. 77–83.
[8]
J. G. Müller: Über Bildung und Gebrauch des Wortes ‹religio›. Theol. Stud. u. Kritiken 8 (1835) 121–148; F. Ch. Baur: Krit. Stud. über den Begriff der Gnosis, a.a.O. 10 (1837) 511–579; vgl. auch Rezension von C. H. Weisse über Baurs ‹Die christl. Gnosis oder die christl. Religionsphilos. in ihrer gesch. Entwicklung›, a.a.O. 10 (1837) 183–222; J. F. K. Gurlitt: Über den Begriff der Dikaiosyne, a.a.O. 13 (1840) 936–975; G. M. Redslob: Sprachliche Abh. zur Theol. (1840); F. Dietrich: Über Wurzel und Begriffsbildung in dem Worte ‹Pflicht›, a.a.O. 14 (1841) 152–178.
[9]
Vgl. bes. Müller, a.a.O. [8] 124. 129. 147.
[10]
Vgl. Baur und Weisse, a.a.O. [8] 512f. 521. 528. 188. 190. 193.
[11]
A. Trendelenburg vgl. Anm. [9 zu 2] bes. die Gesch. der Kategorienlehre und begriffsgesch. Arbeiten zu den Begriffen ‹Notwendigkeit› und ‹Freiheit› sowie zu Begriffen der aristotelischen und leibnizschen Philosophie.
[12]
Log. Untersuch. 1 (21862) Vorwort; Bezug bei G. Teichmüller: Neue Stud. zur Gesch. der Begriffe 1 (1876) Vorrede.
[13]
G. Teichmüller: Stud. zur Gesch. der Begriffe (1874, Nachdruck 1965) VI.
[14]
ebda.
[15]
Die wirkliche und die scheinbare Welt. Neue Grundlegung der Met. (1882) 253; Religionsphilos. (1886) XIIIf. XXIII. 16.
[16]
a.a.O. 108–110. 227f. 329.
[17]
Stud .... a.a.O. [13] VII; vgl. Aristotelische Forsch. 3 (1873, Nachdruck 1964) 91f.
[18]
Stud. VIII; Neue Stud .... a.a.O. [12] 1, X; 2, 259–261; 3, V–VIII.
[19]
a.a.O. 3, IX.
[20]
H. Lotze: Rezension von G. Teichmüllers Neuen Stud., in: Gott. gel. Anz. (1876) 449–460; wieder abgedruckt, in: Kleine Schriften 3 (1891) 363–371.
[21]
G. Teichmüller: Neue Stud. 2 (1878) 261f.
[22]
C. Knüfer: Grundzüge der Gesch. des Begriffs Vorstellung von Wolff bis Kant. Ein Beitrag zur Gesch. der philos. Terminol. (1911) 1.
[23]
A. von Harnack: Die Terminol. der Wiedergeburt und verwandter Erlebnisse in der älteren Kirche, in: Texte und Untersuch, zur Gesch. der altchristl. Lit. 42 (1918) 143.
[24]
Fr. Nietzsche, Werke, hg. K. Schlechta 2, 583. 797.
[25]
W. Windelband: Lehrb. der Gesch. der Philos. (51910) Vorwort zur 1. Aufl. von 1891 Vf. 8f. 12; Gesch. der Philos., in: Die Philos. im Beginn des 20. Jh. (21907) 547f. 553.
[26]
N. Hartmann: Zur Methode der Philosophiegesch. Kantstudien 15 (1909); Der philos. Gedanke und seine Gesch., in: Abh. Preuß. Akad. Wiss. (1936), wieder abgedruckt in: Kleinere Schriften 2 (1957); vgl. dazu K. Oehler: Die Geschichtlichkeit der Philos. Z. philos. Forsch. 11 (1957) 504–526; M. Brelage: Die Geschichtlichkeit der Philos. und die Philosophiegesch. Z. philos. Forsch. 16 (1962) 375–405; H. Lübbe: Philosophiegesch. als Philos., in: Einsichten. G. Krüger zum 60. Geburtstag (1962) 204–229.
[27]
H. G. Gadamer: Zur Systemidee in der Philos., in: Festschrift P. Natorp (1924) 56ff. 62ff. 69.
[28]
H. G. Gadamer: Vorwort in: Arbeitsber. der Senatskommission für B. bei der Dtsch. Forschungsgemeinschaft. Arch. Begriffsgesch. 9 (1964) 7.
[29]
H. G. Gadamer: Wahrheit und Methode (21965) XXVIIIf.
[30]
H. Lübbe: Säkularisierung. Gesch. eines ideenpolit. Begriffs (1965) 9–22; vgl. Diskussionsbeitrag von E. Weil, in: Die Philos. und die Frage nach dem Fortschritt (1964) 333.