Kontrafakturen im Kontext 

Stefan Rosmer: Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst des Mittelalters

Kontrafakturen im KontextStefan Rosmer: Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst des Mittelalters10.24894/978-3-7965-4219-0 Agnese PavanelloWiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst des Mittelalters Stefan Rosmer Das Wiederverwenden und Neutextieren von Melodien war der mittelalterlichen Musikpraxis so geläufig und selbstverständlich, daß das Verfahren keiner ausdrücklichen Benennung und Erörterung oder gar Bestätigung durch die Musiklehre bedurfte. So resümiert Robert Falck im Handwörterbuch der musikalischen Terminologie und interpretiert damit den Befund, dass mittelalterliche Quellen nicht oder nur ansatzweise bestrebt sind, denjenigen Sachverhalt auf einen Begriff zu bringen, über dessen historische begriffliche Erfassung im terminologischen Wörterbuch gehandelt werden soll. 1 Falcks Interpretation der mangelnden mittelalterlichen Terminologie ist grundsätzlich richtig. Wenn aber seine und andere Formulierungen hervorheben, dass das Neutextieren einer vorhandenen Melodie eine überall und jederzeit verfügbare Verfahrensweise ist, 2 kann dies den Blick darauf verstellen, dass Kontrafakturen stets in spezi- 1 Robert Falck, «Contrafactum », in : Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller (Hgg.), Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, Wiesbaden und Stuttgart : Franz Steiner Verlag 1972 - 2005, 2. 2 «Kontrafaktur als eine Grundform des Weiterlebens textgebundener Musik ist vermutlich so alt wie die Vokalmusik selbst » (Georg von Dadelsen u. a., «Parodie und Kontrafaktur », in : Ludwig Finscher [Hg.], Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. neubearb. Aufl., Sachteil, Bd. 7, Kassel, Stuttgart etc.: Bärenreiter, Metzler 1997, Sp. 1396 ). «Die Kunst der Form-Melodie-Nachahmung, der Kontrafaktur also, wurde in allen Bereichen des mittelalterlichen Lieds und in allen Spielarten geübt ». Siehe Ursula Aarburg, «Melodien zum frühen Minnesang. Eine kritische Bestandsaufnahme », in : Hans Fromm (Hg.), Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung, Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1961 (Wege der Forschung fischen historischen, sozialen und kulturellen Zusammenhängen entstehen. Innerhalb solcher Konstellationen kann die vermeintlich gängige Praxis Konventionen oder Restriktionen unterliegen, und oft erschließt sich erst in deren Rahmen, was eine Kontrafaktur bedeuten soll. 3 Der Beitrag möchte einige Bereiche der deutschsprachigen mittelalterlichen Liedkunst vorstellen, in denen der Wiederverwendung von Melodien eine wichtige oder besondere Funktion zukam. Ein vollständiger Überblick ist nicht angestrebt. 4 Die Beispiele sollen andeuten, wie in den gewählten 15 ), 378 - 423, hier 384. Vgl. auch Friedrich Gennrich, Die Kontrafaktur im Liedschaffen des Mittelalters, Langen bei Frankfurt : ohne Verlag 1975, 4. 3 Auf die Probleme der wissenschaftlichen Terminologie - den weiten Begriff von Gennrich, Kontrafaktur ( wie Anm. 2 ), 5, und den engeren von Dadelsen u. a., «Parodie und Kontrafaktur » ( wie Anm. 2 ), 1395 - 1396, sowie auf den terminologischen Vorschlag Walther Lipphardts, «Über die Begriffe : Kontrafakt, Parodie, Travestie », in : Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 12 (1967 ), 104 - 111 - gehe ich nicht ein. Hingewiesen sei darauf, dass in der (Neueren) deutschen Literaturwissenschaft ein Kontrafakturbegriff üblich ist, der von der musikalischen Seite absieht und im Rahmen der Intertextualitätstheorien mit «Kontrafaktur » ein Produktionsverfahren bezeichnet, bei dem « konstitutive Merkmale der Ausdrucksebene eines Einzeltextes oder mehrerer Texte zur Formulierung einer eigenen Botschaft übernommen werden »; Theodor Verweyen und Gunther Wittig, «Kontrafaktur », in : Harald Fricke (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2, Berlin, New York : de Gruyter 2000, 337. Sofern die Melodie als ein konstitutives Merkmal des Ausgangstextes gilt, ist der weite musikalische Kontrafakturbegriff (Neutextierung einer präexistenten Melodie ) diesem Kontrafakturbegriff subsumierbar. Wenn LiteraturwissenschaftlerInnen von «Kontrafaktur » sprechen, kann es gleichwohl sein, dass Musik überhaupt keine Rolle spielt. Zur Wort- und Begriffsgeschichte vgl. auch die Beiträge von Markus Grassl und Valentin Groebner in diesem Band. 4 Gennrichs Versuch zielte auf eine Systematik des Umgangs mit der gegebenen Melodie. Siehe Genrich, Kontrafaktur (wie Anm. 2 ); ders., «Liedkontrafaktur in mittelhochdeutscher und althochdeutscher Zeit », in: Hans Fromm (Hg.), Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1961 (Wege der Forschung 15), 330- 377 ( zuerst in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 82 [1948/ 50], 105 -141). Unter dem Leitkonzept der Retextualisierung hat Franz-Josef Holznagel, «Habe ime wîs unde wort mit mir gemeine… Retextualisierung in der deutschsprachigen Lyrik des Mittelalters. Eine Skizze », in: Joachim Bumke und Ursula Peters (Hgg.), Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Sonderheft zur Zeitschrift für deutsche Philologie 124 ( 2005), 47-81, eine differenzierte Systematik vorgelegt. Sein 150 Stefan Rosmer Bereichen die Praxis des Kontrafazierens mit spezifischen Konstellationen interagiert. 5 Drei wichtige Bereiche müssen außen vor bleiben : erstens die Übernahme romanischer Strophenformen in der höfischen Liebeslyrik, 6 zweitens die Verwendung deutscher Strophenformen und Melodien durch lateinisch dichtende clerici seit dem späten 13. Jahrhundert, 7 drittens der Beitrag bietet zugleich einen Überblick über das Feld der Kontrafaktur in der mittelalterlichen deutschsprachigen Liedkunst. Grundlegend ist weiter: Gisela Kornrumpf und Burghart Wachinger, «Alment. Formentlehnung und Tönegebrauch in der mittelhochdeutschen Spruchdichtung », in: Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift. Aspekte der Überlieferung, Formtraditionen, Texte, Bd. 1 : Untersuchungen, Tübingen: Max Niemeyer 2008 (Münchener Texte und Untersuchungen 133 ), 117- 168 ( zuerst in: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, hg. von Christoph Cormeau, Stuttgart : Metzler 1979, 356-411). 