II.
Logos im Alten und Neuen Testament. – Theologisch und christologisch bedeutsam sind die neutestamentlichen Aussagen über den L. als das Wort (Gottes); zu beachten ist eine deutliche, von der hellenistischen Vorgeschichte des Wortes abweichende traditionsgeschichtliche Vorgabe
des Alten Testaments. Dort verweist der Ausdruck
λόγος [
κυρίου] (Wort des Herrn) in der LXX auf das vor allem von Propheten übermittelte Wort Gottes, welches Israel in seiner Geschichte verheißend führt und weisend begleitet
[1]. Im Kontakt mit den altorientalischen Hochkulturen ist es vor allem in den späten Schichten des Alten Testaments zur Übernahme einer Charakterisierung des
λόγος κυρίου als vollmächtiges Wort des himmlischen Königs gekommen, der sowohl die Geschichte als auch die Naturereignisse mit der unbeugsamen Kraft seines Wortes bewegt: Der L. geht von Gott aus und handelt in seiner Vollmacht
[2]. Doch bleibt auch in dieser Redeweise, die den L. zu personifizieren scheint, der Anredecharakter und die Bezogenheit des L. auf die von ihm geschichtlich geführten Menschen grundlegend: Im L. tritt Gott aus sich heraus und der Welt als Anredender gegenüber; mit der Macht seines L. bringt er Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einen Geschehenszusammenhang; dabei wirkt der L. nicht als in den geschichtlichen und natürlichen Ereignissen verborgenes Gesetz, sondern als die jeweilige Situation betreffendes, offenbarendes Wort des sich selbst geschichtlich bindenden Gottes.
Das
Neue Testament spricht in diesem Sinne vom verheißenden
[3], weisenden
[4], richtenden
[5] und schließlich vom Wort Gottes, das die Schöpfung trägt
[6]. Zahllose Genitivverbindungen geben die Geschehnisse an, welche das Wort bewirkt: Versöhnung, Heil, Leben, Wahrheit
[7]. Bei diesen Prädikationen des L. wird vorausgesetzt, daß sich Gott in seinem L. an die Person, die Botschaft und das Geschick seines Christus gebunden hat. Von den beiden Wirkstätten des Wortes im Alten Testament, der Prophetie und der Schöpfung, erinnert das Neue Testament zunächst an die prophetische
[8], um dann abschließend Christus als das Schöpfungswort Gottes
[9], ja absolut als den L. zu bezeichnen.
Diese hymnische Verdichtung und didaktische Reflexion geht von der Beobachtung aus, daß Jesus als eschatologischer Bote Ende und Anfang verbindendes Wort von Gott her bringt; am Gehorsam diesem Wort gegenüber entscheidet sich das eschatologische Heil
[10]. Da der eschatologische Bote mit seiner Person ganz in dem ihm gegebenen Wort aufgeht, er als Bote nicht von seinem Botenwort zu trennen ist, ja an der himmlischen Herkunft des Wortes teilhat, wird er in Person das Wort Gottes, welches Glauben fordert, weil es Gericht und Leben in sich hat
[11]. In der neutestamentlichen Missions- und Verkündigungssprache wird das Evangelium als L. bezeichnet, wobei Jesus Christus als der Gekreuzigte und Auferstandene den Inhalt und die Gestalt, die
Wirkmacht und die Autorität des apostolischen Wortes bestimmt
[12].
Zum christologischen Würdetitel wird
ὁ λόγος im johanneischen Schrifttum. Joh. Apk. 19, 14 schaut der Visionär den himmlischen Christus in der Gestalt des Reiters, der gegen die Feinde Gottes den endgültigen Sieg erstreitet. Einer seiner Würdenamen lautet:
ὁ λόγος τοῦ θεοῦ; diese speziell auf Habakuk 3, 3ff. (LXX) zurückgehende Aussage über den wiederkommenden Christus als L.
