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Kategorie, Kategorienlehre

Kategorie, Kategorienlehre Logik Metaphysik Kategorienlehre kategoria (κατηγορία) categoria Tafel der Kategorien 5204 10.24894/HWPh.5204Hans-Michael BaumgartnerGerd GerhardtKlaus KonhardtGerhard SchönrichGiorgio Tonelli
(griech. κατηγορία, wörtl. Anklage, i. ü. S. Aussageform, von κατηγορέω, ich spreche gegen jemanden, ich klage an; lat./ital. categoria, frz. catégorie, engl. category), Kategorienlehre. – Die philosophische Entdeckung des K.-Begriffs ist nicht gleichen Ursprungs mit dem Anfang philosophischer Reflexion selbst. Der Terminus ‹K.› verdankt seinen Ursprung nicht der die anfängliche philosophische Fragestellung bestimmenden Erkenntnishaltung der intentio recta, sondern einer eigenartig kritischen Rückwendung der philosophischen Reflexion auf sich selbst, auf Bestimmungen des «Logos», die ebenso dem Sprechen wie dem Denken eignen, sofern beides auf Sein und Seiendes bezogen ist und dieses inhaltlich auslegend zu definieren und zu klassifizieren unternimmt. Aus diesem Grunde indizieren Verständnis und Bestimmung des K.-Begriffs ebenso ein spezifisches Selbstverständnis von Philosophie im Ganzen, wie umgekehrt jene durch dieses erklärt und interpretiert werden können. «Was für eine K.-Lehre man wählt, hängt davon ab, was für ein Philosoph man ist» [1]. In dieser Perspektive ist die Geschichte des K.-Begriffs [2] zugleich eine Geschichte philosophischer Selbstinterpretation.
[1]
E. Lask: Die Logik der Philos. und die Kl., in: Ges. Schr. 2, 4.
[2]
Vgl. A. Trendelenburg: Gesch. der Kl. (1846); C. Prantl: Gesch. der Logik im Abendlande 1–3 (1855–1885); P. Ragnisco: Storica crit. delle cat., dai primordi della filos. greca sino ad Hegel 1. 2 (Florenz 1870).
A. Trendelenburg s. Anm. [2]. – C. Prantl s. Anm. [2]. – P. Ragnisco s. Anm. [2]. – B. Erdmann: Logik (1923) bes. 98–107. – R. Kynast: Grundriß der Logik und Erkenntnistheorie (1932) bes. Kap. 10: Das K.-Problem.- A. Marc: Dial. de l'affirmation (1952) 541–663. – H. Meyer: Systemat. Philos. 1 (1955) 202–216. – W. Cramer: Aufgaben und Methoden einer Kl. Kantstudien 52 (1960/61) 351–379. – J. Simon: Sprachphilos. Aspekte der Kl. (1971). – G. Schenk: Zur Gesch. der log. Form 1 (1973) bes. 142–161: Zu einigen Problemen der Kl., Prädikabilienlehre und Begriffsbestimmung.
I. Antike. – 1. Die Vorgeschichte der Kategorienlehre: die Vorsokratiker und Platon. – Die Einführung des Terminus ‹K.› in die philosophische Diskussion ist eine originale Leistung des Aristoteles. Gleichwohl lassen sich Elemente seines Konzepts wie auch Problemstellungen und Motivationen, die die Ausarbeitung einer philosophischen Theorie der K. nahelegen, in den philosophischen Entwürfen der Vorsokratiker wie auch in der aktuellen philosophischen Diskussion der Platonischen Akademie nachweisen.
Retrospektiv sind daher u.a. die zehn Gegensatzpaare der Pythagoreer, die, als verschiedene Modifikationen des Verhältnisses von Grenze (πέρας) und Unbegrenztem (ἄπειρον), jeweils den Doppelursprung alles Wirklichen bezeichnen, von Bedeutung [1]. In ihnen leitet weniger der Begriff des Ursprungs (ἀρχή) auf die Bedeutung von K. hin als vielmehr das in ihnen gedachte, obgleich noch nicht ausgearbeitete Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem, von Einheit und Mannigfaltigkeit, von Begriff und Realität.
Das Gemeinsame, das Vieles betrifft, erscheint insbesondere in den Diskussionen des platonischen Sokrates als zentraler Gesichtspunkt. Erst wenn im Allgemeinen das Moment der Begriffsbestimmung des Vielen vom Allgemeinen als Seinsprinzip bzw. Ursprung gedanklich getrennt wird, ergibt sich der eigentümliche Ort des K.-Begriffs: Erst unter dieser Voraussetzung nämlich läßt sich das Allgemeine primär als mögliches Prädikat begreifen [2] und nachweisen, daß nicht jedes allgemeine Prädikat von vorneherein die Bedeutung von «Ursprung» besitzt. Noch die fünf obersten Gattungen (μέγιστα γένη) des Platon – Sein, Ruhe, Bewegung, Dasselbe und das Andere [3] – sind primär als Ursprünge (ἀρχαί) zu verstehen; ebenso die an anderer Stelle genannten Seinsprinzipien: Unbegrenztes, das mit Grenze, die Mischung aus beiden und die Ursache der Mischung [4].
Nur Platons jüngst herausgestellte ‹sogenannte K.-Lehre› (= Kl.) [5] läßt eine klare und vollständige Prädikatenklassifikation vermuten. Gemäß der auch bei Xenokrates nachweisbaren Unterscheidung von καθ' αὑτό (an sich) und πρός τι (auf etwas hin) [6] stellt sich die von W. Bröcker rekonstruierte, in der esoterischen Lehre der Vorlesung über das Gute vermutlich vorgetragene Kl. Platons[7] als eine Verschränkung der Perspektiven des An-sich-Seienden, des Gegensätzlichen und des Relativen, wonach sich jeweils sowohl ein- als zweistellige Prädikate für die drei Bereiche des Seienden ohne Gegenteil, des Seienden mit Gegenteil ohne Mittleres und des Seienden mit Gegensatz und mit Mittlerem ergeben.
Neben den genannten bei Platon vorfindlichen Spuren einer Kl. wird für Aristoteles in besonderer Weise das platonische Verständnis der Idee (εἶδος) thematisch: Seine Kritik an der Ideenlehre bezieht sich vor allem auf das in der Idee gedachte Ineinander von Prinzip bzw. Ursprung einerseits und Begriff, Gattung und Allgemeinem andererseits. So war er gezwungen, in dem, was Platon ‹Idee› nannte, das Moment des Seinsprinzips, des Ursprungs, der ἀρχή, vom Moment des allgemeinen und abstrakten Begriffs zu scheiden. Mit diesem Unterschied wird ihm aber zugleich die Eindeutigkeit der obersten Gattungen selbst als Ideen fraglich. Das ‹Seiend› (ὄν) als die erste oberste Gattung Platons enthält daher mindestens zwei verschiedene Bedeutungen; eine Überlegung, die Aristoteles schließlich zu einer Untersuchung der vielfältigen Bedeutung des ‹Seiend› – τὸ ὂν λέγεται πολλαχῶς – nötigt [8]. Durch die verschiedenen bei Platon nebeneinander stehenden Ansätze und durch die Kritik am Ideenbegriff motiviert, entwickelt Aristoteles im Rahmen seiner Lehrtätigkeit in der Akademie eine Theorie der verschiedenen möglichen allgemeinen Prädikate, die sich mit einer Bedeutungslehre des ‹Seiend› verschränkt. Indem der Begriff des τὸ τί ἦν εἶναι, des Wesens, von den möglichen universalen Aussagebegriffen der später so genannten πέντε φωναί (quinque voces) oder Prädikabilien (γένος, Gattung; διαφορά, (Art-) Unterschied; ὅρος, Definition; ἴδιον, Eigentümlichkeit; συμβεβηκός, Zufälliges, Akzidens) unterschieden und mit nur einem identifiziert wird, klärt sich auch sein Verhältnis zu den K. Auf diese Weise wird die von Sokrates-Platon mit der Sophistik geführte Auseinandersetzung weiterverfolgt und in den später unter dem Titel ‹Organon› zusammengefaßten logischen Schriften des Aristoteles ausgearbeitet. Von entscheidender Bedeutung für die K.-Theorie des Aristoteles ist daher die differenzierende Betrachtung von Ursprung, Wesen, Allgemeinem, Prädikabilien, K. Obgleich das Verhältnis von Denken und Sache bei Aristoteles nicht von vorneherein äquivalent ist mit dem späteren Unterschied von Logik und Metaphysik, seine K.-Auffassung daher nicht von vorneherein als bloß logische Theorie zu verstehen ist, hat der Begriff der K. doch aus der Perspektive der ‹Topik› mindestens disputationslogisch kritischen Stellenwert. Bestimmt als Primärschema möglicher Prädikation, innerhalb deren alle besonderen Weisen des Allgemeinen ebenso auftreten können wie die Seins- bzw. Modalprinzipien ‹Potenz› (δύναμις) und ‹Akt› (ἐνέργεια), lassen sich die zehn von Aristoteles aufgeführten K. jedenfalls nicht als metaphysische Prinzipien (ἀρχαί) des Wirklichen denken.
[1]
Vgl. VS (51933) 452; Aristoteles, Met. I, 5, 986 a 15.
[2]
Vgl. A. Trendelenburg: Gesch. der Kl. (1846) 204.
[3]
Platon, Sophistes 254 b–e.
[4]
Philebos 23 c–25 b.
[5]
W. Bröcker: Platos sog. Kl., in: Materialien zur Gesch. der Philos. (1972) 13f.
[6]
Vgl. Simplicius, InArist. Opp. IV (1836) 47 b26.
[7]
Vgl. Bröcker, a.a.O. [5] 13.
[8]
Aristoteles, Met. VII, 1.
2. Die Kategorienlehre des Aristoteles. – Der von Aristoteles aus der griechischen Gerichtssprache übernommene Terminus ‹K.› (κατηγορία) erhält auf diese Weise den gegenüber seiner ursprünglichen Bedeutung «Anklage» modifizierten Sinn von «Aussageschema», «Art der Aussage» oder «Form von K.» [1]. Durch ihn werden daher voneinander abzugrenzende und zu unterscheidende Aussageschemata bezeichnet, deren Analyse Mehrdeutigkeiten der philosophischen Argumentation und der Diskussionssprache, insbesondere bei der Verwendung des vieldeutigen ‹ist›, vermeiden soll. Bei der Durchsicht der ohne Verbindung gesprochenen Worte – ‹Mensch›, ‹läuft›, ‹sitzt› – [2] ergeben sich die von Aristoteles aufgezählten zehn K.: Substanz (οὐσία, substantia), Quantität (ποσόν, quantitas), Qualität (ποιόν, qualitas), Relation (πρός τι, relatio), Wo (ποῦ, ubi), Wann (ποτέ, quando), Lage (κεἶσθαι, situs), Haben (ἔχειν, habitus), Wirken (ποιεῖν, actio), Leiden (πάσχειν, passio) [3]. Nimmt man die von Aristoteles in den Begriff der Substanz eingetragene Differenz von erster und zweiter Substanz mit hinzu, so liegt die wesentliche Leistung dieser ersten Kl. in der Unterscheidung der verschiedenen Funktionen von Individuen bzw. Eigennamen bzw. definiter Beschreibungen von den Funktionen allgemeiner Terme bzw. Prädikatoren. Diese Unterscheidung ist begründet in der möglichen Kombinatorik zweier grundlegender miteinander verknüpfbarer Tatbestände, die sich in den folgenden Aussageformen darstellen lassen: «X ist in Etwas als einem Zugrundeliegenden oder nicht» und «X wird von etwas als einem Zugrundeliegenden ausgesagt oder nicht» [4]. Trifft es zu, daß etwas weder von einem Zugrundeliegenden ausgesagt wird noch sich in einem Zugrundeliegenden befindet, so handelt es sich um individuelle Substanzen, die durch Eigennamen repräsentiert werden. Wird etwas von einem Zugrundeliegenden ausgesagt, ohne daß es in etwas als einem Zugrundeliegenden enthalten ist, so handelt es sich um Arten und Gattungen von Substanzen, z.B. ‹Mensch› als Art von ‹Lebewesen› bzw. umgekehrt ‹Lebewesen› als Gattung von ‹Mensch› (zweite Substanz). Wird etwas von einem Zugrundeliegenden ausgesagt und ist es andererseits in etwas als einem Zugrundeliegenden enthalten, so betrifft dies Gattungen und Arten aus nicht-substanziellen K., z.B. ‹Wissenschaft› als Gattung von ‹Logik›, die nur in der Seele eines Individuums sein kann. Ist schließlich Etwas in einem Zugrundeliegenden enthalten, wird aber nicht von einem ihm Zugrundeliegenden ausgesagt, so handelt es sich um individuelle Instanzen von Seiendem der nicht-substanziellen K., z.B. individuelle Akzidenzien wie die bestimmte konkrete Farbe eines Individuums [5]. Diese Übersicht macht deutlich, daß einerseits Individuen aus beliebigen K. nicht von etwas ausgesagt werden können, und andererseits Elemente der Substanz-K., seien es nun Individuen oder Arten oder Gattungen, nicht in einem anderen als Zugrundeliegendem sein können.
Durch die Unterscheidung von erster bzw. zweiter Substanz und Akzidenzien [6] wird nicht vorliegendes Seiendes deduktiv aus einem Prinzip oder Ursprung entfaltet, sondern der mögliche Sinn von Seiendem als solchem festgelegt. Was immer in Aussagen als ‹seiend› behauptet wird, fällt unter irgendeine der angegebenen K.; nicht ist umgekehrt jedes als ‹seiend› Beanspruchte systematisch durch alle gegebenen K. bestimmt. Daher sind die K. nicht Konstitutionsformen im Aufbau von vorliegenden Seienden, sondern voneinander unabhängige Aussageklassen, die einen jeweils verschiedenen Sinn von Seiend-sein bestimmen. Ist ihre Aufgabe daher nicht die eines möglichen ontologischen Aufbaus des Wirklichen, so besitzen sie vielmehr die disputationslogische bzw. argumentationsstrategische Funktion, Verwechslungen des Bedeutungssinnes von ‹Sein› zu verhindern. Dem entspricht es, daß die zehn K. als «oberste Gattungen» nicht aufeinander zurückführbar sind, daß das durch sie bedeutungsverschieden ausgelegte Seiend-sein nicht selbst oberste K. sein kann und als intendierter Begriff nur analogen Charakter besitzt.
Die aristotelische Kl. erscheint mindestens an zwei Stellen als problematisch: 1. Mit der Einführung des Begriffes einer zweiten Substanz kann sie die Differenz der Substanz-K. zur K. der Qualität nicht streng aufrecht erhalten. Außerdem müßte hinsichtlich des Begriffs des «Unteilbaren» und «der Zahl nach Einen» [7] auch in die nicht-substanziellen K. das Verhältnis von erster und zweiter Rangstelle innerhalb dieser K. eingeführt werden. – 2. Ein weiteres Problem ist dadurch bezeichnet, daß bei der Entwicklung der K.-Theorie von Aristoteles selbst nirgends der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird; gleichwohl nimmt er in der Anwendung in anderem, insbesondere in physischem und metaphysischem Kontext [8] eine Vollständigkeit der kategorialen Bestimmungen in Anspruch.
Mit dieser beanspruchten Vollständigkeit und den darin eingeschlossenen Intentionen der Symmetrie der K.-Einteilung wie der Ableitbarkeit aller K. aus einem Prinzip wurde ein wirkungsgeschichtlich gesehen höchst bedeutsames Problemfeld philosophischer Kl. eröffnet, das in je verschiedenem Kontext immer wieder bearbeitet und noch in der nachidealistischen historiographischen Rezeption und Interpretation der aristotelischen Philosophie diskutiert wurde [9].
[1]
Vgl. E. Kapp: Der Ursprung der Logik bei den Griechen (1965) 28.
[2]
Vgl. Aristoteles, De cat. 2 a.
[3]
Top. 103 b 20ff.; De cat. 1 b 25ff.
[4]
De cat. 2 a f.
[5]
Vgl. dazu ausführlich G. Patzig: Bemerk. zu den K. des Arist., in: Einheit und Vielheit. C. F. v. Weizsäcker zum 60. Geburtstag, hg. E. Scheibe/G. Süssmann (1973) 60–76.
[6]
Vgl. Arist., De cat. 2 a f.
[7]
Vgl. a.a.O. 4a.
[8]
Met. XII, 4, 1070 b 1; Anal. post. I, 22, 83 b 15.
[9]
Vgl. H. Bonitz: Über die K. des Arist. (1853); Ch. A. Brandis, Hb. der Gesch. der griech.-röm. Philos. II/2: Arist., seine akad. Zeitgenossen und nächsten Nachfolger (1853); C. Prantl: Gesch. der Logik ... (1855–1885) 1, 182–210; W. Schuppe: Die arist. K. (1871); O. Apelt: Beitr. zur Gesch. der griech. Philos. (1891) III: Die Kl. des Arist.
3. Die Stoa. – Rezeption und Verwandlung der aristotelischen Kl. durch die frühe Stoa sind in besonderer Weise dadurch geprägt, daß der von Aristoteles intendierte und berücksichtigte Unterschied von Seinsprinzip und K. trotz der durch die Stoa beförderten logischen Zeichentheorie (Semantik) für das K.-Problem jedenfalls nicht beachtet wird. Im Gegensatz zur aristotelischen Konzeption besitzen die vier von der Stoa herausgestellten K.: – Substrat (ὑποκείμενον), Qualität (τὸ ποιόν), Sich-Verhalten (τὸ πῶς ἔχων) und Relation (τὸ πρός τι πῶς ἔχων) – vielmehr die Bedeutung von Konstitutionsprinzipien des realen Seienden [1]. Als ontologische Aufbau- und Strukturelemente, von denen das erste den unqualifizierten Stoff, das zweite die artbildende Kraft, das dritte die nicht-substanziellen K. des Aristoteles und das vierte das Relative bezeichnet, bestimmen die genannten K. insgesamt jedes einzelne konkret Wirkliche so, daß jeweils das folgende kategoriale Element auf dem vorhergehenden aufbaut bzw. es voraussetzt. Als diese konstituierenden Bestimmungen des konkret Wirklichen sind die genannten K. zugleich die obersten Geschlechter des Seienden überhaupt, des Etwas schlechthin (τι) [2].
Die nach dem Bericht des Simplicius von der Stoa beabsichtigte Reduktion der aristotelischen K. auf vier oberste Bestimmungen [3] ist bereits geleitet von der gegenüber Aristoteles verschobenen Perspektive einer ontologischen Determination des Wirklichen. Diese Verschiebung der Problemlage wird auch daran deutlich, daß die erste K. der Stoa und mit ihr in der weiteren Bestimmung des Wirklichen jede jeweils vorausgehende den Stellenwert der bloßen Möglichkeit gegenüber der Aktualisierung durch die folgende einnimmt. Während für Aristoteles ‹Potenz› (δύναμις) und ‹Akt› (ἐνέργεια), sofern sie einer anderen Intention genügten, gerade keine kategorialen Prinzipien sein konnten, werden Möglichkeit und Wirklichkeit Strukturmomente der als Aufbauprinzipien verstandenen K. selbst. Andererseits wird gerade dadurch deutlich, daß als Leitfaden der stoischen Rekonstruktion des Wirklichen trotz des in den Bereich der zweiten K. gehörigen Begriffs πνεῦμα (Geist, aber als feinste Materie verstanden) die physisch-kosmische Welt fungiert, da nur diese Welt prinzipiell nach dem Verhältnis des Übergangs von Möglichem zu Wirklichem zu denken ist; war das «Etwas schlechthin» noch undifferenziert sowohl als «geistige» wie als physische Wirklichkeit zu verstehen, so schränken es die in ihrem Verhältnis nach dem Schema von Möglichkeit und Wirklichkeit konzipierten K. auf die vorliegende physische Wirklichkeit ein. Durch die Veränderung der aristotelischen K.-Konzeption zu einer eingeschränkten Theorie des Aufbaues des physisch gegebenen Kosmos fordert die Stoa die an der dualen Konzeption Platons orientierte neuplatonische Kritik durch Plotin heraus.
[1]
Simplicius, In Arist. cat. 66, 32; Dexippus, In Arist. Cat., hg. Busse 5, 18ff.; 23, 25ff.; Plotin, Enn. VI, 1, 25; IV, 7, 9.
[2]
Vgl. E. Zeller: Die Philos. der Griechen in ihrer gesch. Entwickl. III/1 (31879) 103f.
[3]
Simplicius, Ad Arist. cat. hg. Basil fol. 16 b, § 36.
4. Plotin. – Die Auseinandersetzung sowohl mit der aristotelischen wie der stoischen Kl., die durch die Rezeption der platonischen Philosophie, insbesondere des Dialogs ‹Sophistes› geleitet ist, führt Plotin zu einer zweistufigen Kl. [1], in der K. des Denkbaren (νοητόν) von K. der sichtbaren Welt (κόσμος αἰσθητός) unterschieden werden. Während die aristotelischen zehn K., reduziert auf fünf, als K. der sinnlichen Welt wiederkehren – Substanz (οὐσία), Relation (πρός τι), Quantum (ποσόν) und Quale (ποιόν) als Akzidenzien in der Substanz, Ort (ποῦ) und Zeit (ποτέ) als das Worin der Substanzen, und Bewegungen (κινήσεις) als Actio (ποιεῖν) und Passio (πάσχειν) der Substanzen –, so erscheinen Platons oberste Gattungen (μέγιστα γένη) im ‹Sophistes› – Sein, Ruhe, Bewegung, Dasselbe, das Andere – als die Grundbestimmungen der denkbaren Welt (κόσμος νοητός).
Die im Platonismus vorausgesetzte Zweiteilung der Welt nötigt die Konzeption der K. entweder selbst zu einer Zweiteilung oder zur Restriktion des K.-Begriffs auf die Welt des Sinnlichen. Plotins Verbindung aristotelischer und platonischer Theorie ist das erste Konzept einer nach Regionen des Seins sich differenzierenden Kl., indem es zwei verschiedene Arten grundlegender Bestimmungen in Entsprechung zu qualitativ verschiedenen Wirklichkeitsbereichen entwirft. Zugleich ist seine Kl. darin, daß sie die Bedeutung der aristotelischen K. auf die sinnliche Welt restringiert, für die neuplatonische Tradition der mittelalterlichen Philosophie folgenreich.
In der Konsequenz der prinzipiellen Ungleichartigkeit der beiden K.-Gruppen besteht die innere Problematik dieser Konzeption einerseits darin, daß die fünf obersten Gattungen auf Grund ihrer wechselseitigen Durchdringung eine eindeutige begriffliche Subsumtion unter sie als allgemeine Bestimmungen ausschließen, während die K. des Sinnlichen gleichwohl als allgemeine Begriffe gelten können. Zum anderen bleibt es bei qualitativen Bestimmungen, die nach Art der Tugenden oder der Wissenschaften zugleich sinnliche und geistige Züge besitzen, unklar, ob sie unter das Denkbare (νοητόν) oder unter das sinnlich Wahrnehmbare (αἰσθητόν) oder unter beides einzureihen sind. Die Schwierigkeiten einer spekulativen Kl. oberster Gattungen, die schon Aristoteles gegenüber Platon geltend machte, kehren so auf veränderte Weise in Plotins Lehre wieder.
[1]
Plotin, Enn. VI, 1f.: Perì tōn genōn toū óntos (Über die Gattungen des Seienden).
5. Spätantike Aristoteleskommentatoren. – Nur ihrer allgemeinen Intention nach ist darum Plotins Kl. von Bedeutung geblieben. Entscheidenden Einfluß insbesondere auf die Entwicklung der mittelalterlichen Logik, gewann hingegen die ‹Einleitung› (Εἰσαγωγή, Isagoge) seines Schülers Porphyrius[1]. Durch ihre frühe Rezeption wurde dem mittelalterlichen Denken das Problem der K. überliefert und zugleich begründet, daß die K.-Schrift des Aristoteles als eine Art Einleitung in die Philosophie den philosophischen Lehrbetrieb der Schulen maßgeblich bestimmen konnte. Daß die Problemsicht der aristotelischen K.-Konzeption sich gegenüber Plotins Versuch auf die Dauer durchzusetzen vermochte, bezeugt die umfangreiche Tätigkeit der Aristoteleskommentatoren [2], insbesondere der Kommentar des Simplicius[3], der Plotins Kritik an den Kategorien des Aristoteles ausführlich widerlegt. Entscheidend ist die von den Kommentatoren vertretene Auffassung, daß die K. eine vollständige Klassifikation aller Dinge ermöglichen. Gleichzeitig wird der Stellenwert des K.-Begriffs dahingehend präzisiert, daß K. weder als rein logische noch als rein metaphysische Begriffe zu denken sind, weswegen der ihnen jeweils zugeschriebene Status als lediglich von der jeweiligen Betrachtungsweise abhängig betrachtet wird.
[1]
Porphyrius, Eisagogè eis tàs Aristotélous kategorías (Einl. in die K. des Arist.).
[2]
Vgl. die bei Prantl, a.a.O. [9 zu 2] 1, 618–659 behandelten Kommentatoren: Attikus, Lucius, Nikostratus, achaicus, Sotion, Alexander von Aphrodisia, Porphyrius, Jamblichus, Themistius, Syrianus, Ammonius, David, Simplicius, Philoponus, Damascenus, Photius, Psellus, Blemmides, Pachymeres, Aneponymus.
[3]
Simplicii in Arist. cat. comm., hg. C. Kalbfleisch (Berlin 1907), in: Comm. in Arist. graeca 8.
A. Trendelenburg: Erl. zu den Elementen der arist. Logik (21861). – G. Bauch: Arist.-Stud. I: Der Ursprung der arist. K.; II: Zur Charakteristik der arist. Schrift kategoríai (1884). – O. Apelt s. Anm. [9 zu 2]. – A. Gercke: Ursprung der arist. K. Arch. Gesch. Philos. 4 (1891) 424–441. – K. Wotke: Über die Quelle der Kl. des Arist., in: Serta Harteliana (1896) 33–35. – R. Witten: Die K. des Arist. Arch. Gesch. Philos. 17 (1904) 52–59. – A. Cappellazzi: Le cat. di Arist. e la filos. class. (1911). – H. Ritter und L. Preller: Hist. philosophiae graecae, hg. E. Wellmann (91913). – C. M. Gillespie: Die arist. K. (1925), ND in: Logik und Erkenntnislehre des Arist., hg. F.-P. Hager (1972). – G. Nebel: Plotins K. der intelligiblen Welt (1929). – K. von Fritz: Der Ursprung der arist. Kl. Arch. Gesch. Philos. 40 (1931) 449–496, ND in: Logik ..., hg. F.-P. Hager (1972). – Th. Gomperz: Griech. Denken. Eine Gesch. der antiken Philos. 1–3 (41931) bes. 1, 29–35. – K. v. Fritz: Zur arist. Kl. Philologus 90 (1935) 244–248. – M. Pohlenz: Die Stoa. Gesch. einer geistigen Bewegung 1. 2 (1948/49), bes. 1, 69f. – I. Düring: Arist. (1966) bes. 59–64. – E. Kapp: Die Kl. in der arist. Topik (Habilschrift 1920). Ausg. Schr. (1968). – E. Vollrath: Stud. zur Kl. des Arist. (1969). – K. Bärthlein: Die Transzendentalienlehre der alten Ontol. I: Die Transzendentalienlehre im Corpus Arist. (1972).
II. Patristik, Mittelalter und Humanismus. – 1. Boethius. – Obgleich mit der pseudo-augustinischen, vermutlich eine Übersetzung der Paraphrase des Themistius darstellenden Schrift ‹Categoriae decem ex Aristotele decerptae› [1] sich bereits eine lateinische Version der K.-Schrift in Umlauf befand und auch Marius Victorinus die ‹Isagoge› des Porphyrius schon ins Lateinische übersetzt hatte, wurden erst Übersetzung und Erklärung der K. durch Boethius[2] sowie sein Kommentar zur ‹Isagoge› des Porphyrius in besonderer Weise wirkungsgeschichtlich bedeutsam. Die von ihm zum Teil erst geschaffene lateinische Terminologie der Philosophie bildete über Jahrhunderte den begrifflichen Rahmen der philosophischen K.-Diskussion. Von didaktischem Wert erwiesen sich auch die durch ihn propagierten Schemadarstellungen komplizierter logischer Verhältnisse, wie z.B. die übersichtliche Anordnung des von Aristoteles herausgestellten vierfachen Grundverhältnisses von «von einem Subjekt (ὑποκείμενον) ausgesagt werden» und «in einem Subjekt sein», dessen Glieder Boethius durch die Wendungen «de subiecto dicitur» und «in subiecto est» wiedergibt (vgl. Schema [3]).
Obgleich Boethius in der Tradition der griechischen Kommentatoren und des Porphyrius im allgemeinen die Diskussion um die aristotelischen K. von der Sache her bloß rezipiert, stellt er doch den Gedanken der Vollständigkeit der K. unter einer neuen Perspektive in den Vordergrund. So hebt er gleich zu Anfang seines Kommentars die wissensbegründende Funktion der zehn K. hervor: «Die unbestimmte und unbegrenzte Menge der verschiedenen Dinge umgreifen die zehn K. in geringster Zahl, so daß die nicht wißbare unendliche Menge durch die zehn Bestimmungen des Wissens in bestimmter Weise umfaßt wird» [4]. Wie die griechischen Kommentatoren ist Boethius der Überzeugung, daß die K. als die obersten «genera significationum» zugleich die obersten «genera rerum» seien [5]. Nicht nur die Zahl der Dinge ist unendlich, sondern auch die Zahl der Möglichkeiten von significatio. Dienen die K. der genauen Begriffsfindung, die als solche bereits den Sinn von Seiendem verbürgt, so sind sie gleichsam Bedingung der Möglichkeit dafür, daß Etwas gewußt wird. Ist nun das gesamte mögliche Wissen durch diese zehn K. erfaßt [6], so erscheint dasjenige, was Gegenstand des Wissens sein kann, durch die K. prinzipiell präjudiziert. Da jedoch die K. als die obersten Gattungen selber keine ihnen übergeordnete Gattung besitzen, muß die Möglichkeit einer Deduktion der K. negiert werden. So stellt zwar der Rückgang auf den Zusammenhang von K. und wißbarem Gegenstand die Funktion der K. für das Wissen überhaupt heraus, jedoch ohne daß diese Funktion selbst als konstitutiv für die Geltung der K. hätte eingesehen und mithin die Behauptung der Vollständigkeit hätte legitimiert werden können.
[1]
Vgl. C. Prantl: Gesch. der Logik ... (1855–1885) 1, 669f. 640.
[2]
Boethius, De Trin. IV, 7–11.
[3]
Vgl. Prantl, a.a.O. [1] 685. 633 Anm. 66.
[4]
Boethius, MPL 64, 161.
[5]
ebda.; 178.
[6]
a.a.O. 169. 180.
2. Augustin. – Bestimmte die von Boethius aufgegriffene und weitergeführte Diskussion des K.-Problems namentlich ihre logisch-ontologische Rezeption in der patristischen und mittelalterlichen Philosophie, so entwickelte sich parallel dazu ein durch neuplatonisches Gedankengut motiviertes spekulatives Interesse am K.-Begriff. Urheber dieser neuplatonischen Tradition der mittelalterlichen Philosophie ist in besonderer Weise Augustinus[1], der die Bedeutung der K. hinsichtlich einer durch sie möglichen Erkenntnis Gottes in Abrede stellt. Obgleich wir die K. als Leitfaden der Explikation des göttlichen Wesens gebrauchen müssen, kann Gott weder gemäß der K. der Substanz noch gemäß den neun K. der Akzidenzien in seinem Wesen erkannt werden. Die hierbei maßgeblichen Grundgedanken, daß die K. zwar Leitfaden der Bestimmung, nicht jedoch inhaltliche Momente der Erkenntnis Gottes sein können, daß es ferner jenseits der K. transkategoriale Begriffe (transcendentia oder transcendentalia) geben müsse, begründen die Tradition sowohl der spekulativen mittelalterlichen Philosophie wie der negativen Theologie. «So können denn auch die Bezeichnungen (significationes) der K., die vornehmlich in den geschaffenen Dingen (in rebus conditis) erkannt werden, vom Grund (causa) aller Dinge nicht unzutreffend (non absurde) ausgesagt werden, allerdings nicht so, als bezeichneten sie diesen wesensmäßig, vielmehr raten sie uns in einem übertragenen Sinne (translative) was wir, die wir diesen Grund suchen, über ihn rechtens (probabiliter) zu denken haben» [2].