5 Vgl. beispielsweise Christoph März, «Liedkorrespondenzen. Zu Guillaumes de Machaut ‘Le Voir Dit’ und einigen deutschen Liedern », in : Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali und René Wetzel (Hgg.), Literatur und Wandmalerei II. Burgdorfer Colloquium 2001, Tübingen : Max Niemeyer 2005, 95 - 107, sowie im allgemeineren Rahmen Reinhard Strohm, «Fragen zur Praxis des spätmittelalterlichen Liedes », in : Musikalischer Alltag im 15. und 16. Jahrhundert, hg. von Nicole Schwindt, Kassel : Bärenreiter 2001 (Trossinger Jahrbuch für Renaissancemusik 1), 53 - 75. 6 Einen aktuellen Überblick bieten die Artikel in : Geert H. M. Claassens, Fritz Peter Knapp und René Pérennec (Hgg.), Germania Litteraria Mediaevalis Francigena. Handbuch der deutschen und niederländischen mittelalterlichen literarischen Sprache, Formen, Motive, Stoffe und Werke französischer Herkunft (1100 - 1300 ), Bd. 3 : Lyrische Werke, hg. von Volker Mertens und Anton Touber. Berlin, Boston : de Gruyter 2012. Vgl. zur kritischen Einordnung der musikwissenschaftlichen Forschungsgeschichte Henry Hope, «Das Mainzer Hoffest von 1184 und die Historiographie des deutsch-französischen Kulturaustauschs im Minnesang », in : Fabian Kolb (Hg.), Musik der mittelalterlichen Metropole. Räume, Identitäten und Kontexte der Musik in Köln und Mainz, ca. 900 - 1400. Tagungsbericht Mainz/ Köln Oktober 2014, Kassel : Verlag Merseburger Berlin 2016, 353 - 367 ; die Rolle von Kontrafakta für den literarischen und kulturellen Austausch über Sprachgrenzen hinweg untersucht David Murray, Poetry in Motion. Languages and Lyrics in the European Middle Ages, Turnhout : Brepols 2019. 7 Eine zusammenfassende Darstellung fehlt bisher, den besten Überblick bietet: Gisela Kornrumpf, «Deutschsprachige Liedkunst und die Rezeption ihrer Formen und Melodien in der lateinischen Lieddichtung des Mittelalters », in: Michael Zywietz u. a. (Hgg.), Gattungen und Formen des europäischen Liedes vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Internatio- Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 151 Austausch zwischen niederländischer, niederdeutscher und lateinischer geistlicher Lyrik im Umfeld der devotio moderna. 8 1 Walther von der Vogelweide und Reinmar der Alte : Kontrafazieren als Mittel literarischer Polemik In die höfische Lyrik um 1200 führt das Minnelied Ein man verbiutet ein spil âne pfliht Walthers von der Vogelweide. 9 In der Großen Heidelberger Liederhandschrift ist seine Aufzeichnung mit dem Hinweis versehen, dass es auf nale Tagung vom 9. bis 12. Dezember 2001 in Münster, Münster etc.: Waxmann 2005 (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 8), 111- 118. Vgl. auch (mit weiterer Literatur): Stefan Rosmer, Der Mönch von Salzburg und das lateinische Lied. Die geistlichen Lieder in stolligen Strophen und das einstimmige gottesdienstliche Lied im Mittelalter, Wiesbaden : Reichert Verlag 2019 (Imagines Medii Aevi 44), 82-85, 157- 175, 232-235; jüngere, dort nicht berücksichtige Literatur: Michael Callsen, «Lateinischer Sangspruch und lateinische Lyrik», in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 21 ( 2016/ 17): Sangspruchdichtung zwischen Reinmar von Zweter, Oswald von Wolkenstein und Michel Beheim, hg. von Horst Brunner und Freimut Löser, 309 -317; Gisela Kornrumpf, «Zwei Handschriften aus dem Halberstädter Liebfrauenstift mit deutscher und lateinischer Lieddichtung (St. Petersburg, RNB, Fond 955 op. 2 Nr. 92 und 49)», in: Natalija Ganina u. a. (Hgg.), Von mittelalterlichen und neuzeitlichen Beständen in russischen Bibliotheken und Archiven. Ergebnisse der Tagungen des deutsch-russischen Arbeitskreises an der Philipps-Universität Marburg ( 2012 ) und an der Lomonossov-Universität Moskau ( 2013 ), Erfurt, Stuttgart: Verlag der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Kommission bei Franz Steiner Verlag 2016 (Deutsch-russische Forschungen zur Buchgeschichte 3/ Sonderschriften der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 47), 153 -170. 8 Vgl. ( mit weiterer Literatur) Holznagel, «Retextualisierung » ( wie Anm. 4 ), 68 - 69 ; Ulrike Hascher-Burger, «Mittelalterliche Handschriften mit Musik in den Lüneburger Frauenklöstern », in : Susanne Rode-Breymann (Hg.), Musikort Kloster. Kulturelles Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit, Köln etc.: Böhlau 2009 (Musik - Kultur - Gender 6 ), 139 - 158. 9 ‘Höfische Lyrik’ verwende ich als Oberbegriff für deutschsprachige Liedkunst von ca. 1170 bis ca. 1350. Anders als bisweilen in der musikhistorischen Forschung anzutreffen, steht ‘Minnesang’ nicht für die Gesamtheit der mittelalterlichen Liedkunst, sondern bleibt reserviert für die deutschsprachige Liebeslyrik bis ca. 1350. Zur höfischen Lyrik 152 Stefan Rosmer die Melodie eines anderen Lieds zu singen ist : In dem done Ich wirbe umb allez daz ein man. 10 Das Lied, das die Melodie zur Verfügung stellt, stammt vom Minnesänger Reinmar dem Alten, einem Zeitgenossen Walthers. 11 Über die Identität der Melodien hinaus stehen die beiden Texte in einem engen Verhältnis zueinander. Walther zitiert markante Formulierungen aus Ich wirbe um allez daz ein man sowie einem weiteren Lied Reinmars, Ich will allez gâhen. 12 Walther inszeniert sich so als Experte in Sachen Minne und Minnesang : Er kenne das richtige Verständnis und die richtige Praxis der höfischen Liebe und des Sprechens über die Liebe, und er behauptet, dass er sich im Gegensatz zu Reinmar innerhalb dieser Regeln bewege. Dem Lied Walthers ließe sich zwar auch ohne eine Kenntnis der Bezugstexte ein grobes Verständnis abgewinnen, seine volle Bedeutung erschließt sich aber erst, wenn man die zitierten Lieder Reinmars kennt. Der Melodie kam beim Zuhören wahrscheinlich die Funktion zu, die Vorlage, deren Inhalt man bei der verständigen Rezeption parat haben mussgehören als weitere Hauptgattungen die - ein breites thematisches Spektrum behandelnde - Sangspruchdichtung und die formal bestimmte Großform des Leichs. 10 Walther von der Vogelweide, Leich, Lieder, Sangsprüche, 15. veränderte und erweiterte Aufl. der Ausgabe Karl Lachmanns aufgrund der 14. von Christoph Cormeau besorgten Ausgabe neu hg. von Thomas Bein, Berlin, Boston : de Gruyter 2013, 412 - 414, Ton 81 (L 111,23 ); Heidelberg, Universitätsbibl., cpg 848, fol. 142v, Digitalisat unter : http: / / digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/ cpg848? ui_lang=ger (19. 07. 2018 ). 