Aktenedition über den Wilhelmsbader Freimaurer-Konvent 1782 

Einleitung

Aktenedition über den Wilhelmsbader Freimaurer-Konvent 1782 - Band 1EinleitungHelmut Reinalter, Reinhard Markner, Claus Oberhauser, Peter VolkIX Einleitung Die vorliegende Aktenedition über den Wilhelmsbader Freimaurer-Konvent von 1782 entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität Innsbruck am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie. Es stand unter der Leitung von Helmut Reinalter, organisatorisch unterstützt von Franziska Österreicher und Jacqueline Lukovnjak. Ausgewählt, bearbeitet und z. T. kommentiert wurden die verschiedenen Dokumente von Reinhard Markner, Claus Oberhauser und Peter Volk. Aufgrund der großen Anzahl von wichtigen Akten haben sich die Herausgeber und Bearbeiter dazu entschlossen, die Edition in zwei Bände zu teilen: Der erste Band enthält Faksimiles der Protokolle und Beilagen. Der zweite Band umfasst den wichtigsten Briefwechsel in Auswahl, also besonders bedeutende Texte für die Vorgeschichte, den Verlauf und die Ergebnisse des Konvents, der vom 15.-Juli bis zum 1.-September 1782 dauerte. Zudem enthält der zweite Band ein vollständiges Verzeichnis der Teilnehmer am Konvent mit Kurzbiografien der Delegierten. Diese Zusammenkunft einflussreicher Freimaurer in Wilhelmsbad bei Hanau hatte, wie die weitere Entwicklung der Bruderkette zeigte, eine gewisse Bedeutung und Folgewirkungen, weil das System der Strikten Observanz beseitigt und ein neues System, der Eklektische Bund, eingeführt wurde. Die Aktenedition enthält größtenteils bisher ungedrucktes Quellenmaterial, das nach folgenden Schwerpunkten gegliedert wurde: 1. Die Vorbereitungen zum Konvent 2. Verlauf und Ergebnisse der Beratungen 3. Die Teilnehmer 4. Die Protokolle mit Beilagen 5. Briefe 6. Wirkungen. Leitende Fragestellungen Die leitenden Fragestellungen des Projekts waren: 1. Hat dieser Konvent trotz älterer Entwicklungen der Freimaurerei (freimaurerische Templer, Strikte Observanz, kryptojesuitische Tendenzen) den Weg für spätere Reformen im Sinne der humanitären und aufklärerischen Freimaurerei geöffnet? 2. Wurde durch diesen Konvent das freimaurerische Ziel, Frieden, Eintracht und Ordnung in der europäischen Freimaurerei herzustellen, wirklich erreicht? 3. Hat der Konvent die Dominanz des radikal-aufklärerischen Illuminatenordens als masonische Großmacht gebracht und damit die Französische Revolution von 1789 vorbereitet, oder handelt es sich hier um eine Form der Verschwörungstheorie? 4. Inwieweit hat der Konvent die masonische Ritualistik beeinflusst und verändert? 5. Welche Ziele haben die verschiedenen Strömungen und Richtungen auf dem Konvent verfolgt, und wodurch unterscheiden sie sich? 6. Welche Ergebnisse hat der Konvent und haben dessen Beschlüsse gebracht, und welche Auswirkungen hatten sie auf die weitere Entwicklung der Freimaurerei? Mit der vorliegenden Aktenedition kann über diese leitenden Fragestellungen hinaus auch die Geschichte des Konvents noch genauer und detaillierter als bisher beschrieben werden. Die wichtigsten Daten des Verlaufs und die Beschlüsse der Beratungen sind durch die Akten, Beilagen und Protokolle gut zu rekonstruieren. IH_Aktenedition Wilhelmsbad_Muster.indd 9 23.11.18 07: 38 X Geschichte des Konvents in Grundzügen Vorgeschichte Die Jahre vor dem Konvent waren geprägt von der Unzufriedenheit der Brüder Freimaurer wegen fehlender geistiger Tiefe, mangelnder Informationen und komplexer Aufschlüsse über die Bruderkette und sich häufender Skandale um Schwindler, Hochstapler und Betrüger. Gotthold Ephraim Lessing hat dazu im vierten Punkt seiner Gespräche von «Ernst und Falk» 1778 geschrieben: «Das