Mit Augustinus und Boethius sind diejenigen Traditionsströme bezeichnet, die als logisch-ontologisches und spekulativ-theologisches Interesse mehr oder minder bei allen Denkern des Mittelalters sich in wenn auch individuell verschiedener Weise verschränken. Erinnert sei in diesem Zusammenhang vor allem an Anselm von Canterbury, Abälard, Bonaventura und Thomas von Aquin. Besitzen die aristotelischen K. im Bereich logischer und ontologischer Reflexionen grundlegende Bedeutung für die philosophische Ausbildung an Schulen und Universitäten, so sind sie auf der anderen Seite zugleich Index und Vehikel philosophisch-theologischer Spekulation. Als oberste Gattungen des geschaffenen Seienden, d.h. als Strukturbegriffe alles Endlichen, dienen sie gleichzeitig als Leitfaden einer spekulativen Erkenntnis des Wesens Gottes, deren Anspruch sie selbst jedoch nicht genügen.
[1]
Augustinus, De Trin. 5, 1. 2; Conf. IV, 28.
[2]
Scotus Eriugena, De divisione naturae I, 17.
3. Der Einfluß der arabischen Philosophie. – Nachhaltigen Einfluß erfährt die hochmittelalterliche Diskussion über die Bedeutung der aristotelischen K. durch die allmählich einsetzende Rezeption der arabischen Philosophie: Da sich indessen Alfarabi, Avicenna, Algazeli und Averroes im großen und ganzen nur auf die bereits von Porphyrius diskutierten Probleme der aristotelischen K. beziehen [1], vermochte das Bekanntwerden der arabischen Philosophie zwar die exegetische Diskussion des aristotelischen ‹Organon› wesentlich zu beleben, jedoch ohne daß die Sachdiskussion um das K.-Thema dadurch entscheidend über den durch die Rezeption des Porphyrius bereits abgesteckten Problembereich hinaus erweitert und gefördert worden wäre.
[1]
Vgl. Prantl a.a.O. [1 zu 1] 1, 314ff. 358ff. 372ff. 382ff.
4. Thomas von Aquin. – Trotz der pünktlichen Übernahme der zehn K. des Aristoteles ergibt sich eine wesentlich neue Perspektive bei Thomas von Aquin, der zum ersten Mal den Versuch einer systematischen Ableitung der K. unternimmt [1]. Da auch für Thomas die Ableitung der einzelnen K. aus einem obersten allgemeinen Begriff des Seienden, der als Gattung oberster Gattungen widersprüchlich wäre, sich als unmöglich darstellt, wählt er als Prinzip der Deduktion die «praedicatio» in den sie bestimmenden strukturellen Implikaten, die als aufeinander aufbauende Aussagemuster am Leitfaden des voll konstituierten wirklichen Dinges orientiert sind [2]. Entsprechen aber die Seinsweisen den Aussageweisen, die «modi essendi» den «modi praedicandi» [3], so läßt sich gemäß dieser Parallelität von Denken und Sein die Zehnzahl der K. aus den verschiedenen Arten der «praedicatio» rechtfertigen:
Da und sofern sich jede Prädikation auf eine individuelle Substanz bezieht, ergibt sich daraus die grundlegende Einteilung in Substanz und Akzidenzien: Erste Substanz ist das Subjekt, über das alle anderen Aussagen gemacht werden. Je nach dem Verhältnis des prädizierten Inhalts der Aussage zur vorauszusetzenden individuellen ersten Substanz, wonach die Aussagen essentielle oder nicht-essentielle oder solche Aussagen sein können, deren Bestimmungen der ersten Substanz schlechthin äußerlich sind, lassen sich die einzelnen K. bzw. K.-Gruppen als nacheinander den Gegenstand bestimmend entwickeln. Aus der Struktur der essentiellen Prädikation, die über das Subjekt etwas zu dessen Wesen Gehöriges aussagt, ergibt sich die K. der zweiten Substanz. Aus der zweiten Prädikationsweise, deren Bestimmungen zwar nicht zum Wesen des Dinges gehören, jedoch als der ersten Substanz inhärierend gedacht sind, entspringen die K. der Quantität und Qualität, wobei beide inhärierenden Momente dem Subjekt an sich und absolut zukommen und nur in der Hinordnung auf die Prinzipienbegriffe ‹Materie› bzw. ‹Form› sich voneinander unterscheiden. Betrifft ein inhärierendes Moment das Subjekt nicht absolut, sondern im Verhältnis zu einem anderen, so entspringt dieser Aussageweise die K. der Relation. Die dritte Aussageweise nennt Bestimmungen, die der ersten Substanz schlechthin äußerlich sind, und läßt am Leitfaden des Ursachebegriffs (causa agens) einerseits, am Begriff des Maßes (mensura) andererseits die K. actio und passio sowie quando, ubi und situs entspringen. Die zehnte K. des habitus bildet dabei eine gewisse Schwierigkeit, da sie sich ausschließlich auf menschliche Subjekte beziehen kann.
Gemäß dem Leitfaden verschiedener Prädikationsweisen und der für Wirklichkeit konstitutiven metaphysischen Begriffe ‹Form›, ‹Materie›, ‹causa› usw. ergibt sich auf diese Weise eine wohlgeordnete Anzahl von K., die sich nach der jeweils größeren oder geringeren Nähe zur ersten Substanz bestimmen. Insbesondere die Anordnung in der Abfolge der K. ‹Quantität› und ‹Qualität› zeigt, daß die jeweils frühere als Voraussetzung für die jeweils spätere konzipiert ist. Die Kl. des Thomas von Aquin ist sonach die erste systematische und geschlossene Ableitung der obersten Gattungen, von denen er explizit fordert, daß eine nicht in der anderen enthalten sein dürfe [4].
Daß seine K.-Liste indessen diesem Anspruch nicht genügt und genügen kann, sofern mindestens die Relations-K. eine Reihe von anderen einschließt (z.B. actio und passio, ubi und quando), ist ein Kritikpunkt, der bereits in der späteren Diskussion gegenüber Thomas zur Geltung gebracht wurde. Als problematisch erweist sich auch der Ansatzpunkt der K.-Deduktion bei der individuellen Substanz, die damit implicite als die entscheidende Realität beansprucht wird. Demgegenüber macht schon Thomas von Erfurt[5] aus der Schule des Duns Scotus (ebenso übrigens wie Heinrich von Gent[6]) geltend, daß eine K.-Theorie keineswegs nur den Bereich der physischen Wirklichkeit betreffen, sondern ebenso die Bereiche des Logischen, Mathematischen, des Psychischen und Metaphysischen einbeziehen müsse. Durch die damit ins Auge gefaßte Unterscheidung mehrerer Gegenstandsbereiche, angesichts deren die Kl. des Thomas von Aquin als zu eng erscheint, stellt sich analog wie schon für Plotin und die neuplatonische Tradition das Problem einer Differenzierung der K. nach verschiedenen Regionen der Wirklichkeit [7].
[1]
Vgl. S. Breton: La déduction thomiste des cat. Rev. philos. Louvain 60 (1962) 5–32, bes. 8ff.: La déduction des cat.
[2]
Thomas von Aquin, De ver. I, 1.
[3]
In Arist. Phys. III, 1, 5.
[4]
S. theol. I/II, 49, 1 obj. 2.
[5]
Thomas von Erfurt, De modis significandi (1. Hälfte 14. Jh.); vor 1922 Duns Scotus zugeschrieben; vgl. Ueberweg/Geyer (111927) 456f.
[6]
Vgl. H. Meyer: Thomas von Aquin. Sein System und seine geistesgesch. Stellung (1938) 150.
[7]
Vgl. M. Heidegger: Die K.- und Bedeutungslehre des Duns Scotus [recte: Thomas von Erfurt] (1916), ND in: Frühschr. (1972) 133ff.
5. Wilhelm von Ockham und Raimundus Lullus. – Gegenüber den verschiedenen Spielarten der aristotelischen Tradition der Kl., die insgesamt und ohne Unterschied an der objektiven Bedeutung kategorialer Begriffe festhalten, verändert erst die an einem theologischen Voluntarismus und an der Vorstellung göttlicher Allmacht orientierte nominalistische Erkenntniskritik den Status des K.-Begriffes selbst. Ohne auf die internen Diskussionen möglicher Systematisierung der aristotelischen K.-Begriffe sich einzulassen, hebt Ockham – wie schon früher teils Abälard[1], teils auch Duns Scotus – die bisher unmittelbar angenommene Parallelität von Denken und Sein hinsichtlich universaler Prädikate auf und bezieht die K. primär auf einen der Seele angeborenen Bezeichnungstrieb [2]. Durch die Unterscheidung von «intentio prima», die den Bezug von Zeichen auf etwas, was selbst nicht signum ist, zum Ausdruck bringt, und «intentio secunda» als Bezeichnung von Bezeichnungen erhalten die K. den Stellenwert von «entia rationis» [3]. «Est autem sciendum, quod hoc nomen praedicamentum est nomen secundae intentionis sicut hoc nomen genus, quamvis illa, de quibus praedicatur, sint incomplexa primae intentionis» (Man muß aber wissen, daß ‹Prädikament› wie auch ‹Genus› Namen der intentio secunda sind, wenngleich jenes, worüber etwas ausgesagt wird, einfache und unverbundene Ausdrücke der intentio prima sind) [4]. Die kategorialen Bestimmungen sind für Ockham keine realistisch zu deutenden Dingstrukturen oder gar selbst Dinge. Als entia rationis verweisen sie auf den Akt des Bezeichnens, dem sie entspringen. So sagt Ockham beispielsweise über das Verhältnis von erster und zweiter Substanz: «Et ita substantiae primae non sunt subjecta realiter subsistentia substantiis secundis, sed sunt subjecta per praedicationem» (und so sind die ersten Substanzen nicht Gegenstände, die den zweiten Substanzen wirklich subsistieren, sie sind vielmehr Träger von Bestimmungen nur aufgrundder Prädikation) [5]. Obgleich auf diese Weise der geistige Akt, aus dem die K. entspringen, genauer untersucht wird und die Spontaneität der Bezeichnungsfunktion als konstitutives Moment erfaßt ist, wird gleichwohl der darin liegende Konstitutionsvorgang nicht als solcher thematisiert. Ockhams nominalistischer Versuch, den erkenntnistheoretischen Status der K.-Begriffe in der subjektiven Tätigkeit des menschlichen Geistes zu lokalisieren, besitzt sowohl auf den neuzeitlichen Empirismus (Locke, Hume) wie auch auf die kantische Transzendentalphilosophie vorausweisende Bedeutung. An dem durch Aristoteles vorgegebenen begrifflich inhaltlichen Umriß der Kl. änderte er jedoch nichts.
Demgegenüber erscheint die unter kombinatorischen Gesichtspunkten sicher interessante und bis zu Leibniz' ‹Mathesis universalis› und darüber hinaus fortwirkende Idee von Raimundus Lullus, die K. als Elemente einer allgemeinen Begriffskombinatorik zu verwenden, vergleichsweise abstrakt. Mit einigem Recht bezeichnet darum Trendelenburg die ‹Ars Magna› als «Glücksrad der Logik» [6].
[1]
Vgl. Petrus Abaelard, Glossulae super Porphyrium, bei Ch. de Rémusat: Abélard II, (Paris 1845) 109.
[2]
Wilhelm von Ockham, S. Logica (= SL) I, c. 2, 6–7.
[3]
SL I, 40, 65–72.
[4]
SL I, 40, 2–5.
[5]
SL I, 42, 122–124.
[6]
A. Trendelenburg: Gesch. der Kl. (1846) 250.
6. Humanismus. – Die Diskussion des K.-Themas in der Zeit des ausgehenden Mittelalters kehrte im allgemeinen zu den Bestimmungen der aristotelischen Kl. zurück und stand vor allem im Zeichen der durch Humanismus und Renaissance geprägten Auseinandersetzung mit dem Aristotelismus der Scholastik. Rundweg ablehnende Stellungnahmen zur K.-Theorie des Aristoteles im ganzen (Laurentius Valla[1], Ludovicus Vives[2], Petrus Ramus[3]) wechseln ab mit die aristotelisierende Scholastik kritisierenden Konzeptionen, die gleichwohl entweder die aristotelische Kl. selbst repristinieren (Ph.Melanchthon[4]) oder im Anschluß an bzw. gegen Aristoteles eine eigene Kl., mehr oder minder aristotelische Elemente kompilierend, entwerfen: so etwa Tommaso Campanella mit den von ihm zusammengestellten zehn K.: substantia, quantitas, forma seu figura, vis vel facultas, operatio seu actus, actio, passio, similitudo, dissimilitudo, circumstantia [5]. Ebenso wie die Kritik an der aristotelischen Auffassung der K. zeigen auch die Versuche, Aristoteles gegen die Aristoteliker zu erneuern, sofern jedenfalls Kritik wie Erneuerung in systematischer Hinsicht von untergeordneter Bedeutung bleiben, daß das philosophische Interesse der Zeit des Humanismus und der Renaissance primär weniger an logisch-ontologischen als an anthropologischen und theologischen Problemstellungen orientiert war.
Hans-Michael Baumgartner
Gerd Gerhardt
Klaus Konhardt
Gerhard Schönrich
[1]
L. Valla: Disputationes dialecticae (1499).
[2]
L. Vives, De causis corruptarum artium III, 2.
[3]
P. Ramus, Animadversionum Aristotelicarum libri XX.
[4]
Ph. Melanchthon: De dialectica (1534); Erotemata dialectices (1547).
[5]
Vgl. T. Campanella: Philos. rationalis partes quinque 2 (1637) bes. Dialecticorum lib. I, c. 4–6.
Boethius, Comm. in Porphyrium. MPL 64, 78 d ff. – Thomas von Aquin, S. theol. I, q. 28, a. 2. – Anselm von Canterbury, De grammatico c. 17. 21. – R. Lullus: Arbor scientiae (1515). – L. Valla s. Anm. [1 zu 6]. – Ph. Melanchthon: Erotemata dialectices (1549). – L. Vives: De disciplinis lib. XX (1586) 100f. – G. Martin: Wilhelm von Ockham. Untersuch. zur Ontol. der Ordnungen (1949). – R. Lay: Passiones entis disiunctae (= P.e.d.). Ein Beitrag zur Problemgesch. der Transzendentalienlehre. Theol. u. Philos. 42 (1967) 51–78; P.e.d. (II). Die Lehre von den P.e.d. in der prot. Scholastik a.a.O. 359–389. – J. Pinborg: Logik und Semantik im MA. Ein Überblick (1972). – G. Schenk: Zur Gesch. der log. Form 1: Einige Entwickl.tendenzen von der Antike bis zum Ausgang des MA (1973).
III. Neuzeit bis Kant. – Die Kl. wurde im 17. Jh. vorwiegend von den Aristotelikern vertreten, die ihren Hauptsitz in Deutschland und zum Teil in den Niederlanden hatten, wobei, nach Melanchthons Auffassung, die zehn K. als die obersten Gattungen der Dinge galten [1], so bei Keckermann[2], Alsted[3] (beide Eklektiker), Timpler[4], Burgersdijk[5], Gutke[6], Micraelius[7], Stahl[8], Isendoorn[9], Geilfus[10], Ebel[11]. Eine der öfter besprochenen Fragen dabei war, ob die K. ihren eigentlichen locus in der Logik oder in der Metaphysik haben sollten: so z.B. bei Timpler, der sie hauptsächlich der Metaphysik zuschrieb [12].
In der Logik wurden die K. unter den Termini unterschiedlich eingereiht: manchmal folgen sie den supra praedicamenta (transcendentia, transcendentalia: ens, essentia, unum, verum ...), wie z.B. bei Scharf[13]; manchmal den universalia bzw. praedicabilia (genus, species, differentia, proprium, accidens) und den antepraedicamenta (aequivoca, univoca, paronyma), wie z.B. bei Bechmann[14]. Den K. folgen gewöhnlich die postpraedicamenta. Über K. erschienen auch mehrere spezielle Abhandlungen [15]: die letzte von dem Königsberger Professor Rabe[16].
Auch außerhalb des Aristotelismus wurden gelegentlich die aristotelischen K. angenommen, obwohl gewöhnlich anders aufgefaßt: so bei den Conimbricenses[17], bei Baco von Verulam[18], bei Campanella[19]. Bruno anerkannte zwölf Formen der Dinge, wobei zu den zehn K. noch ‹motus› und ‹causa› hinzukommen [20], Hobbes stellte eine eigene K.-Tafel auf, wobei die K., als Gattungen, der ersten, der ‹Formula praedicamenti corporum›, subordiniert werden [21].
Von einigen Cartesianern wurden sieben K. angenommen: mens, mensura, quies, motus, positura, figura, materia [22]. Indessen wurden von den antiaristotelisch gesinnten Denkern die aristotelischen K. auch stark angegriffen, wie schon in der Renaissance (z.B. durch Ramus[23]). Die Anzahl und Auswahl der K. wird als willkürlich und unbegründet, die K. selbst als bloß menschliche, nicht der Realität entsprechende Vorstellungen erklärt: so bei Gassendi[24] und bei den Cartesianern, wie z.B. Du Roure (1652), Arnauld (1662), Régis (1691) [25] und Le Clerc[26]; so auch bei einigen britischen Philosophen, wie Carpenter (1621) und Kenelm Digby (1665) [27]; in Holland bei Schuler[28].
In der ersten Hälfte des 18. Jh. wurde die aristotelische Kl. hauptsächlich von den deutschen katholischen Philosophen vertreten, oder wenigstens eingehend dargestellt und besprochen: z.B. bei Amort[29], Schnell[30], Fortunatus a Brixia[31], Gordon[32], Hauser[33], Cartter[34]. Der protestantische Eklektiker Darjes nahm zwar die K. an, betrachtete sie aber bloß als «series rerum gradatim subordinatarum» [35]. Die Kl. wurde sonst zwar häufig mehr oder weniger flüchtig erwähnt, dabei aber im allgemeinen mit den bekannten Begründungen schroff abgelehnt; so schon bei Chr. Thomasius[36] und bei seinen Schülern, wie z.B. Lange[37] und Walch[38]; so in der Wolffischen Schule, wo Reusch als einziger K., aber bloß als willkürliche logische Klassifikationsprinzipien, und in unbeschränkter Zahl, annahm [39].
Auch außerhalb Deutschlands wurden die Anklagen gegen die aristotelische Kl. mehrmals wiederholt, wie z.B. von Crousaz[40] und von Watts[41]. Dadurch blieb der Terminus ‹K.› bis zur Zeit Kants ein Bestandteil des lebendigen Gedankenguts, sein aristotelischer Sinn wurde aber dabei meistens entweder abgelehnt oder beträchtlich verändert [42].
Giorgio Tonelli
[1]
Ph. Melanchthon: Erotemata dialectices (Witbergae 1547) fol. 16ff.
[2]
B. Keckermann: Systema logicae (11600). Opera omnia (Genevae 1614) 1, 175ff.; vgl. W. Risse: Die Logik der Neuzeit (1964) 1, 446.
[3]
J. H. Alsted: Logicae systema harmonicum (Herbornae 1614) 241ff.
[4]
C. Timpler: Logicae systema methodicum (Hanoviae 1612) 77ff.
[5]
F. Burgersdicius: Institutionem logicarum libri duo (11626, zit. Amstelaedami 1685) 10.
[6]
G. Gutke: Logicae divinae seu Peripateticae libri duo (11626, zit. Coloniae 1631) 190ff.
[7]
J. Micraelius: Lex. philosophicum (11653, zit. Stetini 1662) s.v.
[8]
D. Stahl: Institutiones Logicae (Hildesiae 1655) 12ff. 60ff.
[9]
G. Isendoorn: Cursus logicus (Francofurti 1666) 108ff.
[10]
J. Geilfus: Exercitationes academicae (Tubingae 1656) 63. 77.
[11]
C. Ebel: Compendii logici pleniores I, 13, 20ff. Opera philosophica (Francof. 1677).
[12]
Timpler, a.a.O. [4].
[13]
J. Scharf: Institutiones logicae (11632, zit. Wittembergae 1656) 232ff. 242ff. 234–237.
[14]
F. Bechmann: Institutiones logicae ex Aristotele (11664, zit. Jenae 1672) 41–42.
[15]
Vgl. W. Risse: Bibliogr. logica (1965) 1, 287: s.v.
[16]
P. Rabe: Primitia professionis logico-metaphysicae sive commentarii in librum categoriarum Aristotelis (Regiomonti 1704).
[17]
Vgl. Risse, a.a.O. [2] 1, 376.
[18]
F. Bacon: De augmentis sci. (1623) V, 4.
[19]
T. Campanella: Philosophiae rationalis partes V (Parisiis 1638) Logicorum libri III, 72ff.
[20]
P. Ragnisco: Storia crit. delle cat. (Florenz 1871) 565.
[21]
Th. Hobbes: De corpore (1655). Opera philos. (Amstelodami 1668) 13–14.
[22]
J. G. Walch: Philos. Lex. (Leipzig 1737) Art. ‹Praedicamentum›; J. H. Zedler: Universal-Lex. (Leipzig/Halle 1732–54) Art. ‹Praedicamentum›.
[23]
P. Ramus: Animadversionum aristotelicarum libri XX (Lutetiae 1549) 80ff.
[24]
P. Gassendi: Exercitationes peripateticae (1624). Opera omnia (Lugduni 1656) 3, 165ff.
[25]
Vgl. G. Tonelli: L'origine della tavola dei giudizi ... Filos. 7 (1956) 137.
[26]
J. Clericus: Logica (1692). Opera philos. (Lipsiae 1710) 1, 26.
[27]
Ch. de Rémusat: Hist. de la philos. en Angleterre de Bacon jusqu'à Locke (Paris 1875) 1, 162–303.
[28]
J. Schuler, Diss. philos. de decem categoriis aristotelicorum (Bredae 1663) passim.
[29]
E. Amort: Philos. pollingiana (Augustae Vind. 1730) 113.
[30]
A. Schnell: Cursus philos. (Augustae Vind. 1737) 162ff.
[31]
Fortunatusa Brixia: Philos. mentis (Brixiae 1741) 1, 28.
[32]
A. Gordon: Philos. utilis et jucunda (Pedemonti prope Ratisbonam 1755) Logica 30ff.
[33]
B. Hauser: Elementa philosophiae (Augustae Vind. et Oeniponti 1755) 1, Logica, 87.
[34]
G. Cartier: Philos. eclectica (Augustae Vind. et Wirceburgi 1750) 30ff.
[35]
J. G. Darjes, Introd. in Artem inveniendi (Jenae 1732) Anal. §§ 120f.
[36]
Chr. Thomasius: Introd. in philosophiam aulicam (11688, zit. Halae Magd. 1702) 135.
[37]
J. Lange: Medicina mentis (11704, zit. Berolini 1708) 664–667.
[38]
Walch, a.a.O. [22].
[39]
J. P. Reusch: Systema logicum (Jenae 1734) 155. 159f.
[40]
J. P. de Crousaz: Tentamen novum metaphysicum (Groningae 1725) I, § 46.
[41]
I. Watts: Logick (11725, zit. London 1731) 25.
[42]
Vgl. G. Tonelli: Das Wiederaufleben der dtsch.-arist. Terminol. bei Kant. Arch. Begriffsgesch. 9 (1964).
A. Trendelenburg: Gesch. der Kl. (1846) – P. Ragnisco s. Anm. [20]. – H. Knittermeyer: Der Terminus Transzendental in seiner hist. Entwickl. bis Kant (Diss. Marburg 1920). – G. Tonelli: La tradizione delle cat. aristoteliche nella filos. moderna sino a Kant. Studi Urbinati 32-B (1958). – W. Risse: Die Logik der Neuzeit 1, 2 (1964/70).
IV.Kant, deutscher Idealismus, 19. Jahrhundert. – 1. Kant. – Die Neufassung des K.-Begriffs in I. Kants ‹Kritik der reinen Vernunft› bezeichnet den zweiten Schwerpunkt der Geschichte dieses Problems. Obgleich ausdrücklich an Aristoteles und seine Terminologie anknüpfend, verändern sich in Kants Theorie nicht nur der Stellenwert des Begriffs, sondern auch mit der Anzahl die einzelnen K.-Titel selbst.
Das Problem, wie es sich Kant stellt, ist bestimmt durch die Tradition des Rationalismus wie auch durch Theoreme des Empirismus, die jenen kritisch in Frage stellten. Motiviert durch die Intention der rationalistischen Philosophie seit Descartes, einfachste Elementarbegriffe des Denkens in einem vollständigen System anzuordnen, versuchte Kant, unter dem Eindruck der empiristischen Kritik an universalen Begriffen und ihrer Erkenntnisbedeutung, aus den in der rationalistischen Philosophie von Chr. Wolff und A. Baumgarten vorgegebenen termini ontologici genau diejenigen auszusondern, die als apriorische Begriffe des Verstandes zugleich objektive Gültigkeit beanspruchen konnten [1]. Entscheidendes Problem war die Entdeckung eines Auswahlprinzips, das den beiden Gesichtspunkten Rechnung trug, daß diese Begriffe zugleich dem reinen Verstand entspringen und Erfahrungserkenntnis begründen sollten. Als reine Verstandesbegriffe unterschieden sie sich daher von vorneherein von Prinzipien der Sinnlichkeit wie Raum und Zeit; und als Begriffe mit Erkenntnisbedeutung hatten sie den Grundzügen von Erfahrungserkenntnis, die unter anderem in den Naturwissenschaften vorlag, zu entsprechen. Daher mußten, sofern jede Erfahrungserkenntnis synthetischen Charakter besitzt, die auszuwählenden Begriffe selbst als Bedingungen der Möglichkeit von Synthesis dargestellt werden können. Allgemeingültige Erkenntnis im Bereich möglicher Erfahrung war mithin nur dann als möglich zu begreifen, wenn es gelang, unter den termini ontologici Begriffe auszuzeichnen, die die Funktion apriorischer Synthesis im Hinblick auf eine Mannigfaltigkeit gegebener Sinnesdaten bzw. Erscheinungen erfüllen konnten.
Die Aufgabe der «metaphysischen Deduktion» [2] der K. bestand daher darin, in der Tätigkeit des Verstandes selbst Funktionen der Synthesis zu entdecken, so daß die gesuchten Begriffe als Explikationen dieser Synthesisfunktionen nachgewiesen werden konnten. «Um aber ein solches Prinzip auszufinden, sah ich mich nach einer Verstandeshandlung um, die alle übrigen enthält und sich nur durch verschiedene Modifikationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellung unter die Einheit des Denkens überhaupt zu bringen, und da fand ich, diese Verstandeshandlung bestehe im Urteilen. Hier lag nun schon fertige ... Arbeit der Logiker vor mir, dadurch ich in den Stand gesetzt wurde, eine vollständige Tafel reiner Verstandesfunktionen, die aber in Ansehung alles Objekts unbestimmt waren, darzustellen. Ich bezog endlich diese Funktionen zu urteilen auf Objekte überhaupt, oder vielmehr auf die Bedingung, Urteile als objektiv-gültig zu bestimmen, und es entsprangen reine Verstandesbegriffe, bei denen ich außer Zweifel sein konnte, daß gerade nur diese und ihrer nur soviel, nicht mehr noch weniger, unsere ganze Erkenntnis der Dinge aus bloßem Verstände ausmachen können. Ich nannte sie wie billig nach ihrem alten Namen K. ...» [3].
Die von Kant als systematisch geordnet aufgefaßte Tafel der Urteile bildete daher den Leitfaden für die Entwicklung einer vollständigen Tafel der K., in deren Konzeption die alte didaktische Idee der «tabula logica» mit der Vorstellung sowohl der Vollständigkeit wie der systematischen Deduzierbarkeit verbunden ist. Die K. der Quantität – Einheit, Vielheit, Allheit – korrespondieren der Einteilung der Urteile nach ihrer Quantität in allgemeine, besondere, einzelne; die K. der Qualität – Realität, Negation, Einschränkung – der Einteilung in die bejahenden, verneinenden, unendlichen Urteile der Qualität; die K. der Relation – Substanz, Ursache, Gemeinschaft – der Einteilung der Urteile nach der Relation in kategorische, hypothetische, disjunktive; und die K. der Modalität – Möglichkeit, Dasein, Notwendigkeit – der modalen Einteilung der Urteile in problematische, assertorische und apodiktische [4].
Als den Urteilsfunktionen und ihrer Synthesis entsprechende reine Verstandesbegriffe, die, anderen Ursprungs als die Prinzipien der Sinnlichkeit, sich von den «überkategorialen» oder «transzendentalen» Begriffen der klassischen Tradition ebenso unterscheiden wie von den «Ideen» der reinen Vernunft, besitzen die von Kant entwickelten K. sowohl Intentionsgeltung für Objekte des Verstandes überhaupt als auch mögliche Bedeutung für Erfahrungserkenntnis. Sie sind darum einerseits Strukturbegriffe einer jeden Wissenschaft, sofern diese auf Begriffen a priori beruhen können soll [5]; so daß, was immer als Objekt einer möglichen Wissenschaft auftritt, durch K. mindestens gedacht wird. Andererseits erlangen die reinen Verstandesbegriffe Erkenntnisbedeutung nur, wenn ihre Anwendung auf Erscheinungen durch eine «transzendentale Deduktion» grundsätzlich [6] gewährleistet ist; die hier geforderte Garantie und den Nachweis im einzelnen übernimmt in der kantischen Theorie die die Erfahrungswelt konstituierende transzendentale Urteilskraft. Da nach ihr (Schematismus des reinen Verstandes [7]) die Erfahrungswelt als Welt möglicher Erfahrung konstitutiv durch schematisierte K. bestimmt ist, besitzen die K. als reine Verstandesbegriffe nur dann objektive Geltung, wenn ihr Gebrauch auf die Bedingungen möglicher Erfahrung restringiert wird. «Die reinen K., ohne formale Bedingungen der Sinnlichkeit, haben bloß transzendentale Bedeutung, sind aber von keinem transzendentalen Gebrauch, weil dieser an sich selbst unmöglich ist ... Da sie also (als bloß reine K.) nicht von empirischem Gebrauche sein sollen, und von transzendentalem nicht sein können, so sind sie von gar keinem Gebrauch, wenn man sie von aller Sinnlichkeit absondert, d.i. sie können auf gar keinen angeblichen Gegenstand angewandt werden; vielmehr sind sie bloß die reine Form des Verstandesgebrauchs in Ansehung der Gegenstände überhaupt und des Denkens, ohne doch durch sie allein irgendein Objekt denken oder bestimmen zu können» [8]. Die für Kants kritische Philosophie entscheidende Differenzierung von Denken und Erkennen [9] kehrt sonach in der Konstruktion des K.-Begriffes derart wieder, daß die K. als reiner Verstandesbegriff Denkgeltung für Objekte überhaupt, Erkenntnisbedeutung jedoch nur als schematisierte K. besitzt.