11 Des Minnesangs Frühling, unter Benutzung der Ausgabe von Karl Lachmann u. a. bearb. von Hugo Moser und Helmut Tervooren, 38. erneut revidierte Aufl., Stuttgart : S. Hirzel 1988, 329 - 331, XXI,XIX (MF 170,1). Als Kern der sogenannten ‘Fehde’ zwischen Walther und Reinmar gehört es zu den viel diskutierten und interpretierten Liedern, vgl. ( mit weiterer Literatur): Ricarda Bauschke, Die ‘Reinmar-Lieder’ Walthers von der Vogelweide. Literarische Kommunikation als Form der Selbstinszenierung, Heidelberg : Universitätsverlag C. Winter 1999 (Germanisch-romanische Monatsschrift. Beiheft 15 ), 11- 47 ( zur ‘Fehde’), 59 - 76 ( zu Ein man verbiutet); dies., «Spiegelungen der sog. Walther-Reinmar-‘Fehde’ in der Würzburger Handschrift E », in : Horst Brunner (Hg.), Würzburg, der Große Löwenhof und die deutsche Literatur des Spätmittelalters, Wiesbaden : Reichert Verlag 2004 (Imagines Medii Aevi 17 ); Albrecht Hausmann, Reinmar der Alte als Autor. Untersuchungen zur Überlieferung und zur programmatischen Identität, Tübingen und Basel : A. Francke Verlag 1999 (Bibliotheca Germanica 40 ), 186 - 192. 12 Des Minnesangs Frühling ( wie Anm. 11), 329 - 331, XXI,XIX (MF 170,1). Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 153 te, sicher zu identifizieren und bei den Rezipienten den Ausgangstext schneller und vollständiger in Erinnerung zu rufen, als es die Text-Zitate allein konnten. In der Melodie eines Lieds von Reinmar ebendiesem zu unterstellen, er habe mit seinem Lied gegen die Spielregeln des Minnesangs verstoßen, und darin eine Auseinandersetzung um richtigen Minnesang zu führen, war aber vermutlich auch eine besondere Spitze gegen den Sängerkollegen. Die Kontrafaktur machte den intertextuellen Bezug besonders deutlich und verschärfte den Angriffscharakter. Kontrafazieren wird hier als ein Mittel der polemischen literarischen Auseinandersetzung verwendet. Kontrafazieren als Mittel der polemischen, kritischen, spöttischen oder überbietenden Auseinandersetzung mit einem Prä-Text ist in der höfischen Lyrik kein Einzelfall. Auf die Gesamtheit der Überlieferung gesehen ist diese Art der Kontrafaktur aber doch selten. Kornrumpf und Wachinger listen aus der Großen Heidelberger Liederhandschrift (C ), die insgesamt über 5000 Strophen enthält, 13 nur acht Fälle, in denen eine Formübernahme verbunden mit einer direkten Bezugnahme auf den Text vorliegt. 14 Häufiger, aber aufs Ganze gesehen immer noch selten sind Fälle, in denen eine Strophenform mehrfach gebraucht wird, aber « ein Entlehnungszusammenhang nicht unmittelbar evident » ist, 15 also eine Auseinandersetzung nicht intendiert scheint. Hier finden sich unter den Sangspruchstrophen von C fünfzehn Fälle. 16 Für die deutschsprachige höfische Lyrik kann man also festhalten, dass 13 Siehe Gisela Kornrumpf, «Heidelberger Liederhandschrift C », in : Kurt Ruh u. a. (Hgg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 3, Berlin, New York : de Gruyter 1981, Sp. 588. 14 Kornrumpf und Wachinger, «Alment » ( wie Anm. 4 ), 122 - 123. 15 Ebd., 123. 16 Ebd., 123-125. Diese Fälle führen in die Gattung des Sangspruchs (dazu unten, Abschnitt 3). In ihr stellt sich die Ausgangslage etwas anders dar, weil im Sangspruch die Melodie von vorneherein für eine Reihe weiterer Strophen verwendet werden konnte; im Minnesang wurde dagegen eine Melodie meistens nur für ein Lied verwendet. Offenbar war aber in der Sangspruchdichtung bis ca. 1350 die Verwendung des Tons eines Autors - den dieser für viele weitere Strophen verwenden konnte - durch einen anderen Autor eher die Ausnahme als die Regel, vgl. Kornrumpf und Wachinger, «Alment» (wie Anm. 4), 128- 160. Weitere Fälle außerhalb von C bei Johannes Rettelbach, Variation - Derivation - Imitation. Untersuchungen zu den Tönen der Sangspruchdichter und Meistersinger, Tübingen: 154 Stefan Rosmer Kontrafazieren zwar möglich war, aber keineswegs eine ‘geläufige’ und ‘selbstverständliche’ Praxis. Walthers Verwendung einer Reinmar-Melodie markiert auch, dass hier ein sehr besonderer Fall vorliegt. Das Beispiel Reinmar und Walther macht auf Probleme beim Bestimmen von Kontrafakturen aufmerksam. Beide Texte sind ohne Melodie überliefert. Ihre metrische Form stimmt nicht überein, insbesondere variiert die Länge der Verse ; zudem stimmen auch die beiden Walther-Strophen untereinander nicht genau überein. 17 Ohne den Hinweis der Handschrift und ohne die textlichen Bezüge würde man in diesem Fall eine Kontrafaktur bestenfalls vermuten. 18 Bei den metrischen Unterschieden handelt es sich aber wahrscheinlich nicht um im Überlieferungsprozess angehäufte Fehler. Walthers Lied musste in der Strophenform nicht exakt mit dem Reinmars übereinstimmen, solang die Melodie noch hörbar eine sehr ähnliche war. 19 So zeigt die Jenaer Liederhandschrift, in der Melodiewiederholungen innerhalb der Strophen ausnotiert sind, dass es Abweichungen zwischen als gleich einzuschätzenden Melodien geben konnte. 20 Wären zu beiden Texten Melodien überliefert, böten sie eine Grundlage zu studieren, was zumindest einem mittelalterlichen Schreiber noch als die gleiche wîse gegolten hätte. Max Niemeyer 1993 (Frühe Neuzeit 14), 148, und Joachim Schulze, «Ein bisher übersehenes Kontrafakt in der Jenaer Liederhandschrift ? », in: Zeitschrift für deutsche Philologie 108 (1989), 405-406. 17 Vgl. Bauschke, Reinmar-Lieder (wie Anm. 11), 61- 62. 18 Vgl. die Vorgehensweise in Aarburg, «Melodien » ( wie Anm. 2 ), 413, beim Bestimmen romanisch-deutscher Kontrafakturen. 19 Vgl. Walther, hg. von Bein (wie Anm. 10), 412; anders Ulrich Seelbach, «Besseres liefern. Ein Vorschlag zu Walthers Matt wider Matt» (L 111,23), in : Thomas Bein (Hg.), Walther verstehen - Walther vermitteln. Neue Lektüren und didaktische Überlegungen. Frankfurt a. M. etc.: Peter Lang 2004 (Walther-Studien 2), 253-266, hier 254, Anm. 3 und 266. 20 Siehe Erdmute Pickerodt-Uthleb, Die Jenaer Liederhandschrift. Metrische und musikalische Untersuchungen, Göppingen: Kümmerle 1975 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 99), 7-140. Als ähnlich gravierend wie die Veränderung der Verslänge könnten Fälle eingeschätzt werden, in denen bei der Wiederholung einer Melodiezeile die Töne von Hebung und Senkung vertauscht werden, beim zweiten Mal also andere Töne mit den ( sprachmetrischen) Versakzenten zusammenfielen, siehe die Beispiele ebd., 265 -268, Anm. 12. Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 155 Bsp. 1 : Ton I Guters in der Jenaer Liederhandschrift (wie Anm. 22 ), fol. 38r- v. ( a ) Text Guters nach der Jenaer Liederhandschrift (recte ). Dieser Text ist in der Hs. der Melodie unterlegt ; Text ist ohne Eingriffe wiedergegeben, nur der Punkt über y in der Handschrift wird nicht wiedergegeben. ( b ) Text Walthers von der Vogelweide ( kursiv ) nach der Ausgabe von Bein ( wie Anm. 10 ); die Textunterlegung ist rekonstruiert. Elisionspunkte, die den Wegfall des Vokals im Vortrag andeuten, und Akzente stammen in allen Fällen von mir. 156 Stefan Rosmer Günther Schweikle hat erwogen, dass die Identität der wîse gewahrt wurde, indem der diastematische Verlauf gleich blieb, aber die Versgrenzen verschoben wurden, d. h., die Melodie anders zäsuriert wurde. 21 Einen Fall, wo Vergleichbares vorliegen könnte, bietet eine Melodie aus der Jenaer Liederhandschrift. 22 Sie ist zu den Strophen des Sangspruchdichters Der Guter Bsp. 1 : (Fortsetzung ). 21 Günther Schweikle, «Die Fehde zwischen Walther von der Vogelweide und Reinmar dem Alten. Ein Beispiel germanistischer Legendenbildung », in : Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 115 (1986 ), 235 - 253, hier 249 - 250. Seine Überlegung resultiert aus der Beobachtung, dass zwar die Verse eine unterschiedliche Zahl an Hebungen aufweisen, Verspaare aber die gleiche Summe an Hebungen (Vers 3 - 4 : Reinmar 4 + 6, Walther 5 + 5 Hebungen). Reinmars Schlussvers wird üblicherweise mit zwei Hebungen angesetzt (Walther drei Hebungen ), er ließe sich aber in allen Strophen mit drei Hebungen lesen, wenn man die erste Silbe betont und sie nicht als Auftakt liest. Die starke Betonung, die die Anfangsworte der Schlussverse dadurch erhalten, vertragen sie inhaltlich gut. 22 Jena, Thüringische Universitäts- und Landesbibl. [D-Ju ], Ms. el. fol. 101, fol. 38r - v, Digitalisat unter https : / / archive.thulb.uni-jena.de/ collections/ receive/ HisBest_cbu_ 00008190#tab0 ( 31. 07. 2019 ). Zur Handschrift vgl. Burghart Wachinger, «Jenaer Liederhandschrift », in : Kurt Ruh u. a. (Hgg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 4, Berlin, New York : de Gruyter 1983, Sp. 512 - 516 ; Lorenz Welker, «Jenaer Liederhandschrift », in : Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. neubearb. Aufl., Sachteil Bd. 4 (1996 ), Kassel, Stuttgart etc.: Bärenreiter, Metzler, Sp. 1455 - 1460 ; Jens Haustein und Franz Körndle (Hgg.), Die ‘Jenaer Liederhandschrift’. Codex - Geschichte - Umfeld, Berlin : de Gruyter 2010. Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 157 aufgezeichnet. 23 Hier lässt sich die Variation der Versgrenze bei ähnlicher Melodie innerhalb einer Strophe beobachten (Bsp. 1). Die dritte Melodiezeile der Stollen wird im Abgesang variiert wiederholt, der Vers ist im Abgesang eine Waise, so dass der zäsurierende Effekt des Reims fehlt. Im Abgesang lässt sich die Melodiezeile daher auch nach der ersten Vershälfte absetzen und die zweite Hälfte der folgenden langen Schlusszeile zuschlagen. 24 Gleichwohl ist gut zu hören, dass es sich um die dritte Wiederholung eines bekannten melodischen Abschnitts handelt, der am Schluss durch einen Einschub verlängert ist. 2 Heinrich Laufenberg In die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts und in die geistlich-klerikale Sphäre führt das Œuvre Heinrich Laufenbergs. 25 Seine über 120 deutschsprachigen geistlichen Lieder waren in einer von ihm selbst geschriebenen Handschrift aufgezeichnet, die 1870 verbrannt ist. Neben der Streuüberlieferung sind die 23 Guter war vermutlich im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts produktiv, Anhaltspunkte für eine genaue Datierung fehlen, siehe Helmut Tervooren, «Der Guter », in : Ruh u. a. (Hgg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 3, Berlin, New York : de Gruyter 1981, Sp. 334 - 335 ; Textedition : Thomas Cramer (Hg.), Die kleineren Liederdichter des 14. und 15. Jahrhunderts, Bd. 1, München : Wilhelm Fink 1977, 262 - 264. 24 Vgl. Pickerodt-Uthleb, Jenaer Liederhandschrift ( wie Anm. 20 ), 443. Melodie und Strophenform von Guters Texten könnten ihrerseits von Walther oder einem anderen Minnelied entlehnt sein, siehe Schulze, «Übersehenes Kontrafakt ? » (wie Anm. 16 ). Da inhaltliche Bezüge fehlen, ist das Erkennen der Kontrafaktur für Philologen neben dem identischen Reimschema ( abc abc ddeXe ) allerdings an die Auffassung des neunten Verses als vierhebig und metrisch identisch mit den Versen 3 und 6 gebunden. Für den historischen Rezipienten hätte die Melodiegleichheit der Strophen genügt. 25 Er dürfte um 1390 geboren sein, Zentren seines Lebens waren Freiburg im Breisgau, Zofingen und Straßburg. In Freiburg urkundet er als Kaplan und Stellvertreter des Leutpriesters an der Freiburger Pfarrkirche, in Zofingen als Dekan des Kollegiatstifts. 1445 tritt in das Johanniterkloster Zum Grünen Wörth in Straßburg ein, wo er 1460 stirbt. Vgl. Burghart Wachinger, «Heinrich Laufenberg », in : Ruh u. a. (Hgg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 5, Berlin, New York : de Gruyter 1985, Sp. 614 - 625. 158 Stefan Rosmer Lieder heute vor allem durch Wackernagels Deutsches Kirchenlied erhalten. 26 Unter ihnen finden sich mehrere Kontrafakturen und Lieder, bei denen die Vermutung naheliegt, es könne sich um eine Kontrafaktur handeln. 27 26 Philipp Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jahrhunderts, Bd. 2, Leipzig : B. G. Teubner 1867. Wackernagels handschriftliche Druckvorlage ist erhalten : Straßburg, Bibliothèque nationale et universitaire [F-Sn], Ms. 2371 ; Digitalisat online unter http: / / www.numistral.fr/ ark: / 12148/ btv1b10235196n. r=wackernagel? rk=21459 ; 2, 23. 07. 2018. Vgl. Wachinger, «Heinrich Laufenberg » ( wie Anm. 25 ), 620. Die Streuüberlieferung ist beschrieben und ediert in Balázs J. Nemes, Das lyrische Œuvre von Heinrich Laufenberg in der Überlieferung des 15. Jahrhunderts. Untersuchungen und Editionen, Stuttgart : S. Hirzel 2015 (Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. Beihefte 22 ). 