Logenwesen, so wie ich höre, daß es jetzt getrieben wird, will mir gar nicht zu Kopfe. Eine Kasse haben; Kapitale machen; diese Kapitale belegen; sie auf den besten Pfennig zu benutzen suchen; sich ankaufen wollen; von Königen und Fürsten sich Privilegien geben lassen; das Ansehn und die Gewalt derselben zu Unterdrückung der Brüder anwenden, die in einer andern Observanz sind, als der, die man so gern zum Wesen der Sache machen möchte - wenn das in die Länge gut geht! » 1 Einerseits boten die Strikte Observanz und das Ordensrittertum einen gewissen Anreiz für die Freimaurer, andererseits stellten jedoch die Aufklärer in der Bruderkette dieses System in Frage. Diese Hinweise zeigen, dass das Hochgradsystem der Strikten Observanz in einer Krise steckte, sodass nach 1777 Pläne geschmiedet wurden, dieses System durch eine gründliche Reform zu erneuern. 2 Auch der Magnus Superior Ordinis, Herzog Ferdinand von Braunschweig und sein Stellvertreter, Prinz Carl von Hessen, beobachteten diese Entwicklung mit einiger Skepsis. Die Kritik an der Strikten Observanz war nicht unberechtigt. «Naive Gutgläubigkeit gegenüber Scharlatanen und Schwindlern, kritiklose Annahme historischer Legenden, lächerliche Suche nach immer neuen Geheimnissen und tieferen Aufschlüssen, die kindliche Freude an Titeln, äußerem Prunk und Rittertendenzen haben mit der ursprünglichen Freimaurerei kaum mehr etwas zu tun.» 3 Karl Gotthelf Reichsfreiherr von Hund auf Altengrotkau 4 gründete das Hochgradsystem der Strikten Observanz, das durch eine besondere Verkettung von Umständen einen über seinen geistigen Inhalt weit hinausgehenden Einfluss auf die europäische Freimaurerei erlangte. Hund nahm auch Verbindung mit Johann August von Starck auf, der sich bereit erklärte, sich mit dem «weltlichen Zweig» des Klerikats zusammenzuschließen, jedoch wollte, dass die Kleriker den Logen der Strikten Observanz übergeordnet sind. Auf dem Konvent zu Kohlo 1772 vollzog sich der formelle Anschluss der Kleriker. Die Strikte Oberservanz geht auf eine französische Tradition und auf den Gedanken des Templertums in der Freimaurerei zurück. Diese Tradition ging davon aus, dass die Freimaurer als berechtigte Nachfahren der alten Tempelritter zu verstehen sind. Personell gekennzeichnet war die Strikte Observanz durch die zahlreiche Aufnahme von Fürsten nach dem Konvent von Kohlo. Zur Zeit des Konvents von Braunschweig 1975 gehörten 26 deutsche Fürsten als Mitglieder diesem System an. In Paris verkehrte Hund in Hochgradkreisen und knüpfte mehrere für ihn wichtige Kontakte. Im Jahre 1776 wurde vom Grand Orient de France (ab 1773 die Nachfolgeorganisation der Grande Loge de France) ein Vertrag mit den französischen Provinzen der Strikten Observanz geschlossen. Damit kam es zur Aufnahme des Tempelritter-Ritus, dem weitestgehende Freiheiten in seiner Ausgestaltung garantiert wurden, in den Grand Orient. Die Grande Loge hat allerdings die Hochgrade nicht anerkannt. Der Widerstand gegen diesen Vertrag setzte sehr rasch ein. Die wesentlichen Konfliktpunkte, die vorgebracht wurden, waren die Unterstellung französischer Logen unter ein System, das ein fremder Fürst leitete und dem gegenüber Gehorsam geleistet werden musste, der erklärte Plan, den Templerorden auch materiell wieder entstehen zu lassen. Große Kritik regte sich auch in den symbo- 1 Gotthold Ephraim Lessing, Ernst und Falk - Gespräche für Freimaurer, Innsbruck 2010, S. 66; Zur Strikten Observanz, zu ihrem Erfolg und ihrer Krise vgl. u.a. Joachim Bauer/ Gerhard Müller: «Des Maurers Wandeln, es gleicht dem Leben». Tempelmaurerei, Aufklärung und Politik im klassischen Weimar, Rudolstadt/ Jena 2000, S. 24-54. 