[13] versteht ihn als den über die anderen Himmlischen erhöhten engelartigen Bevollmächtigten Gottes. Damit sind drei wesentliche Elemente der neutestamentlichen L.-Christologie genannt: Betont wird die eschatologische Macht des L., seine anschauliche Zusammengehörigkeit mit der himmlischen Welt und seine autorisierte Bindung an und Einheit mit Gott. 1. Joh. 1, 1–3 blickt zurück auf die Gabe des eschatologischen Lebens an die Gemeinde; das Bekenntnis zu seiner irdischen Erscheinung umfaßt das vorherige Sein des Lebenswortes beim Vater und expliziert dies als seine Würde und Existenz
ἀπ' ἀρχῆς (vom Anfang her). Christus ist gekommen als himmlischer Bote, welcher Wort des Lebens bringt; er kommt aus dem Haus des Vaters und hat Anteil an seinem
εἶναι ἀπ' ἀρχῆς (Sein vom Anfang her). Der Rückgriff auf den Anfang erwächst aus der Lehre vom eschatologischen Boten. Diese Richtung des Gedankenganges will auch in Joh. 1, 1–18 bedacht sein, wo sich hymnische Aussagen über den L. finden, welche Johannes im Hinblick auf seine im Evangelium entfaltete Christuslehre versteht. Die beiden ersten Worte
ἐν ἀρχῇ (im Anfang) greifen auf Gen. 1, 1 (LXX) zurück: Auch die absolute christologische Verwendung von
ὁ λόγος knüpft an die alttestamentliche Wortlehre an, freilich in ihrer durch die jüdisch-hellenistische Sophia-Lehre geprägten Gestalt
[14]: Wie dort die Sophia, so ist hier der L. Gottes Schöpfungswort, welches
ἐν ἀρχῇ war, bei Gott. Doch ist der L. nach Joh. 1, 1c nicht eine eigene Größe neben und außer Gott, allerdings nach 1, 2 auch nicht einfach mit Gott identisch: Indem sich Gott seinem Schöpfungswerk zugewandt hat, ist er aus sich selbst in der Person, Gestalt und Würde des L. herausgetreten. Dabei ist zu beachten, daß das Johannesevangelium keine isolierte und isolierbare theo-christologische Kosmologie entwirft, sondern die eschatologische Würde und autorisierte Einheit zwischen Vater und Sohn, wie sie in und seit Jesu irdischem Weg sichtbar geworden ist, durch den Rückgriff auf die
ἀρχή in das volle Licht des Bekenntnisses und der Erkenntnis hebt. Die Ansätze zur trinitarischen Gotteslehre wurzeln in Jesu Sohnes-Beziehung zum Vater, durch welche gegenseitige Liebe, Vertrauen, Intimität und Vollmacht sich erschließen; diese Ansätze werden in der Boten-Christologie des Evangeliums entfaltet und verdichten sich im L.-Prädikat. Aus diesem Einsatz beim Irdischen erklärt sich die personale Fassung des L.-Titels, wobei freilich bedacht sein will, daß auch die Sophia-Lehre, vor allem aber apokalyptische Anschaulichkeit das Sein des himmlischen Offenbarungsmittlers bei Gott als personhaftes Miteinander verstehen
[15].
So formt das Johannesevangelium zunächst in Aussagen über den irdischen Christus eine Botenchristologie, die auf die Einheit von Vater und Sohn zielt
[16]. Die Vorgeschichte zum irdischen Auftreten des himmlischen Gottesboten, welcher aus dem Haus des Vaters kommt
[17] und an des Vaters ganzem Besitz Anteil hat
[18], findet im L.-Prädikat ihren Ursprung. Deshalb ist auch Joh. 1, 4 auf eine Schöpfungsmittlerschaft, nicht aber auf eine Schöpfungsoffenbarung des L. zu beziehen: Der L.
geht mit der Schöpfung nicht in die Welt ein, so daß er keinesfalls als verborgene soteriologische Qualität – etwa in Gestalt menschlicher Vernünftigkeit – in ihr anwesend ist
[19]. Die offenbarende Zuwendung des L. zur Welt vollzieht sich allein in der Inkarnation. Von ihr her allerdings kann der Glaube bekennen, daß die Fleischwerdung keinen Zuwachs an Offenbarerwürde bedeutet, sondern ihren Entsprechungsgrundin der Schöpferwürde des L. hat.