27 Max Schiendorfer, «Der Wächter und die Müllerin ‘verkêrt’, ‘geistlich’. Fußnoten zur Liedkontrafaktur bei Heinrich Laufenberg », in: Claudia Brinkner u. a. (Hgg.), Contemplata aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität, Bern etc.: Peter Lang 1995, 273- 316. Die folgenden Ausführungen stützen sich wesentlich auf diesen und weitere Beiträge von Max Schiendorfer, «Ein vündelin zu Heinrich Laufenbergs Liedercodex (olim Straßburg B 121) und zu seinem Wecklied Stand vf vnd sih Ihesum vil rein», in: Zeitschrift für deutsche Philologie 119 ( 2000), 421- 426 ; ders., «Johanniterbibliothek Straßburg, Cod. B 121. Die verlorene Liederhandschrift Heinrich Laufenbergs », in: Entstehung und Typen mittelalterlicher Lyrikhandschriften, hg. von Anton Schwob und András Vizkelety, Bern etc.: Peter Lang 2001, 223 - 241; ders., «Probleme der Text-Noten-Zuordnung bei Heinrich Laufenberg. Musikphilologische Überlegungen eines Germanisten », in: Christoph März (†), Lorenz Welker und Nicola Zotz, Ieglicher sang sein eigen ticht. Germanistische und musikwissenschaftliche Beiträge zum deutschen Lied im Spätmittelalter, Wiesbaden: Ludwig Reichert Verlag 2011 (Elementa musicae 4), 117-130; sowie auf Burghart Wachinger, «Notizen zu den Liedern Heinrich Laufenbergs », in: ders., Lieder und Liederbücher. Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik, Berlin, New York : de Gruyter 2011, 329 -361 ( zuerst in: Dietrich Huschenbett, Klaus Matzel u. a. [Hgg.], Medium aevum deutsch. Beiträge zur deutschen Literatur des hohen und späten Mittelalters. Festschrift für Kurt Ruh zum 65. Geburtstag, Tübingen : M. Niemeyer 1979, 349- 385 ). Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 159 2.1 Es taget minnencliche 28 Die direkte Vorlage Laufenbergs ist nicht bekannt, aber der erste Vers und wahrscheinlich auch eine Rubrik (Id daget in dat osten / Es taget in dem Osten) führen zu Liedern, mit deren Hilfe man sich eine Vorstellung von der Vorlage machen kann. 29 Ein ähnliches Incipit haben die niederländische Version eines erzählenden Lieds - einer Ballade -, die im 16. Jahrhundert überliefert ist (Het daghet inden oosten), und dessen noch jüngere niederdeutsche Version (Id daget in dat osten). 30 Mit der mittelniederländischen Version weisen Laufenbergs Strophen VII, IX und X Übereinstimmungen im Wortlaut auf, die zudem in beiden Texten an derselben Position der Strophe stehen. 31 Noch näher steht eine Version, die mit Es taget in osteriche beginnt und in alemannischer Schreibsprache sowie in geographischer und zeitlicher Nähe zu 28 Wackernagel, Kirchenlied ( wie Anm. 26 ), 535, Nr. 709 ; Max Lütolf u. a. (Hgg.), Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters. Melodien und Texte handschriftlicher Überlieferung bis um 1530, Bd. 2, Kassel etc.: Bärenreiter 2004, 48, Nr. 213. 29 In Wackernagels Druckvorlage, F-Sn 2371 ( wie Anm. 26 ), fol. 50r und fol. 120v, findet sich kein Hinweis auf eine Rubrik. Die Rubrik erwähnen Friedrich Wilhelm Arnold, Das Locheimer Liederbuch nebst der Ars organisandi von Conrad Paumann, Leipzig : Breitkopf und Härtel 1867 (Jahrbücher für Musikalische Wissenschaft hg. von F. Chrysander 2 ), 1- 234, und Franz M. Böhme, Altdeutsches Liederbuch, Leipzig : Breitkopf und Härtel 1877. Arnold, Locheimer Liederbuch gibt sie in hochdeutscher Sprachform an : «Weltlich : Es taget in dem Osten » ( 37 ). Bei Böhme, Liederbuch steht sie in Niederdeutsch : «Id daget in dat osten » ( 71). Eine Anpassung einer ursprünglich niederdeutschen Rubrik an das Schriftdeutsche seiner Zeit durch Arnold ist wahrscheinlicher als eine Umsetzung einer oberdeutschen Rubrik ins Niederdeutsche durch Böhme. Laufenbergs Rubrik dürfte also auf eine niederdeutsche Version der Ballade verwiesen haben. 30 Editionen : John Meier (Hg.), Deutsche Volkslieder. Balladen. Dritter Teil, Berlin : de Gruyter 1954, 154 - 165 ( die transponierte Rekonstruktion der Melodie, ebd., 162 - 163, stammt von Walter Wiora, vgl. ebd., VII); Ludwig Uhland (Hg.), Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, 2 Bde., Stuttgart, Tübingen : J.G. Cotta’scher Verlag 1844 - 1845, hier Bd. 1, 210 - 216, Nr. 95 A und B ; Uhlands Anm. in Bd. 2, 1009, verweist für die niederdeutsche Version A auf den Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Organ des germanischen Museums 4 (1835 ), 455 - 456, dort ist allerdings der Text aus der St. Blasier Hs. ( siehe unten Anm. 34 ) abgedruckt. 31 Alle Texte sind mit Markierung der Übereinstimmungen zu Laufbergs Lied abgedruckt bei Schiendorfer, «Der Wächter und die Müllerin » ( wie Anm. 27 ), 305 - 308. 160 Stefan Rosmer Laufenberg aufgezeichnet wurde. 32 Wenn Laufenberg aber eine Rubrik in niederdeutscher Sprachform angab, muss eine weitere, ältere niederdeutsche Version der Ballade seine Vorlage gewesen sein und nicht die alemannische. Der Text von Es taget in osteriche weist im Erzählzusammenhang Lücken und Unklarheiten auf, aber die Geschichte lässt sich mithilfe der anderen bekannten Texte zusammenfassen : Eine junge Frau hat ein Liebesverhältnis. Gleichzeitig wirbt ein anderer Ritter um sie, den sie nicht liebt. Den ungeliebten Kandidaten weist sie bei dessen morgendlicher Werbung ab. Darauf stößt der Abgewiesene die Drohung aus, sie werde das am Ende des Jahres noch bereuen. Als das Jahr zu Ende geht, vermisst sie ihren Geliebten, sucht ihn und fragt einen Wächter um Rat, der ihr sagt, er habe ihn erschlagen liegen sehen, und sie zu dem Toten führt. Sie begräbt ihn mit ihren eigenen Händen. In der niederdeutschen und niederländischen Version bittet sie zuvor ihre Familie um Hilfe beim Begräbnis, die ihr verweigert wird, und geht danach ins Kloster. Vor diesem Hintergrund gewinnt Laufenbergs Text an Prägnanz. Statt der Morgensonne, die in der Vorlage mit der Drohung des zudringlichen Ritters verbunden ist, scheint die Sonne der Gnade. Das Jahr, das mit dem Mord am Geliebten endet, wird zum Jahr, das nicht enden soll, bis Jesu Gnade erworben ist. Der Geliebte ist Jesus selbst. Die körperliche Liebe, die zu sozialen Konflikten und zu Leid führt, wird durch eine spirituelle ersetzt, die aber noch deutlich erotisch-körperliche Züge hat, wenn man in Jesu Armen liegt und ihn auf den Mund küsst. Während im weltlichen Lied eine Geschichte erzählt wurde - und die narrativen Lücken und Unklarheiten das Potenzial boten, die Geschichte zu ergänzen oder weiterzuspinnen -, ist die Narrativität im geistlichen Lied aufgehoben ; mit Ausnahme der Strophen II und III, von denen die dritte eine Art Antwort auf die zweite darstellt, könn- 32 Karlsruhe, Badische Landesbibl. [D-KA], St. Blasien 77, hier fol. 311r- v ; online unter https : / / digital.blb-karlsruhe.de/ urn/ urn: nbn: de : bsz: 31-51901 ( 29. 