2 Verschiedene Korrespondenzen im Vorfeld und Verlauf des Konvents enthält der zweite Band der Aktenedition, bearbeitet von Reinhard Markner, Claus Oberhauser und Peter Volk. Wichtig sind hier vor allem die Briefe aus der Bibliothèque municipale in Lyon. 3 Walter Hess, Die Geschichte des Rektifizierten Schottischen Ritus (Schriftenreihe der Quatuor Coronati Bayreuth Nr. 41), Bayreuth 2002, S. 29. 4 Vgl. dazu Helmut Reinalter, in: Freimaurerische Persönlichkeiten in Europa, Innsbruck 2014, S. 84 f. IH_Aktenedition Wilhelmsbad_Muster.indd 10 23.11.18 07: 38 XI lischen Logen des Ritus, die sich gegen die Lenkung durch ein Hochgradsystem richtete. Einen gewissen Höhepunkt der kritischen Äußerungen erreichten die Provinz Auvergne und die symbolischen Logen von Willermoz’ «Grande Loge de Lyon». Sie wollten sich der Grand Lodge of England unterstellen. Die Unruhen und Irritationen, die entstanden, nahmen in allen Provinzen zu, und in Straßburg kam es 1778 sogar zur Spaltung der Präfektur Alsace. Aufgrund dieser Spannungen war Jean-Baptiste Willermoz davon überzeugt, dass eine Reform des Systems höchst notwendig war. Als seine Mitstreiter fungierten Rodolphe Salzmann, Magister Ritualium der V.-Provinz, und Jean de Turckheim, die mit ihm eine Kompromisslösung planten, nämlich die Abkehr von der Templerlegende und die Wiederherstellung des Ordens sowie die Wohltätigkeit als neue Zielsetzung und Aufgabe. Das mystisch-esoterische Gedankengut und die Organisation der Strikten Observanz sollten eine größere Rolle spielen. Nach den gründlichen Vorbereitungen erfolgte dann über das Direktorium der Auvergne die Einladung der beiden anderen Provinzen zu einem Konvent nach Lyon 1778, der in 13 Sitzungen zu vier wichtigen Ergebnissen kam: 1. Ablehnung der Templerlegende, die als unhistorisch und unbewiesen eingestuft wurde, und die Absage an die Wiedererrichtung des Ordens. 2. Abgrenzung des spirituellen Gehalts gegenüber der Mystik, des Hermetismus und der Alchemie. 3. Die Regelung der Rezeptionsbedingungen und der brüderlichen Pflichten sowie der hierarchischen Organisationsstruktur des Gesamtordens bis zu den Provinzen, Prioraten und Präfekturen durch den «Code Général». 4. Die Reformierung der Organisation der symbolischen Logen durch den «Code Maçonnique» und die Beseitigung des autoritären Charakters der Strikten Observanz sowie der Sonderstellung der Kleriker. Das System des Klerikats wurde von Starck 1767 gegründet. Starck kontaktierte Hund. Während dieser Verhandlungen kam es zur Einsetzung des klerikalen Kapitels zu Wismar. Das Klerikat war eine «Wiedererweckung des geistig-religiösen Zweiges» und damit das Gegenstück zum weltlichen Teil der Strikten Observanz. Als Hauptziel des Ordens wurde die praktische Wohltätigkeit und Humanität eingeführt. Dazu stellte Willermoz fest: «Das Ziel der Wohltätigkeit, so lobenswert es sein mag, verlangt an sich keine Mysterien, erklärt nichts, und kann darum nicht das wahre Ziel der maurerischen Initiation sein». 5 Wichtiges Ergebnis war des Weiteren, dass alle Rituale neu bearbeitet und die Grade auf sechs festgelegt und neu bestimmt wurden. Der Mystiker Willermoz setzte sich allerdings über diese Grade hinweg und praktizierte nach seiner martinistischen Überzeugung einen geheimen siebten und achten Grad. Die Bezeichnung martinistisches Lyoner-System ging auf Louis Claude de Saint-Martin (1743-1803), einen französischen Mystiker, zurück. Das Problem, ob weibliche Mitglieder aufgenommen werden sollten, blieb ohne Lösung. Diese Reform von Lyon nahm praktisch eine Trennung von der Strikten Observanz vor und führte zu einer Nationalisierung der französischen Provinzen. Willermoz war bemüht um eine geschickte Kompilation, um