Kants Begriff der K. ist so konstruiert, daß er, als Explikat der Synthesisfunktion des Urteils (metaphysische und transzendentale Deduktion) und in seiner Restriktion auf das Schema der Zeit (Schematismus), zugleich mit den apriorischen Anschauungsformen von Raum und Zeit als den Bedingungen möglicher Erfahrung die Gegenstände dieser Erfahrung konstituiert. Die in Anspruch genommene Vollständigkeit der Urteilstafel garantiert die vollständige apriorische Bestimmtheit der Gegenstände der Erfahrung. Da insofern die zwölf K. quasiontologische Strukturbegriffe der erkennbaren Gegenstandswelt darstellen, ist die kantische Kl. intentionsanalog der aristotelischen: Sie enthält die obersten allgemeinen Begriffe, unter denen die partikularen Begriffsbestimmungen der Gegenstände der Erfahrung subsumiert werden können. Die obersten vier Gattungen der Quantität, Qualität, Relation und Modalität sind wohlbestimmt und schließen einander aus, da sie sich ebenso wie die einzelnen K. voneinander unabhängigen Verstandesakten verdanken. Die unter ihnen befaßten zwölf K. sind in einem System geordnet und bestimmen die apriorischen Hinsichten, unter denen Gegenstände überhaupt erkannt werden können. Gleichwohl besteht eine entscheidende Differenz zur aristotelischen Tradition darin, daß einerseits das Problem des Ursprungs ausdrücklich formuliert und andererseits sowohl der Nachweis der Vollständigkeit [10] als auch die Rechtfertigung der K. als objektiv gültiger Strukturen in einer transzendentalen Reflexion versucht werden. Sofern es dabei gerade der Ausgangspunkt der kantischen Transzendentalphilosophie ist, daß sie die Offenbarkeit des Seins im Logos, die Aristoteles voraussetzen muß, nicht bloß poniert, sondern, wenngleich nur in einem zwar wohldefinierten, aber eingeschränkten Bereich, nachweist, ist die kantische Theorie immun gegen die nominalistische Kritik.
Vom Standpunkt der transzendentalen Kritik aus bemerkte Kant mit Recht, daß Aristoteles die K. bloß rhapsodisch aufgegriffen habe [11]. Verfolgt man indessen den Gedanken der Rechtfertigung der zwölf K. aus einem Prinzip im Sinne von Kant selbst, so erscheinen sein Rückgriff auf die als vollständig behauptete Urteilstafel als ebenso problematisch und ungeklärt wie die von ihm als «artig» [12] unterstellten Probleme sowohl des Zusammenhangs der vier K.-Gruppen im ganzen wie der internen Beziehungen und Verhältnisse der je drei zu einer Gruppe gehörigen K. untereinander. Die an dieser problematischen Stelle der Deduktion aus einem Prinzip einsetzende idealistische Kantkritik eröffnet die zweite wirkungsgeschichtlich bedeutsame Tradition philosophischer Kl.
[1]
Vgl. H. Heimsoeth: Zur Herkunft und Entwickl. von Kants K.-Tafel, in: Stud. zur Philos. Immanuel Kants II. Kantstudien Erg.h. 100 (1970) 109–132; Chr. Wolffs Ontol. und die Prinzipienforsch. Immanuel Kants, in: Stud. ... a.a.O. Erg.h. 71 (1956) 2–92.
[2]
Vgl. I. Kant, KrV B 102ff. 159. 378; Proleg. § 21.
[3]
Proleg. § 39.
[4]
a.a.O. § 21.
[5]
KrV § 11.
[6]
Vgl. a.a.O. § 22, B 146ff.
[7]
Vgl. B 179.
[8]
B 305.
[9]
Vgl. E. Adickes: Kant und das Ding an sich (1924).
[10]
Vgl. bes. K. Reich: Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel (21948).
[11]
Kant, KrV B 107.
[12]
a.a.O. B 109.
2. Schelling und Fichte. – a) Unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Einheit der kantischen K.-Konzeption stellt F. W. J. Schelling in einer seiner frühen Schriften [1] die Begründung allen Wissens durch einen schlechthin unbedingten Satz in den Mittelpunkt. Dieser Grundsatz darf als Bedingung allen Inhalts und aller Form selber weder nur formal noch nur material sein; als erster und oberster Grundsatz muß er vielmehr die Verbindung von Form und Inhalt in der Weise enthalten, daß sie sich wechselseitig bestimmen. Indem der erste Grundsatz «Ich ist Ich» [2] das unbedingte Gesetztsein von Form und Inhalt ausdrückt und insofern analytisch ist, der zweite Grundsatz «Nichtich ist nicht Ich» [3] dem Inhalt nach bedingt gilt und als Satz des Grundes die synthetische Form bezeichnet, der dritte Grundsatz die beiden ersten dadurch vereinigt, daß sich das Ich ein Nichtich entgegensetzt [4] und insofern eine Theorie des Bewußtseins und der Vorstellung allererst ermöglicht, ist durch die drei Grundsätze sowohl aller Inhalt als alle Form der Wissenschaft überhaupt erschöpft. «Diese Grundsätze enthalten die Urform aller Wissenschaft, die Form der Unbedingtheit, der Bedingtheit und der durch Unbedingtheit bestimmten Bedingtheit» [5].
Mit dieser Exposition der drei Grundsätze weist Schelling auch K. L. Reinholds Versuch, der kantischen Lehre durch den allgemeingeltenden «Satz des Bewußtseins» ein tieferes Fundament zu geben, als unzureichend ab. Denn dieser kann zwar einen bestimmten Inhalt der Philosophie begründen, nämlich die Theorie der Vorstellung überhaupt [6], bleibt aber als materialer Satz immer ein bedingter Satz [7].
Die Beziehung der drei von Schelling herausgestellten Grundsätze auf die kantische Kl. liegt darin, daß durch die gegebenen Grundsätze die bei Kant noch unvermittelten Formen des analytischen und des synthetischen Urteils auf die eine Urform alles Wissens bezogen werden können, indem die analytische Form der Form der Unbedingtheit, die synthetische Form der Form der Bedingtheit und die Vermittlung beider der im dritten Grundsatz zum Ausdruck gebrachten Form der durch Unbedingtheit bestimmten Bedingtheit entsprechen. Da die ersten drei Grundsätze zugleich den von Kant herausgestellten K.-Momenten der Relations-K. (Substanz, Ursache, Gemeinschaft) entsprechen, wird bei Schelling die K. der Relation allen anderen K.-Gruppen übergeordnet und enthält in ihrer dreifachen Gliederung den Leitfaden für die jeweils dreifach gegliederten anderen K.-Gruppen. In jeder K.-Gruppe kehrt die kategorische, die hypothetische und die disjunktive Form der Relations-K. wieder. Obgleich die einzelnen K. der kantischen K.-Tafel dadurch auf die eine Urform allen Wissens bezogen sind, kann von einer eigentlichen genetischen Deduktion der K. jedoch nicht gesprochen werden, da Schelling die ihm von Kant überlieferten K. in ihrer jeweils dreifachen Gliederung nur von der Urform her verständlich macht, nicht jedoch aus ihr noch im einzelnen herleitet.
[1]
F. W. J. Schelling, Über die Möglichkeit einer Form der Philos. überhaupt (1794).
[2]
a.a.O. Werke, hg. Schröter 1, 57.
[3]
58.
[4]
59.
[5]
61.
[6]
Vgl. K. L. Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschl. Vorstellungsvermögens (1789).
[7]
Vgl. A. Klemmt: Karl Leonhard Reinholds Elementarphilos. (1958) 572–581.
b) In derselben Perspektive wie Schellings Versuch steht auch J. G. Fichtes Konzeption in der ‹Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre› (1794); jedoch wird der Gesichtspunkt der genetischen Ableitung der K. dadurch noch stärker herausgestellt, daß der bei Schelling verbliebene Rest an Faktizität der K.-Begriffe dem Anspruch nach noch einmal in eine genetische Darstellung aufgelöst wird. Auf diese Weise werden die kantischen K.-Begriffe nicht nur umgeordnet und in eine Beziehung zur Urform allen Wissens gebracht, sondern unmittelbar aus der als Wechselbegründung und Wechselbestimmung charakterisierten Form des dritten Grundsatzes der ‹Wissenschaftslehre› hergeleitet. Fichtes Kl. unterscheidet sich von der Schellings daher nicht im Hinblick auf die den anderen K. übergeordnete Relations-K., sondern ausschließlich durch die Art der Ableitung der anderen aus ihr. Maßgeblich ist hierfür die Fassung des dritten Grundsatzes der Wissenschaftslehre, in der in nuce bereits alle möglichen Synthesen sowohl des theoretischen wie des praktischen Wissens enthalten sind, mithin auch die Grundbestimmungen der K. der Quantität und der Qualität. Durch die im dritten Grundsatz geforderte Vermittlung von absoluter Realität des Ich und absoluter Negation des Nichtich müssen Ich und Nichtich, sofern sie im Ich zusammenbestehen sollen, hinsichtlich der qualitativen Grundbestimmung ihrer Realität als prinzipiell teilbar gesetzt werden, und das heißt, die Grundbestimmung der Quantität geht aus der K. der Qualität dadurch hervor, daß sie den Widerspruch von Realität und Negation vermittelt. In der Formulierung des dritten Grundsatzes: «Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nichtich entgegen» [1] wird daher deutlich, daß die K. der Relation als Wechselwirkung die erste K. darstellt, der die Bestimmungen der Realität und Negation (Qualität) sowie die quantitativen Bestimmungen der Einschränkung, Begrenzung und Bestimmung unmittelbar entspringen. Sofern im dritten Grundsatz als der Vermittlung der beiden ersten Grundsätze der Wissenschaftslehre unendliche Tätigkeit und beschränkte, d.h. endliche Tätigkeit miteinander verbunden sind [2], sind die in ihm entspringenden K. gleichursprünglich mit der von Fichte so bezeichneten schwebenden produzierenden Einbildungskraft, deren Status dadurch gegenüber der kantischen Theorie, in der sie die Funktion der Vermittlung von reinen Verstandesbegriffen und Sinnlichkeit hatte, wesentlich verändert ist. Wird durch die produzierende Einbildungskraft die absolute Tätigkeit des Ich zu einer objektiven Tätigkeit eingeschränkt und zugleich als Tätigkeit festgehalten, so entsteht durch sie ein Wechselspiel zwischen Endlichem und Unendlichem, das Fichte als «Schweben» bezeichnet, und das, sofern es auf der einen Seite die absolute Tätigkeit einschränkt, Notwendigkeit, sofern es auf der anderen Seite über jede gesetzte Schranke zugleich hinausgeht, Möglichkeit als Modal-K. hervorbringt. Entspringt durch die synthetische Verknüpfung der beiden genannten K. die K. der Wirklichkeit, so sind auch die K. der Modalität unmittelbar mit der Einbildungskraft gegeben, sofern die Produkte ihrer Tätigkeit durch den Verstand fixiert werden. Im Unterschied zur kantischen Zweiteilung von Sinnlichkeit und Verstand, durch die die K. des reinen Verstandes von den unabhängigen Anschauungsformen Raum und Zeit gesondert sind, erscheinen in Fichtes Theorie des gesamten Wissens auch die Bestimmungen ‹Raum› und ‹Zeit› noch als nicht-unabhängige, sondern abgeleitete Momente der aus dem Spiel der Einbildungskraft hervorgehenden Gegenstandsbestimmungen.
Fichtes K. erweisen sich in ihrer genetischen Ableitung aus dem dritten Grundsatz als Grundbestimmungen jeden Wissens; sofern sie als jeweilige Lösungsversuche des immer neu entstehenden Widerspruchs zwischen unendlichem und endlichem Ich, das sich in seiner absoluten Tätigkeit erkennen soll, begriffen werden können, erscheinen in diesem Prozeß möglicher Selbsterkenntnis das theoretische, subjektive Ich und seine Gegenstandswelt, seine Objekte, als dem absoluten Ich untergeordnet und untereinander gleichrangig. Sind sie aber gleichrangig, so sind die Grundbestimmungen, die K., zugleich Bestimmungen der Objekte wie Bestimmungen des endlichen Ich. Die hier konzipierte Identität des Subjektiven und Objektiven schlägt indessen zurück auf Sinn und Status der beiden ersten Grundsätze selbst. Werden diese nämlich im Hinblick auf ihre Vermittlung im dritten Grundsatz als gleichursprünglich gedacht, so erscheint der dritte Grundsatz als die Einheit von Ich und Nicht-Ich, als die Identität von Identität und Nicht-Identität des Nicht-Ich, welche den Vorrang des von Fichte noch festgehaltenen absoluten Ich negiert. Die Idee der Wechselbestimmung und Wechselbegründung, die der dritte Grundsatz auch in der Fichteschen Theorie formuliert, scheint eine Rangordnung der beiden ersten Grundsätze aufzuheben.
[1]
J. G. Fichte: Grundlage der ges. Wiss.-lehre (1794). Werke, hg. I. H. Fichte 1 (1845/46) 110.
[2]
Vgl. a.a.O. 114.
c) Analog formuliert Schelling bereits im ‹System des transzendentalen Idealismus› [1] das Absolute als die Identität von Subjektivem und Objektivem und damit die philosophische Aufgabe, die K. des Wirklichen in zwei parallelen Reihen als Bestimmungen des Objektiven (K. der Natur) wie als Bestimmungen des Subjektiven (K. des Selbstbewußtseins) zu entwickeln. Die unter der Idee der Wechselbestimmung des dritten Grundsatzes gefaßte absolute Identität verändert sonach den bei Fichte leitenden Grundriß des K.-Problems: Als ein Zusichkommen des Geistes aus dem Objektiven, dem er als bewußtloser immanent ist, über den subjektiven zum absoluten Geist wird nun ein Prozeß der Selbsterkenntnis des absoluten Wissens konzipiert, dem die einzelnen und differenten K. je nach Zugehörigkeit zum Objektiven bzw. Subjektiven oder Absoluten nicht mehr als objektive Bestimmungen des Wirklichen, sondern als jeweils verschiedene Stadien dieses Prozesses inhärieren. Die Auseinandersetzung mit der Kl. Kants führt Schelling zu der Einsicht, daß «der allgemeine Mechanismus der K.» auf einem «höheren Gegensatz» als dem zwischen logischen Begriffen einerseits und sinnlicher Anschauung andererseits beruhen muß, der aber vom «Standpunkt der Reflexion» aus nicht mehr zureichend begriffen werden kann [2].
Die K. der Relation ist den übrigen deshalb übergeordnet, weil sie sich unmittelbar aus der spezifischen Struktur des Ich ergibt, welches als Widerstreit von reeller (endlicher) und ideeller (unendlicher) Tätigkeit beschrieben werden kann. Das Ich wird sich des ersten ursprünglichen Aktes des Selbstbewußtseins, in dem die reelle Tätigkeit des Ich, im Streben sich anzuschauen, durch die ideelle notwendigerweise begrenzt werden muß, noch nicht bewußt; es versucht sich deshalb in dieser ursprünglichen Begrenztheit anzuschauen, wobei es die beiden ursprünglich vereinigten Tätigkeiten in Ich an sich und Ding an sich fixiert, ohne sie jedoch als Resultat seiner eigenen Tätigkeit zu erkennen. In einer weiteren Potenzierung des Ich zur Intelligenz, in dem sich das Ich als empfindend zum Objekt macht, erscheinen ihm die widerstreitenden Tätigkeiten in produktiver Anschauung vereinigt. Die «Konstruktion der Materie», die Darstellung dieser Synthesis in einem Produkt, bezeichnet so den Versuch des Ich, sich selbst anzuschauen: In der Konstruktion wiederholt das Ich die drei Stufen der Intelligenz. Der erste Akt, in dem die beiden Tätigkeiten noch vereinigt sind, erklärt die erste Dimension der Materie: die Linie, auf die Physik übertragen: den Magnetismus. Im zweiten Akt erscheinen die beiden Tätigkeiten des Ich durch eine Grenze getrennt, wodurch die Linie in zwei Teile zerfällt und zur Länge die Breite als zweite Dimension hinzutritt, auf die Physik übertragen: zum Magnetismus die Elektrizität. Die wechselseitige Durchdringung beider Tätigkeiten in einer dritten fügt den bereits deduzierten Dimensionen schließlich die dritte hinzu, in der Physik: den chemischen Prozeß.
Das Ich, das sich in produktiver Anschauung der ursprünglichen «Identität in der Duplizität» bewußt werden soll, bestimmt die durch den ersten Akt der Selbstanschauung entstandene ursprüngliche Begrenztheit, indem es dem Ich (Bewußtes) ein Objekt (Bewußtloses) entgegensetzt. Die Grenze zeigt sich nun nicht mehr als Begrenzung des reellen durch das ideelle Ich, sondern als Begrenzung des ideellen Ich selber; denn die Grenze des passiven, empfindenden Ich ist identisch mit der Grenze des aktiven, affizierenden Dinges an sich, dem Grund der Passivität des reellen Ich. Da das Ding an sich aber nichts anderes ist als die fixierte ideelle Tätigkeit des Ich, erscheint die Grenze als zugleich abhängig und unabhängig vom Ich: Reflektiert man darauf, daß sie gegenwärtig ist, so erscheint sie als unabhängig vom Ich; reflektiert man dagegen darauf, daß sie überhaupt ist, so erfaßt man ihren Grund im unbewußten Produzieren des Ich. Durch eine Handlung entsteht der Intelligenz zugleich das Universum (absolute ursprüngliche Synthesis, mit der für das Ich alles zugleich gesetzt ist) und der bestimmte Punkt in der «Evolution» dieses Universums, an den das empirische Bewußtsein gebunden ist. Diese zweite Beschränktheit, in die die Intelligenz treten muß, wenn sie sich mit Bewußtsein wieder erzeugen soll, zwingt die «bestimmte Intelligenz» zur sukzessiven Synthesis der Vorstellungen. Aus der Entgegensetzung von Ich und Objekt, in der das Ich als reine Intensität und das Objekt als reine Extensität erscheinen, leitet Schelling die sich wie Substanz und Akzidens verhaltenden Bestimmungen Raum und Zeit ab. Indem das Ich Substanz und Akzidens in Ursache und Wirkung trennt, fixiert es die Abfolge von beharrender Substanz und wechselnden Akzidenzien. Während in einem ersten Schritt, der Potenzierung des Kausalverhältnisses zur Wechselwirkung, das Zugleichsein von Substanz und Akzidens wiederhergestellt wird, schließt erst das Fortschreiten der Intelligenz zur «Organisation», der letzten und höchsten Potenzierung der Anschauung, die Reihe der Bedingungen der Möglichkeit des Objektes überhaupt. Die Wechselwirkung ist nur möglich, wenn das Ich die unendliche Sukzession so begrenzt, daß sie in sich zurückläuft, d.h. in der Endlichkeit als unendlich angeschaut werden kann: «Die Organisation im allgemeinen ist also nichts anderes als das verkleinerte und gleichsam zusammengezogene Bild des Universums» [3].
In den bisher abgeleiteten K., die zugleich Anschauungsformen und Handlungsweisen der Intelligenz sind, gelangt das Ich nicht zum Bewußtsein seiner selbst als Tätigkeit, verliert sich vielmehr durch die produktive Anschauung im Objekt. Um sich selbst als Intelligenz zu erpennen, muß es sich durch eine absolut freie, theoretisch nicht weiter deduzierbare und deshalb nur praktisch kostulierbare Handlung vom empirischen Objekt losreißen. Indem das Ich lediglich auf das Objekt reflektiert, kann nur die K. der Relation entstehen. Reflektiert es auf sich, während es gleichzeitig anschauend ist, entsteht ihm die K. der Quantität, wohingegen Qualität durch die gleichzeitige Reflexion und Empfindung des Grades entspringt, in welchem ihm die Zeit erfüllt erscheint. Erst im höchsten Reflexionsakt erkennt sich das Ich als Intelligenz, wenn es zugleich auf sich und auf das Objekt reflektiert. Diese simultane Reflexion auf das Objekt und auf sich als reelle, d.h. freie Tätigkeit bringt die K. der Möglichkeit, die gleichzeitige Reflexion auf das Objekt und auf sich, insofern es ideelle (begrenzte) Tätigkeit ist, die K. der Wirklichkeit hervor. Den Widerspruch zwischen ideeller und reeller Tätigkeit vereinigt die Intelligenz schließlich im Begriff der Notwendigkeit [4].
Es lassen sich bei Schelling drei der Dignität nach unterschiedene Verwendungsweisen des Terminus ‹K.› aufzeigen: Die Ur-K. der Relation ist unmittelbares Resultat des Mechanismus der unbewußten Produktion des Ich, wie sie durch die sich selbst anschauende und damit sich selbst begrenzende Tätigkeit beschrieben wurde, wohingegen Quantität und Qualität erst aus der reflexiven Tätigkeit des Ich abgeleitet werden können, deren höchste Form die K. der Modalität hervorbringt und das «Gewölbe der theoretischen Philosophie» [5] schließt und zur praktischen überleitet.
Obgleich Schellings Konstruktion einer absoluten Identität von Ich und Nichtich bzw. Subjekt und Objekt mit der endgültigen Aufhebung des Dinges an sich als eines Ausdrucks der Faktizität des Wissens selbst zugleich die Einheit von Setzen und Sein, die bei Fichte ausschließlich den ersten Grundsatz charakterisiert, gemäß der Parallelisierung von Transzendentalphilosophie und Naturphilosophie zur Parallelität von Objekt und Subjekt uminterpretiert, sind beide K.-Auffassungen noch an der Selbstkonstitution des endlichen Bewußtseins orientiert. Erst die aus einer Kritik an der kantischen und der transzendentalen Reflexionsphilosophie Fichtes und Schellings hervorgegangene Hegelsche ‹Logik› faßt den bis dahin leitenden Begriff der K. unabhängig von seinem Bezug auf endlichen Verstand und Sinnlichkeit (Einbildungskraft) und interpretiert ihn als Grundbestimmung des absoluten Wissens selbst, das sich in ihm als es selbst zum Gegenstand hat.
[1]
F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus (1800). Werke, hg. Schröter 3.
[2]
Vgl. a.a.O. 3, 514.
[3]
492.
[4]
Vgl. 526f.
[5]
Vgl. 527.
3. Hegel. – Mit dem Resultat der ‹Phänomenologie des Geistes› als der Wissenschaft der Erfahrungen, die das endliche Bewußtsein über sich macht, hat sich das Wissen in seinem Anderssein erkannt. Dieses absolute Wissen (synonym mit Substanz, die Subjekt ist; reines Wissen, das tätige Allgemeine, reines Ich, Begriff, reine K., reines Denken oder Einheit von Sache und Denken, Idee, Wahrheit [1]) bedeutet an dieser Stelle nicht eine apriorische Form eines Gegebenen – das würde in den bloßen Gegensatz des endlichen Verstandes zurückfallen –, sondern das Ganze des synthetischen Erkennens; nicht eine Form, unter die Inhalte subsumiert werden, sondern den Begriff als tätige Beziehung auf sich selbst. Das Resultat der ‹Phänomenologie› ist zugleich Standpunkt und Element der ‹Logik›. Standpunkt, insofern die ‹Logik› das absolute Wissen voraussetzt, Element, insofern sich das sich selbst bestimmende Denken im Medium seiner eigenen K. bewegt, die daher nichts anderes darstellen als die Strukturmomente des absoluten Wissens selber. Die ‹Logik› G. W. F. Hegels ist somit die Darstellung der Erfahrung, die das Denken als reine Gegenstandsbeziehung, d.h. als reine Beziehung des Denkens auf den Begriff oder die K. (ohne jeden «sinnlichen und geistigen geläufigen Stoff» [2]) mit sich selbst macht. In der K. hat sich das Denken in der Weise zum Gegenstand, daß es sich unter der Bedingung gerade dieser Gegenstandsbeziehung zum Gegenstand macht. In der ‹Logik› als reiner Kl. bezieht sich das Denken der K. als ein eben durch diese K. vermitteltes Denken auf sich selbst, wodurch sich drei verschiedene Weisen der Gegenstandsbeziehung und damit auch drei verschiedene K.-Bereiche ableiten lassen, in denen das Denken sich denkt [3]:
1. In der Seinslogik denkt das Denken das Bestimmte. Es hat sich als ein die Bestimmtheit (Begriff an sich) denkendes Denken unter den Bedingungen eben dieser Bestimmtheit zum Gegenstand. 2. In der Reflexionslogik denkt sich das Denken als Beziehung (Begriff für sich). Es hat sich unter den Bedingungen dieser Beziehung zum Gegenstand. 3. Erst in der Begriffslogik erkennt sich der Begriff als Einheit dieser einseitigen Weisen (Begriff an und für sich). Der Begriff an und für sich ist die Idee, die reine K., die sich als Wesen der Kategorialität überhaupt erkennt und sich als die sich selbst vermittelnde Subjektivität setzt, die die Momente (K.) ihrer Genesis begreifend einholt. Mit dem Erreichen der absoluten Idee ist der Prozeß des zu-sich-selbst-kommenden absoluten Geistes der Form nach vollendet. Die Logik geht in die Naturphilosophie über, indem sich der Logos zur Natur entäußert. In der Philosophie des Geistes schließlich begreift sich die Idee als Rückkehr aus ihrem Anderssein. Im Vergleich zum absoluten Wissen als Ausgangspunkt gewinnt sie die zusätzliche Bestimmung einer «bewährten Allgemeinheit» [4]. Der Terminus ‹K.› erhält je nach seiner Stelle im System Hegels eine jeweils andere Bedeutung. Der Systemteil der Logik vereinigt K. des Seins, des Wesens, des Begriffes und führt zur absoluten Idee als dem Inbegriff aller K.; in ihr stellen die K. die reinen Denkbestimmungen der Dinge, die Wesenheiten der Dinge, dar, so daß Logik und Metaphysik zusammenfallen [5]. Im Systemteil Naturphilosophie sind die K. nur Bestimmungen des äußerlich bleibenden Denkens (z.B. Mechanismus, Chemismus ...). Im Bereich des endlichen Geistes sind sie Bestimmungen jener Subjektivität, die sich aus den gegenständlichen Beziehungen zu sich selbst befreit (Herrschaft, Knechtschaft, selbständiges Selbstbewußtsein).
Hegels Kl. läßt sich sicher als ein Versuch der Selbstbegründung der kantischen Transzendentalphilosophie verstehen [6]. In ihr werden die bei Kant getrennten Momente der reinen Anschauung und des reinen Begriffs derart in den Prozeß der sich begreifenden Vernunft einbezogen, daß sowohl der Unterschied von Verstandesbegriff und Anschauungsform als auch die Differenz kategorialer und nicht-kategorialer Begriffe der Philosophie aufgehoben werden. Da in der Konsequenz der hegelschen Intention aber jede mögliche – sei es innere, sei es äußere – Gegenständlichkeit in den Vernunftprozeß integriert ist, können die K. als Verstandesbegriffe im kantischen Sinne nur noch auf sich selbst als das, was unter sie fällt, bezogen werden. Ist die absolute Idee selbst die K. der K., so ist zwar der Entfaltungsprozeß aus ihr rekonstruierbar, nicht jedoch das, im Hinblick worauf sie als oberste Bestimmungen sollen gelten können. Indem die kantische Differenz von Denken und Erkennen für Hegels «K.» nicht mehr gilt, verlieren sie nicht nur ihren kritischen, sondern auch ihren logischen Stellenwert. Mindestens jedoch sind im Sinne der hegelschen Identität von Logik und Metaphysik K. identisch mit metaphysischen Prinzipien des Wirklichen. Im Gegensatz sowohl zur aristotelischen wie zur kantischen Auffassung der K., innerhalb deren zwischen Seinsprinzipien und K. einerseits und zwischen Erkennbarem und Denkbarem andererseits unterschieden wurde, bezeichnet ‹K.› bei Hegel die mannigfaltig sich abwandelnde Identität von Seins- und Denkbestimmung. Kann sie als eine bestimmte Denkform neben anderen nicht mehr gedacht werden, so verliert sie zugleich ihre Relevanz als Sonderbestimmung logischer Reflexion. Die spekulative Umwandlung des K.-Begriffs zum Begriff eines Prinzips schlechthin erweist sich als wirkungsgeschichtlich ebenso bedeutsam wie die im Systemkonzept Hegels liegende Konsequenz, daß die Gebiete der Natur und des Geistes, deren philosophische Reflexion sich zyklisch an die Logik als Metaphysik anschließt bzw. auf sie zurückführt, jeweils der Form und dem Inhalt nach eigene K. als Reflexionsstufen des zu sich kommenden Geistes erhalten: Natur und Geist, und dieser wiederum als endlicher und absoluter Geist erscheinen als kategorial differente Regionen.
[1]
Vgl. K. Harlander: Absolute Subjektivität und kat. Anschauung (1969) 31.
[2]
G. W. F. Hegel, Enzyklop. § 3.
[3]
Vgl. M. Wetzel: Reflexion und Bestimmtheit in Hegels Wiss. der Logik (1971) 52f.
[4]
Hegel, a.a.O. [2] § 574.
[5]
a.a.O. § 24.
[6]
Vgl. Wetzel, a.a.O. [3] 4.
4. Fries, Krause und Herbart. – Neben der skizzierten Hauptströmung der auf systematische Ableitung und Vollständigkeit der K.-Begriffe zielenden philosophischen K.-Reflexion in den Systemen des deutschen Idealismus finden sich eine Reihe von Versuchen, die zum Teil auf Kant und Aristoteles, zum Teil auf Fichte und Schelling zurückgreifen: So etwa vereinigt die Kl. von J. Fr. Fries in ihrem Grundansatz den kantischen Gedanken, wonach K. ursprüngliche Tätigkeitsformen des Denkens darstellen, die die Einheit der Erfahrung ermöglichen, mit der an Aristoteles orientierten Einteilung der K. in solche des Dings, der Beschaffenheit, des Verhältnisses, der Art und Weise, des Ortes und der Zeit [1].
In andrer Weise greift K. Chr. F. Krause in seinem ‹Entwurf des Systems der Philosophie› [2] auf Fragmente von Schellings Theorie ebenso wie auf Methodenelemente der Fichteschen Analyse zurück. Seine theologische Intention, der gemäß K. als die obersten Grundgedanken der Gotteserkenntnis und einschlußweise demgemäß als die obersten K. alles Endlichen verstanden werden, erscheint im skizzierten Kontext als durchaus originär.
In ähnlicher Weise eigenständig ist die im Anschluß an die Auseinandersetzung mit Fichte gewonnene Kl. J. Fr. Herbarts. Obgleich er im Kontext seiner formalen Logik die von Kant herausgestellten K. übernimmt, entwirft er im Rahmen der von ihm als Wissenschaft herausgestellten Psychologie ein neuartiges K.-Konzept. K. bezeichnen bei ihm die auf Begriffe gebrachten allgemeinsten Regelmäßigkeiten der Erfahrung. Sie sind Produkte eines psychischen Mechanismus, eine Art Stabilisierungsinstrument der Seele, dessen Aufgabe es ist, Störungen auszuschließen, um die Selbsterhaltung der Seele zu garantieren. Dieser psychische Mechanismus scheidet nach dem Gesetz der Reproduktion alles Zufällige aus den Wahrnehmungen aus und hält gleichzeitig deren elementarste Merkmale fest. Neben den K. der Außenwelt – Ding, Eigenschaft, Verhältnis, Verneintes – unterscheidet Herbart noch K., die innerpsychische Vorgänge zusammenfassen (K. des inneren Geschehens bzw. Apperzeption): Empfinden, Wissen, Wollen, Handeln [3]. Diese Psychologisierung des K.-Problems läßt sich als eine ins Psychologische umgedeutete transzendentale Theorie der K.-Genese begreifen. Damit verliert der Begriff der K., insofern er als empirisches Produkt der an ihrer Stabilisierung interessierten Seele erscheint, die ihm in der transzendentalen Theorie eigentümliche apriorische Geltung für Erscheinungen. Ebenso wie in dieser Theorie das Verhältnis von Reproduktion und ursprünglicher Produktion im Aufbau allgemeiner Vorstellungen unberücksichtigt gelassen wird, bleibt auch die ontologische Bedeutung der K. fraglich. Dennoch zeichnet sich gerade im Verlauf des 19. Jh. vor allem in den Varianten einer pragmatischen Lebensphilosophie wie auch in allen psychologisierenden Wahrheitstheorien eine Tendenz zur subjektiven Reduktion des Geltungsproblems ab.