07. 2018 ). Der Codex wurde von Heinrich Otter de Schera zwischen 1439 und 1442 geschriebenen. Er war in verschiedenen Orten der Diözese Konstanz tätig. In Italien erhielt er die Weihen von Subdiakon, Akolyth und Diakon. Er wurde später kein Priester, sondern heiratete ; siehe : Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe. Bd. 12 : Die Handschriften von St. Blasien, beschrieben von Peter Höhler und Gerhard Stamm, Wiesbaden : Harrassowitz 1991, 56. Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 161 te die Reihenfolge der Strophen beliebig umgestellt werden. Das Lied präsentiert im Grunde zeitenthobene, zumindest nicht in einen Ereigniszusammenhang zu bringende Situationen der innerlichen Verbindung mit bzw. der Sehnsucht nach Christus. Dieses kleine Lied Laufenbergs ist in mehrerer Hinsicht repräsentativ für Kontrafakturen in klösterlichen Kontexten des 15. Jahrhunderts : Es werden weltliche Melodien mit einem neuen Text versehen, wobei der ursprüngliche Text « zumindest tendenziell, oft aber explizit präsent» bleibt. 33 Das neue Lied stellt sich «in den Zusammenhang der Weltabkehr, der conversio», 34 die Liedaussage benötigt den Bezug auf einen weltlichen Sinnhorizont, von dem sie sich abgrenzt. 35 Diese Art der Sinnkonstruktion durch Bezug auf einen 33 Burghart Wachinger, «Gattungsprobleme beim geistlichen Lied des 14. und 15. Jahrhunderts », in : ders., Lieder und Liederbücher. Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik. Berlin, New York : de Gruyter 2011, 311- 327, hier 317 ( zuerst in : Horst Brunner und Werner Williams-Krapp [Hgg.], Forschungen zur deutschen Literatur des Spätmittelalters. Festschrift für Johannes Janota, Tübingen : Niemeyer 2003, 93 - 107 ). 34 Ebd., 317. 35 Die germanistische Forschung interessiert sich vor allem für das semantische Potenzial, das aus der Überschneidung von weltlicher und geistlicher Sphäre resultiert : Michael Curschmann, «Typen inhaltsbezogener formaler Nachbildung eines spätmittelalterlichen Liedes im 15. und 16. Jahrhundert (Hans Heselloher : ‘Von üppiglichen dingen’)» , in : Ingeborg Glier u. a. (Hgg.), Werk - Typ - Situation. Studien zu poetologischen Bedingungen in der älteren deutschen Literatur, Stuttgart : J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 305 - 325 ; Uwe Ruberg, « contrafact uff einen geistlichen sinn … Liedkontrafaktur als Deutungsweg zum Spiritualsinn ? », in : Klaus Grubmüller, Ruth Schmidt-Wiegand und Klaus Speckenbach (Hgg.), Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters, München : Wilhelm Fink 1984 (Münstersche Mittelalter-Schriften 51), 69 -81 ; Andreas Kraß, «Eine unheilige Liturgie. Zur karnevalesken Poetik des Martinsliedes des ‘Mönchs von Salzburg’», in : Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 121 (1999 ), 75 - 102 ; Franz-Josef Holznagel, «Der Martin verkert geistlich. Zum Trinklied W 54* des Mönchs von Salzburg und seinen geistlichen Kontrafakturen (Heinrich Laufenberg WKL 795 und 796 ; Hohenfurther Liederbuch Nr. 75 )», in : Thomas Bein u. a. (Hgg.), mit clebeworten underweben. Festschrift für Peter Kern zum 65. Geburtstag, Frankfurt am Main u. a. 2007, 193 - 212 ; Ute von Bloh, «Spielerische Überschneidungen. Zur Zirkulation vielsagender Allusionen in spätmittelalterlichen Kontrafakturen und Bildern », in : Susanne Köbele, Bruno Quast (Hgg.), Literarische Säkularisierung im Mittelalter, Berlin : de Gruyter 2014, 260 - 284. 162 Stefan Rosmer weltlichen Horizont dürfte die Pfullinger Liederhandschrift mit Contrafact uff einen geistlichen sinn benennen. 36 Die Vorlagen dieser conversio-Kontrafakturen, entstammen nicht der artifiziellen Liedkunst. Die Handschrift von Es taget in osteriche verdeutlicht dies, wenn sie das Lied in einer Beischrift als Purengesangk bezeichnet. 37 Der klerikal gebildete Schreiber Heinrich Otter dürfte damit ein Lied meinen, das nicht in adlige oder klerikale Kreise gehört und das durch sprachliche, formale und melodische Simplizität gekennzeichnet ist. 38 An der Herkunft aus einer nicht-artifiziellen, überwiegend in oralen Singpraktiken verankerten Liedkultur dürfte es liegen, dass die Vorlagen von conversio-Kontrafakturen oft unbekannt sind, denn solche Lieder dürften im 14. und 15. Jahrhundert selten den Weg aufs Pergament oder Papier gefunden haben. Nur in einem günstigen Fall wie Laufenbergs Lied lässt sich die Gestalt der Vorlage verhältnismäßig gut rekonstruieren. Wie steht es um die Melodie ? Melodien zu fünfzehn Liedern Laufenbergs sind in der Druckvorlage Wackernagels erhalten. 39 Demnach waren in der Laufenberg-Handschrift die Melodien nicht mit Text unterlegt, sondern 36 Michael Curschmann und Gisela Kornrumpf, «Pfullinger Liederhandschrift », in: Kurt Ruh u. a. (Hgg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 7, Berlin, New York : de Gruyter 1989, Sp. 584 -587 ; Falck, «Contrafactum » (wie Anm. 1), 1- 2 ; Volker Kalisch, «Ich bin doch selber ich ». Spuren mystischer Frömmigkeit im geistlichen Liedgut des 15. Jahrhunderts : Der Pfullinger Liederanhang, Essen: Verlag Die Blaue Eule 1999 (Musik-Kultur 6), 117. 37 D-KA, St. Blasien 77 (wie Anm. 32 ), fol. 311r. 38 Zu Heinrich Otters Bildung siehe oben, Anm. 32. 39 Siehe oben, Anm. 26 ; zwei weitere Melodien sind durch andere Abschriften erhalten, siehe Wachinger, «Notizen » (wie Anm. 27 ), 337- 339, Abbildung der Melodieabschriften Wackernagels ebd., 357- 360. Abb. 1: Abschrift der Melodienotation Heinrich Laufenbergs zu Es taget minnencliche von Philipp Wackernagel, Ausschnitt aus fol. 120r des Manuskripts 2371 der Bibliothèque Nationale et universitaire de Strasbourg (wie Anm. 26 ). Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 163 getrennt von ihm notiert (Abb. 1). 