So ist der neutestamentliche L.-Begriff charakteristisch geprägt vom Vorgang des geschichtlichen Ergehens des eschatologischen Wortes Gottes in Jesus Christus: Der L., welcher Fleisch wurde, weist zurück auf die Liebe Gottes, der die Welt in das Sein ruft und sie mit seinem Sohn beschenkt (Joh. 3, 16); das Neue Testament vermeidet es bewußt zu sagen, Gott schenke der Welt seinen L., der
θεὸς ἦν (Gott war) (Joh. 1, 1c) – erst recht ist nicht an eine Identifizierung dieses L. mit der in der Welt vorhandenen Vernunft gedacht. Die Gabe des Sohnes ist also Offenbarung; sie ist weder anthropologisch noch kosmologisch-soteriologisch deduzierbar. In der Geschichte des L. im Alten und Neuen Testament erschließt sich in der Begegnung mit der Welt und den Menschen Gott selbst als trinitarisch, um die Menschen auf Glauben und eine gemeinsame Glaubensgeschichte hin anzusprechen.
Eine neue Ausprägung der christlichen L.-Lehre ist seit Justin festzustellen:
Justin unterscheidet den ewigen L., der in seiner ganzen Fülle nur in Jesus Christus Mensch geworden ist, vom L. spermatikos, welcher die menschliche Vernunft nur unvollständig und andeutend mit dem ewigen L. verbindet:
ἔμφυτον πάντι γένει ἀνθρώπων σπέρμα τοῦ λόγου (eingepflanzt ist dem gesamten Menschengeschlechte ein Keim des L.)
[20]. So kann es vom Christus heißen: «Er war und ist der L., der jedem innewohnt»
[21]. «Er ist der L., an dem das ganze Menschengeschlecht Anteil hat»
[22]. Die Verbindung der Menschen mit Gott gründet auf einer gewissen ‘Konsubstantialitätʼ des menschlichen, teilhabenden und des ganzen, teilgebenden, göttlichen L.: «Denn jeder von diesen [Philosophen, Dichtern und Geschichtsschreibern] hat – gemäß dem Anteil an dem keimhaft ausgestreuten göttlichen L. und somit fähig, Verwandtes zu erblicken – vorzügliche Aussprüche getan»
[23]. Justin versucht damit, die stoische L.-Lehre mit der biblischen zu harmonisieren
[24].
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Vgl. W. H. Schmidt: Art. ‹dabar II›, in: Theol. Wb. zum AT, hg. G. J. Botterweck/H. Ringgren 2 (1977), bes. 126–133 [gegen B. Jendorff: Der L.-Begriff. Seine philos. Grundleg. bei Heraklit von Ephesos und seine theol. Indienstnahme durch Johannes den Evangelisten (1976) 7–16. 69f.]. |
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Vgl. Jes. 55, 10f.; Ps. 107, 20; 147, 19. |
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Vgl. Röm. 9, 6. 9; 1. Kor. 15, 54. |
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Vgl. Heb. 4, 12; Röm. 9, 28. |
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Vgl. 2. Kor. 5, 19; Phil. 2, 16; 1. Joh. 1, 1; Eph. 1, 13; zum ganzen: R. Bultmann: Der Begriff des Wortes Gottes im NT, in: Glauben und Verstehen 1 ( 61966) 268–293. |
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Vgl. Lk. 12, 8; Joh. 4, 34; 5, 22–26. 30. |
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Vgl. Gal. 6, 6; Kol. 4, 3; Joh. Apok. 1, 9; 1. Thess. 1, 8; Heb. 6, 1; bes. wichtig: 1. Kor. 2; 2. Kor. 4. |
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Vgl. J. Jeremias: Zum L.-Problem. Z. neutestamentl. Wiss. 59 (1968) 82–85. |
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Zum Überblick vgl. R. Schnackenburg: Das Johannesevangelium 1 (1965) 257–269. |
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Zur Weisheit als Schoßkind Gottes vgl. Prov. 8, 22–31; zum L. als himmlischer Gestalt vgl. Hab. 3, 5 (LXX); dazu Jeremias, a.O. [13]. |
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Gegen Jendorff, a.O. [1]. |
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Justin, Apol. App. 8, 1, zit. nach: Die ältesten Apologeten, hg. E. J. Goodspeed (1914) 84. |
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Apol. App. 10, 8 = a.O. 86. |
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Vgl. E. Fascher: Vom L. des Heraklit und dem L. des Johannes, in: Frage und Antwort (1968) 117–133; J. M.
Pfättisch: Der Einfluß Platos auf die Theol. Justins des Märtyrers (1910) 104–120. 129f.; R. Holte: L. Spermatikos. Christianity and Ancient philos. according to St. Justin's Apol. Studia theologica 12 (1958) 109–168; vgl. auch Art. ‹Logoi spermatikoi›. |
Literaturhinweise s. Anm. [1. 7. 13f. 24].