[1]
Vgl. J. Fr. Fries: System der Logik (1811) 387; Neue Krit. der Vernunft 1–3 (1807, 21828–31) bes. Bd. 2.
[2]
K. Chr. Krause: Entwurf des Systems der Philos. (1804).
[3]
Vgl. J. Fr. Herbart: Psychol. als Wiss. neu gegründet auf Erfahrung, Met. und Math. (1825).
5. Die Entwicklung des Begriffs der Kategorie im späteren 19. Jahrhundert. – Sie ist abhängig von der gegenüber dem deutschen Idealismus grundlegend veränderten systematischen und erkenntnistheoretischen Auffassung. Das in der idealistischen Tradition von Kant bis Hegel vorherrschende Interesse an der Konzeption universaler Systeme, oftmals verbunden mit dem Anspruch auf Geschlossenheit und Vollständigkeit, wird abgelöst durch Philosopheme, die den zunehmend an Boden gewinnenden Erfahrungswissenschaften Rechnung zu tragen bestrebt sind.
Für die Kl. bedeutete diese veränderte Problemlage einen Verzicht auf Konzeptionen vollständiger und geschlossener K.-Systeme, an deren Stelle mannigfache Versuche traten, entsprechend der in der Konsequenz der einzelwissenschaftlichen Forschungen unvermeidlichen Auffächerung der Wirklichkeit in voneinander unabhängige Teilbereiche, regionale K. zu eruieren. Leitfaden für das Auffinden von K., deren Geltung auf disparate Seinsbereiche beschränkt ist, kann weder die apriorische Analyse des Verstandes oder der Vernunft noch die Selbstreflexion des Ich als Selbstkonstitution bzw. als Vernunftprozeß sein, sondern einzig die dem Stand der jeweiligen Wissenschaften entsprechenden Antizipationen regionaler Seins- und Denkprinzipien mit den ihnen korrespondierenden spezifischen Erkenntnisinteressen. Durchaus in Übereinstimmung mit Hegel wurde nicht mehr zwischen K. als Prinzipien des Realen einerseits und als empirieunabhängigen apriorischen Denkbestimmungen, d.h. invarianten Strukturen des Erkennens oder der Sprache andererseits unterschieden. Hatte schon Hegel gegenüber Kant ein viel breiteres Gefüge von K. ausgearbeitet, so wurde im späten 19. und beginnenden 20. Jh. – gemäß der sich allmählich durchsetzenden Idee eines nicht von vornherein bestimmbaren offenen Prozesses der wissenschaftlichen Forschung – die Leitvorstellung einer a priori überschaubaren Anzahl der K. vollends aufgegeben [1]. Sofern nun mit Hilfe der aus den Erfahrungswissenschaften übernommenen induktiven Methode K. eines bestimmten Wirklichen gleichsam am Objekt abgelesen wurden, hatte dies eine Erweiterung der Bedeutung des Terminus ‹K.› zu «Bestimmung überhaupt» zur Folge. Neben dem Einfluß der Erfahrungswissenschaften auf die Theorie der K. läßt sich im 19. Jh. zugleich ein dezidiertes, zunächst durch ein Wiederaufgreifen der aristotelischen, später der kantischen Tradition charakterisierbares Interesse an der Begriffsgeschichte feststellen.
[1]
Vgl. H. Heimsoth: Zur Herkunft und Entwickl. von Kants K.-Tafel ... Kantstudien Erg.h. 100 (1970) 112f.
a) In der ersten umfassenden historischen Darstellung des Problems, A. Trendelenburgs ‹Geschichte der Kl.› [1], wurde die aristotelische Konzeption des K.-Begriffs wieder aufgenommen und auf dieser Grundlage und in Auseinandersetzung mit Hegel eine eigene Kl. vorgelegt [2]. Da Aristoteles keinen ersten Einteilungsgrundder Begriffsgeschlechter, mindestens keinen einheitlichen Leitfaden der inhaltlichen Analyse einzelner K. gefunden habe, führt Trendelenburg als Prinzip der Ableitung der K. den Begriff der «konstruktiven Bewegung» ein [3], die ebenso als allgemeine Bedingung des Denkens wie als Prinzip der Anschauung einsichtig gemacht werden kann. Lassen sich die K. als fixierte Begriffe von Grundverhältnissen abstraktiv aus der konstruktiven Bewegung gewinnen, so sind sie als Begriffe zugleich anschaulich [4] und bedürfen mithin im Gegensatz zur kantischen Problemstellung keiner Schematisierung. Da die konstruktive Bewegung als Grundprinzip der Vermittlung von Sein und Denken fungiert, erweist sie sich als eine weiter nicht ableitbare Tätigkeit, die nur aus sich selbst erkannt werden kann. Ihre Produkte sind die K., allgemeine Grundbegriffe, die sowohl für das Denken als auch für die Dinge, sofern diese gedacht werden müssen, gelten.
Im einzelnen unterscheidet Trendelenburg reale und modale K., wobei die realen die Formen sind, durch welche «das Denken das Wesen der Sachen ausdrücken will» [5], «die Grundbegriffe, unter welche wir die Dinge fassen, weil sie ihr Wesen sind» [6], die modalen «die Grundbegriffe, welche erst im Akt unseres Erkennens entstehen, indem sie dessen Beziehungen und Stufen bezeichnen» [7]. Innerhalb der realen K. werden die Stufen der mathematischen, physischen, organischen, ethischen und absoluten K. [8] gemäß den zur konstruktiven Bewegung hinzukommenden Prinzipien Materie und Zweck, die sich indessen nur auf die Bereiche des Physischen, Organischen, Ethischen beziehen, unterschieden. Diese «Stufen» der Kl. sind keinesfalls Abstufungen einer und derselben Entität; vielmehr handelt es sich um eine Art «geistige Metamorphose der K.», um wirklichen Formwechsel zur jeweils höheren Stufe [9].
Obwohl Trendelenburgs Versuch der systematischen Entwicklung der K. aus einem Prinzip seiner eigenen Kritik an Aristoteles nicht genügt, sofern der Charakter der Einheitlichkeit der Ableitung durch die Hinzunahme von Prinzipien wie Materie und Zweck nicht gewahrt bleibt, ist seine Unterscheidung realer und modaler K. für die weitere Diskussion des K.-Themas richtungsweisend geworden (vgl. Windelband, N. Hartmann). Zugleich blieb die von ihm durchgeführte Analyse der aristotelischen Kl. das Fundament auch für die folgenden, die aristotelische Konzeption des K.-Begriffs adaptierenden Philosopheme, insbesondere für die aus den begriffsgeschichtlichen Darstellungen herausragenden wissenschaftslogischen Bemühungen von Franz Brentano.
[1]
A. Trendelenburg: Gesch. der Kl. (1846).
[2]
Ausführlich in: Log. Untersuch. (1840, 21862).
[3]
a.a.O. 142f.
[4]
330.
[5]
329.
[6]
a.a.O. [1] 364.
[7]
ebda.
[8]
367–375.
[9]
Vgl. H. Heimsoeth: Zur Gesch. der Kl., in: Nicolai Hartmann. Der Denker und sein Werk, hg. H. Heimsoeth/R. Heiss (1952) 164f.
b) Von der Intention Trendelenburgs geleitet, die Kl. des Aristoteles neu aufzugreifen, entwirft F. Brentano zunächst in weitgehender Anlehnung an Aristoteles, später in einiger Distanz zu ihm eine eigene, in der Folgezeit allerdings unberücksichtigt gebliebene Kl. [1]. Anders als für Aristoteles ist das Akzidens für Brentano nicht ein abstraktes Merkmal an einem Ding, sondern etwas, welches die Substanz mittelbar oder unmittelbar einschließt. So ist ein Akzidens ein Relativum («Akzidentalrelatives» oder «Modalbefassendes»), etwa derart, daß im Erkennenden der Urteilende, im Urteilenden der Vorstellende als Subjekt eingeschlossen, modalbefaßt ist. Wenn das in einem Modalbefassenden als Subjekt Eingeschlossene letztes Subjekt ist, d.h. selbst nicht wieder ein Subjekt einschließt, kann es Substanz genannt werden. Demgegenüber ist das Akzidens das modalbefassende Ganze, welches das letzte Subjekt einschließt [2]. Das Subjekt kann nun auf verschiedene Weise dem Modalbefassenden, d.h. dem Akzidens, innewohnen. Eben diese verschiedenen Weisen des Innewohnens werden als K. bezeichnet. Die K. sind also nicht apriorische Stammbegriffe des Verstandes – wie Kants K., von deren Konzeption sich Brentano entschieden absetzt [3] –, ebensowenig höchste Gattungsbegriffe, sondern verschiedene Relationen des modalbefassenden Akzidens zum letzten Subjekt. Diese «Prädikationsweisen» werden daher nicht als Urteilsmodi, sondern als Unterschiede der Dinge selbst begriffen. Gleichzeitig steht alles Akzidentelle in einer realen Beziehung «zu dem ihm zugrundeliegenden und in ihm beschlossenen Subjekte» [4].
Die Differenzierung der Prädikationsweisen führt auf eine K.-Tafel, in der substantielle von akzidentellen Prädikationen unterschieden werden. Letztere teilen sich in Inhärenzen und passive Affektionen, die Inhärenzen wiederum in Eigenschaften, welche verschiedenen letzten Gattungen angehören, und in Eigenschaften, die unter ein und dieselbe letzte Gattung fallen. Die passiven Affektionen (Erleidungen) enthalten Umwandlungen (die zu einem Werke führen und daher je nach dem genus ultimum des Werkes verschieden sind) und Affektionen ohne Umwandlung [5]. Problematisch bleibt in dieser Einteilung allerdings, daß der Unterschied von Substanz und Akzidens nach einem anderen Prinzip gewonnen wird als die Einteilung der akzidentellen Prädikationen in Inhärenzen und passive Affektionen: Das Verhältnis von modalbefassendem Akzidens und letzteinheitlichem Subjekt ist am Leitfaden des logischen Einschlusses entworfen, während die passiven Affektionen durch das metaphysische Prinzip der Wirkursächlichkeit von den Inhärenzen abgesondert sind. Obgleich also Brentano das Verhältnis von Akzidens und Substanz gegenüber Aristoteles präziser faßt, bleibt sein Versuch der Ableitung der K. selber uneinheitlich und hinsichtlich der Auffassung der Akzidenzien als realer Bestimmungen eines nach dem Prinzip der Wirkursache doch wieder real unterstellten Subjekts seiner eigenen Kritik an Aristoteles ausgesetzt.
[1]
F. Brentano, Kl., hg. A. Kastil (11933, ND 1968).
[2]
a.a.O. X.
[3]
Vgl. 113f.
[4]
259.
[5]
Vgl. 405.
c) Im Unterschied zu der systematisch interessierten Kl. Brentanos haben in der zweiten Hälfte des 19. Jh. zum Teil im Anschluß an Trendelenburg auch namhafte Philosophiehistoriker und Philologen[1] in ihren Lehrbüchern wenigstens sporadisch Herkunft und Entwicklung des Terminus ‹K.› thematisiert. Überdies sind in dieser Zeit, aufbauend auf Trendelenburg, zwei bedeutende, dessen Skizze wesentlich erweiternde Werke zur Geschichte des K.-Begriffs entstanden, so P. Ragniscos ‹Storia critica della categorie, dai primordi della philosophia greca sino ad Hegel› (Florenz 1870) und A. Rosmini-Serbatis ‹Saggio storico-critico sulle categorie e la dialetica› (Turin 1883). Einen breiteren Raum gab dem Thema der Geschichte der Kl. außerdem Ch. Renouvier[2].
[1]
Vgl. bes. C. Prantl: Gesch. der Logik im Abendlande 1–3 (1855–1885); H. Ritter: Gesch. der Philos. 1–12 (1829–1853); W. G. Tennemann: Gesch. der Philos. 1–11 (1798–1819); E. Zeller: Die Philos. der Griechen in ihrer gesch. Entwicklung (1879).
[2]
Ch. Renouvier: Essais de crit. gén. (1854); Esquisse d'une classif. systémat. des doctrines philos. 1. 2 (1886).
d) E. von Hartmann, selbst ein bedeutender Kenner der Philosophiegeschichte, arbeitete gegen Ende des 19. Jh. eine eigene Kl. aus [1], die ähnlich der Brentanos ohne größere Resonanz geblieben ist. Er legt ein aufgefächertes System von Kategorialfunktionen vor, das, seinem transzendentalen Realismus entsprechend, eine Übersicht über die Gliederungen der Dinge geben soll. In Übereinstimmung mit Hegel sind die K. in letzter Konsequenz wenn auch induktiv erschlossene, so doch metaphysische Seinsprinzipien: so als K. der Sinnlichkeit die K. des Empfindens und des Anschauens; als K. des Denkens die Ur-K. der Relation und die K. des reflektierenden und des spekulativen Denkens.
Hartmanns Kl. wird getragen von einer metaphysischen Theorie der unbewußten logischen Determinationen und der unpersönlichen Vernunft. Als Selbstdifferenzierungen der logischen Determination sind die K. keineswegs deduktiv zu gewinnen, sie repräsentieren vielmehr im Bewußtsein die induktiv erschlossenen Kategorialfunktionen [2], die in jeder der von Hartmann eingeführten metaphysischen Sphären (der subjektiv idealen, der objektiv realen und der metaphysischen Sphäre: das Reich des bewußten Geistes, das Reich der Natur und die Natur und Geist vermittelnde einheitliche Wurzel des Bewußtseins und des Daseins) in induktiver Weise untersucht werden. Sofern K. «eine unbewußte Intellektual-Funktion von bestimmter Art und Weise, oder eine unbewußte logische Determination, die eine bestimmte Beziehung setzt» [3] ist, erweist sich Hartmanns K.-Theorie als integrierender Teil seiner metaphysischen Prinzipienlehre. Ursprung der K. ist die unbewußte synthetische und summierende Intellektual-Funktion [4], eine simultane Synthesis, die von der bewußten, diskursiven Reflexion als ihr Ursprung zu unterscheiden ist [5]. Ist das intuitiv Logische die unbewußte Wurzel der logischen Reflexion [6], so besitzen die K. als unbewußte Intellektual-Funktionen einen doppelten Ursprung sowohl im Logischen (terminus a quo) wie im «Unlogischen» (terminus ad quem). Aufgrunddieses Ursprungs der K. im Unbewußten als dem «intuitiv Logischen», das nicht als Ableitungsprinzip, sondern ausschließlich als Urquell der K.-Funktionen gedacht werden darf, wird der Metaphysik und Transzendentalphilosophie vermittelnde Charakter der Hartmannschen Theorie deutlich. Gründend in unbewußten Kategorialfunktionen sind die explizit formulierten K. reflexive Produkte der ursprünglichen Beziehung zwischen Logischem und Unlogischem und besitzen für den diskursiven Verstand den Status vorläufiger Hypothesen.
[1]
E. von Hartmann: Kl. (1896).
[2]
Vgl. a.a.O. VIII.
[3]
VII.
[4]
Vgl. 55.
[5]
Vgl. 116.
[6]
Vgl. 185.
e) Im Gefolge der Auseinandersetzung zwischen logischem und transzendentalphilosophischem Verständnis des Terminus ‹K.› stellt Heinrich Maier in seinem Hauptwerk [1] zwei in der Geschichte des Problems verfolgte Auffassungsweisen von K. (und damit zwei Typen von Kl.) einander gegenüber: K. als Gegenstandsformen und als apriorische Formen des synthetischen Denkens. Indem Maier selbst K. als «Formen der Wirklichkeit» versteht, entscheidet er sich zunächst für die ontologische Interpretationsweise. Dennoch sind K. für ihn apriorische Elemente der Erkenntnis, können aber gleichwohl nicht a priori erkannt werden. Wenn das Bewußtsein erst im Vollzug der Erfahrung von Gegenständen um die K. weiß, stellt sich damit das Problem ihrer «objektiven Gültigkeit», d.h. des Aufweises ihrer Geltung für die Gegenstände der Erkenntnis. Wie Kant, sucht auch Maier ihre Legitimation und findet sie in der logischen Notwendigkeit der kategorialen Funktionen, die aber mit apriorischer Apodiktizität nicht identisch ist. «Die logische Notwendigkeit knüpft zwischen den gegenständlichen Formen des erkennenden Denkens und den Formen der kognitiven Gegenstände das innere Band, auf dem der Rechtsgrundder letzteren allein beruhen kann» [2]. Daß jede logisch notwendige Denkfunktion durch Gegebenes gefordert ist, nennt Maier «Geltungsvoraussetzung» [3]. Die Unabdingbarkeit dieses Postulats kann «erfahren» werden und bestätigt sich permanent in faktischen Urteilen. Die Gültigkeit der Geltungsvoraussetzung ist nicht evident (wie etwa die Wesensschau in der Phänomenologie), sondern muß im denkenden Umgang mit Gegenständen erst erwiesen werden. Dieser notwendige Aufweis der Geltung der Formen der kognitiven Gegenstände erinnert an Kants transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, nur daß bei Maier die K. von vornherein nicht als Stammbegriffe des Verstandes, sondern als «Formen der Wirklichkeit» angesetzt werden, deren Verifikation einen unabschließbaren Prozeß darstellt. Aber dafür, daß überhaupt eine Konvenienz zwischen Formen der Wirklichkeit und Formen des erkennenden Denkens angenommen werden muß, ist die zu postulierende logische Notwendigkeit die Gewähr; Maier sichert sie gleichsam institutionell ab, indem er ein «universales Weltdenken» konzipiert, dem das menschliche Denken als «vollkommen immanent» gedacht wer den muß [4]. Die Intention, eine Verbindung von «präsentativen» und «noetischen» K. (Wirklichkeits- und Denk-K.) herzustellen, erinnert an das Identitätspostulat von Denken und Sein in der klassischen Metaphysik ebenso wie an die «unpersönliche Vernunft» E. von Hartmanns; auch Maiers K.-Theorie versucht die Geltungsfrage zu lösen und kann insofern einer metaphysischen Fundierung nicht entraten.
[1]
H. Maier: Philos. der Wirklichkeit 2: Die physische Wirklichkeit (1934).
[2]
a.a.O. 415.
[3]
Vgl. 362. 373–385.
[4]
Vgl. N. Hartmann: Heinrich Maiers Beitrag zum Problem der K., in: Kleinere Schr. 2 (1957) 346–364, bes. 360f.
f) Als eine Art Vorläufer des Neukantianismus greift Ch. S. Peirce im Gegensatz zu dem bisher üblichen Interesse an Aristoteles in seiner Konzeption der Kl. auf die kantische Theorie zurück, indem er am Leitfaden des Verhältnisses von metaphysischer und transzendentaler Deduktion der K.-Begriffe sowohl eine relationslogische wie eine transzendental-semiotische Deduktion von fundamentalen K. versucht. Im Gegensatz zu seinem ersten Versuch [1], der gemäß der Idee der «Dreistelligkeit aller geistigen Operationen» [2] aus einer Analyse der Zeichenfunktionen und des semiotisch verstandenen Urphänomens der Erkenntnis die drei Fundamental-K. Qualität, Relation und Repräsentation entwickelt, unterbaut Peirce später [3] die in der semiotischen Logik konzipierte triadische Fundamentalstruktur durch eine logische Mathematik der für alle weiteren Bestimmungen notwendigen und zureichenden Fundamentalrelationen: der Firstness (relationsfreie Qualität oder monadische Relation), der Secondness (der dyadischen Relation) und der Thirdness (der triadischen Vermittlungsrelation). Diese drei Fundamental-K., denen einerseits die Zeichentypen des Ikons, des Index und des konventionellen Symbols, andererseits die drei Schlußarten der Abduktion oder Hypothesis, der Induktion und der Deduktion entsprechen [4], bestimmen nach Peirce zugleich die Struktur eines jeden gegebenen Phänomens wie auch die hierarchische Gliederung möglicher Wissenschaftstypen: Die Mathematik der Logik als formale Logik der Relationen; die Phänomenologie als erste Philosophie; die semiotische Logik der Forschung als Logik der Erkenntnis; die Metaphysik und die Disziplinen der Psychologie, Physiologie bis zur Theologie einschließlich. Den universalen Fundamental-K., die Peirce in Analogie zu Hegel verstanden wissen will, obgleich er gegen Hegel ihre gegenseitige Unabhängigkeit betont, stellt er partikulare K., von denen jeweils nur eine ein gegebenes Phänomen bestimmt, an die Seite. Für sie macht er den Unterschied zwischen den vier K.-Gruppen und den zwölf einzelnen K. in der Kl. Kants geltend. Während Kants Problem der metaphysischen Deduktion bei Peirce durch die relationslogische Ableitung der K. beantwortet wird, ist das Problem der transzendentalen Deduktion der K. Thema der semiotischen Logik der Forschung. «Die ‹ultimate opinion› der ‹indefinite community of investigators› ist der ‹höchste Punkt› der Peirceschen Transformation der ‹transzendentalen Logik› Kants. In ihm konvergieren das semiotische Postulat einer über-individuellen Einheit der Interpretation und das forschungslogische Postulat einer experimentellen Bewährung der Erfahrung in the long run. Das quasi-transzendentale Subjekt dieser postulierten Einheit ist die unbegrenzte Experimentier-Gemeinschaft, die zugleich unbegrenzte Interpretationsgemeinschaft ist» [5].
Die in einer Analyse der Zeichenfunktion fundierte Kl. von Peirce gewinnt ihre Bedeutung aus dem Konzept einer pragmatisch verwandelten Transzendentalphilosophie. Vor allem aufgrundder Umwandlung des Problems metaphysischer und transzendentaler Deduktion reicht ihre Wirkung bis in die an der Sprachanalyse orientierten Rekonstruktionsversuche wissenschaftlichen und philosophischen Wissens der jüngsten Zeit (vgl. Apel, Habermas). Durch die Formulierung dreier unabhängiger Fundamentalrelationen der Zeichen, und mithin jeder semiotisch interpretierten Erkenntnis, werden ebenso transzendentale wie spekulative und analytische Elemente miteinander verknüpft. Obgleich dadurch gegenüber bloß syntaktischen und semantischen Fragestellungen die pragmatische Relation der Thirdness begründet ins Spiel gebracht wird, besteht das Problem dieses Ansatzes jedoch in der zu Paradoxien führenden Umformulierung des kantischen «Ich denke» (der transzendentalen Apperzeption) zu einem an der Idee der Konsistenz verleihenden Interpretationsgemeinschaft orientierten, unendlichen und gleichwohl approximativen Prozeß der Erkenntnisgewinnung.
[1]
Ch. S. Peirce: New list of cat. (1867).
[2]
Vgl. K. O. Apel: Peirces Denkweg vom Pragmatismus zum Pragmatizismus, in: Ch. S. Peirce, Schr. 2 (1970) 11–211, zit. 79.
[3]
Vgl. Ch. S. Peirce: One, two, three: Fundamental cat. of thought and of nature (Ms. 1885) zit. Schr. 1, hg. K. O. Apel (1967) 49.
[4]
Vgl. K. O. Apel: Von Kant zu Peirce: Die semitische Transformation der Transzendentalen Logik, in: Transformation der Philos. 2 (1973) 157–177, bes. 170.
[5]
a.a.O. 173.
g) In seiner großangelegten Analyse der Systeme der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit, der ‹Philosophie des Als-Ob› [1], weist H. Vaihinger den K. einen zentralen Platz innerhalb der erkenntnistheoretischen Erörterung zu. Ausgehend von der in der Konsequenz seines «idealistischen Positivismus» liegenden Beurteilung aller logischen Formen als Veränderungen bzw. Verfälschungen der Wirklichkeit, werden alle K. als «aus dem eigenen Fonds der Seele» geschöpfte, subjektive Vorstellungen bezeichnet [2], denen die unumgängliche, wenn auch theoretisch widersprüchliche Aufgabe zukommt, das Empfindungsmaterial fiktional umzuformen, um es zugänglich und im weitesten Sinne erkennbar zu machen. «Aber die K. sind für die Menschheit schließlich doch nur psychologische und mnemonische Hilfsmittel, wie sie beim Kinde in Anwendung kommen zur Erleichterung der Erziehung» [3]. Die Psyche kreiert zu praktischen Zwecken Verbindungs- und Subsumtionsformen, um der chaotischen Mannigfaltigkeit der Erscheinungen Struktur und Umriß zu verleihen. Am Beispiel der Ding-Eigenschaft-K. erläutert Vaihinger die für das diskursive Denken bestehende Notwendigkeit, über die durch die Sinne gelieferten Eigenschaften (Empfindungsqualitäten) hinaus das «Ding» als einen Träger der Eigenschaften zu fingieren und damit einen die Wirklichkeit alterierenden «Hilfsbegriff» einzuführen, den Vaihinger «K.» nennt.
Gleichwohl wird mit den auf diese Weise eingeführten K. als Intellektualformen [4] keinesfalls die Wirklichkeit erkannt; vielmehr besitzen sie lediglich eine auch für die Wissenschaften geltende praktische Bedeutung für die Rubrizierung des empfindungsmäßig Gegebenen. Unter Berufung auf Kants Restriktion der Gültigkeit der K. auf die Erfahrung bezeichnet Vaihinger die K. als «bequeme Hilfsmittel, um die Empfindungsmassen zu bewältigen» [5]. Die auf diese Weise als «Hilfsformen» für den begreifenden Umgang mit der Wirklichkeit bezeichneten K. können selber – abgesehen von ihrem systematischen Stellenwert in der Gesamtanalyse der ‹Philosophie des Als-Ob› – nicht mehr eigens thematisiert, geschweige denn begriffen werden: «... die K. selbst begreifen zu wollen, ist ein törichter Wunsch» [6]. Demzufolge kann Vaihinger die traditionellen Überlegungen zur Vollständigkeit, Deduktion und Systematik der K. (vor allem kantischer Provenienz) nur als Fehlversuche eines den Nachweis der Genese der K. als «besonders prominenter Analogien, nach denen die verschiedenen Successionen am passendsten gedacht werden» [7] ignorierenden Denkens interpretieren. Von allen begrifflichen, logischen Fiktionen, die das diskursive Denken leiten – Ding-Eigenschaft, Ganzes-Teil, Ursache-Wirkung, Allgemeines-Besonderes [8] – können nach Vaihinger nur noch die Ding-Eigenschaft- und die Ursache-Wirkung-K. als eigentliche K. akzeptiert werden, wobei die Ding-Eigenschaft-K. nach seiner auf die naturwissenschaftlichen Resultate gestützten Vermutung möglicherweise noch auf die Ursache-Wirkung-K. reduziert werden kann [9]. Die unübersehbar große Anzahl der ursprünglich in der Psyche vorhandenen K. – die von Vaihinger in einem Versuch genetischer Ableitung als auf sinnliche Anschauung rückführbare «Analogien» verstanden werden: «Die K. sind nichts als Analogien, nach denen die objektiv geschehenden Vorgänge erfaßt werden» [10] – ist in einem Prozeß «natürlicher Selektion» auf eine möglichst überschaubare Anzahl von Hilfsformen reduziert worden, die ihre praktisch notwendige Funktion dann erfüllt haben, wenn das «gewünschte Resultat» erreicht ist; «Der Mensch will nicht ‹Dinge› haben, sondern er will den Eintritt gewisser Empfindungen» [11].
Vaihingers K.-Theorie ist geprägt von dem das späte 19. Jh. bestimmenden Verständnis des K.-Begriffs als «Form», «Hilfsbegriff» zur Bewältigung der gegebenen Mannigfaltigkeit des Wirklichen. Gleichwohl bleibt seine in bewußter Abkehr vom Verständnis des K.-Begriffs als Seinsprinzip («... daß die Wege des Denkens nicht die des Seins sein können» [12]) konzipierte K.-Theorie Ausdruck einer dem ursprünglichen – aristotelischen wie kantischen – Sinn dieses Terminus verpflichteten philosophischen Grundhaltung, die bis hin zu den neukantianischen Beiträgen zur K.-Problematik virulent geblieben ist.
[1]
H. Vaihinger, Die Philos. des Als-Ob. System der theoret., prakt. und relig. Fiktionen der Menschheit (1877, 101927).
[2]
Vgl. a.a.O. 287.
[3]
327.
[4]
Vgl. 308.
[5]
310.
[6]
310.
[7]
319.
[8]
Vgl. 308.
[9]
319.
[10]
313.
[11]
323.
[12]
288.
H. Ulrici: System der Logik (1851). – V. Gioberti: Della protologia 1. 2 (1857). – P. Hohlfeld: Die Krausesche Philos. in ihrem gesch. Zusammenhang und ihrer Bedeutung für das Geistesleben der Gegenwart (1879). – B. Martin: K. Chr. F. Krauses Leben, Lehre und Bedeutung (1881). – J. Volkelt: Erfahrung und Denken (1886). – M. Rackwitz: Hegels Ansicht über die Apriorität von Zeit und Raum und die Kantschen K. Eine philos. Kritik nach Hegels Phänomenol. des Geistes (1891). – A. Riehl: Beiträge zur Logik (1892). – J. M. E. McTaggart: Hegel's treatment of the cat. of the subjektive. Mind NS 6 (1897) 164–181; 342–358. – E. König: E. v. Hartmanns Kl. Z. Philos. 113 (1898); 114 (1899). – E. Zwermann: Die transzendentale Deduktion der K. in Kants KrV. Kantstudien 5 (1901) 444–471. – J. M. E. McTaggart: Hegel's treatment of the cat. of the idea. Mind NS 9 (1900) 145–183. – T. Elsenhans: Das Kant-Friessche Problem (Habilschr. 1902); Fries und Kant. Ein Beitrag zur Gesch. und zur systemat. Grundlegung der Erkenntnistheorie 1. 2 (1906). – M. Schröter, Der Ausgangspunkt der Met. Schellings, entwickelt aus seiner ersten philos. Abh. «Über die Möglichkeit einer Form der Philos. überhaupt» (Diss. 1908). – S. Gewürz: Stud. zur Entwickl.gesch. der Schellingschen Philos. unter bes. Berücks. seiner Beziehungen zu Fichte (Diss. 1909). – K. Smirnow: Leibniz' und Herbarts met. Lehre von der Seele (1910). – M. Zynda: Kant – Reinhold – Fichte. Stud. zur Gesch. des Transzendentalbegriffs (1910). – W. Mechler: Die Erkenntnislehre bei Fries aus ihren Grundbegriffen dargestellt und krit. beleuchtet (1911). – W. Metzger: Die Epochen der Schellingschen Philos. von 1795–1802 (1911). – W. Ripke: Über die Beziehungen der Fichteschen Kl. zur Kantischen (1913). – B. Erdmann: Kritik der Problemlage in Kants transzendentaler Deduktion der K. Sber. Berl. Akad. Wiss. (1915). – M. Frischeisen-Köhler: Herbarts Begründung des Realismus, in: Volkelt-Festschr. (1918). – A. Riehl: Der philos. Kritizismus 1 (31924). – E. Freeman: The cat. of Ch. S. Peirce (1934). – A. Pfeifer: Die Philos. der Kantperiode K. L. Reinholds (Diss. 1935). – O. Klein: Schellings Kl. (1939). – J. von Kempski: Ch. S. Peirce und der Pragmatismus (1952). – A. Klemmt: Karl Leonhard Reinholds Elementarphilos. Eine Stud. über den Ursprung des spekulat. dtsch. Idealismus (1958). – P. Krausser: Die drei fundamentalen Struktur-K. bei Ch. S. Peirce. Philos. nat. 6/1 (1960) 3–31. – M. G. Murphey: The develop. of Peirce's philos. (1961). – K. O. Apel: Der philos. Hintergrundder Entstehung des Pragmatismus bei Ch. S. Peirce, in: Ch. S. Peirce, Schr. 1 (1967) 11–153. – N. Hinske: Die hist. Vorlagen der kantischen Transzendentalphilos. Arch. Begriffsgesch. 12 (1968) 86–113; Verschiedenheit und Einheit der transzendentalen Philos. a.a.O. 14 (1970) 41–68. – W. Marx: Hegels Theorie log. Vermittlung. Krit. der dial. Begriffskonstruktionen in der ‹Wiss. der Logik› (1972).