möglichst viele Meinungen und Bedürfnisse zu befriedigen. Die Folgewirkung dieser Strategie war nicht zu übersehen: Der Lyoner Konvent galt später als eine Art Modell für die Reform des Ordens in Wilhelmsbad 1782. Die Zerfallserscheinungen in der Strikten Observanz, die sich nach dem Tod Freiherr von Hunds 1776 deutlich zeigten, drängten zu einer grundlegenden Neuausrichtung. Herzog Ferdinand von Braunschweig und Prinz Carl von Hessen haben bereits 1778 aktiv den Plan gefasst, einen allgemeinen Freimaurerkongress einzuberufen. Verlauf Die Organisatoren des Wilhelmsbader Kongresses waren sich bewusst, dass die Lücke, die durch die Aufgabe der Templertradition, die Wiederrichtung des Templerordens und der Geheimen Oberen entstand, wieder gefüllt werden musste. Herzog Ferdinand und Carl von Hessen nahmen sich dieser Aufgabe 5 Zit. nach Walter Hess, Die Geschichte des Rektifizierten Schottischen Ritus, S. 35. IH_Aktenedition Wilhelmsbad_Muster.indd 11 23.11.18 07: 38 XII besonders an und trafen diesbezüglich eine Vorentscheidung, die aber zunächst verborgen blieb. Die Illuminaten, Philalethen, Rosenkreuzer, Asiatischen Brüder und die Gemeinschaft der Johannisvertrauten des Grafen von Haugwitz standen ante portas, um die erwähnte Lücke zu schließen. Herzog Ferdinand traf jedoch die Entscheidung für das Willermoz’sche System der «Chevaliers Bienfaisants de la Sité Sainte». Die Gründe für diese Entscheidung lagen wohl im Vorteil dieses Systems, das innerhalb der Strikten Observanz entwickelt wurde, äußerlich auch deren Formen angenommen hatte und in Frankreich bereits vorher praktiziert wurde. Auf dem Convent des Gaules hatte es bereits eine endgültige feste Form erreicht. Die ersten Gespräche fanden schon im Oktober 1779 zwischen Willermoz und dem dänischen Gesandten Freiherrn von Pleßen im Auftrag der Oberleitung statt. Ein Jahr darauf wurden Herzog Ferdinand und Prinz Carl von Hessen von Willermoz in die Profession aufgenommen. Anfang 1782 einigte man sich darauf, dass das Lyoner System die Grundlage des Ordens bilden sollte. Willermoz operierte sehr geschickt und teilte diesen Plan den Kongressteilnehmer zunächst nicht mit. Die Überlegung, das Haugwitz’sche System auch einzubeziehen, scheiterte daran, dass sich der mystisch orientierte Katholik Willermoz mit dem protestantischen Pietisten Haugwitz nicht einigen konnte. Zunächst plante man, dass jede Provinz mit drei Deputierten vertreten sein sollte. Von den Provinzen waren aber nur die II.-(Auvergne), III.-(Occitanien), V.-(Burgund), VII.-(Niederdeutschland) und VIII.-(Oberdeutschland und Italien) aktiv tätig. Einige Provinzen entsandten nur einen Delegierten zum Konvent, die V. und VII. dafür acht und die VIII. 15 Delegierte. Nicht wenige vertraten mehrere Mandate oder auch Einzelpersonen (siehe die Kurzbiografien über die Teilnehmer des Konvents). Unter der Vorsitzführung des Herzogs Ferdinand von Braunschweig traten schließlich 34 Delegierte zusammen. Unter ihnen waren 17 Protestanten, 17 Katholiken, 24 Adelige (darunter einige Neunobilitierte) und zehn Bürgerliche. Was die Nationalitäten betraf, waren unter den Delegierten 14 Deutsche, drei Österreicher, zehn Franzosen, zwei Italiener, zwei Schweizer, zwei Ungarn und ein Däne. In Bezug auf die geistigen Strömungen unter den Teilnehmer des Kongresses waren die drei Hauptrichtungen sehr verschieden und uneinheitlich. Die erste Gruppe setzte sich aus den rationalistischen Aufklärern zusammen. Sie waren sehr vernunftorientiert und vertraten Ideen des Geheimbundes der Illuminaten. Dieser Orden wurde 1776 von Adam Weishaupt, Professor für Kanonisches Recht, in Ingolstadt gegründet. 