40 Die Melodieaufzeichnung weist bei Es taget minnencliche mehr Töne auf, als der Text Silben hat, so dass die Platzierung von Melismen fraglich ist. Außerdem findet sich nur ein Distinktionsstrich, so dass auch die Schlusstöne der Verse bzw. Melodiezeilen nicht erkennbar sind. Der Rekonstruktionsvorschlag in den Geistlichen Gesängen des deutschen Mittelalters grenzt die Zeilen wie in Bsp. 2 ab. 41 Erwägenswert scheint ein alternativer Versuch, der die Noten vor dem Distinktionsstrich als längeres Eingangsmelisma auffasst - solche Vorhänge sind in der einstimmigen deutschen und lateinischen Liedkunst des 14. und 15. Jahrhunderts häufig anzutreffen - und den Text erst den Noten nach dem Distinktionsstrich 40 Zur Notationsweise vgl. Schiendorfer, «Probleme » ( wie Anm. 27 ); vgl. weiter : Friedrich Gennrich, «Mittelalterliche Lieder mit textloser Melodie », in : Archiv für Musikwissenschaft 9 (1952 ), 120 - 136 ; Ewald Jammers, «Deutsche Lieder um 1400 », in : Acta Musicologica 28 (1956 ), 28 - 54. Für das niederländische Lied hat sich Ike de Loos intensiv mit der vom Text getrennten ‘streepjesnotatie’ der Gruuthuse-Handschrift befasst ; vgl. Ike de Loos, «Het Gruuthuse-liedboek en de muziek van zijn tijd », in : Frank Willaert (Hg.), Het Gruuthuse-handschrift in woord en klank. Nieuwe inzichten, nieuwe vragen. KANTLcolloquium 30 november 2007, Gent : Koninklijke Academie voor Nederlandse Taalen Letterkunde 2010 (Studies op het gebied van de oudere Nederlandse letterkunde 4 ), 113 - 147, sowie ihre Neuedition der Melodien in Herman Brinkman (Hg.), Het Gruuthusehandschrift. Hs. Den Haag, Koninklijke bibliotheek, 79 K 10, Hilversum : Verloren 2015. 41 Diese Rekonstruktion orientiert sich an der von Walter Wiora in John Meier (Hg.), Deutsche Volkslieder (wie Anm. 30 ), 162 - 163 ; die gleiche Textunterlegung, aber mit dreizeitiger Rhythmisierung der Melodie schon in Böhme, Altdeutsches Liederbuch ( wie Anm. 29 ), 69. Bsp. 2: Heinrich Laufenberg, Es taget minnencliche, Rekonstruktion der Melodie in : Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters ( wie Anm. 28 ), Bd. 2, 48, Nr. 213. 164 Stefan Rosmer unterlegt. Es ergibt sich eine syllabische Melodie, die deutlicher im auf C transponierten fünften Modus steht (Bsp. 3 ). Unabhängig davon, welche Rekonstruktion man bevorzugt, handelt es sich um eine einfache Melodie : Der Ambitus einer Sexte wird nicht überschritten, ausgedehnte Melismen fehlen, die Melodie verläuft überwiegend in Sekundschritten ; in der Rekonstruktion der Geistlichen Gesänge begegnen Quartsprünge innerhalb der Zeile. Auch die Strophenform aus vier kreuzgereimten Versen mit Wechsel von weiblichen und männlichen Kadenzen signalisiert Schlichtheit. Die Melodie passt somit ins Bild, das von der kulturellen Sphäre gezeichnet wurde, auf die die conversio-Kontrafakturen Bezug nehmen. Möglicherweise ist es bei Laufenberg aber keine übernommene, sondern eine bewusst gesetzte melodische Schlichtheit. Zu Es taget in osteriche ist in der St. Blasier Handschrift ebenfalls eine nicht mit Text unterlegte Melodie aufgezeichnet. 42 Auch hier stellt sich das Problem der Rekonstruktion der Textunterlegung und damit der melodischen Strophengestalt. Das Ausmaß der Ähnlichkeit variiert je nach Rekonstruktion. Aus der Notation geht aber in jedem Fall ein Unterschied im Modus hervor. Die Melodien müssen daher nicht unbedingt identisch oder sehr ähnlich gewesen sein. 43 Um eine ähnlich schlichte Melodie dürfte es sich aber auch bei Es taget in osteriche gehandelt haben. Bsp. 3 : Heinrich Laufenberg, Es taget minnencliche, Alternative Rekonstruktion der Melodie. 42 D-KA, St. Blasien 77 (wie Anm. 32 ), fol. 311r. 43 Walter Wiora plädiert allerdings dafür, dass die beiden und weitere Melodien « genetisch zusammengehören », siehe Meier (Hg.), Deutsche Volkslieder (wie Anm. 30 ), 161. Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 165 Natürlich kann die unbekannte, direkte Vorlage Laufenbergs die Melodie gehabt haben, mit der sein Lied übereinstimmt. Dennoch wirft der Befund die Frage auf, ob es sich gar nicht um eine musikalische Kontrafaktur, sondern um eine rein textliche handeln könnte. Die Bezüge auf die Geschichte der Ballade waren durch den Text von Es taget minnencliche eindeutig gegeben. Womöglich kam es Laufenberg gar nicht auf die Verwendung einer bestimmten Melodie an, sondern nur auf den Melodietyp, der Einfachheit und Popularität signalisieren sollte und den er auch mit einer selbst erfundenen Melodie realisieren konnte. 44 2.2 Salve regina - Bis grust, maget reine Im zweiten Beispiel aus Laufenbergs Œuvre ist mit Sicherheit eine vorgegebene Melodie verwendet. In seinem Liedschaffen setzt sich Laufenberg mit den Formen der liturgischen Poesie auseinander, so finden sich Hymnen- und Sequenzübertragungen, die auf die Melodie der Vorlage gesungen wer- Abb. 2: Melodiennotation und Beginn des Textes von Es taget in osteriche, Ausschnitt aus fol. 311r des Codex St. Blasien 77 der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe ( wie Anm. 42 ). 44 Laufenberg hat für identische Strophenformen verschiedene Melodien verwendet, siehe Schiendorfer, «Der Wächter und die Müllerin » ( wie Anm. 27 ), 287. 166 Stefan Rosmer den können. 45 Bis grust maget reine greift Melodie und Text der marianischen Antiphon Salve regina auf. 46 Laufenberg textiert die Melismen der Vorlage aus. 47 An die Stelle der lateinischen Prosa tritt ein deutlich längerer deutscher Text in Versen. 48 Er 45 Damit ist ein weiteres wichtiges Feld von Kontrafakturen angesprochen. Seit dem 14. Jahrhundert treten neben Übersetzungen in Prosa, die den Inhalt des Texts wiedergeben wollen, Übertragungen, die auf die Melodie der lateinischen Sequenz bzw. des Hymnus gesungen werden können. Zu Sequenzübertragungen bei Laufenberg und im Mönch- Korpus vgl. Britta Bußmann, «Das Spiel mit der Nähe. Zwei spätmittelalterliche Übertragungen (Mönch von Salzburg/ Heinrich Laufenberg ) der Sequenz Verbum bonum et suave im Vergleich », in : Eva Rothenberger und Lydia Wegener (Hgg.), Maria in Hymnus und Sequenz. Interdisziplinäre mediävistische Perspektiven, Berlin, Boston : de Gruyter 2017 (Liturgie und Volkssprache. Studien zur Rezeption und Produktion geistlicher Lieder in Mittelalter und Früher Neuzeit), 137- 156. 46 Die Melodie ist erhalten durch den Abdruck in Ferdinand Wolf, Über die Lais, Sequenzen und Leiche, Heidelberg 1841, 491- 492 und Notenbeilage IX ; Text und Melodie im Weiteren zitiert nach Lütolf (Hg.), Geistliche Gesänge (wie Anm. 28 ), Bd. 1 ( 2003 ), 76 - 77, Nr. 51. Eine von Laufenberg nur geringfügig abweichende Salve regina-Melodie findet sich z. B. in A-KN 1018, fol. 106v - 107r (Antiphonarium, 14. Jh.), online unter : http: / / manuscripta.at/ diglit/ AT5000-1018/ 0001 ( 25. 