V. Vom Neukantianismus bis zur Gegenwart. – 1. Die Neukantianer. – Gegenüber dem spätromantischen Versuch E. von Hartmanns, den Urquell der K. in unbewußten Intellektualfunktionen zu suchen, und H. Vaihingers Verständnis der K. als praktisch nützlicher Hilfsbegriffe, stellen die unter der Bezeichnung ‹Neukantianismus› zusammenzufassenden Theorien von Cohen, Natorp, Windelband, Rickert, Cohn und Lask unter mehr oder minder ausdrücklicher Berufung auf Kant, zum Teil auch im Rückgriff auf die idealistische Systemphilosophie, erneut das Problem einer transzendentalen Begründung objektiven Wissens, mithin die Frage einer apriorischen Konstitution der Gegenstände in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Der aus einer kritischen Auseinandersetzung mit der positivistischen Interpretation wissenschaftlichen Wissens und ihren materialistischen Konsequenzen und im Gegenzug zu der im Gefolge der exakten Naturwissenschaften um sich greifenden naiven Fortschrittsgläubigkeit entstandene Neukantianismus trug maßgeblich zum Wiedererwachen einer an der Tradition kritischer Philosophie orientierten erkenntnistheoretischen Reflexion der für die Einzelwissenschaften gültigen Prämissen bei; sollte in diesem Sinne die objektive Gültigkeit des Erfahrungswissens erwiesen werden, – wobei der Titel ‹Erfahrung› jetzt nicht mehr ausschließlich für die nomothetischen, sondern auch für die idiographischen Wissenschaften Geltung beanspruchte [1] –, so lag der Rückgriff auf Kant nahe, in dessen Kl. die Objektivität der Wissenschaften erstmals zureichend begründet werden sollte. Die Kl. wurde auf diese Weise ein methodischer Leitfaden für die exakte Fassung dessen, was als Gegenstand der Erkenntnis gelten konnte. Gleichwohl wurde mit der Rückbesinnung auf Kants Kl. nicht dessen Anspruch auf Vollständigkeit seiner Tafel der reinen Verstandesbegriffe übernommen.
[1]
Vgl. W. Windelband: Gesch. und Naturwiss. (1894).
a) Innerhalb der Problemstellung einer Begründung der reinen Erkenntnis hat H. Cohen eine eigenständige, in engem Zusammenhang mit seiner Urteilslehre stehende Kl. entwickelt [1]. Indem das Denken, von Cohen letztlich als absolutes Denken des Ursprungs, dem nichts Gegebenes äußerlich sein kann, verstanden [2], sich immer in Urteilen vollziehen muß, wenn es die Dignität des Erkennens besitzen soll, sind Einheit des Urteils, der Erkenntnis und des Gegenstandes nur verschiedene Explikationsweisen ein und derselben Einheit des Denkens. Dem Denken gilt nur das als «gegeben», was es selbst erzeugen kann [3]. Die Einheit des Urteils muß sich daher in verschiedene Urteilsarten – Urteile der Denkgesetze, der Mathematik, der mathematischen Naturwissenschaft und der Methodik [4] – entfalten können, die den Gegenständen der Erkenntnis korrespondieren. Genau diese verschiedenen Urteilsarten sind als «Betätigungsweisen des Urteils» [5] die K., die sich als ursprüngliche Verknüpfungsarten des Mannigfaltigen, notwendige, logische Bedingungen der Erfahrung begreifen lassen [6].
Hängen auf diese Weise für Cohen das reine ursprüngliche Denken, das Urteil, die K. und der Gegenstand zusammen, so ist K. der Ausdruck der Gesetzmäßigkeit des reinen, sich durch Urteile auf Gegenstände beziehenden Denkens. Gleichwohl können Urteile nicht, wie bei Kant, zum Leitfaden des Aufsuchens der K. dienen, da nach Cohens Konzept eine Mehrheit von K. in einer Urteilsart, wie auch eine K. in mehreren Urteilsarten enthalten sein kann [7]. Außerdem werden in seiner Kl. im Gegensatz zu Kant nicht nur die Differenz von Anschauung und Denken, sondern auch der für die kantische Kl. fundamentale Unterschied zwischen Denken und Erkennen einbezogen. Dadurch, daß K. als Betätigungsweisen des Urteils konzipiert werden, erhalten sie den Status von Denkgesetzen [8]. Da das Mannigfaltige im Urteils-(Denk-)Akt miterzeugt wird, ist uns überhaupt nur dasjenige «gegeben», was zugleich kategorial geformt ist. Das reine Denken schafft im Urteilen die Objekte der Erfahrung; dadurch ist die kantische Intention, K. als reine Verstandesbegriffe zu konzipieren, die ohne ihre Schematisierung auf die Zeit zwar für das Denken, nicht aber für das Erkennen von Gegenständen hinreichend sind, endgültig aufgegeben. Die kantische strenge Korrespondenz von Urteil und K. gibt Cohen ausdrücklich auf [9], und hält eine Vielzahl von K. (gleichbedeutend mit «reiner Erkenntnis, welche die Voraussetzung der Wissenschaft ist» [10]) für notwendig. Während Kants zwölf K. für alle mögliche Erfahrung gelten sollten, hängt der Charakter der Endlichkeit der Erkenntnis, der bei Kant u.a. noch an die Differenz von Sinnlichkeit und Verstand geknüpft war, bei Cohen durch die Abhängigkeit der K. von im Fortgang der erfahrungswissenschaftlichen Forschung neu entstehenden Problemen ab; die hinreichende Anzahl der K. kann deshalb am Auftauchen neuer Probleme gleichsam abgelesen werden [11].
Auf eine eigenartige Weise verschränkt sich daher in Cohens Theorie die Logik der reinen Erkenntnis mit einer «Logik» der Forschung. Es entsteht die Paradoxie, daß die K. jeweils dem Stand der wissenschaftlichen Forschung entnommen und gleichwohl als apriorische Momente des erzeugenden Denkens verstanden werden sollen. Daß der wissenschaftliche Fortschritt zugleich als Fortschritt der reinen Erkenntnis selbst gedacht werden muß, hat zur Konsequenz, daß der im Sinne Kants eindeutige Begriff des Apriori in Frage gestellt erscheint.
[1]
H. Cohen: Logik der reinen Erkenntnis (21914).
[2]
Vgl. a.a.O. 36.
[3]
Vgl. 82.
[4]
Vgl. 77f.
[5]
47.
[6]
Vgl. Kants Theorie der Erfahrung (21871–1885).
[7]
Vgl. a.a.O. [1] 52.
[8]
Vgl. 596.
[9]
Vgl. 396f.
[10]
259.
[11]
Vgl. 396.
b) Das bei Cohen ungelöste Problem des Verhältnisses von apriorischer Erzeugung und wissenschaftlichem Progreß wird durch P. Natorps Unterscheidung von Grund-K., die er von Grundfragen der philosophischen Reflexion ableitet, und dem «offenen System» einer unabschließbaren Vielzahl von K. entscheidend modifiziert; die Grund-K. der Modalität, der Relation (Spezifikation) und der Individuation werden hergeleitet aus den Substraten philosophischen Fragens überhaupt: dem Sein, dem Sinn und der allbefassenden Einheit beider [1], während der Reichtum der K. sich daraus ergibt, daß in jedem der drei Grundmomente wiederum alle drei enthalten sind, und so ohne Ende weiter [2]. In Anlehnung an Kant behält Natorp in seiner ‹Logik› (1904) jedoch zunächst die Vierteilung der K.-Tafel bei [3], bestimmt die K. als denkend gesetzte Grundlegungen der Erfahrung, deren Mannigfaltiges durch sie auf die Einheit des Gesetzes zurückgeführt wird [4], und verdeutlicht an den als Formgesetzen des Denkens verstandenen K. die von Kant mit Nachdruck behauptete Priorität der Synthesis vor jeder Analysis. Unter dem Einfluß Cohens gewinnt der zentrale Begriff der synthetischen Einheit analogen Stellenwert zu Cohens «Ursprung»: Als Bedingung für die logischen Grundmomente liegt er dem K.-System voraus. Als Synthesis ist der Wechselbezug des Denkens sowohl Vereinigung des Auseinanderliegenden als auch Auseinanderhalten des zugleich Geeinten [5].
Erst der späte Natorp [6] entwickelt gegenüber Cohen eine neue Variante der Kl., indem er im Rückgriff auf Aristoteles, für den die K. mindestens in einer Hinsicht Aussageweisen waren, von K. als Konstruktionslinien spricht, «die ... alle Form des Denkens, des Lebens, ja des Seins selbst, bis zu den letzten erreichbaren Grenzen der Formungsmöglichkeit, gesetzmäßig zu entwickeln dienen sollen» [7]. Diese Interpretation der K. impliziert eine Ablehnung der Deutung der K. als Ordnungsschemata von schon Vorgegebenem, als bloßer Denkmittel, und faßt sie als Elemente lebendiger Formung («fieri», nicht «factum»), als «erzeugende Funktionen des inneren, konkreten Seinsaufbaus selbst» [8]. In dem Versuch einer kategorialen Grundlegung alles Geistigen behauptet Natorp die Unabschließbarkeit des K.-Systems, leitet aber von den festgelegten Grundfragen philosophischer Reflexion die drei Grund-K. ab. Die fundamentale Unterscheidung von K. und Grund-K. versucht, sowohl dem kantischen Ansatz einer überschaubaren Anzahl von Stammbegriffen des Verstandes als auch der durch den Forschungsprogreß der Wissenschaften bedingten a priori nicht festlegbaren Vielzahl der K. gerecht zu werden. Die Grund-K. dienen als Leitfaden dafür, dem offenen System der K. dennoch die Geschlossenheit eines Aufbaugesetzes zu verleihen und bieten die Möglichkeit, «das System der K. selbst kategorial zu begründen» [9]. Natorps Konzeption, aus den Grund-K. die Bestimmung der Struktur des offenen K.-Systems abzuleiten und auf diese Weise die philosophische Systematik mit Rücksicht auf die Bedeutung des K.-Problems als «Allgemeine Kl.» [10] zu begreifen, enthält wirkungsgeschichtlich bedeutungsvolle Elemente für die weitere Ausgestaltung der Kl. im 20. Jh., vor allem von N. Hartmann.
[1]
Vgl. P. Natorp: Philos. Systematik, aus dem Nachlaß hg. H. Natorp (1958) 72.
[2]
Vgl. a.a.O. 86.
[3]
Vgl. Logik. Grundlegung und log. Aufbau der Math. und math. Naturwiss. (1904).
[4]
Vgl. Die log. Grundl. der exakten Wiss. (1910) 49ff.
[5]
Vgl. a.a.O. 26.
[6]
a.a.O. [1]; Vorles. über prakt. Philos. (1925).
[7]
a.a.O. [1] 13.
[8]
14.
[9]
17.
[10]
Vgl. 19.
c) Unabhängig von der Problematik eines offenen oder geschlossenen Systems der K. entwickelt W. Windelband in enger Anlehnung an Kants transzendentale Logik den Grundriß eines jedoch nicht im Detail ausgeführten Systems der K. [1], indem er die Unterscheidung von reflexiven und konstitutiven K. einführt. Vergleichbar der Konzeption des frühen Natorp macht Windelband das seit Kant letzte Prinzip aller theoretischen Philosophie, den Begriff der Synthesis, zum Ausgangspunkt eines eigenen Systems der K.; im Bewußtsein verknüpfte Vorstellungen gelangen zu einer Einheit, werden dadurch aber nicht schlechterdings identifiziert, sondern nur in eine Beziehung zueinander gesetzt, die die Heterogenität der Vorstellungsinhalte nicht aufhebt. Die durch die Anschauung gegebenen Inhalte präformieren die Art und Weise ihrer Synthesis im Bewußtsein, das nichts anderes ist als die Funktion von Beziehung überhaupt. Diese Weisen des Aufeinanderbeziehens anschaulich gegebener Inhalte nennt Windelband ‹K.›. Ob nun der Vorgang des Synthetisierens als Urteil oder als Begriff auftritt, ist dabei letztlich gleichgültig, da Urteil und Begriff nur psychologisch unterscheidbare Stadien derselben Funktion, der Verknüpfung verschiedener Inhalte durch eine K., darstellen [2]. Durch die genannte Relativierung des in der Tradition häufig als gravierend angesehenen Unterschiedes zwischen Urteil und Begriff hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Terminus ‹K.› versucht Windelband die aristotelische und die kantische Auffassung der Kl. in dieser Hinsicht zu vereinigen. Insistierend auf einem systematischen Ableitungsprinzip für die K. hält er das Auffinden eines solchen Prinzips jedoch nur dann für möglich, wenn die einzelnen K. als Formen des beziehenden Denkens verstanden werden und insofern erst eruierbar sind, wenn es gelingt, den Zusammenhang der Beziehungsweisen des Denkens transparent zu machen.
Aus der Unabhängigkeit des Bewußtseinsinhaltes von der Funktion des Bewußtseins, Inhalte miteinander zu verknüpfen, ergibt sich die Unterscheidung zwischen K. gegenständlicher und nur vorgestellter Geltung, wobei die gedachte Beziehung (K.) im ersten Falle zum «wirklichen» Wesen der Inhalte selbst, im zweiten Falle nur zum Bewußtsein gehört [3]. Die gegenständlichen K. nennt Windelband «konstitutiv», die nur vorgestellten «reflexiv». Konstitutiv sind diejenigen K., «welche das gegenständliche Verhältnis der Vorstellungselemente ausmachen», reflexiv diejenigen, «welche das zusammenfassende Bewußtsein aus den übernommenen Inhalten durch seine kombinierende Tätigkeit zu entwickeln vermag» [4]. Reflexive K. sind Gleichheit, Unterscheidung, Zahl usw., konstitutive Substanz, Kausalität usw. Beide Arten von K. stammen aus derselben Quelle, der im Bewußtsein hergestellten Einheit des Mannigfaltigen der Vorstellungsinhalte. Das «Gegebene» ist also für Windelband keineswegs durch die K. vorgeformt, wie bei Cohen, vielmehr sind Raum und Zeit, die selber im kantischen Sinne nicht als K. verstanden werden, notwendig, um den ohne sie bloß reflexiven K. die Dignität konstitutiver Beziehungsweisen zu verleihen. Windelbands Entwurf zu einem System der K. bewahrt gerade durch seine Nähe zur kantischen Theorie einen streng gefaßten und kritisch bedeutsamen K.-Begriff, der es verhindert, K. als unspezifische Bestimmung vom Seienden überhaupt mißzuverstehen.
[1]
W. Windelband: Vom System der K., in: Philos. Abh. Chr. Sigwart zum 70. Geburtstag, hg. B. Erdmann u.a. (1900) 41–58.
[2]
Vgl. a.a.O. 46.
[3]
Vgl. 48.
[4]
49.
d) H. Rickerts Kl., die in mannigfaltigen Bezügen zu Kants und auch Windelbands Überlegungen steht, bietet nicht ein ausgearbeitetes System einzelner K.; ihr neuer Ansatz beruht vielmehr auf der Veränderung des funktionalen Stellenwerts des K.-Begriffes selbst. Trotz des ebenso von Aristoteles wie von Kant übernommenen Ausgangspunktes einer Analyse des Urteilsaktes geht es ihr nicht primär um die apriorische, den Gegenstand konstituierende Synthesis von Vorstellungsgehalten, sondern um den «Gegenstand der Erkenntnis» [1], der als Korrelat eines wahren Urteils bereits Wirklichkeitscharakter einschließt. K. im Sinne Rickerts sind daher nicht primär apriorische Formen vorgestellter Gegenstände, sondern funktionale Strukturen wirklicher Erkenntnis. Im bejahenden Urteil wird unter Anerkennung des transzendenten Sollens der Übereinstimmung von Form und Inhalt dem Urteilsinhalt primär die Form der Wirklichkeit zugesprochen, der Gegenstand der Erkenntnis daher durch die Vermittlung der K. im Übergang vom Sollen zum Sein produziert. Die Differenz von Sollen, Wert und Sein garantiert nicht nur die bewußtseinsunabhängige Geltung des produzierten Gegenstandes der Erkenntnis, sondern auch die Verträglichkeit des erkenntnistheoretischen transzendentalen Idealismus mit dem empirischen Realismus sowohl des alltäglichen wie des wissenschaftlichen Erkennens. Was für die transzendentale Rekonstruktion produzierte Form des Gegenstandes ist, ist für die Erfahrung die Struktur des Gegenstandes selbst. K. fungieren darum als formgebende Momente in dem das transzendente Sollen anerkennenden Urteilsakt und bestimmen über die Form des fertigen Urteils die Form des wirklichen Erkenntnisgegenstandes. Sie erscheinen daher zugleich als formgebende Prinzipien transzendentaler Konstruktion wie als reproduzierbare Gestalten und Strukturen der Gegenstände. «Wenn das Sollen oder die formale Norm der Zusammengehörigkeit, die der Urteilsakt bejaht, transzendent gilt, so muß die K. dem Urteil mit der Form zugleich die Gegenständlichkeit geben und damit das Moment, aufgrunddessen sein Gehalt vom Standpunkt des empirischen Realismus als Reproduktion des Wirklichen anzusehen ist» [2]. Der fertige Urteilsgehalt besitzt dieselbe Form wie der vom Subjekt losgelöste Gegenstand.
Diese Funktionsbestimmung des K.-Begriffs, die nicht am Vorstellungsgegenstand, sondern am bejahenden Urteilsakt als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis entwickelt ist, markiert eine bedeutsame Veränderung der kantischen Konzeption: Einerseits wird durch den Bezug auf Erkenntnis die K. des Wirklichen oder der Gegebenheit allen anderen kategorialen Bestimmungen vorgeordnet, andererseits schließt der K.-Begriff, indem er den Übergang vom Bereich des Sollens zum Bereich des Seins vermittelt, seine eigene Schematisierung ein. Die K. sind daher nicht mehr reine Verstandesbegriffe, deren objektive Gültigkeit nur unter der Bedingung eines restriktiven Gebrauchs garantiert ist, sondern eo ipso Strukturen der Erkenntnis.
Neben dieser Veränderung des funktionalen Stellenwerts des K.-Begriffs und neben der Vorrangstellung der K. der Gegebenheit verläßt Rickert auch darin den kantischen Grundriß des Problems, daß er die Konstitution einer objektiven Wirklichkeit von jenen möglichen Wirklichkeitsperspektiven unterscheidet, die durch die Naturbzw. Geisteswissenschaften als Welt der Natur bzw. Welt der Geschichte entfaltet werden. War mit der K. der Gegebenheit lediglich eine zusammenhanglose Vielfalt einzelner Tatsachen konstituiert, so bedurfte es zur Rekonstruktion einer zusammenhängenden Wirklichkeitserkenntnis als Korrelat der gewöhnlichen Erfahrung zusätzlicher konstitutiver K. des Wirklichen, die – wie die K. des Dinges mit Eigenschaften bzw. des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung – ein Ganzes objektiver Erfahrung ermöglichen [3]. Die so konstituierte objektive Wirklichkeit, verstanden als die Totalität, in der wir leben (heterogenes Kontinuum), erweist sich ihrerseits wieder als Material für die Bearbeitung durch die Wissenschaften der Natur und der Geschichte. Sofern diese im Sinne Rickerts die objektive Wirklichkeit nicht reproduzieren sondern ausschließlich bearbeiten, setzen sich die konstitutiven Wirklichkeitsformen nicht unmittelbar in die Bereiche von Natur und Geschichte fort, enden vielmehr mit der Konstitution der objektiven Wirklichkeit. Die Konstitution der «Gegenstände» Natur und Geschichte verdankt sich daher nicht mehr spezifisch der Funktion konstitutiver K., sondern den eigentümlichen Auffassungsweisen der methodologischen Erkenntnisformen. In der Auseinandersetzung mit Windelbands Unterscheidung der K. in konstitutive und reflexive [4] stellt Rickert heraus, daß insbesondere die K. der Gesetzmäßigkeit und d.h. in der Konsequenz der Begriff der Natur nicht als konstitutive Wirklichkeitsform, sondern allein als methodologische Erkenntnisform gedacht werden kann. Rickerts und Windelbands Unterscheidung der Kategorien erweisen sich daher als nicht äquivalent. Mit der Unterscheidung von Kausalität und Naturgesetz, wonach Kausalität zu den konstitutiven und Naturgesetz zu den methodologischen K. zählt, wird paradigmatisch der Bereich des vorwissenschaftlichen vom Bereich des wissenschaftlichen Wissens und Erkennens geschieden. Obgleich die Wissenschaften als Wissenschaften der Natur und der Geschichte in methodologischen Auffassungsformen der von ihnen unabhängig konstituierten objektiven Wirklichkeit begründet sind, produzieren sie gleichwohl nicht ungültiges Wissen. Sofern die methodologischen K. als Auffassungsformen der von den Wissenschaften bearbeiteten objektiven Wirklichkeit dem Gesichtspunkt des Allgemeinen sich verdanken, während doch die «K. der Gegebenheit» ein «Dieses da» als Individuelles und die «K. der objektiven Wirklichkeit» individuelle Zusammenhänge des Individuellen konstituieren, verbürgt gerade das Individuelle als der Bezugspunkt des Allgemeinen die Gültigkeit wissenschaftlichen Erkennens. Ihre Gültigkeit ist daher nicht unmittelbare, sondern durch die konstitutiven K. und deren Bezug auf das transzendente Sollen vermittelte Gültigkeit. Zugleich bringt die Differenz von konstitutiven Wirklichkeitsformen und methodologischen Erkenntnisformen den Tatbestand zur Geltung, daß wissenschaftliches Wissen bereits ein konstituiertes erkennendes Subjekt voraussetzt [5].
Durch die Unterscheidung von konstitutiven und methodologischen K. wird die Theorie der K. erstmals in der Geschichte des Problems unmittelbar wissenschaftstheoretisch von Bedeutung. Während wissenschaftliches Wissen bisher immer nur als Reproduktion kategorial konstituierter Wirklichkeit oder Wirklichkeitsbereiche aufgefaßt wurde, wird durch Rickerts Konzept ein konstruktives Verständnis und damit eine Theorie der Wissenschaften möglich, die den Gesichtspunkt einer freien, wenn auch nicht willkürlichen Bearbeitung eines a priori konstituierten, vorgegebenen Materials in den Mittelpunkt stellt. In der Konsequenz dieses Gedankens liegt ebenso die Möglichkeit, die Philosophie als eine sekundäre Reflexion auf schon konstituierte Gegenstände – und sei es der «Gegenstand» des Konstitutionsvorganges selbst bzw. die in ihn integrierten Bedingungen des Geltens bzw. Sollens – zu interpretieren. Konstitutive K. im Sinne Rickerts sind jedenfalls nicht jene Prinzipien der durch die Wissenschaften objektivierten Wirklichkeit, die im Fortgang des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses als Prinzipien des Aufbaus ihrer Gegenstände aufgefunden werden. Obgleich die im Verfolg der kantischen Frage nach der objektiven Gültigkeit aufgeworfene Problematik der Geltung unbedingter Werte einerseits und die Differenzierung von kategorial konstituierter objektiver Wirklichkeit und methodologisch konstituierter Gegenständlichkeit der Wissenschaften andererseits den durch Kant vorgezeichneten Grundriß des K.-Problems in verschiedener Richtung differenzieren bzw. erweitern, ist die mit dem kantischen K.-Begriff formulierte kritische Intention einer Begründung objektiv gültiger Erkenntnis prinzipiell bewahrt. Problematisch in Rickerts Konzeption bleiben indessen sowohl die Theorie unbedingt gültiger Werte als auch das Verhältnis der Gegenstandsbereiche der Wissenschaften zum Erkenntnisbereich objektiver Wirklichkeit, dessen interne Schwierigkeit auf dem nicht zureichend geklärten Verhältnis von konstitutiven Wirklichkeitsformen und methodologischen Erkenntnisformen beruht.
[1]
H. Rickert: Der Gegenstand der Erkenntnis (31915).
[2]
a.a.O. 372.
[3]
Vgl. 411.
[4]
Vgl. 411 Anm. 1.
[5]
Vgl. 408f.
e) Im Rückgriff auf Rickerts Unterscheidung von konstitutiven und methodologischen K. versucht J. Cohn, die Verknüpfung beider K.-Gruppen durch die Idee eines kategorialen Postulats zu denken. Rickerts Konzept modifizierend, erscheinen demgemäß die methodologischen K. als für die Erkenntnis der Wirklichkeit notwendige Postulate und die konstitutiven als deren reale Geltung (Suffizienz), d.h. als eigentliche K. [1]. Ausgehend von der Fragestellung, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit in der Wirklichkeit Zusammenhänge gesehen werden können, entwickelt Cohn seine Lehre von der «realen Suffizienz» der für Wirklichkeitserkenntnis notwendigen Postulate der Vergleichbarkeit, der Substantialität und der Kausalität [2]. Da die K. die Erkennbarkeit der Wirklichkeitszusammenhänge begründen, sofern sie zugleich als Voraussetzung der Wirklichkeit selbst und ihrer Erkennbarkeit gedacht werden müssen, erweisen sie sich als «reale Suffizienzen notwendiger Postulate» [3]. Obgleich die kategorialen Postulate für alle Realität gelten, ist die Wirklichkeit selbst jedoch nicht durchgängig kategorial geformt; sie enthält nicht-kategoriale Bestandteile, die als irrationale Bestandteile der Gegenstände allerdings erst dann erkennbar werden, wenn die notwendigen Erkenntnispostulate sich an der Realität bewähren. Die Geltung der K. zeigt sich in nichts anderem als in ihrer Notwendigkeit in aller Erkenntnis von Wirklichem, weswegen man ihnen «relativ zur Wirklichkeit konstitutive Bedeutung zuschreiben» kann [4]. Sofern auch die der Anschauung zugängliche Erlebniswirklichkeit mit ihren irrationalen Gegebenheitsmomenten begriffen werden muß, beschränkt sich die Bedeutung der K. nicht auf die Wissenschaften, die nur einen eingeschränkten Bereich des überhaupt Erkennbaren objektivieren. Erkenntnis besteht nach Cohns «Utraquismus» gleichermaßen aus Irrationalem und Rationalem, sofern der Gegenstand der Erkenntnis nur aus dem Denken entspringen kann.
Die von Cohn in den Mittelpunkt gestellte Differenzierung der erkenntnisbedingenden Momente nach notwendigen Postulaten (Denkformen) und irrationalen Gegebenheitsmomenten verändert zugleich mit dem Begriff der Erkenntnis die Bedeutung des konstitutiven Charakters von K. Bestimmt als reale Suffizienz von Postulaten erhält K. selbst postulatorisch-instrumentellen Charakter, sofern ihre Geltung nicht mehr a priori begründet werden kann, sondern auf den Nachweis der Bestimmbarkeit des irrational Gegebenen durch denknotwendige Hypothesen eingeschränkt ist. Der Gedanke nur noch asymptomatisch möglicher Erkenntnis erinnert an lebensphilosophische Theoreme ebenso wie an die Idee von sich erst im Progreß der Forschung als gültig ausweisenden apriorischen Begriffen.
[1]
J. Cohn: Voraussetz. und Ziele des Erkennens. Untersuch. über die Grundfragen der Logik (1908) 521.
[2]
Vgl. a.a.O. 360–422: Zur Kl.
[3]
405.
[4]
Vgl. 416.
f) Im Anschluß an Rickerts aus der Urteilsanalyse erwachsenen Formbegriff stellt E. Lask die Unterscheidung von K. als Form und K.-Material in den Mittelpunkt seiner Kl. [1]: «K. und K.-Material und nichts anderes sind in letzter Linie die Elemente, die in den Urteilsgefügen einander ‹zukommen› und nicht zukommen. Das Material ist das, worum oder worüber gewußt wird, die K. das, was das Erkennen darüber weiß und ‹auszusagen› hat» [2]. Da die kategoriale Form den relativ zu ihr formlosen Inhalt, das «logisch-nackte» Material [3], noch vor aller urteilsartigen «zerstückelnden» [4] Erkenntnis als Gegenstand bestimmt, besitzt Lasks K.-Theorie einen gegenüber den anderen neukantianischen Ansätzen vergleichsweise phänomenologischen bzw. ontologischen Wesenszug. Der Gedanke apriorischer Synthesis tritt gegenüber der kategorialen Form als Aufbauprinzip der dem Erkenntnisakt voraufliegenden, schon konstituierten Gegenstände der Erkenntnis in den Hintergrund. Andererseits ist durch den Charakter des «Hingeltens» und des «Betreffens» [5], wonach die K. als ergänzungsbedürftig erscheint und ihre Bedeutung ebenso wie ihre Differenzierung in verschiedene kategoriale Formen allererst dem K.-Material verdankt, eine Selbstständigkeit des K.-Materials intendiert, die nicht nur die mögliche Beziehbarkeit von Form auf Materie, sondern auch den kantischen Gedanken der Konstitution zweideutig werden läßt. Gleichwohl sind für Lask K. als am Leitfaden der Form-Materie-Duplizität entwickelte Gegenstandsbestimmungen Konstitutionsbegriffe, von denen er «reflexiv-generelle K.» [6] unterscheidet, die, obgleich ebenso wie die konstitutiven K. an das Material «gebunden» [7], sofern sie sich allein der Subjekt-Objekt-Duplizität verdanken, gegenüber den Konstitutionsbegriffen lediglich «parasitären, enklitischen Charakter» besitzen [8]. «... Gerade wegen des enklitischen Charakters der reflexiven K. ist damit bereits eine freilich schematisch gebliebene Hindeutung, eine leergelassene Anweisung auf die konstitutive K. gegeben ... Die reflexive K. als ein bloßer Stellvertreter drückt stets die unerfüllte Sehnsucht nach der dabei verschwiegenen konstitutiven K. aus» [9].
Die Originalität der Laskschen Kl. liegt jedoch nicht so sehr in der allgemeinen Bestimmung des K.-Begriffs als vielmehr in der am Leitfaden der philosophischen «Zwei-Weltentheorie» [10] des «Sinnlichen» und des «Nichtsinnlichen» ausgearbeiteten Differenzierung der K.-Gebiete des sinnlich gegebenen Seienden und des Geltens bzw. Sollens. Diese im Neukantianismus von Lotze her zur Geltung gebrachte Unterscheidung von Seiendem und Gelten, durch die der philosophischen Reflexion ein eigenständig konstituierter Gegenstandsbereich zugewiesen ist, führt Lask auf die Idee, die bisher übliche K.-Analyse der Erkenntnis des sinnlichen Seienden durch eine «Logik der Philosophie» [11] in Richtung auf eine «zweireihige Kl.» [12] zu erweitern. Sein Projekt einer umfassenden Kl. enthält daher nach Maßgabe der Gegenstandsgebiete des sinnlichen Seienden wie des unsinnlichen Geltenden zwei kategoriale Regionen, die durch die «Gebiets-K.» [13] Sein und Gelten bestimmt sind und deren Zusammenhang nach dem Verhältnis von Form und Material zu denken ist. Entsprechend dieser Stufung analysiert philosophische Erkenntnis die kategorialen Formen der Seinserkenntnis, d.h. das in aller Erkenntnis des Seienden geltende Sein. Die Logik der Philosophie hingegen analysiert den seinerseits kategorial konstituierten Gegenstand der philosophischen Reflexion, die Mannigfaltigkeit des Geltenden als Materie der Form des Geltens selbst. Deshalb stehen sich in diesem Aufriß die Urmaterie des Seienden und die Ur-K. des Geltens, durch die alle Erkenntnisgegenstände ihre kategoriale «Besiegelung» erhalten, gegenüber [14]. Indem Lask die Kl. um die Logik der Philosophie, d.h. um die Logik der Geltungssphäre, erweitert, gelingt ihm nicht nur eine Erweiterung der philosophischen Fragestellung selbst, sondern zugleich eine Art Selbstreflexion des philosophischen Ansatzes des Neukantianismus. Die am Leitfaden verschiedener Erkenntnisgegenständlichkeit gewonnene Auffächerung in verschiedene K.-Gebiete, die freilich bei ihm noch durch die Ur-K. des Geltens hierarchisch bestimmt bleibt, wird in der Folge ebenso bedeutsam wie die Zweideutigkeit des von Lask verwendeten Formbegriffs.