6 Die Ziele des Ordens waren eingebunden in einen universalen geschichtsphilosophischen Begründungszusammenhang, wonach die Aufklärung als eine Entwicklungsstufe eines naturwüchsigen Geschichtsprozesses verstanden wurde, dessen Ursprung in einem vorhistorischen Naturzustand lag. Ziel dieses Prozesses war ein Endzustand, der sich mit dem Ausgangspunkt der Gesellschaft deckte. Dabei handelt es sich um eine kosmopolitische Weltordnung ohne Staaten, Fürsten und Stände, also um eine Republik. Der führende Vertreter dieser Richtung war auf dem Konvent Freiherr Franz Dietrich von Ditfurth aus Wetzlar. Dazu gehörten auch Ernst T. von Kortum aus Warschau, Heinrich von Rosskampff aus Stuttgart und mit Einschränkungen auch Johann Joachim Christoph Bode, der aber erst während des Konvents von Knigge für den Illuminatenorden vorgeschlagen wurde. Ditfurth verstand sich als radikaler Deist und argumentierte mit scharfer Logik, mit der er sich viele Feinde unter den Delegierten schuf. Er war erst ab der sechsten Sitzung dabei und kämpfte heftig gegen die mystischen und hermetischen Gruppen. Ditfurth forderte die Rückkehr zu den drei symbolischen Graden. Weishaupt hatte in der Person Adolph Freiherrn von Knigges einen Beobachter des Illuminatenordens zum Konvent entsandt. Die zweite Gruppe vertrat die hermetisch-alchemistische Richtung. Sie war ausdrücklich für die Beibehaltung der Templerlegende, des Templerzeremoniells und wollte die Wiederrichtung des Ordens. Unterschiedlich knüpften sie auch an die alchemistischen Tendenzen an, wie an die Goldmacherei und die Suche nach «geheimen» Erkenntnissen. Zu dieser Gruppe zählten einige Delegierte aus Deutsch- 6 Vgl. dazu auswahlweise Helmut Reinalter (Hg.), Der Illuminatenorden (1776-1785/ 87). Ein politischer Geheimbund der Aufklärungszeit, Frankfurt/ M. 1997; Ludwig Hammermayer, Der Wilhelmsbader Freimaurer-Konvent von 1782. Ein Höhe- und Wendepunkt in der Geschichte der europäischen Geheimgesellschaften, Heidelberg 1980; Reinhard Markner/ Monika Neugebauer-Wölk/ Hermann Schüttler (Hg.), Die Korrespondenz des Illuminatenordens, 2 Bde., Berlin 2005/ 2013; Peggy Pawlowski, Der Beitrag Johann Adam Weishaupts zur Pädagogik des Illuminatismus, Diss., Jena 2004. IH_Aktenedition Wilhelmsbad_Muster.indd 12 23.11.18 07: 38 XIII land und Österreich, die z.-T. auch den Rosenkreuzern nahe standen, wie z.-B. Professor Friedrich von Schwartz, der auf dem Kongress Braunschweig, Hannover, Königsberg, Holland und Russland vertrat. Er war Mitglied der Strikten Observanz und der Rosenkreuzer. Die dritte Gruppe, Anhänger des mystischen, spiritualistisch-martinistischen Lyoner-Systems, von Willermoz vertreten, setzte sich in den Sitzungen sehr rasch durch. Dieses System sollte integral übernommen und die Templerlegende aufgegeben werden. Allerdings wollte man die rituelle Form eines Ritterordens weiterführen. Dies war der Kompromiss zwischen den radikalen Aufklärern und der Strikten Observanz. Zu dieser Gruppe zählten neben Willermoz und der II.-Provinz die V.-Provinz, die beiden Zürcher und italienischen Delegierten der VIII.-Provinz. Herzog Ferdinand und Carl von-Hessen engagierten sich sehr für dieses System und versuchten es mit Nachdruck durchzusetzen, folgten strategisch aber dem Plan Willermoz’ einer schrittweisen Einführung. Widersprüche waren natürlich zu erwarten. Einige Präfekturen nahmen bereits vor dem Kongress dazu Stellung. Sie hatten den Delegierten ausführliche Anweisungen und Instruktionen mitgegeben. Der Kongress auf dem Schloss Wilhelmsbad bei Hanau wurde unter dem Vorsitz des Herzogs Ferdinand von Braunschweig am 16.-Juli 1782 eröffnet und dauerte bis zum 29.