[1]
E. Lask: Die Logik der Philos. und die Kl., in: Ges. Schr. 2 (1923) 1–282; Die Lehre vom Urteil a.a.O. 283–463.
[2]
a.a.O. 333.
[3]
Vgl. 74.
[4]
Vgl. 364.
[5]
Vgl. 32.
[6]
Vgl. 137ff.
[7]
Vgl. 146.
[8]
Vgl. 160.
[9]
162.
[10]
Vgl. 7ff.
[11]
23.
[12]
153.
[13]
Vgl. 98f. 71.
[14]
Vgl. 121.
2. Lebensphilosophie. – a) Die im Zuge der alle Erkenntnisinteressen auf sich ziehenden Entwicklung der exakten Naturwissenschaften vordringlich gewordene Aufgabe der Erklärung von Naturvorgängen hatte auch die philosophischen Entwürfe des ausgehenden 19. Jh. entscheidend mitgeprägt. Der naturwissenschaftlich und psychologistisch orientierte Positivismus dehnt die kausal-monistische Erklärungsweise auf alle philosophischen Fragebereiche aus. Diesen Tendenzen trat neben Rickerts Abgrenzungsversuch W. Dilthey sowohl mit der Absicht einer philosophischen Durchdringung der Geschichte als auch mit dem Plan einer Grundlegung der nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden erfaßbaren «Geisteswissenschaften» entgegen. Der bloßen Erklärung von kausalen Zusammenhängen in der Natur setzte er das Verstehen als eigenständige Weise des Erkennens gegenüber. Seine im ‹Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften› [1] intendierte Grundlegung der Geisteswissenschaften, die sich im bewußten Anklang an Kant als eine auch die theoretische Erkenntnis mitumfassende «Kritik der historischen Vernunft» [2] verstand, bezog sich auf die allem Wissen zugrunde liegende Lebenswirklichkeit und suchte im Grundbegriff des «Lebens/Erlebens» die elementaren Strukturen des Erkennens zu begründen. Obgleich damit der Begriff des Lebens als der grundlegenden Wirklichkeit, aus dessen Objektivation alle Gegenständlichkeit des Wissens verstanden werden sollte, in den Mittelpunkt seiner Erkenntnistheorie einrückte, ist Diltheys Konzeption von jener Lebensphilosophie grundsätzlich verschieden, die das rationale Begriffswissen zugunsten irrationaler Intuition, die Wissenschaften zugunsten intuitiver Lebensanschauung aufzuheben suchte.
Der auf den Zentralbegriff des Lebens geschlüsselte K.-Begriff («K. des Lebens» [3]) entspringt dem das Leben begleitenden und es explizierenden Verstehen. Leben wird durch K. «verstanden», die gleichwohl nicht als apriorische Strukturen im Verstehen, sondern im Wesen des Lebens als dessen Bedeutungsstrukturen selber liegen [4]. Da das Leben nichts anderes als das Ganze der einzelnen Beziehungen ist, die abstrakt als K. bezeichnet werden können, werden K. als «Arten der Auffassung» verstanden [5], welche in den Prädikaten, die wir auf Gegenstände beziehen, enthalten sind [6]. Daraus erhellt für Dilthey unmittelbar, daß die Anzahl der K. nicht feststehen «und ihr Verhältnis nicht auf eine logische Form gebracht werden kann» [7]. Gleichwohl bilden sie in sich systematische Zusammenhänge, so daß die obersten K. «höchste Standpunkte der Auffassung der Wirklichkeit» darstellen [8]. Als solche bezeichnen sie «eine eigene Welt der Prädizierungen» [9] und schließen sich gegenseitig aus.
Gegenüber dieser allgemeinen mehr historisierenden Bestimmung des K.-Begriffs, der am allgemeinen Leitfaden der Analyse des Lebens gewonnen und in systematischer Hinsicht nicht ohne Bruch entwickelt wird, expliziert Dilthey in einer Analyse der primären Erlebnisstruktur den grundlegenden Unterschied von formalen und realen K. [10]. Sofern dem Erleben Denkleistungen bereits immanent sind, entstehen die formalen K., wie Einheit, Vielheit, Gleichheit, Unterschied, Beziehung, die für alle Wirklichkeit schlechthin Geltung beanspruchen [11]. Sofern, Erleben aber zugleich Verstehen einschließt und im Verstehen aufgefaßt wird, entspringen mit der Zeitlichkeit [12] als der ersten K. des Lebens die Struktur-K. Wert (Gegenwart), Zweck (Zukunft) und Bedeutung (Vergangenheit) [13], aus deren Ineinander kategoriale Begriffe wie Gestaltung und Entwicklung des Lebens sich herleiten lassen. Indem nur durch die K. der Bedeutung «das bloße Nebeneinander, die bloße Unterordnung der Teile des Lebens» [14] im Gegensatz zu den anderen Primär-K. überwunden wird, erweist sich die K. der Bedeutung als die erste K. In ihr sind alle Formen der Aussage über Leben und Geschichte grundgelegt, die als reale K. der geschichtlichen Welt bis hin zur Idee des Wirkungszusammenhangs entfaltet werden. Diesen dem Verstehen des Lebens entnommenen realen K. der Geschichte stehen die realen K. der Natur als K. eines anderen Bereichs gegenüber. Während also die formalen K. für alles Auffaßbare überhaupt gelten, differenzieren sich die realen K. nach den Bereichen Natur und Geschichte. Sofern allerdings die Welt der Geschichte gegenüber der Naturwelt die grundlegende Wirklichkeit darstellt, da die Naturgestalten wiederum als Objektivationen des Lebens begriffen werden können, bleibt die von Dilthey herausgestellte Nebenordnung realer Natur- und Geschichts-K. ebenso zweideutig, wie das Verhältnis von K. als Auffassungsart zu K. als allgemeine Strukturbestimmung des Erlebens.
[1]
W. Dilthey: Der Aufbau der gesch. Welt in den Geisteswiss. (1910). Ges. Schr. 7, hg. B. Groethuysen (51968).
[2]
Vgl. a.a.O. 191ff.; vgl. auch P. Krausser: Krit. der endlichen Vernunft. Diltheys Revolution der allg. Wiss.- und Handlungstheorie (1968) 84ff. 210–219.
[3]
Vgl. Dilthey, a.a.O. [1] 228ff.
[4]
232.
[5]
192.
[6]
Vgl. ebda.
[7]
232.
[8]
192.
[9]
ebda.
[10]
196.
[11]
ebda.
[12]
192.
[13]
Vgl. 201f. 362 Anm.
[14]
202.
b) G. Simmels später lebensmetaphysischer Ansatz enthält eine eigentümliche Vermittlung transzendentalphilosophischer Theoreme mit lebensphilosophischen Fragestellungen, die auf einen K.-Begriff führt, der, obgleich er nicht zu einer detaillierten Theorie ausgearbeitet wird, seine philosophische Grundhaltung gleichwohl paradigmatisch zum Ausdruck bringt. Ausgehend von der Einsicht, daß der Mensch in allen seinen Lebensäußerungen notwendig auf Grenzen stößt, die er nur durch den Akt der Selbsttranszendenz überschreiten kann, konzipiert Simmel einen Begriff von Leben, dem die Transzendenz immanent sein muß, d.h. ein Leben, das sich geistig permanent selbst überwinden muß, grenzenlose Kontinuität und Grenzbestimmung zugleich ist. Das Leben ist mit dem Paradoxon behaftet, sowohl der Form zu bedürfen als auch sie in der Kreation neuer Formen immer wieder überwinden zu müssen, um Leben sein zu können. Die auf diese Weise unhintergehbare Leben-Form-Korrelation ist bei Simmel Ausdruck einer Problematisierung der Lebensphilosophie, auch diltheyscher Provenienz; wenn auch Begriffe das Leben nicht adäquat erfassen können, sind sie dennoch unabdingbar für sinnvolles Reden über das Leben.
So fordert die Mannigfaltigkeit der Lebensinhalte eine ebenso große Mannigfaltigkeit von Formen, mit deren Hilfe «die ungefüge Masse des Daseienden gefügig» gemacht werden muß [1]. Diese Formen sind die K., apriorische, aber gleichwohl geschichtlich bedingte Formen der Transformation von Weltinhalten in Erkenntnis- und Wissenschaftsinhalte. Aber die Formen der wissenschaftlichen Erkenntnis, die allgemeinsten Regeln für die Umformung der Vielheit der Erscheinungen zu einer Ganzheit, sind selbst historische Gebilde, «die deshalb die Totalität der Weltinhalte nie völlig adäquat aufnehmen» [2]. Die K. sind nichts anderes als «die großen Formen» wie Wissenschaft, Kunst, Religion usw., in die jeder überhaupt vorhandene Inhalt aufgenommen werden muß. Da unsere Reflexion «denselben Inhalt bald unter dieser, bald unter jener K. zu erblicken» meint [3], ist weder die Zuordnung von K. und unter ihr begriffenem Inhalt eindeutig, noch der Prozeß des Ergreifens der Inhalte durch die K. als abschließbar zu denken; denn die Formen stehen nicht für alle Zeiten fest, sondern sind abhängig von den «Grenzen und Besonderheiten, die die jeweilige Geisteslage ihnen läßt» [4].
Simmels Konzeption der K. ist von Kants K.-Begriff, wonach die reinen Verstandesbegriffe a priori gelten, ebenso bestimmt wie von einer lebensphilosophisch geprägten, unter dem Einfluß geschichtsphilosophischer Theoreme stehenden philosophischen Anthropologie, in der der Mensch als historisch-evolutionistisches Wesen verstanden wird, dem die mannigfaltigen Kontingenzen des Lebens ein totales Erfassen aller möglichen Inhalte verwehren. Gleichwohl ist für Simmel – vergleichbar den Intentionen des amerikanischen Pragmatismus – die Idee der Vollendung der Menschheit Maßstab der Bewertung dieser oder jener Formen und K., die für die Menschheit «in jedem Jetzt Wissenschaft bedeuten» [5].
[1]
G. Simmel: Hauptprobleme der Philos. (31913) 16.
[2]
a.a.O. 20.
[3]
Vgl. 16.
[4]
17.
[5]
Vgl. 19.
c) Aus der Auseinandersetzung mit dem mechanistisch-atomisierenden Verfahren der Naturwissenschaften einerseits und in Abgrenzung gegen Hegels triadische Dialektik andererseits entwickelt O. Spann eine Theorie des «Ganzen» als beabsichtigte Grundlage des Wissensbegriffs, um in bewußter Kontraposition zu den Naturwissenschaften neue Wege und Verfahren der Forschung zu gewinnen [1]. Spanns Deutung der Dinge als Glieder sinnvoller Ganzheiten wendet sich gegen den toten Mechanismus monokausalen Denkens zugunsten der «lebendigen Fülle» universalistischen, ursächlichen Wissens. Weil aber der «verderbliche Einfluß» des alle Wirklichkeit bloß quantifizierenden Kausalbegriffs nicht durch eine Rehabilitierung des antiken und scholastischen Zweckbegriffs – der sich durch die Resultate der Relativitäts- und Quantentheorie innerhalb der Physik als unzureichend erwiesen hat – ausgeschaltet werden kann, fordert Spann eine K., «die die Schwäche des Zweckbegriffs vermeidet, ohne in die Unwahrheit des Kausalbegriffs zurückzufallen» [2]. Dieser alles umfassende Begriff ist die «Ganzheit», die alle nicht-ursächlichen Begriffe in sich befaßt, insbesondere auch den Zweckbegriff und den antiken Formbegriff [3]. Spann gebraucht den Begriff der Ganzheit nahezu synonym zum Begriff des Seins und entscheidet sich demgemäß in dem alten Streit zwischen erkenntnistheoretischem und ontologischem Verständnis des Begriffs ‹K.› für die ontologische Interpretationsweise, nach der K. letzte Aussagen über ein Gegenständliches schlechthin bedeuten.
Spann faßt in der Folge dieser Entscheidung den Begriff der K. im Sinne von letzter objektiver Bestimmtheit und spricht daher von den K. als den «Seinsweisen oder den Urweisen des Seins» [4]. In einem wesentlichen Punkt setzt sich Spann allerdings von der von ihm als ontologisch bezeichneten aristotelischen und scholastischen Kl. ab: δύναμις und ἐνέργεια, sowie die vier «Prinzipien» – Form, Zweck, Bewegung und Stoff – müssen mit den eigentlichen aristotelischen K. zusammen in einer einzigen geschlossenen Kl. erscheinen. Alle diese Begriffe zählen zum «Gebäude der Urweisen des Seins» [5], deren Darstellung und Entfaltung das eigentliche Thema von Spanns Kl. darstellt. Aus den von ihm selbst ausgezeichneten «Lehrsätzen zur Bestimmung des Wesens der Ganzheit», wonach das Ganze in den Gliedern geboren wird, vor den Gliedern ist und in ihnen nicht untergeht, entwickelt Spann seine Einteilung der Urweisen in die K. der Ausgliederung, Rückverbindung und Vollkommenheit [6]. Die Urweise, wie Ganzheit zur Erscheinung gelangt, ist die Ausgliederung. Da das Ausgegliederte aber in der Ganzheit verwurzelt bleibt, sind die Glieder im Grunde enthalten (Rückverbindung). «Fortdauernde Rückverbindung ist notwendig, um die Ausgliederung, wie das Ausgegliederte weiter lebendig zu erhalten» [7]. Aus Ausgliederung und Rückverbindung ergibt sich die Vollkommenheit, das Gesollte und zugleich Gewollte. Aus der Ganzheit könnte nichts ausgegliedert werden, wenn nicht das Ganze als Beharrendes vorgestellt werden könnte; somit ist das Ausgegliederte nur ein solches, weil es im Ganzen zugleich gebunden ist. «Sein ist kein ruhendes, in sich verharrendes Sein, sondern alles Sein ist ein stetes Vergehen und Neugeschaffenwerden» [8].
Die Interpretation des Seins als entweder unterbrochenes oder intermittierendes Sein erinnert an Diltheys schaffende Kraft des «Lebens» wie an Hegels von Spann abgelehnte und dennoch in modifizierter Gestalt übernommene dialektische Grundfigur. Wenn auch die differenten Inhalte der «Welt» nicht von den notwendig formalen Seinsweisen, K., abgeleitet werden können, so besteht dennoch eine Abhängigkeit eben dieser Inhalte von dem Urbild der Ganzheit, dessen «Ebenbild» die Welt ist. Diese Konzeption der Welt als eine Entsprechung zum Urbild der Ganzheit führt Spann in die Nähe einer an Platon und Aristoteles orientierten, von ihm so genannten «klassischen Ontologie», in die seine Kl. einmünden soll. Die Verbindung ontologischer Grundannahmen mit lebensphilosophischen Theoremen in Spanns Kl. kann als Repräsentant einer sowohl klassische Konzeptionen des Terminus ‹K.› adaptierenden als auch zeitgebundene Ausgestaltungen überkommener Termini aufgreifenden Philosophie verstanden werden, in welcher der Terminus ‹K.› allerdings primär nur noch Surrogatfunktion für totgesagte, aber dennoch virulente metaphysische Systemkonzeptionen besitzt.
[1]
Vgl. O. Spann: Kl. (1924) 3.
[2]
a.a.O. 46.
[3]
Vgl. 53.
[4]
49.
[5]
Vgl. ebda.
[6]
Vgl. 88f.
[7]
288.
[8]
320.
3. Inflation des Kategorienbegriffs; O. Külpes Versuch seiner Wiedergewinnung. – Während die neukantianischen und lebensphilosophischen Interpretationen des K.-Begriffs bei aller Disparatheit ihrer Grundansätze doch noch als Versuche einer jeweils einheitlichen philosophischen Konzeption verstanden werden können, bilden sich zur selben Zeit nahezu unüberschaubare, voneinander weitgehend unabhängige Deutungen der Kl. heraus, die größtenteils im Umkreis des «Kritischen Realismus» und der «Induktiven Metaphysik» die Idee einer an den divergenten einzelwissenschaftlichen Fragestellungen orientierten Regionalisierung des K.-Begriffs vorantreiben, in geringerem Maße aber auch eine Verbindung klassischer, d.h. vorwiegend aristotelischer, kantischer und idealistischer Konzeptionen mit erfahrungswissenschaftlichen Methoden und Resultaten anstreben.
R. Eisler führt allein für die Zeit des späten 19. und frühen 20. Jh. etwa 100 sowohl historiographische als auch systematische Arbeiten zur K.-Problematik an [1], in denen sich – von wenigen konstruktiven Ausnahmen abgesehen – jene aporetische Grundsituation widerspiegelt, die aus der radikalen Abwendung von den universalen Konzeptionen des deutschen Idealismus und der gleichzeitigen Übernahme und Weiterbildung der induktiven Methode der Naturwissenschaften in der Diskussion um die Kl. entstanden war. Durchgehend ist lediglich die Einsicht in die Unmöglichkeit, die für die Wissenschaften geltenden K. aus einem letzten Prinzip herzuleiten; andererseits konnte die Vielzahl der Gegenstände der Wissenschaften nicht zum Maßstab der Auffindung der K. dienen, wenn der Terminus ‹K.› nicht die ihm von Aristoteles und Kant verliehene allgemein philosophische bzw. erkenntniskritische Bedeutung vollends verlieren sollte.
Repräsentativ für die Intention, nach Maßgabe der neuen Problemlage einen konsistenten und eindeutigen K.-Begriff wiederzugewinnen, ist der Versuch O. Külpes, in der Auseinandersetzung mit der idealistischen Konzeption des K.-Begriffs eine eigene, dem psychologisch-kritischen Realismus entsprechende Kl. zu gewinnen [2]. In Gegenwendung zum Idealismus, in dem nach Külpe das Denken seine Gegenstände nicht nur beeinflußt, sondern geradezu schafft, bedeuten die K. für ihn allgemeinste Bestimmtheiten von Gegenständen und müssen deshalb als die Begriffe dieser Bestimmtheiten bezeichnet werden [3]. Aus dieser Voraussetzung folgt unmittelbar, daß die K. «sich nach den Gegenständen und deren Einteilung in ihrer eigenen Klassifikation richten» [4]. Die Interpretation der K. als Gegenstandsbestimmheiten kann nach Külpe in der Tradition des K.-Problems von Aristoteles bis zum Beginn der Neuzeit nachgewiesen werden und fand ihr Ende erst in der durch Locke angebahnten und von Kant durchgeführten Umwandlung der K. zu spezifischen Produkten des oberen Erkenntnisvermögens [5]. Erst neuere Konzeptionen der Kl. (Rehmke, W. Wundt, Driesch, Külpe, Geyser) bestreiten die Möglichkeit, die Mannigfaltigkeit der kategorialen Bestimmungen aus der Natur des Denkens ableiten zu können, indem sie betonen, daß K. als «inhaltlich bestimmte Begriffe» nicht ausschließlich als Leistung des Verstandes gedacht werden können [6]. «Alle Arten der Synthesis sind nur auf Grund der Gegenstände, an denen sie statthaben, zu differenzieren» [7]. Wenn die Gegenstände selbst nicht auf gewisse Weise bestimmt sind, so können auch die Denkfunktionen nicht auf sie «angewandt» werden; denn «die K. selbst sagen uns ja nicht, worauf sie angewandt werden wollen» [8]. Die Orientierung der K. an den Gegenständen einerseits und der Verschiedenheit der Gegenstandsbereiche andererseits hat zur Konsequenz, daß kategoriale Bestimmtheiten als objektive Beschaffenheiten bzw. Beziehungen der Gegenstände verstanden werden müssen und ihr jeweiliger Geltungsbereich sowohl von den mannigfaltigen Gegenstandsgebieten als auch von der Vielfalt möglicher, sei es allgemeinerer oder speziellerer Gegenstandsbestimmtheiten abhängig ist [9].
[1]
R. Eisler: Art. ‹K.›, in: Wb. der philos. Begriffe 1–3 (41927–1930) 1, 793–810, bes. 799ff.
[2]
O. Külpe: Zur Kl. (1915).
[3]
Vgl. a.a.O. 4.
[4]
66.
[5]
Vgl. 8f.
[6]
Vgl. 37.
[7]
41.
[8]
54.
[9]
Vgl. 46.
4. Phänomenologie und existenziale Hermeneutik. – a) E. Husserls Kl. gewinnt ihre Grundbestimmungen im Rahmen des von ihm skizzierten Entwurfs einer umfassenden Wissenschaftstheorie, die in den Werken ‹Logische Untersuchungen› [1], ‹Formale und transzendentale Logik› [2] und in den ‹Ideen ...› [3] fortschreitend entfaltet wird. Ausgehend von der Idee einer vollständigen Bestimmung der Gegenstände empirischer Tatsachenwissenschaften skizziert Husserl die eidetischen Wissenschaften als materiale Ontologien, in denen die obersten materialapriorischen Grundbestimmungen als Korrelate einer Wesenserschauung zur Darstellung gebracht werden: «Jede Tatsachenwissenschaft (Erfahrungswissenschaft) hat wesentliche theoretische Fundamente in eidetischen Ontologien» [4]. Sofern sich jede empirische Gegenständlichkeit gemäß ihrem materialen Wesen einer obersten materialen Gattung, d.h. einer «Region» von empirischen Gegenständen einordnet [5], entwickeln die materialeidetischen Ontologien regionale K. als synthetisch-apriorische Wesenswahrheiten, die zugleich irreduktible Klassen synthetischer Erkenntnisse a priori (regionale Axiome) begründen [6]. Sofern jedoch mit den regionalen Bestimmungen der Gegenständlichkeit noch nicht Gegenständlichkeit überhaupt ihrem Begriffe nach erschöpft ist, muß im Sinne Husserls den materialen regionalen Ontologien eine formale Ontologie vorgeordnet werden, die die Grundbestimmungen der Gegenstände als solcher unabhängig von jeder spezifischen materialen Bestimmtheit analysiert. Das in ihr thematisierte «formale Wesen ‹Gegenstand überhaupt›» [7] führt ihn zu den diesem Wesen zugehörigen «formalen K.» als den zugleich logischen und analytischen K. der sogenannten formalen Region, die im Gegensatz zu den materialen Regionen nicht eigentlich Region, «sondern leere Form von Region überhaupt» [8] ist. «Diese Unterordnung des Materialen unter das Formale bekundet sich nun darin, daß die formale Ontologie zugleich die Formen aller möglichen Ontologien überhaupt ... in sich birgt, daß sie den materialen Ontologien eine ihnen allen gemeinsame formale Verfassung vorschreibt» [9]. Sofern die formale Ontologie als Wissenschaft von der logischen Region des Gegenstandes überhaupt im umfassenden Sinne auch die formale Apophantik als Bedeutungslehre mit umfaßt, gehören nach Husserl zu den formalen und logischen K. im weiteren Sinne neben den allgemeinsten Bestimmungen eines Gegenstandes überhaupt auch die «Bedeutungs-K.» [10].
Neben dieser Gliederung der formalen logischen K. in Bedeutungs-K. und formal gegenständliche K. im engeren Sinne entwickelt Husserl am Leitfaden der logischen Grammatik eine weitere Unterscheidung in syntaktische K. und Substrat-K. Gemäß den ihnen zugeordneten Korrelaten der syntaktischen Formen bzw. syntaktischen Gegenständlichkeiten (Sachverhalt, Relation, Beschaffenheit usw.) einerseits, den analog zu syntaktischen Substraten oder Stoffen gewonnenen letzten Substraten andererseits teilt sich ihm die formale Region «Gegenständlichkeit – überhaupt» in letzte Substrate und syntaktische Gegenständlichkeiten [11]. In der Anwendung dieser K.-Differenz auf die materialen sachhaltigen Regionen führen insbesondere die Substrat-K. zu der für alle materialen Ontologien wesentlichen Grunddisjunktion von «sachhaltigem letzten Wesen» und «dies da» (τόδε τι) [12].
Husserls Grundunterscheidung der K., für deren reflexiv-kritische Verwendung in philosophischen Kontexten und zur Vermeidung von Mißverständnissen er die strikte Unterscheidung von K. als Begriff (Bedeutung) und K. als kategoriales Wesen (bedeutete Gegenständlichkeit) einführt [13], ist gewonnen am Leitfaden der wissenschaftstheoretisch relevanten Unterscheidung von formaler Ontologie (logische Region des Gegenstandes überhaupt) und materialer Ontologie (materiale Regionen letzter sachhaltiger Bestimmtheiten verschiedener Gegenstände). Sie führt ihn zu einer Differenzierung der K. nach formalen, d.h. sowohl logisch-apophantischen wie logisch-ontologischen Grundbegriffen von Gegenständen überhaupt, die als unbedingt notwendige Konstitutionsbestimmungen eines Irgendetwas analytischen Charakter besitzen; und nach regionalen K., die als oberste materiale Gattungen synthetisch-apriorische Wesenswahrheiten zum Ausdruck bringen.
Wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist in diesem Konzept nicht nur die Ortsverschiebung des K.-Problems von der transzendentalen Logik auf formale und materiale Ontologie, in deren Zusammenhang auch die in der Linguistik aufgegriffene Vorstellung syntaktischer K. gewonnen wird, sondern auch die mit der Differenzierung von analytischen und synthetisch-apriorischen K. inaugurierte Auffächerung des K.-Themas, die sowohl für die spätere Unterscheidung von Fundamental- und Regional-K. wie auch für die im Zeichen der Regionalisierung des K.-Problems stehende Veränderung des Sinnes von K. als wesenhafter Seinsbestimmung maßgeblich geworden ist.
[1]
E. Husserl: Log. Untersuch. (1900, 51968).
[2]
Formale und transzendentale Logik, in: Jb. Philos.u. phänomenol. Forsch. 10, hg. E. Husserl (1929) 1–298.
[3]
Ideen zu einer reinen Phänomenol. und phänomenol. Philos. 1 (1913). Husserliana 3 (Den Haag 1950).
[4]
a.a.O. 24.
[5]
Vgl. 23.
[6]
Vgl. 38.
[7]
Vgl. 26.
[8]
Vgl. 27.
[9]
ebda.
[10]
Vgl. 28.
[11]
Vgl. 30.
[12]
Vgl. 34.
[13]
Vgl. 29.
b) Der frühe M. Heidegger bestimmt in seiner Habilitationsschrift [1] K. als «Elemente und Mittel der Sinnesdeutung des Erlebbaren – des Gegenständlichen überhaupt» [2], deutet aber die Unvollkommenheit und Einseitigkeit bloß erkenntnistheoretischer Fragestellungen in der K.-Problematik bereits an, indem er über das bloße «Buchstabieren der Wirklichkeit» [3] – vergleichbar dem von Leibniz geforderten «Alphabet der menschlichen Gedanken» – hinaus einen «Durchbruch in die wahre Wirklichkeit und wirkliche Wahrheit» [4] als vordringliche Aufgabe der Philosophie ansieht.
In der «Daseinsanalytik» in ‹Sein und Zeit›, in der in Anlehnung an Kierkegaards Sprachgebrauch das Sein des Daseins, des Menschen, als Existenz bezeichnet wird, sollen in existenzialer Analyse die Seinsstrukturen der Existenz herausgehoben werden; diese «Seinscharaktere des Daseins» werden als «Existenzialien» bezeichnet und «sind scharf zu trennen von den Seinsbestimmungen des nichtdaseinsmäßigen Seienden, die wir K. nennen» [5]. «Existenzialien und K. sind die beiden Grundmöglichkeiten von Seinscharakteren» [6]. Heidegger hält ausdrücklich an der von ihm so bezeichneten «ontologischen» Bedeutung der K. fest: «Das je schon vorgängige Ansprechen des Seins im Besprechen (λόγος) des Seienden ist das κατηγορεῖσθαι» [7]. Das von ihm entwickelte Programm der Klärung des Sinnes des Seins des ausgezeichneten Seienden (des Menschen, dem allein die Seinsweise des Daseins zukommt) rückt die K.-Problematik zugunsten der Freilegung der Existenzialien in den Hintergrund. Obgleich aus der Analogie zur ontologischen Verwendungsweise des Terminus ‹K.› gewonnen, besitzt der Terminus ‹Existenzial› eine der Erkenntnistheorie übergeordnete sinnkritische Funktion. Heideggers Umwandlung der transzendentalen Logik als Analyse der transzendentalen Subjektivität zu einer existenzialen Hermeneutik des Daseins wiederholt so in verändertem Kontext Husserls Restriktion des K.-Problems auf einen gegenüber der transzendentalen Logik sekundären Bereich.
[1]
M. Heidegger: Die K.- und Bedeutungslehre des Duns Scotus (Habil.schr. 1915, publ. 1916), ND in: Frühschr. (1972) 133ff.; vgl. Anm. [5. 7. zu II/4].
[2]
a.a.O. 229.
[3]
Vgl. 236.
[4]
Vgl. ebda.
[5]
Sein und Zeit (1927, zit. 111967) 44.
[6]
a.a.O. 45.
[7]
44.
5. Neue Kosmologie und Ontologie. – a) In Auseinandersetzung mit der rationalistischen philosophischen Tradition von Descartes bis Kant und unter Rückgriff auf lebensphilosophische Theoreme (Bergson) und den amerikanischen Pragmatismus (William James, Dewey) entwickelt A. N. Whitehead in seinem späten Hauptwerk ‹Process and Reality› [1] eine am Begriff der «experience», der Erlebnisrealität im weitesten Sinne [2] orientierte spekulative Kosmologie, die mit dem Gedanken des Werdens zugleich den der Bezüglichkeit (relatedness) [3] in den Mittelpunkt stellt. Die in diesem Zusammenhang als «categoreal scheme» [4] entwickelten K. besitzen den Stellenwert hypothetischer, universaler und kosmologischer Grundbegriffe. Als «generic notions inevitably presupposed in our reflective experience» [5] sind sie Begriffe, die aus der Analyse der Erlebnisrealität (experience) gewonnen sind und durch die wiederum jedes Element unserer Erfahrung interpretiert werden kann. Dem Anspruch nach sind daher die K. in ihrer Gesamtheit als «categoreal scheme» ein kohärentes, logisches, notwendiges System allgemeiner Begriffe [6], das sich in der Interpretation der im common sense gegebenen Erfahrungswelt als zugleich applikabel und adäquat erweisen muß. Die philosophische Erfahrungsanalyse führt demgemäß nach Art der empirischen Wissenschaften zu einem System universaler Hypothesen, die an der Tauglichkeit zur Interpretation eben dieser Erfahrungswirklichkeit falsifiziert werden können. In diesem Sinne soll der Fortgang des Werkes ‹Process and Reality› die von Whitehead im ersten Teil skizzierten kategorialen Grundbegriffe bewähren. Ausgehend von den «most concrete elements in our experience» [7] – «actual entity» (aktuale Entität, Ereignisse, Vorgänge), «prehension» (Erfassungsakte im weitesten Sinne) und «nexus» (Verhältnis der wechselseitigen Immanenz) – skizziert Whitehead die vier K.-Gruppen: the Category of the Ultimate, categories of existence, categories of explanation, categoreal obligations [8], wobei die «Category of the Ultimate» als das letzte Prinzip, «by which the many, which are the universe disjunctively, become the one actual occasion, which is the universe conjunctively» [9], das allgemeine Prinzip zum Ausdruck bringt, welches in den drei mehr speziellen K.-Gruppen vorausgesetzt ist. Während dieses gemäß den Begriffen der Einheit, Vielheit, Identität und Verschiedenheit die vielen verschiedenen Entitäten in einen schöpferischen dynamischen Zusammenhang verknüpft (creativity, production of novel togetherness) [10], formulieren die acht K. der Existenz, die siebenundzwanzig K. der Erklärung und die neun kategorialen Gesetzmäßigkeiten (obligations) einzelne kategoriale Bestimmungen, die in der Category of the Ultimate, als dem letzten metaphysischen Prinzip des Übergangs von Disjunktion zu Konjunktion, bereits als Strukturmomente enthalten sind.
Der Ansatz seiner Kl. bei der dynamisch verstandenen Lebens- und Erlebniswirklichkeit und ihren letzten konkretesten Elementen der «actual entity», «prehension» und des «nexus» führt Whitehead zu einer begrifflichen Reproduktion der nach Art eines Organismus sich dynamisch entfaltenden Prozess-Werde-Wirklichkeit. Seine K. stellen sich daher als allgemeine und hypothetische Interpretationsbegriffe dar, die der Intention nach die allgemeinsten Strukturen der Wirklichkeit abbilden sollen. Gemäß seiner Kantkritik, wonach er die «doctrine of the objective world as a construct from subjective experience» [11] für undurchführbar hält, besitzen die von ihm entwickelten K.-Begriffe weder apriorischen noch transzendental-erkenntniskritischen Charakter. Sie erscheinen als Begriffe, durch die das endliche menschliche Erkennen sich – hypothetisch verfahrend – den allgemeinsten Bestimmungen der Wirklichkeit annähert. Unter seinem eigenen Anspruch, ein kohärentes logisches System skizziert zu haben, bleibt jedoch die Anordnung seiner K. problematisch; während nämlich die aktualen Entitäten, die Prehensionen und die Nexūs als die grundlegenden Begriffe, denen gegenüber alles andere als abgeleitet erscheint, eingeführt werden, und damit zur «Category of the Ultimate» gehören müßten, kehren sie als die ersten drei der acht K. der Existenz in der ersten speziellen K.-Gruppe wieder, für die «the Category of the Ultimate» letzte Voraussetzung ist. Obgleich Whiteheads Kl. in diesem Sinne als inkonsistent und nicht logisch streng ausgearbeitet erscheint, ist sie im Hinblick auf den durch sie konzipierten Stellenwert des K.-Begriffs von wesentlicher Bedeutung: Mit der Bestimmung der K. als analytisch gewonnener hypothetischer Allgemeinbegriffe, welche objektive Grundbestimmungen des Seins, mithin Seinsprinzipien zum Ausdruck bringen, ist das klassische Problemfeld der Kl. zugunsten empiristisch verfahrender K.-Analyse verlassen.
[1]
A. N. Whitehead: Process and reality. An essay in cosmology (New York 1929).
[2]
Vgl. a.a.O. 24.
[3]
Vgl. VIII.
[4]
Vgl. 24.
[5]
ebda.
[6]
3.
[7]
24.
[8]
Vgl. 27.
[9]
28.
[10]
Vgl. 28f.
[11]
218.
b) In einer Auseinandersetzung mit Kant versucht H. Heyse[1] das Problem der K. in einer an Platon orientierten Ideenlehre zu fundieren. Das Problem der Erkennbarkeit der Gegenstände, das nach Heyses Interpretation von Kant als ein Problem des Denkens verstanden worden war, kann nur unter der Voraussetzung des absoluten Seins des Logos selbst diskutiert werden, der als «reines Gesetz des Zusammenhangs eines Sachverhalts» [2] die K. als Funktionen der Einheit von Gegenständen und damit als Vergegenwärtigungsweisen des Logos allererst begründet. Sofern die Welt der Dinge unter der Bedingung ihrer Erkennbarkeit in platonischem Sinne als ein «Gemischtes» (μικτόν), in dem die Idee permanent anwesend ist, verstanden werden muß, sind die Dinge immer auch von theoretischem Gehalt durchwaltet [3]. Wird auf diese Weise die Erkennbarkeit der Gegenstände durch Ideen begründet, so müssen auf Grund der von Heyse geltend gemachten Parallelität von Unbedingtem (ἀνυπόθετον) und Ding an sich – als der die Geltung der K. verbürgenden Gesetzlichkeit der Erscheinung – K. und Ideen letztlich eine Einheit bilden; die K. als gesetzlich formulierte Setzungen und Beziehungen sind nur unter der Form der Idee denkbar und setzbar [4]. Die auf diese Weise in den Ideen fundierten Ur-K. Identität, Differenz und Kontinuität bilden das «gemeinschaftliche Band», das sich durch alle spezifischen regionalen K. «hindurchschlingt» und den K. als Gesetzen spezifischer Gegenständlichkeit Einheit verleiht. Mit der Fundierung der K. in einer Ideenlehre ist der allerdings folgenlos gebliebene Versuch unternommen, die kantischen K. durch eine – dem Neukantianismus verwandte – transzendental-spekulative Letztbegründung zu fundieren und die der kantischen Theorie eigene Restriktion auf die Welt der Erfahrung bzw. Natur durch den Nachweis der Identität von Idee und K. zu vermeiden.
[1]
H. Heyse: Einl. in die Kl. (1921).
[2]
Vgl. a.a.O. 6ff.
[3]
Vgl. 9f.
[4]
Vgl. 60f.
c) N. Hartmanns Konzeption der Kl., die in bisher einzigartiger Weise die gesamte philosophische Tradition des K.-Problems in ihre Erörterungen mit aufnimmt, ist identisch mit dem Aufriß der von ihm in der Auseinandersetzung vor allem mit dem Neukantianismus versuchten neuen und kritischen Ontologie. Entsprechend der Gliederung seiner ontologischen Hauptwerke baut seine allgemeine Kl. [1] auf den in der Grundlegung der Ontologie analysierten Seinsmomenten des Daseins und Soseins wie auf den in der Reflexion der Intermodalverhältnisse aufgewiesenen Seinsweisen der Idealität und Realität auf [2]. «Im Gegensatz zu der grundlegenden Behandlung des Seienden als solchen und der Seinsweisen ist die Kl. die inhaltliche Durchführung der Ontologie» [3]. Gliedert sich diese in die Abschnitte «Allgemeiner Begriff der K.» [4], «Die Lehre von den Fundamental-K.» [5] und in die «kategorialen Gesetze» [6], und werden diese Untersuchungen ergänzt durch spezielle Abhandlungen zur Naturphilosophie ebenso wie zur Philosophie des Geistes und zur Theorie der Ästhetik [7], so ergibt sich als allgemeiner Umriß der von Hartmann intendierten K.-Analyse [8] die grundlegende Aufteilung der K. in Fundamental-K. und Gebiets-K. der Naturphilosophie und der Philosophie des Geistes. Innerhalb der Fundamental-K. finden sich neben den Modal-K. die elementaren Gegensatz-K. und die K. der Quantität und Qualität, von denen in Sonderheit die K. der Quantität eine merkwürdige Zwischenstellung einnehmen [9]. Obgleich die von Hartmann ebenfalls zu den Fundamental-K. gerechneten kategorialen Gesetze der «Geltung», «Kohärenz», «Schichtung», «Dependenz» [10], in denen nicht nur der Strukturaufbau der realen Welt sich widerspiegelt, sondern zugleich «der eigentliche Einheitstypus der realen Welt», «der Systemtypus des Seienden» [11] formuliert ist, die primäre und eigenständigste Leistung Hartmanns darstellen, entscheidet sich der eigentümliche Charakter und der Stellenwert seines K.-Begriffs nicht erst in deren Analyse, sondern vorgängig dazu in seinen vielfältigen Auseinandersetzungen mit der traditionellen Kl.
Diese Auseinandersetzungen beziehen sich in Sonderheit auf den phänomenologischen Wesensbegriff, die Theoreme eines kategorialen Chorismos und kategorialer Homonymie, auf teleologistische, normativistische und formalistische Konzeptionen der traditionellen Ontologie; sie diskutieren neben den Konzeptionen eines kategorialen Apriorismus und Rationalismus und neben den Vorurteilen, die aus der beanspruchten Identität von Erkenntnis-K. und Seins-K. hervorgehen, ebenso die aus philosophischer Systematik entspringenden Vorurteile des Einheitspostulates (kategorialer Monismus), des kategorialen Dualismus sowie des Harmoniepostulats [12]. Die Folge dieser Auseinandersetzung ist eine spekulative Neutralisierung des K.-Begriffs, die sich in folgende negative Bestimmungen zusammenfassen läßt: K. sind weder identisch mit den Wesenheiten der idealen Sphäre, noch sind sie selber a priori erkennbare, apriorische subjektive Prinzipien des Erkenntnisgegenstandes, noch reine Erkenntnisse; sie sind nicht den platonischen Ideen vergleichbare Prinzipien, die einem eigenen durch Chorismos von seinen Prinzipiaten getrennten Gegenstandsbereich angehören; sie sind nicht Formen, die rational, d.h. durch sich selbst erkennbar wären und ebensowenig Prädikate oder Begriffe. In positiver Formulierung bleibt für die Bestimmung der K. nur der Begriff des allgemeinen determinierenden Prinzips eines Konkretum; K. sind demnach allgemeine inhaltliche Bestimmungen des je nach den Seinssphären (Realität, Idealität, Erkenntnissphäre und logische Sphäre) sich verschieden bestimmenden konkreten Daseins. Sofern die genannten einzelnen Seinssphären auf je verschiedene Weise mannigfaltig in sich abgestuft sind, ergeben sich sowohl je nach Schichtenzugehörigkeit allgemeinere und speziellere K. wie auch der spezifische Unterschied von Fundamental-K., die sich in minimaler Abwandlung durch die jeweiligen Schichten bzw. Stufen einer Seinssphäre durchhalten, und der auf den Fundamental-K. aufruhenden speziellen Gebiets-K.
Zentraler Gesichtspunkt der Hartmannschen Konzeption des K.-Begriffs in seiner Allgemeinheit, der bereits seit seiner ‹Metaphysik der Erkenntnis› [13] seine Auseinandersetzung mit der Tradition als Leitfaden bestimmte, ist die realistische Konzeption der Erkenntnistheorie, die Erkenntnis als ein Erfassen [14] und d.h. als ein sekundäres Realverhältnis zwischen einem realen Subjekt und einem realen Objekt begreift, welches wesentlich als übergegenständlich gedacht wird. Aus der Transzendenz des Erkenntnisverhältnisses auf das Seiende und aus der vorweg in Anspruch genommenen Möglichkeit wahrer Erkenntnis der einen übergegenständlichen Welt [15] ergeben sich die beiden grundlegenden, einander überschneidenden und für Hartmanns Ontologie im ganzen maßgeblichen Disjunktionen von Denken und Welt (von Begriff und selbständigem unabhängigem Erkenntnisgegenstand) und von intentio recta der ontologischen Erkenntnis und intentio obliqua der Erkenntnistheorie, aufgrundderen die erkenntnistheoretische Reflexion als ein prinzipiell sekundäres Produkt philosophischer Erkenntnis erscheint. In diesem Sinn verdankt sich die Erkenntnis der K. der Erkenntnishaltung der intentio recta, die selbst allerdings durch eine Vielfalt funktionierender kategorialer Bestimmungen und durch mannigfache, unter der Voraussetzung möglicher Wahrheitserkenntnis postulierte K.-Identitäten bestimmend ist.
Hartmanns spekulative Neutralisierung des K.-Begriffs, die hinsichtlich der philosophischen Tradition der Kl. einer merkwürdigen Trivialisierung des Problems gleichkommt, hat mit der Auffassung der K. als allgemeiner determinierender Seinsprinzipien des sphären-spezifisch-verschiedenen Konkreten nicht nur einen inflationistischen Gebrauch des Terminus zur Folge, sondern auch eine gerade Hartmanns eigenen Intentionen widersprechende Verletzung des wissenschaftlichen Ökonomieprinzips, der zufolge die Erklärung des Erkenntnisvorgangs selbst grundsätzlich aporetisch bleibt: Müssen doch zu seiner Möglichkeit die wenigstens partiale Identität bzw. partiale grundsätzliche Übereinstimmung von mindestens sechs verschiedenen K.-Gruppen behauptet werden. Die Frage, wie die Real-K. des Subjekts bis hin zu den psychischen Akt-K. der Erkenntnis, die K. des Erkenntnisgebildes, die K. der idealen und logischen Sphäre und die Real-K. des Erkenntnisgegenstandes prinzipiell aufeinander bezogen sein können, bedürfte zu ihrer Klärung eines Wissens, das Hartmann auf Grund seiner Theorie als spekulatives Wissen jedoch ablehnt, und bleibt daher notwendig offen. Ist auf diese Weise auf Grund der Voraussetzung eines naiven Wahrheitsverständnisses die erkenntnisbegründende Identität von K. nur beansprucht, ohne daß ihre eigene Möglichkeit gezeigt werden kann, so wirkt die durch die Komplizierung des Problems indizierte Problematik auf die Beurteilung der philosophischen Tragfähigkeit eines derart neutralisierten K.-Konzepts zurück. Die Plausibilität des erkenntnisrealistischen ontologischen Ansatzes erscheint durch die Konzequenzen prinzipiell in Frage gestellt.
Auf Grund der Umformulierung des K.-Begriffs zu einem nur noch aus der Funktion der Bestimmung gedachten allgemeinen Seinsprinzip wurde Hartmanns Kl. jedoch gleichwohl in mehrfacher Hinsicht wirkungsgeschichtlich bedeutungsvoll: Die durch ihn begründete Hinwendung zur empirischen Forschung, die die Philosophie in einen engen Konnex mit allen Einzelwissenschaften bringt, verweist die philosophische Reflexion in eine mehr oder weniger rezeptive Rolle und motiviert deren Hinwendung zu einer Historiographie, die u.a. unter dem Titel ‹Geschichte der Kl.› eine umfassende Geschichte aller philosophischen Prinzipienbegriffe intendiert. Andererseits ist der dem K.-Begriff von Hartmann verliehene unspezifische Charakter vermutlich Ursache dafür, daß weder in den gleichzeitigen noch in den späteren philosophischen Untersuchungen sowohl sprachanalytischer wie transzendentaler Provenienz das Hartmannsche Konzept weiter reflektiert wird.
[1]
N. Hartmann: Der Aufbau der realen Welt (1940, 21949).
[2]
Vgl. Zur Grundlegung der Ontol. (1935); Möglichkeit und Wirklichkeit (1938).
[3]
a.a.O. [1] 2.
[4]
Vgl. IX.
[5]
Vgl. XI.
[6]
Vgl. XIV.
[7]
Vgl. Das Problem des geistigen Seins (1933); Philos. der Natur. Abriß der spez. Kl. (1950); Ästhetik (1953, 21966).
[8]
Vgl. Art. ‹Kategorialanalyse›.
[9]
Vgl. a.a.O. [1] 207f.
[10]
Vgl. 412–574.
[11]
Vgl. 575.
[12]
Vgl. 41–170: Allg. Begriff der K.
[13]
Grundzüge einer Met. der Erkenntnis (1921, 41949).
[14]
Vgl. a.a.O. [1] 8.
[15]
Vgl. 20 u.ö.
d) In Anlehnung an N. Hartmanns Deutung der Philosophie als Kategorialanalyse entwickelt H. Wein[1] die Grundzüge einer «Strukturlogik», die in bewußter Abgrenzung gegen formale, transzendentale und subjektivspekulative Auffassungsweisen der Logik auf den Resultaten der neuen Ontologie und Kosmologie aufbaut. Demzufolge weist Wein alle Versuche ab, die Grundweisen durchgängiger Strukturiertheit aller «Etwasse», die er K. nennt, traditionsgemäß aus einem obersten Prinzip abzuleiten und in einer Tafel festzuhalten. Die K. als «Ordnungszüge», die durch die Bereiche der einzelnen Wissenschaften «hindurchgehen» [2], bilden eine Netzwerk und stehen in gegenseitiger Implikation [3], was ihre «Deduktion» bereits im Ansatz als transzendental-spekulative Absurdität erscheinen läßt. Ihre Zusammengehörigkeit wird einzig durch die immer schon «strukturierte» Welt, dem «Inbegriff aller Etwasse» [4] verbürgt. Die auf diese Weise als Ordnungszüge eines zusammenhängenden Kosmos interpretierten K. sind in Hartmanns Sinne «K. der Welt», können demzufolge nicht mehr auf «diese oder jene simplices» zurückgeführt, sondern nur mit Hilfe der induktiven Methode gewonnen werden. Gleichwohl verzichtet Wein im Gegensatz zum Positivismus nicht auf einen «prinzipiellen Zugang zum Problem der Systematik der K.». «Alle K. haben zur Voraussetzung, daß die ‹Welt der Etwasse› geordnete Welt, ‹Welt-mitStruktur› ist» [5]. Auf dieser Basis, die Wein in Heraklits «Harmonie» ebenso wie in Whiteheads «General interconnectedness of things» und N. Hartmanns «Dimensionalität» der Welt wiederfindet, kann er den Zusammenhang des «einen» mit dem «anderen» [6], die «Reihenordnung» aus dem elementarsten Typ kosmologischer Ordnung darstellen, sie prozessual interpretieren [7] und als Symbol für die Synthesis heterogener Etwasse verstehen. Weins «Strukturlogik», die Erforschung «neutraler» Ordnungsbefunde [8], bestimmt die K. letztlich als «Ordnungszüge der allgemeinen Bezüglichkeit» [9] und läßt demzufolge seine «metakategoriale Systematik» [10] auf einem «Minimum» an Ordnung in der Welt basieren.
[1]
H. Wein: Nicolai Hartmanns «Kategorialanalyse» und die Idee einer «Strukturlogik», in: Nicolai Hartmann. Der Denker und sein Werk, hg. H. Heimsoeth/R. Heiss (1952) 173–185.
[2]
Vgl. a.a.O. 174.
[3]
Vgl. ebda.
[4]
Vgl. ebda.
[5]
179.
[6]
Vgl. 180.
[7]
Vgl. ebda.
[8]
Vgl. 181.
[9]
Vgl. ebda.
[10]
Vgl. 182.
e) Nachhaltig beeinflußt durch N. Hartmanns Kategorialanalyse und im Bewußtsein des gegenwärtigen Fehlens einer ausführlichen Historiographie zur Kl. gibt H. Heimsoeth[1] Hinweise für künftige Darstellungen der Geschichte des K.-Problems, indem er die für Hartmann ausschlaggebenden historischen Vorbedingungen einer als Kategorialanalyse verstandenen ontologischen Philosophie aufzeigt. Aus der Analyse der verschiedenen zu berücksichtigenden Perspektiven: der Differenz von Erkenntnis- und Seins-K., der systematischen «Tafel», der Angabe des Weges der Erkenntnis der K. und der für die Konzeption einzelner Kl. relevanten metaphysischen Gedankengänge ergeben sich für Heimsoeth als wesentliche Gesichtspunkte, daß eine Geschichte der Kl. sich nicht auf solche Werke beschränken dürfe, in denen der Terminus ‹K.› ausdrücklich genannt wird, daß jede zahlenmäßige Fixierung der K. trotz ihrer Übersichtlichkeit der von Hartmann herausgestellten Vielzahl und Verflochtenheit nicht gerecht werde und daß die jeweiligen Kl. immer auch im Zusammenhang mit den jeweiligen erkenntnistheoretischen und metaphysischen Grundpositionen dargestellt werden müssen. «Die K. eines Denkers geben immer Aufschlüsse über die ihn leitenden Realprinzipien» [2]. Heimsoeths besondere Berücksichtigung der «regionalen K.» im 19. und 20. Jh. ist zum größten Teil als eine rekonstruierende Erhellung der unmittelbar zu N. Hartmann führenden Problemlinien zu verstehen. Seine in der Perspektive von Hartmanns Kategorialanalyse konzipierte, obgleich nicht im Detail ausgearbeitete Geschichte der Kl. bildet in gewisser Weise den historiographischen Abschluß eines spekulativ-neutralisierten ontologischen K.-Konzepts, das philosophisch allerdings nur für den engeren Schülerkreis von N. Hartmann von Bedeutung geblieben ist.
[1]
H. Heimsoeth: Zur Gesch. der Kl., in: Nicolai Hartmann. Der Denker und sein Werk, hg. H. Heimsoeth/R. Heiss (1952) 144–172.
[2]
a.a.O. 153f.
6. Marxismus-Leninismus. – Die Auseinandersetzungen der marxistisch-leninistischen Philosophie mit der K.-Problematik sind – obwohl so gut wie keine Arbeiten über die westliche nachhegelsche Kl. vorliegen – von dem nachidealistischen unspezifischen Gebrauch des Terminus ‹K.› ebenso geprägt wie von der damit in engem Zusammenhang stehenden vorwiegenden Orientierung an (natur-)wissenschaftlichen Forschungsmethoden [1]. Als K. werden «Grundbegriffe, die die allgemeinsten und wesentlichsten Seiten der Wirklichkeit, die wesentlichsten Zusammenhänge und Beziehungen der Gegenstände widerspiegeln» [2] bezeichnet. Sie dienen als Ordnungsmomente der Analyse der materiellen Welt und haben zugleich objektiven ontologischen Inhalt, indem sich in ihnen die Wirklichkeit widerspiegelt. Neben Marx' Polemik gegen die K. des philosophischen Bewußtseins – «Für das Bewußtsein ..., dem das begreifende Denken der wirkliche Mensch und daher die begriffne Welt als solche erst das Wirkliche ist, erscheint daher die Bewegung der K. als der wirkliche Produktionsakt ..., dessen Resultat die Welt ist» [3] – ist W. I. Lenins Charakterisierung der K. als «Stufen des Heraushebens, d.h. der Erkenntnis der Welt, [als] Knotenpunkte in dem Netz, die helfen, es zu erkennen und es sich zu eigen zu machen» [4], wegweisend geblieben auch für neuere Versuche in der marxistisch-leninistischen Philosophie, den systematischen Zusammenhang der K. darzulegen: Nicht die gedanklich zu konstruierende Einheit der K. bedingt die Einheit der Mannigfaltigkeit der Dinge, sondern die Einheit der Erscheinungen in der materiellen Welt bedingt die systematische Einheit der K. [5]. Die Bedeutung der K. wird restringiert auf ihre Brauchbarkeit als «Grundbegriffe» für die Einzelwissenschaften.
Innerhalb der Philosophie wird zwischen universalen (Materie, Bewegung, Raum, Zeit usw.) und regionalen K. (differenziert nach K. der Grundlehre des historischen Materialismus, der Ethik und der Ästhetik) unterschieden, welche – ähnlich den «Dimensionen» der Welt bei N. Hartmann und den «Ordnungszügen» bei H. Wein – nicht auf eine bestimmte Anzahl von unveränderlichen «Stammbegriffen» festgelegt werden können, sondern aufgrundihrer «Elastizität» und «Historizität» [6] allenfalls ein «offenes», d.h. der Erweiterung und Modifikation fähiges System bilden können.
Die bei Losev und Kopnin gegebene Deskription des gegenwärtigen Standes der K.-Diskussion: «Was die Zusammenfassung aller K. in einem strengen System betrifft, so ist sie im gegenwärtigen Augenblick der wissenschaftlichen Entwicklung noch nicht endgültig durchgeführt und bedarf weiterer Ausarbeitung» [7], kann als paradigmatische Stellungnahme der neueren marxistisch-leninistischen Philosophie zur Problematik der K.-Theorie gewertet werden; analog zu dem bis zu N. Hartmann reichenden Desinteresse gegenüber dem Problem der Legitimität eines in sich konsistenten K.-Begriffs und seiner Verwendung enträt auch die marxistisch-leninistische Philosophie einer philosophischen, d.h. allen bloß pragmatischen Gebrauch transzendierenden Begründung des Terminus ‹K.› [8].
[1]
Vgl. E. Vollrath und H. Fleischer: Art. ‹K.›, in: Sowjetsystem und demokrat. Gesellschaft. Eine vergl. Enzyklop., hg. C. D. Kernig (1969) 3, 564–573.
[2]
Kategorii materialističeskoj dialektiki, hg. M. M. Rozental'/G. M. Štraks (1956); dtsch. K. der materialist. Dial. (Berlin 1959) 15.
[3]
K. Marx: Einl. zur Krit. der polit. Ök. MEW 13, 632.
[4]
W. I. Lenin, Philos. Hefte. Werke 38, 85.
[5]
Vgl. P. V. Kopnin: Dialektika kak logika (Kiev 1961) 130f.
[6]
Vgl. Fleischer, a.a.O. [1] 571.
[7]
A. Losev und P. Kopnin: Art. ‹Kategorii›, in: Filosofskaja enciklop., hg. F. V, Konstantinov u.a. (Moskau 1962) 472–475.
[8]
Vgl. Vollrath, a.a.O. [1] 572.
7. Analytische Philosophie. – Ohne direkten Kontakt, wenngleich gelegentlich in kritischer Einstellung zur philosophischen Tradition beginnt im Umkreis der analytischen Philosophie, insbesondere innerhalb der beiden Traditions- und Problemstränge der mathematisch-logischen Grundlagenforschung und der zunächst empiristisch orientierten «logic of science», eine K.-Diskussion im Rahmen des Aufbaus und der Konstruktion einer logisch perfekten Sprache, deren Methoden und Ergebnisse von Y. Bar-Hillel und N. Chomsky teilweise auch für die Linguistik fruchtbar gemacht wurden. Konstruktionen logischer «Gerüste» der Welt waren das zweite Gebiet, auf dem man sich kategorialer Unterscheidungen bediente. Auch diese Versuche standen unter einem strengen, gegen die Alltagssprache gerichteten Exaktheitsideal. Als Folge der strikten Abwendung des späten Wittgenstein vom Ziel der Konstruktion einer idealen Sprache wendeten sich die späteren Ordinary-language-Philosophen der Untersuchung der Logik der Umgangssprachen zu und erweiterten den Horizont der bisher weitgehend auf syntaktische Probleme beschränkten Forschungen der analytischen Philosophie um den bereits von phänomenologischen und linguistischen Ansätzen einbezogenen Bereich der semantischen K., wodurch jedoch auch die Bemühungen um die strenge Definition eines operationalisierbaren K.-Begriffs erheblich erschwert wurden. Bei nahezu allen Auseinandersetzungen der angelsächsischen Sprachphilosophien mit dem K.-Problem wird die kritische Funktion des Begriffs hervorgehoben: K. dienen als Schemata sinnvoller Aussagen. Die Einführung des Begriffs ‹K.› als Synonym des originär Russellschen ‹type› zeigt jedoch, daß dieser kritische Sinn nur sekundär als Wiederaufnahme der aristotelischen Bedeutung interpretiert werden kann; primär ist diese Haltung aus der grundsätzlichen Skepsis gegenüber der traditionellen Metaphysik und dem verbreiteten Bemühen um Aufdeckung philosophischer Pseudoprobleme erwachsen.
a) Wegbereiter der idealsprachlichen Philosophie wurde G. Frege durch den Aufbau einer formalen Sprache und die Einteilung aller Satzfunktionen in Stufen und Arten [1]. Wie R. Carnap konstatiert [2], löste B. Russell zwei Fehler in Freges System [3]. Er erweiterte die Einteilung aller Ausdrücke in wahre und falsche durch die Klasse der sinnlosen Ausdrücke, die Ansatzpunkt für die Kl. der späteren Ordinary-language-Philosophen waren. Der zweite Fehler Freges veranlaßte Russell zusammen mit Whitehead zur Konstruktion der Typentheorie. Frege hatte die den Prädikaten entsprechenden Klassen nicht analog zu den Prädikaten gestuft, sondern als Individuen betrachtet; auch die Kardinalzahlen, definiert als Klassen von Klassen, sah er als Individuen an. Russell erkannte, daß dieses System zu dem widersprüchlichen Begriff einer Klasse aller Klassen führte und vermied dieses Paradoxon, indem er die Klassen nicht mehr nur als Individuen auffaßte, sondern sie hierarchisch «logischen Typen» zuordnete: Werden Individuen dem Typ 0 zugeordnet, so sind Prädikate erster Stufe (Typ 1) Klassen von Individuen und Prädikate zweiter Stufe (Typ 2) Klassen von Klassen von Individuen. Gemäß dem «vicious-circle-principle» können z.B. die Klasse aller weißen Objekte und die weißen Objekte selbst keine legitime Totalität bilden, da sie verschiedenen logischen Typen angehören; umgekehrt gehören zwei Entitäten dann zu verschiedenen K., wenn ihre Vereinigung eine illegitime Totalität, also einen K.-Fehler (s.d.) hervorruft, z.B. in dem Satz «die Farbe weiß ist weiß». Daß Russell seine Typenhierarchie ursprünglich außersprachlichen Entitäten zuschrieb, führte zu einigen unlösbaren Schwierigkeiten [4], die ihn veranlaßten, seinen platonischen Realismus aufzugeben und die Typen nur noch linguistischen Entitäten (Ausdrücken) zuzuschreiben, deren Unterschied dann syntaktisch, z.B. durch Permutationstest, bestimmt werden kann. Um den Preis der Relativität auf ein bestimmtes Sprachsystem konnte nun das bisher Widersprüchliche am Begriff ‹K.›, der sich auf alle Entitäten beziehen sollte, während er doch selbst eine dieser Entitäten war, aufgehoben werden, indem man ihn dem Bereich der Metasprache zuwies.
Nach einem unbefriedigenden Versuch der Abwandlung von Russells verzweigter Typentheorie entwickelte St. Leśniewski eine an Husserl orientierte Theorie der semantischen K. [5], die seinen intuitiven Einsichten in syntaktische und semantische Strukturen korrekter Sprache gerecht werden sollte. Nach Bar-Hillel[6] hatte Husserl angenommen, daß eine Folge sprachlicher Zeichen, die in einem bestimmten Kontext «salva bene formatione» austauschbar ist, in allen Kontexten austauschbar sein müßte. Diese Annahme, gemäß der Wohlgeformtheit (als Thema der Syntax) und Bedeutungshaftigkeit (als Thema der Semantik) koextensiv sind, erhob Leśniewski zum Hauptprinzip seiner semantischen K.
Bar-Hillel übernahm ein von Ajdukiewicz zur genauen Bestimmung der syntaktischen Struktur formaler Sprachen entworfenes System und übertrug es auf die natürliche Sprache [7]. Leśniewskis Einschätzung des Kontextes als hinreichend kategorienbestimmendes Moment konnte Bar-Hillel durch die Feststellung syntaktischer Mehrdeutigkeiten von wohlgeformten Ausdrücken falsifizieren. Außerdem zog er es vor, die strikte Trennung der K., die in Leśniewskis genauer Zuordnung jedes Ausdrucks zu je einer K. aus einer unendlich erweiterungsfähigen Hierarchie impliziert war, zu lockern, indem er sprachliche Ausdrücke auch mehreren K. zuordnete. Ausgehend von R. Carnaps Beziehungen der bedingten und der vollkommenen Austauschbarkeit [8] entwickelte Bar-Hillel eine Theorie syntaktischer K., die Chomsky durch Berücksichtigung zusätzlicher Kontextbeziehungen intensivierte [9]. Nach Bar-Hillels Urteil ist die Austauschbarkeit in Kontexten keine grundlegende Relation einer für natürliche Sprachen adäquaten Grammatik; wohl kann sie Basis für Konstituentengrammatiken sein, in einer generativen Transformationsgrammatik, wie Chomsky sie entwickelte, ist sie jedoch lediglich zur Beschreibung von Oberflächenstrukturen brauchbar.
Neben lexikalische und syntaktische K., wie sie in den Strukturbeschreibungen der verschiedenen Grammatiken aufgezeigt werden, stellt J. J. Katz[10] semantische K., die er empirisch mittels Redundanzregeln als allgemeinste semantische Merkmale gewinnt, wobei auf die Möglichkeit universaler semantischer K., gewonnen als Durchschnitt aus den einzelsprachlichen K., hingewiesen wird.