-August. Nach dem Ende des Kongresses fanden noch drei sogenannte Nachsitzungen statt. Die ersten drei Sitzungen waren der Klärung der Verfahrensfragen und der inhaltlichen Vorstellung der unterschiedlichen Standpunkte gewidmet. Die Protokolle über die Sitzungen (vgl. die Faksimiles) wurden in Deutsch und Französisch geschrieben bzw. gedruckt und möglichst kurz gehalten. Private Mitschriften waren grundsätzlich verboten, und die Gesprächsgegenstände sowie Beschlüsse unterlagen einer strengen Geheimhaltung. Die italienischen Vertreter erreichten, dass ihr Großpriorat in den Rang einer Provinz erhoben wurde, wobei die Befürworter des Lyoner Systems mit zwei zusätzlichen Stimmen gestärkt wurden. Von der vierten bis zur vierzehnten Sitzung standen die ins Auge gefassten Reformen im Zentrum der Diskussionen. Die Meinungen der Delegierten waren - wie bereits angedeutet - sehr verschieden. Trotzdem kam es in der achten Sitzung, vor allem durch die überzeugenden Argumente und Erklärungen von Giraud und Schwartz, zu dem Ergebnis, die freimaurerische Herkunft vom Templer-Orden und auch die angeblich «Geheimen Oberen» aufzugeben. Jean de Turckheim kam das Verdienst zu, eine feierliche «Renuntiationsakte» zu formulieren, die von den Teilnehmern unterschrieben wurde. Dies kam einer Zerstörung des Werkes von Karl Gotthelf Reichsfreiherrn von Hund und Altengrotkau gleich. 1742 war dieser in Paris und soll dort angeblich zum Katholizismus übergetreten sein, was aber als unwahrscheinlich gilt. Er betont, dass er dort von sechs schottischen Rittern in den Orden der Templer aufgenommen und dem englischen Thronprätendenten Karl Eduard Stuart als dem Großmeister des angeblich wiedererweckten Templerordens vorgestellt wurde. Einen urkundlichen Beleg für eine freimaurerisch-templerische Institution vor 1750 gibt es allerdings bis heute nicht. Hund soll, was sehr fraglich erscheint, von unbekannten Oberen der Templer als Heermeister (Provinzial-Großmeister) der VII.- Ordensprovinz Deutschland eingesetzt worden sein. Ab 1751 begründete er den Ritus der Strikten Observanz. Zweifelsohne war die Freimaurerei ein Mittel zum Zweck für Hunds Bestrebungen. Die Strikte Observanz unterwanderte wie die Illuminaten die bestehenden Freimaurerlogen. 7 Um die nun entstandene Lücke schließen zu können, wurden mögliche Alternativen nicht gründlich diskutiert, wie z.-B. das Zinnendorf ’sche System, die «Kreuzfrommen» des Grafen Haugwitz oder das System der Philalethen. Johann Wilhelm von Zinnendorf war der Begründer des Schwedischen Systems der Freimaurerei in Deutschland und trat 1766 aus der Strikten Observanz aus. Die Schwedische Lehrart war gekennzeichnet durch eine innere Geschlossenheit. Sie war sehr stark auf die Lehre Christi ausgerichtet und verstand sich als eine in freimaurerische Formen gehüllte Erneuerung der mittelalterlichen Mystik. Auch am geistigen Rittertum hielt diese Lehrart fest und berücksichtige die Templer ebenso im Ritual der Kapitelgrade. Willermoz stellte in der achten Sitzung die wichtige Frage: «Welches möchte wohl das System sein, nach welchem … auf die bestmögliche Weise ohne Gefahr 7 Vgl. dazu Fußnote 3; Hermann Schüttler, «Zwei freimaurerische Geheimgesellschaften des 18.-Jahrhunderts im Vergleich: Strikte Observanz und Illuminatenorden», in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günther Mühlpfordt, Weimar 1997, S. 521 ff. IH_Aktenedition Wilhelmsbad_Muster.indd 13 23.11.18 07: 38 XIV die verschiedenen Bestandteile des Ordens vereinigt … werden könnten? » 8 Letztlich hat sich in der Debatte, wie kurz erwähnt, das Lyoner System durchgesetzt. Willermoz konnte durchsetzen, dass sein Wunschsystem fast vollständig akzeptiert wurde. Nach der 14. Sitzung kam es zu einer vorübergehenden Denkpause von zehn Tagen. Turckheim stellte den Antrag, eine Ritual- und Gesetzgebungskommission mit dem Auftrag einzurichten, die Einzelheiten der neuen Organisation vorzubereiten. Einige Delegierte waren mit dem Verlauf der Sitzungen sehr unzufrieden und enttäuscht, sodass diese den Kongress vorzeitig verließen, darunter auch Ditfurth, Karl Theodor von Dalberg und Diethelm Lavater. Am 14.-August trat das nun reduzierte Plenum zur Beratung der Rituale und der Organisation erneut zusammen. Dabei stieß die Redaktion der letzten drei symbolischen Grade auf keinerlei Schwierigkeiten und Probleme. Willermoz betrachtete sie als «Pflanzschule» für den Inneren Orden. Was den «Äußeren Orden» betraf, orientierte man sich am Schwedischen System und am Orden des Grafen Haugwitz. Nicht wenige «martinistische Anleihen» ließen auf Inhalte der höheren Grade schließen, insbesondere in den Instruktionen. Über die Rituale der höheren Grade wurde zwar gesprochen, der sie betreffende Text wurde jedoch nicht bereinigt und überarbeitet. Alles blieb nur skizzenhaft, was verhängnisvolle Folgen nach sich zog. Mit der späteren Redaktion des endgültigen Textes betraute man Willermoz für den vierten Grad, für den fünften und sechsten Grad Turckheim und Virieu. Unverständlich blieb die Tatsache, dass die Leitung des Kongresses auf die Festlegung der wesentlichen Rituale verzichtete und deren Bearbeitung auf die lange Bank schob. Sie wurden erst nach 26-Jahren fertiggestellt. Ergebnisse Die Gesetzeskommission leistete im Gegensatz dazu gute Arbeit, wobei sich hier vor allem die Leitung von Turckheim bewährte. Als Ergebnis stand am Schluss der Tätigkeit die «Règle maçonnique à l’usage des Loges réunies et rectifiées» (Regeln für Freimaurer). Dazu kam noch ein «Entwurf für einen Abschnitt des neuen maurerischen Gesetzbuches», der von Virieu vorgelegt wurde. Als Hauptzweck des Ordens bestimmte man für die Zukunft die «Wohltätigkeit», die «Bienfaisance», was im Abschnitt-V. der «Règle» bestimmt wurde: «[…] das hilflose Elend der Kinder, das Leiden der unerfahrenen Jugend und jedes leidende und seufzende Wesen», zu mildern bzw. zu unterstützen. Prinz Carl von Hessen ergänzte noch: «[…] den Großen Baumeister aller Welten zu suchen». 9 Hier lehnte man sich deutlich an Saint-Martins Formel an: innere Gottessuche und äußere Wohltätigkeit. Die symbolischen Logen wurden der Leitung der höheren Grade unterstellt, und am 17.-August erfolgte die erneute Wahl Herzog Ferdinands von Braunschweig zum Oberhaupt des Ordens als Generalgroßmeister. Auch die organisatorische Einteilung der Provinzen wurde geändert. Turckheim bot eine Zusammenfassung im «Rezess» über die Beschlüsse, womit das neue System des Rektifizierten Schottischen Ritus geschaffen wurde. Herzog Ferdinand von Braunschweig war mit dem Verlauf und den Ergebnissen des Kongresses sehr zufrieden: «Mein Haupt-Zweck war, alle die so hier und da zerstreut sind, zu vereinigen, den Orden nach und nach zu reinigen […] Ich hoffe, daß das Resultat unserer Verhandlungen Ihnen nicht unangenehm sein möge.» 10 Sein Interesse an der Strikten Observanz hatte allerdings gegen Ende des Konvents deutlich abgenommen. Die Anhänger der aufklärungsorientierten Freimaurerei mit den symbolischen Graden waren über die Entwicklung und die Ergebnisse des Konvents sehr enttäuscht und haben diesen, wie bereits angedeutet, rasch verlassen. Ditfurth äußerte sich sehr kritisch und stellte sich die Frage, «ob er an einem mittelalterlichen Konzil oder einem Freimaurerkongress» teilgenommen habe. Seine kritische Auffassung stieß allerdings auf massive Kritik. Er betonte resignierend in seinem Kongressbericht, «wie schwach der an sich gute Fürst a. Victoria (der Ordensname des Herzogs) an Geistes-Gaben ist.» 11 Auch der delegierte Bayerlé stellte verbittert fest: «Der Convent in Wilhelmsbad ist ein unvollkommener 8 Protokoll der achten Sitzung. 