Beeinflußt durch Frege und den logischen Atomismus Russells trifft der frühe Wittgenstein bei der Beschreibung der logischen Struktur der Welt im ontologischen Teil des ‹Tractatus› Unterscheidungen, die nicht er selbst, jedoch seine Interpretatoren (E. Stenius, W. Stegmüller[11]) als kategoriale Differenzierungen bezeichnen. So stellt er den «Tatsachen» in Attribute und Einzeldinge untergliederte Nicht-Tatsachen gegenüber. Diese kategorialen Unterscheidungen können jedoch streng genommen nur durch Beispiele und Analogien erklärt werden, da sie die undarstellbare «logische Form» der Begriffe betreffen [12]. Im Gegensatz zur traditionellen Ontologie will Wittgenstein seine Bestimmung der K. relativ zu einer bestimmten Art der logischen Analyse der Welt sehen – eine Auffassung, die sich auch bei Carnap und Goodman, ähnlich sogar bei Strawson wiederfindet.
Das von Frege, Russell und Whitehead bereits untersuchte Problem des Zusammenhangs logischer und mathematischer Begriffe und deren Zurückführbarkeit auf wenige Grundbegriffe wirft R. Carnap für die empirischen Begriffe auf [13], indem er neben Elementarerlebnissen als Grundelementen Grundrelationen einführt, die er als ‹K.› bezeichnet. Alle bisherigen K.-Tafeln, die er für zu reichhaltig hält, sollen auf eine einzige K. zurückgeführt werden, weswegen Carnap in seiner Konstitutionstheorie lediglich die Erinnerungsrelation verwendet. Nach dem Scheitern dieses Versuchs entwarf N. Goodman ein ähnliches System unter Verwendung einer anderen Basis, derzufolge Qualia als Grundelemente und das gemeinsame Auftreten zweier Qualitäten verschiedener K. als einzige Grundrelation eingeführt werden [14]. Bei Carnap ließe sich auch der syntaktisch definierte Begriff der «Gegenstandssphäre» als kategorialer Begriff bezeichnen, zumal er diese Sphären selbst den «Russellschen ‹Typen›, angewendet auf nicht-logische Begriffe» [15], gleichsetzt. Bei Nichtbeachtung des Unterschiedes dieser «Ordnungsformen» entsteht eine «Sphärenvermengung», ein K.-Fehler. Beispielsweise führt so die Vermischung von Eigenpsychischem und Fremdpsychischem zu Scheinproblemen.
[1]
G. Frege: Begriffsschr. (1879); Die Grundl. der Arith. (1884).
[2]
R. Carnap: Log. Syntax der Sprache (21968) 98ff.
[3]
A. N. Whitehead und B. Russell: Principia math. 1–3 (1925–1927).
[4]
Vgl. die Kritik von M. Black: Russells' philos. of language, in: The philos. of Bertrand Russell, hg. P. A. Schilpp (1944).
[5]
Vgl. E. C. Luschei: The log. systems of Leśniewski (1962).
[6]
Y. Bar-Hillel: Art. ‹Syntactical and semantical cat.›, in: Encyclop. of philos., hg. P. Edwards 8 (1967) 57–61.
[7]
ebda.
[8]
Carnap, a.a.O. [2].
[9]
N. Chomsky: Aspects of the theory of syntax (1964, dtsch. 1972).
[10]
J. J. Katz: The philos. of language (1966, dtsch. 1969); vgl. S. J. Schmidt: Bedeutung und Begriff (1969) 115f.
[11]
E. Stenius: Wittgenstein's Tractatus. A crit. expos. of the main lines of thought (1960, dtsch. 1969); W. Steg Müller: Hauptströmungen der Gegenwartsphilos. (41969) 526ff.
[12]
Vgl. L. Wittgenstein, Tractatus logico-philos. 4. 12; 4. 1212.
[13]
R. Carnap: Der log. Aufbau der Welt (21961).
[14]
N. Goodman: The structure of appearance (1951).
[15]
Carnap, a.a.O. [13] 40.
b) Weitgehend losgelöst zwar von der Diskussion in der Logik und Wissenschaftstheorie im logischen Empirismus, jedoch mit ausdrücklichem Bezug auf Aristoteles greift G. Ryle[1] das K.-Problem für die Ordinary-language-Philosophy auf, die seit G. E. Moore in Reaktion gegen den englischen Hegelianismus (Bradley, McTaggart) im «common sense» eine Basis philosophischer Reflexion sucht. In Übereinstimmung mit E. Erwin[2] verwendet Ryle den Begriff ‹K.› bewußt «auf eine unpräzise, amateurhafte Weise», der die Türen zu ungelösten Sprachproblemen «wie ein Vorschlaghammer» sprengen soll [3]. Den scholastizistischen Glauben an eine vollständige K.-Tafel lehnt er ab, da die Anzahl der K. vielmehr völlig unbestimmt sei; wie es beliebig viele, ohne systematischen Zusammenhang untereinander bestehende K., also auch keine obersten grundlegenden K. gibt, so kann auch kein vorgegebenes Register logischer Formen zur Klassifikation existieren, zumal die Syntax als Kriterium der K.-Bestimmung keineswegs ausreicht, vielmehr durch das Kriterium semantischer Bedeutungshaftigkeit bzw. Absurdität ergänzt werden muß. Hinsichtlich ihrer Bedeutung sind die K.-Regeln als der Sprache immanente Regeln sinnvoller Rede bei offensichtlichen Verfehlungen aufgrundihrer Trivialität unbedeutend, von besonderer Relevanz hingegen bei verborgenen, hinterhältigen K.-Fehlern, wie sie etwa in der Verwechslung von Dispositionen mit Manifestationen oder in Sätzen wie «Ich lüge jetzt» zum Ausdruck kommen [4]. Beliebig komplexe Ausdrücke, die einen unvollständigen Satzrahmen («sentence-frame») vervollständigen können, nennt Ryle «sentence-factors»; deren Index im Satzfragment ist ein Leerstellenzeichen («gap sign»), welches eine bestimmte Gruppe von sentence-factors mit gleichartiger grammatischer Rolle vertritt (z.B.: «... ist im Bett»). Demgegenüber sind es die von diesen sentence factors abstrahierten übersprachlichen «proposition factors», wovon die K. gelten. Mögliche Ergänzungen eines Satzrahmens müssen einem bestimmten grammatischen Typ angehören und proposition factors von bestimmtem logischem Typ ausdrücken. Ryle, und im Anschluß an ihn auch D. J. Hillman[5], ordnet zwei proposition factors dann verschiedenen K. zu, wenn die die proposition factors vertretenden Ausdrücke als alternative Einsetzungen in bestimmte Satzrahmen in einem Fall bedeutungsvolle, im anderen absurde Sätze erzeugen. Doch kann, wie Ryle betont, nicht jedes Leerstellenzeichen eines Satzrahmens die K. aller möglichen Einsetzungen allein bestimmen [6]. Mit diesem Vorbehalt wollte Ryle anscheinend das abwehren, was J. J. C. Smart[7] und ihm folgend später auch Thompson und Harrison herausstellten: Ryles Test differenter K. bleibe so lange fragwürdig, als z.B. die zum gemeinsamen Gattungsbegriff ‹Mobiliar› gehörigen Begriffe ‹Tisch› und ‹Stuhl› bei Einsetzung in den Satzrahmen «der Sitz des ... ist hart» sich als zu verschiedenen K. gehörig erweisen. Akzeptiert man diese Konsequenzen, so wird im Sinne der von Smart geübten Kritik die Aussagekraft von Ryles Kl. belanglos. Eine nähere Bestimmung des Begriffs ‹proposition-factor› hält Ryle für sinnlos, da ‹factor› für ihn den Sammelplatz aller K.-Unbestimmtheiten repräsentiert. ‹Proposition-factor› ist insofern ein Scheinbegriff, als er nicht losgelöst von einer K. aus der unbestimmten Menge der K., über die der Ausdruck spricht, bestimmt werden kann. Ähnlich problematisch sind Ausdrücke wie «... ist interessant» oder «bezeichnet als ...», von deren Schwierigkeit sich Russell entband, indem er solche «high predicates» im Gegensatz zu J. W. Cornman[8] als mehrdeutig auffaßte. Cornman formalisiert ein genaues, wenn auch noch zu verfeinerndes Kriterium für K.-Verschiedenheit, das von Fall zu Fall angewendet werden soll, wobei er – unter Berufung auf Sommers[9] – die «high-predicates» explizit ausschließt. Solange jedoch für die Festlegung von high-predicates selbst kein Kriterium gefunden ist, bleibt auch dieser Lösungsversuch unabgeschlossen, zumal Cornman trotz seiner klaren Definition eines K.-Unterschiedes letztlich auf unsere Intuitionen verweist.
Eine Verbindung von Sprachphilosophie und Ontologie stellt F. Sommers' Kl. dar. Ausgehend von den zwei K.-Definitionen Russells und Ryles, versucht er zu zeigen, daß K., die durch Prädikate einer natürlichen Sprache definiert sind, in ihrer Anzahl endlich sein müssen und formuliert ein «law of categorial inclusion», wonach gilt: Sind C 1 und C 2 beliebige K., dann besitzen sie keine gemeinsamen Glieder, oder die eine K. ist in der anderen enthalten. Daraus folgt, daß es eine höchste K., die alle anderen enthält, und einige K., die keine anderen enthalten, geben muß. Sommers' Bestimmung der K. als einer Klasse, die durch ein absolutes Prädikat definiert ist, enthält einen Leitfaden, jene in die Umgangssprache eingebettete K.-Sprache offenzulegen. Absolute Prädikate entspringen dabei dem Vorgang der Verabsolutierung und bezeichnen jenen Gegenstandsbereich, auf den ein bestimmtes Prädikat anwendbar oder nicht anwendbar ist. Das absolute Prädikat P- bezeichnet daher die Klasse, auf die P oder nicht-P zutrifft. Die durch Verabsolutierung von Prädikaten auf diese Weise erhaltene Sprache absoluter Prädikate repräsentiert das ontologische Gerüst der jeweiligen natürlichen Sprache [10]. Gegen Sommers These von der Isomorphie sprachlicher und ontologischer Strukturen wenden sich R. und V. Routley[11], die sich ebenso gegen eine rein essentielle sowie eine rein sprachliche Theorie der K. aussprechen. Im Gegensatz zu Hillman treten sie für eine Kl. auf der Basis eines Kriteriums für Bedeutungshaftigkeit und Absurdität nach Art des Ryleschen Versuches ein.
B. Harrison hält den K.-Begriff insofern für sinnvoll, als sich mit ihm linguistische Irrtümer bestimmen lassen, die von Fehlern des Sprachgebrauchs unterschieden werden können. K.-Fehler entspringen nach ihm aus einer Kombination von «linguistic devices» (Regeln des Erlernens des Sprachgebrauchs, die von physikalischen Vorbedingungen abhängig sind), deren physikalische Vorbedingungen unvereinbar sind [12]. Rein sprachlichen Fehlern werden solche gegenübergestellt, zu deren Erklärung über den sprachlichen Kontext hinaus der Verweis auf die unsprachliche Realität nötig ist. Als Konsequenz dieser Genese der K. vermutet Harrison, daß sich K. weder als einander ausschließend definieren lassen, noch daß jemals eine abgeschlossene K.-Liste zusammengestellt werden könne.
A. D. Carstairs[13] kritisiert an Hillman, daß dessen Kriterium im Gegensatz zu Ryles logischen K. nicht sprachneutral sei; Harrison werde zwar dieser Forderung durch den Rekurs auf physikalische Vorbedingungen gerecht, aber diese Lösung des K.-Problems werde dadurch fraglich, daß diese Vorbedingungen in verschiedenen Sprachen in jeweils verschiedener Zusammenstellung wiedergegeben werden; so gibt es z.B. keine universale Menge physikalischer Vorbedingungen, die eine logische K. von Farbausdrücken bestimmt. In Abwandlung von Harrisons Ansatz sollen nach Carstairs' Vorschlag logische K. als universale Zwänge des Sprachgebrauchs im Rahmen der Suche nach linguistischen Universalien im allgemeinen bestimmt werden, wobei die linguistische Forschung nach Universalien einer philosophischen Kl. vorgeordnet wird.
Skeptischer als Carstairs und z.B. auch Erwin äußert sich K. R. Popper zur Diskussion der K.-Fehler [14]. Logiker wie Zermelo, Leśniewski, Quine und andere konnten zeigen, daß formale Sprachen konstruierbar sind, in denen Ausdrücke, die nach Russells Typentheorie einen K.-Fehler aufweisen, durchaus wohlgeformt sein können. Damit ist im Sinne Poppers bewiesen, daß es keine im eigentlichen Sinne (inherently) bedeutungslosen Ausdrücke geben kann. Vor allem bestreitet er, daß es eine logische Methode zur Aufdeckung philosophischen Unsinns geben könne. In natürlichen Sprachen erübrige bereits die Beachtung des konventionellen Sprachgebrauchs und der Grammatik die Rede von K.-Fehlern.
Gemäß M. Thompsons Intention einer Verbindung der traditionellen aristotelischen Position mit einer linguistischen Behandlung des Problems [15] sucht P. F. Strawson in seiner «deskriptiven Metaphysik» [16], ohne jedoch eine ausgearbeitete Kl. vorzulegen, mit Hilfe des kategorialen Kriteriums der Unterscheidung von «particulars» und «universals» nach einer möglichen Erklärung der Unterscheidung von Subjekt und Prädikat, die Searle im Hinblick auf die unreflektierte Identifikation des Allgemeinen durch Prädikate kritisiert [17]. Jedes «Individuum», d.h. jede Identität, die immer als einzelne gegenüber allen anderen auszumachen ist, gehört kraft dessen, daß es eine bestimmte Art von Individuum ist, zu einer (relativen oder absoluten) K. Ein K.-Fehler entsteht durch die Anwendung eines Prädikats auf ein Individuum, für das es a priori abweisbar ist. Die Kl. soll somit auf den noch unbestimmten Begriff einer identifizierenden Beschreibung des Individuums durch das Prädikat und auf die noch genauer zu fassenden Prinzipien der Identität für Individuen aufgebaut werden. Eine solche Kl., so fordert Strawson, muß erklärende Kraft haben und unseren Intuitionen gemäß sein, zugleich aber einige unserer Intuitionen im Lichte der Theorie korrigieren dürfen.
Die sehr vage Konstruktion eines «categorial framework» durch S. Körner[18] führt zu einer Subjektivierung, Psychologisierung wie auch Historisierung des K.-Begriffs. Da jeder Mensch gemäß einem der Möglichkeit nach sich ändernden «categorial framework» die Objekte seiner Erfahrungswelt klassifiziert und interpretiert, erweist sich jener kategoriale Rahmen als psychologische Struktur, als der Inbegriff einer Reihe intellektueller Annahmen und Gewohnheiten, deren Erforschung nicht nur Gegenstand der Philosophie, sondern ebenso Thema der Anthropologie, Linguistik und Ideengeschichte ist. Im weitesten Sinne ist ‹K.› demnach eine empirisch-subjektive Formbestimmung des menschlichen Denkens und Erkennens.
[1]
G. Ryle: Cat. Proc. Arist. Soc. (1937/38) 189–206; ND in: Logic and language, 2nd Ser., hg. A. G. N. Flew (1953) 65–81.
[2]
E. Erwin: Farewell to the cat. mistake argument, in: Philos. stud. (1968).
[3]
G. Ryle: Dilemmas (1954); dtsch. Begriffskonflikte (1970) 16.
[4]
The concept of mind (1949); dtsch. Der Begriff des Geistes (1969).
[5]
D. J. Hillman: On grammars and cat.-mistakes. Mind 72 (1963) 223–234.
[6]
Ryle, a.a.O. [1] 78.
[7]
J. J. C. Smart: A note on cat. Brit. J. Philos. Sci. 4 (1953) 227f.
[8]
J. W. Cornman: Types, cat., and nonsense. Amer. philos. Quart. Monogr. Ser. Nr. 2: Stud. in log. theory (1968) 73–97, bes. 87.
[9]
F. Sommers: Types and ontology. Philos. Rev. 72 (1963) 327–363.
[10]
The ordinary language tree. Mind 68 (1959) 160–185.
[11]
R. und V. Routley: Cat. – expressions or things? Theoria 35 (1969) 215–238.
[12]
B. Harrison: Cat. mistakes and rules of language. Mind 74 (1965) 309–325.
[13]
A. D. Carstairs: Ryle, Hillman, and Harrison on cat. Mind 80 (1971) 403–408.
[14]
K. R. Popper: Conjectures and refutations (1963) 71. 263f. 293.
[15]
M. Thompson: Art. ‹Categories›, in: Encyclop. of philos., hg. P. Edwards 2 (1967) 46–55.
[16]
P. F. Strawson: Individuals (1959); dtsch. Einzelding und log. Subjekt. Ein Beitrag zur deskript. Met. (1972).
[17]
J. R. Searle: Speech acts (1969);dtsch. Sprechakte (1971) Kap. 5. 4.
[18]
S. Körner: Cat. frameworks (1970).
c) Die Diskussion des K.-Problems in der im weiteren Sinne analytischen Philosophie ist im Prinzip an dem trotz aller Verzweigungen der Diskussion einheitlichen Leitfaden der Vermeidung von Paradoxien bzw. K.-Fehlern orientiert. Sie erscheint als die nicht-gelingende Suche nach eineindeutigen Anwendungskriterien sowohl hinsichtlich syntaktischer wie semantischer Fragestellungen, die letztlich die Aufgabe einer exakten Theorie des K.-Gebrauchs für nicht-formale Sprachen als undurchführbar nachweist und eine unsystematische Verwendung und einen kritischen ad-hoc-Gebrauch des Terminus ‹K.› in negativer Absicht empfiehlt. Demgemäß ist jeweils mit Sicherheit zu sagen, was ad hoc syntaktisch bzw. semantisch sinnlose Verknüpfungen in bestimmten Kontexten sind, nicht jedoch positiv anzugeben, welche Verknüpfungen auf jeden Fall sinnhaft sein können. Da die gelegentlich versuchten Rückgriffe auf ontologische bzw. naturwissenschaftliche Grundannahmen die gestellte Aufgabe nicht lösen können, sofern jede derartige Begründung des K.-Begriffs bereits den Anspruch erheben muß, kategorial sinnvolle, und d.h. K.-Fehler ausschließende Aussagen machen zu können, erscheint es plausibel. den K.-Begriff entweder lediglich als ad-hoc-Instrument mit kritischer Funktion für die Diskussion philosophischer Probleme beizubehalten oder eine weiterführende Lösung des bisher aporetisch bleibenden Theorems durch die Weiterführung linguistischer Untersuchung in Richtung auf eine Tiefengrammatik menschlicher Sprache überhaupt zu erwarten. Wenn indessen dieser zweite Weg wiederum auf ontologische, metaphysische oder naturwissenschaftliche Hypothesen angewiesen sein sollte, bleibt systematisch vermutlich nur der Ausweg Körners in eine mit verschiedenen Weltauffassungen verbundene quasi-epochale Historisierung als Alternative zur K. in kritischer Funktion offen, ein Weg, der allem Anschein nach in K. O. Apels an Peirce's semiotischer Erkenntnistheorie orientierten Transformation der Transzendentalphilosophie [1] ebenso intendiert zu sein scheint wie in der idealistische Theoreme aufgreifenden und zum Teil erneuernden dialektischen Wissenschaftstheorie bei J. Habermas[2].
[1]
K. O. Apel: Transformation der Philos. 1. 2 (1973).
[2]
J. Habermas: Wahrheitstheorien, in: Festschr. W. Schulz (1973); Einl. zur Neu-A. von ‹Theorie und Praxis› (1971) 23ff.; Erkenntnis und Interesse (1968, 21973); Arbeit und Interaktion. Bemerk. zu Hegels Jenenser «Philos. des Geistes», in: Technik und Wiss. als «Ideol.» (1969) 9–47.
8. H. Krings'transzendentale Rekonstruktion der Kategorienlehre. – Obgleich die im Rahmen seiner ‹transzendentalen Logik› ausgearbeitete K.-Theorie [1] in ähnlicher Weise die Geschichtlichkeit kategorialer Begriffstafeln und einzelner kategorialer Bestimmungen betont, stellt die Konzeption des K.-Begriffs von H. Krings durch die bewußte und kritisch modifizierte Aufnahme der transzendentalphilosophischen Tradition von Kant über Fichte bis zu Husserl und zum Neukantianismus die transzendental-apriorische Funktion des K.-Begriffs in den Vordergrund. Im Rahmen seiner transzendentalen Theorie des theoretischen Wissens, in der die Transzendenzstruktur des Wissens von der Anschauungseinheit bis zur affirmativen Synthesis des Urteils verfolgt wird, die sowohl begriffliche wie kategoriale Synthesis einschließt, gewinnt Krings nicht nur den klassischen, an der Idee der apriorischen Synthesis orientierten K.-Begriff wieder, sondern formuliert zugleich das Problem der Genesis der K. in Auseinandersetzung mit Kant und den neueren Kl. des 19. Jh. «Ebenso wie die traditionelle Logik das Denken im Ganzen als Faktum voraussetzt, annimmt und als solches untersucht, behandelt sie in ihrer Kl. auch den Formgehalt der Aussage oder des Urteils als ein Faktum, das festgestellt, benannt und eingeordnet wird ... Diese Kl. ruhen allesamt auf einem unerforschten Fundament, nämlich auf dem Faktum, daß das Seiende schlechthin oder daß ein bestimmtes Seiendes, nämlich der Verstand, diese Formen nun einmal enthält oder besitzt» [2]. Diese Intention, das Faktum des K.-Besitzes, sei es des Seienden oder des Verstandes, zu erklären, führt zu detaillierten Analysen, die die Funktion der K. in allem theoretischen Wissen aus der in der affirmativen Synthesis des Urteils terminierenden transzendentalen Aktualität des Wissens begründen. Ist der Ursprung der K. als formaler Gehalt und funktionale Form auf diese Weise weder das Ich noch das Seiende, weder die Anschauung noch der Verstand, so muß K. als mit dem Denken gleichursprünglich gedacht werden. «Die Freisetzung des kategorialen Elementes ist also selbig mit dem Selbstvollzug des Denkens. ... Das Denken denkt in K.» [3]. Da indessen mit dem Ursprung der K. im Denken nicht zugleich die Mannigfaltigkeit der kategorialen Bedeutungen aus dem Denken entspringt [4], führt die Frage nach dem Ursprung des transzendentalen Inhalts der K. auf den Begriff einer «transzendentalen Erfahrung» [5], durch die «der transzendentale Aktus im Vollzug seiner selbst und vermittels der inhaltlichen Bestimmtheit des Terminus eine formale Bestimmtheit gewinnt» [6]. Daher entspricht die Mannigfaltigkeit der K. der Mannigfaltigkeit der transzendentalen Inhalte des Aktus und, durch sie vermittelt, der Mannigfaltigkeit der transzendentalen Erfahrungen des Ich.
Im Zuge dieser Ableitung der K. als Funktionen der Synthesis im Selbstvollzug des Denkens und aus transzendentaler Erfahrung, ergibt sich eine Reihe von den K.-Begriff in der herkömmlichen Fassung entscheidend modifizierenden Konsequenzen: Der K.-Begriff ist nicht an die bereits objektivierten Bestimmungen der Subjektivität oder der Objektivität anzuknüpfen; die Unterscheidung von Erkenntnis- und Seins-K. ist transzendental sinnlos, sofern sie allererst durch objektivierende Rückübertragung auf schon konstituierte Subjekte bzw. Objekte gebildet werden kann; darüberhinaus sind die K. hinsichtlich ihrer möglichen Mannigfaltigkeit unableitbar und unabmeßbar [7], da sie auf ein in der Ursprünglichkeit und Unbedingtheit der Transzendenz liegendes geschichtliches Element des «Sich-entschließens» verweisen [8]. Die hierin gedachte Verknüpfung von transzendental gültiger Struktur des Wissens und geschichtlicher Mannigfaltigkeit in den Formen dieses Wissens bestätigt sich in der von Krings hervorgehobenen Differenz von K. «in Funktion». K. als K.-Begriff und der Mannigfaltigkeit sprachlicher Ausdrücke für K. in Funktion. Sie verdeutlicht noch einmal die wesentlichen Bestimmungen von K. als eines formalen, nicht materialen Gehalts, als einer funktionalen und nicht substanzialen Form, und als eines transzendentalen Inhalts, der in die Konstitution der medialen Sphäre als eines urteilsartig aufgeliederten Gegenstandes eingeht [9]. Die Orientierung der Kl. an einer transzendentallogischen Analyse der in der Urteilssynthesis sich vollendenden Transzendenz des Wissens wird so nicht nur sowohl dem apriorischen Status der Funktionen wie der Geschichtlichkeit der Begriffe des theoretischen Wissens gerecht, sie erlaubt auch eine Analyse sprachlich-grammatischer Strukturen, deren oberster Maßstab nicht die pure Faktizität des Sprechens ist, die vielmehr in der terminalen Bezogenheit des Wissens auf Anschauung und deren Einheit zugleich Kriterien des Absurden zu explizieren vermag. Auf ihre Weise verdeutlicht die transzendentale Rekonstruktion des K.-Problems durch Krings die Möglichkeit der Verknüpfung und die Notwendigkeit der Berücksichtigung sowohl transzendentaler wie ontologischer als auch sprachanalytischer Ansätze. In der ebenso von Apel wie von Habermas und Krings auf je verschiedene Weise intendierten Transformation der klassischen Transzendentalphilosophie erweist sich ‹K.› als unverzichtbarer Grundbegriff der Selbstreflexion endlichen Wissens.
[1]
H. Krings: Transzendentale Logik (1964) bes. 156–161. 230–284.
[2]
a.a.O. 231. 234.
[3]
254.
[4]
Vgl. ebda.
[5]
261.
[6]
258.
[7]
269ff.
[8]
272.
[9]
278f.
W. Dilthey: Stud. zur Grundlegung der Geisteswiss. (1905). Ges. Schr. 7 (1958); Die K. des Lebens. Ges. Schr. 7 (1958) 228–245. – A. Drews: Der transzendentale Idealismus der Gegenwart. Preuß. Jb. 117 (1904) 193–224. – G. Simmel: Philos. des Geldes (1900, 21907, 61958). – H. Höffding: Über K. Ann. Naturphilos. 7 (1908). – T. Kehr: Über das K.-Problem (Diss. 1910). – O. Külpe: Erkenntnistheorie und Naturwiss. (1910).- J. Rehmke: Philos. als Grundwiss. (1910). – H. Driesch: Ordnungslehre (1912). – O. Külpe: Die Realisierung (1912). – E. Lysinski: Die K.-Systeme der Philos. der Gegenwart (Diss. 1913). – H. Rickert: Die Grenzen der naturwiss. Begriffsbildung (21913). – A. Liebert: Das Problem der Geltung. Kantstudien, Erg.h. 32 (1914). – G. Simmel: Der Konflikt der modernen Kultur (1918, 51930). – J. Volkelt: Gewißheit und Wahrheit (1918). – H. Rickert: Die Philos. des Lebens (1920); System der Philos. (1921). – E. Spranger: Rickerts System (1923). – P. Natorp: Vorles. über prakt. Philos. (1925). – A. Dirksen: Individualität als K. (Diss. 1926). – J. Geyser: Über Begriff und Wesensschau. Philos. Jb. 39 (1926) 8–44. 128–151. – A. von Pauler: Logik. Versuch einer Theorie der Wahrheit (1929). – H. Pichler: Zum System der K. Logos (1930); Einf. in die Kl. (1937). – G. Ryle s. Anm. [1 zu 7b]. – E. P. Sitkovskij: Kategorii marksistkoj dialektiki (1941). – R. Carnap: Meaning and necessity (1947, 21956). – W. Heisenberg: Der Begriff ‹abgeschlossene Theorie› in der modernen Wiss. Dialectica 2 (1948) 331–336. – G. Ryle s. Anm. [4 zu 7b]. – H. Wein: Philos. als Kategorialanalyse. Stud. gen. 4 (1951) 115–118. – H.-J. Höfert: Kategorialanalyse und phys. Grundl.forsch., in: Nicolai Hartmann. Der Denker und sein Werk, hg. H. Heimsoeth/R. Heiss (1952) 186–207. – G. Ryle s. Anm. [3 zu 7b]. – Th. W. Adorno: Zur Metakrit. der Erkenntnistheorie. Stud. über Husserl und die phänomenol. K. (1956). – M. M. Rozental' und G. M. Štraks (Hg.) s. Anm. [2 zu 6]. – H. Fleischer: On cat. in Soviet philos., in: Stud. Sov. Thought 1 (1961) 64–77. – F. Sommers s. Anm. [9 zu 7b]. – N. Chomsky s. Anm. [9 zu 7a]. – L. M. Archangel'skij: Kategorii marksistskoj etiki (1963); dtsch. K. der marxist. Ethik (1965). – B. Harrison s. Anm. [12 zu 7b]. – G. Ryle: Art. ‹Cat.›, in: Encyclop. Brit. 5 (1964) 67–69. – Y. Bar-Hillel s. Anm. [6 zu 7a]. – M. Thompson: Art. ‹Cat.›, in: The Encyclop. of Philos., hg. P. Edwards 2 (1967) 46–55. – J. W. Cornman s. Anm. [8 zu 7b]. – P. Krausser s. Anm. [2 zu 2a]. – W. Stegmüller: Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik (1968) 76ff. – J. J. Katz s. Anm. [10 zu 7a]. – E. v. Savigny: Die Philos. der normalen Sprache (1969). – J. R. Searle s. Anm. [17 zu 7b]. – W. Stegmüller s. Anm. [11 zu 7a]. – A. D. Carstairs s. Anm. [13 zu 7b]. – R. Wiehl, Einl. in die Philos. A. N. Whiteheads, in: A. N. Whitehead: Adventures of ideas (1933); dtsch. Abenteuer der Ideen (1971) 7–71. – E. Bubser: A. N. Whitehead: Organismus-Philos. und Spekulation, in: Die Grundprobleme der großen Philosphen. Philos. der Gegenwart 1 (1972) 264–299.
Zusammenfassung. – Die Geschichte des K.-Begriffs besitzt ihre Schwerpunkte in den Traditionslinien von zwei differenten philosophischen Grundkonzeptionen, der logisch-ontologischen Philosophie des Aristoteles und der transzendental-logischen Theorie Kants. Ein dritter, im Vergleich zu den genannten sekundärer Schwerpunkt bildet sich im 19. und 20. Jh. durch die mannigfaltigen Vergleichs- und Vermittlungsversuche beider Traditionslinien heraus, die aufgrunddes Einflusses der aufkommenden exakten Naturwissenschaften zugleich zu einer merkwürdigen Neutralisierung des Begriffs und in der Konsequenz zu einem mehr oder weniger inflationären Gebrauch von ‹K.› als einem allgemeinen Bestimmungsprinzip von Seiendem im weitesten Sinne führen. Die unüberschaubare Vielzahl hervortretender Kl., hinter denen sich zugleich die Resignation an systematisch-philosophischer Theorie verbirgt, markiert so nicht nur auf ihre Weise die philosophische Relevanz des Begriffs, sondern zugleich den eigenartigen Verfall philosophischer Theorie überhaupt. Das Zurücktreten der K.-Diskussion in der gegenwärtigen Philosophie erscheint demgegenüber in merkwürdiger Umkehrung als Möglichkeit einer Wiedergewinnung eines philosophisch unverzichtbaren Terminus von eminent systematischer und kritischer Bedeutung.
Ansätze dazu finden sich sowohl in den linguistisch orientierten sprachanalytischen Theoremen wie auch in den durch den Idealismus hindurchgegangenen neuen Konzeptionen, sei es semiotisch, sei es ontologisch transformierter Transzendentalphilosophie. Für diese Ansätze ist die Auffassung der K. als Elementen des Denkens und Sprechens über «Dinge» charakteristisch, deren Funktion nicht einer direkten Hinwendung auf Gegenstände, sondern allein einer philosophischen Reflexion auf Sprache und Denken und deren Grundstrukturen zugänglich ist. Ebendeshalb ist der gegenwärtige Stand der Diskussion immer noch durch die Theoreme von Aristoteles und Kant gleichsam wie durch noch nicht vollständig ausgelotete Vorgaben bestimmt.
Literaturhinweise s. unter den Teilen I–V.