9 Zit. nach Walter Hess, Die Geschichte des Rektifizierten Schottischen Ritus, S. 45. 10 Zit. nach ebd., S. 46 f. 11 Zit. nach ebd., S. 47. IH_Aktenedition Wilhelmsbad_Muster.indd 14 23.11.18 07: 38 XV Convent gewesen». Er «hat weder getan, was er konnte, noch was er sollte. Die Entscheidungen dieses Convents sind durchaus ungültig […]». 12 In der Tat wurde mit dem Kongress nicht ein neues, für der Mehrheit des Konvents annehmbares Freimaurersystem in Europa erzielt. Die gespielte Einigkeit war keine wirkliche, und nach dem Konvent erfolgte fast ein vollständiger Zusammenbruch des Ordens in Deutschland und Österreich sowie eine Krise in Frankreich, Italien und der Schweiz. Trotz dieser Probleme blieb der Konvent nicht ganz ohne Folgen. Die endgültige Fassung der Rituale für die symbolische Grade übernahm eine Kommission aus Lyon und Straßburg. 1784 kam es zur Bereinigung der Rituale des Lehrlingsgrades, ein Jahr später zu der des Gesellengrades und 1786 zu der des Meistergrades. Eine internationale Kommission wurde zudem mit der Redaktion des Code Général beauftragt, wobei nur der frühere Delegierte Kortum einen Entwurf lieferte. Mehr Zeit verging bei der Redaktion der höheren Grade. Der Ausbruch der Französischen Revolution und die Schreckensherrschaft in Lyon mit der Belagerung der Stadt führten später zur Flucht von Willermoz, der seine wichtigen Archive mitnahm, um sie so zu retten. So konnten erst 1809, nach dem Wiedererwachen des Ritus, alle Rituale fertiggestellt werden. Als Reaktion auf den Verlauf des Konvents wurde schließlich das System des «Eklektischen Bundes» gegründet. Diese Gründung war das Ergebnis der reformatorischen Bestrebungen während des Konvents. Nach dem weitgehend ergebnislosen Verlauf des Wilhelmsbader Konvents erging auf Betreiben des Wetzlarer Kammergerichtsassessors Franz Dietrich von Ditfurth das «Eklektische Rundschreiben», die eigentliche eklektische Bundesurkunde, mit der der Bund gegründet wurde. Das Rundschreiben entwarf Johann Karl Brönner, der Stuhlmeister der Frankfurter Loge «Zur Einigkeit» war. Etwa fünfzig Logen aus verschiedenen Ländern gaben 1783 ihre Zustimmung zu dem von der Frankfurter und Wetzlarer Provinzialloge genehmigten Schreiben. Mit diesem Bund wollte man die Streitigkeiten und Spaltungen beenden und zur alten Einfachheit der ursprünglichen Rituale zurückkehren. Grundlagen des Bundes sollten Freiheit und Gleichheit im freimaurerischen Leben bilden. Dazu kam noch, dass in Zukunft nur die drei Johannisgrade als verbindlich für die ganze Freimaurerei anerkannt werden sollten. Es wurde den Logen allerdings freigestellt, nach ihrem Wunsch auch höhere Grade zu bearbeiten. Ritterspielerei, Aberglaube, Astrologie, Magie und Obskurantismus sollten damit beendet werden. Unter dem Einfluss der alten eklektischen Philosophie wollten die Befürworter des Bundes aus allen freimaurerischen Systemen das Beste herausnehmen. 13 12 Zit. nach ebd. 13 Eugen Lennhoff/ Oskar Posner/ Dieter A. Binder, Internationales Freimaurer-Lexikon, 5., überarb. und erw. Neuaufl., München 2006, S. 250, S.-230; Georg Kloss, Annalen der Loge zur Einigkeit, Frankfurt/ M. 1842; Wilhelm Keller, Geschichte des eklektischen Freimaurerbundes mit einer Einleitung in die Allgemeingeschichte der Freimaurerei, Gießen 1857; Karl Demeter, Die Frankfurter Loge zur Einigkeit 1742-1966, Frankfurt/ M. 1967. IH_Aktenedition Wilhelmsbad_Muster.indd 15 23.11.18 07: 38 IH_Aktenedition Wilhelmsbad_Muster.indd 16 23.11.18 07: 38