07. 2018 ). 47 Das Verfahren ist von der Sequenz/ prosa her bekannt und begegnet auch bei Kontrafakturen in der mehrstimmigen Musik des 14. und 15. Jahrhunderts. 48 Einige Hinweise zum Verständnis : (1) «Bis »: sei! ; ( 3 ) « aller welt gemeine »: ‘für die ganze Welt/ für die Gemeinschaft aller auf der Welt’; ( 9 ) « hoffnung unser dingen », « hoffnung unser » ist Akkusativobjekt zu « dingen », aushandeln, ausbedingen : ‘sie kann unsere Hoffnung [ bei Gott] aushandeln’ (oder ist zu lesen « hoffnung uns erdingen » - ‘sie kann uns Hoffnung erstreiten [ beim Jüngsten Gericht]’? ); (12 ) und (17 ) « schryend », « süffzend »: Formen der 1. Pers. Plural ( keine Partizipien ); (15 ) « sün Even uns nüt verlür »: ‘gib uns, die Söhne Evas, nicht auf’; (18 ) « nüt enbir »: ‘unterlass es nicht! ’; ( 24 ) « gebresten »: ‘Mangel’, ‘Not’; ( 27 ) « versprich uns »: ‘sprich für uns ! / setze dich für uns ein ! ’; ( 43 ) « ruch »: ‘sei darauf bedacht! ’; ( 44 ) « bi dir warmen »: ‘bei dir warm werden’ gibt keinen guten Sinn. Das Wort « warmen » dürfte eine Korruptel zu sein. Ist gemeint mhd. ‘barmen’ und ‘zeig uns bei Dir Erbarmen’? Dies führt aber zu einer bloßen Wiederholung des Inhalts von ( 43 ), weist außerdem identischen Reim auf und ist grammatisch nach wie vor schief. Sollte hinter dem überlieferten « warmen » vielleicht das mhd. ‘barn’, ‘Kind’ stecken und ‘zeig uns dein Kind’ gemeint sein ? Das würde « ostende … fructum ventris tui » aus Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 167 wird durch Reimkaskaden in Blöcke gegliedert, denen man fast den Charakter kleiner Strophen zusprechen könnte. Der auch in der Vorlage melodisch wiederholte Beginn lässt in seiner austextierten Form an zwei Stollen am Beginn einer ausladenden Stollenstrophe denken. Im Weiteren sind die Bsp. 4: Bis grust maget reine, aus : Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters ( wie Anm. 28 ), Bd. 1, 76 - 77, Nr. 51. der Vorlage aufgreifen. Eine Rekonstruktion des Wortlauts scheint allerdings kaum möglich zu sein. 168 Stefan Rosmer Reimblöcke nicht mehr symmetrisch und von unterschiedlicher Länge. 49 Gegenüber den ersten beiden Abschnitten erhöht sich die Reimdichte deutlich. Dadurch tritt im Vergleich mit dem Salve regina die Ebene des Sprachklangs hinzu, denn der Wechsel der Reimvokale scheint bewusst organisiert. In den beiden Anfangsteilen dominieren - bei einer für Laufenberg sicher anzunehmenden alemannischen Aussprache des mit ‹ ei › geschriebenen Diphthongs als [ ei ̯ ] - helle, vordere Vokale. Der Reimvokal / i/ des zweiten Melodieblocks dominiert auch in Vers 11- 20, aufgelockert durch die ebenfalls hellen / ü/ und / ei/ . Dem kontrastiert in Vers 21- 24 der Reimklang mit dem tiefen und dunklen / a/ , dem wiederum das hohe - aber gegenüber / i/ dunklere - / u/ in Vers 25 - 27 folgt. Die Reimvokalfolge / i/ - / a/ - / u/ wird in Vers 28 - 41 wiederholt. Zwischen Vers 27 und 28 liegt auch melodisch ein Einschnitt. Die Verse 11- 28 hatten D als Zeilenfinalis vermieden und so den modalen Bezug geschwächt, mit Vers 28 setzt eine Rückbewegung zum Zentrum D ein. Der Einschnitt wird durch den markanten Quartsprung aufwärts am Anfang von Vers 28 und das erst- und einmalige Erreichen des Hochtons d’ markiert. Die Rückkehr zum Bezugspunkt D ist spätestens mit Vers 37 abgeschlossen. Der Text hat hier die zweite Kaskade des Reimvokals / u/ mit deutlichem Bezug auf den Text der lateinischen Vorlage. Für die Reimvokale lässt sich ab Vers 42 bis zum Ende die Folge der hinteren, aber immer heller werdenden Vokale / a/ - / o/ - / u/ beobachten. Die / o/ -Reime in Vers 45 - 47 greifen das O der lateinischen ( und deutschen) Anrufungen auf, die in diesem wiederholten Melodieblock zu singen sind. Melodisch ist der ganze Mittelteil von Vers 11- 44 durch ein kontinuierliches Voranschreiten geprägt ; es werden nur ganz kurze melodische Phrasen wiederholt, nie ganze Zeilen oder Zeilenblöcke. Die Wiederholung in Vers 45 - 48 erhält dadurch eine stark strukturierende Funktion. Vor allem im mittleren Teil ist zu beobachten, dass die neuen Reime dazu führen, dass die melodische Phrasenbildung der Vorlage aufgelöst wird. Der deutsche Text zergliedert die Melismen der Vorlage in eigenständige melodische Kurzzeilen. Im Ganzen entsteht so, ohne dass der diastematische Verlauf der Melodie angetastet würde, ein formal ganz neuartiges und eigenständiges Gebilde, 49 Deswegen hat man in der älteren Forschung auch von einem Leich gesprochen, vgl. Wachinger, «Notizen » ( wie Anm. 27 ), 337, Anm. 26. Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 169 bei dem man sich fragen kann, ob oder für wen oder an welchen Stellen die melodische Identität mit dem Salve regina noch erkennbar war. Im Sprachklang ist die Vorlage dagegen an einigen Stellen deutlich präsent. Beibehalten ist im Wesentlichen die inhaltliche Gliederung der Vorlage bzw. - genauer - ihre Abfolge von sprachlichen Handlungen. Im Lateinischen folgen vier Abschnitte mit vier verschiedenen Sprechakten aufeinander : 1. Gruss/ Anrede Marias, quasi die Kontaktaufnahme («Salve » bis «Salve »), 2. Selbstdarstellung der ‘Gesprächspartner’ in der Wir-Form als in Not Befindliche und Flehende (« ad te » bis « valle »), 3. Bitte («Eya » verbunden mit Imperativformen), 4. Lobpreis («O … Maria »). Laufenberg vermehrt die Ausdrucksformen für alle diese Sprechakte, die Bitte zieht er bereits in den zweiten Teil hinein (Vers 15 : « nüt verlür », Vers 24 : « wend gebresten »). Im ersten Teil ergänzt er lobende Aussagen zur Gottesmutter (Vers 4 : sie hat « erbärmd », Vers 6 - 7 : sie « bringt leben » und « süskeit »). Diesen Lobpreis trägt ein ‘Ich’ vor (Vers 5 ), das zuerst als vortragender Sänger auftritt (Vers 8 ), sich aber mit dem Wechsel zur Selbstdarstellung in Vers 11 in das Gemeinde-Wir der Vorlage eingliedert und im Weiteren nicht mehr hervortritt. Den Text seiner Salve regina-Bearbeitung hätte Laufenberg als gelehrter clericus mit den Begriffen der Rhetorik vermutlich als amplificatio oder dilatatio bezeichnet, ohne dass sein Text weitschweifig wirken würde. 50 Für die verschiedenen musikalischen und textlichen Verfahrensweisen seiner Salve regina-amplificatio lassen sich jeweils Vorbilder finden. Ihre Kombination sowie deren Resultat stellen aber einen einmaligen Fall dar, der weit über eine bloße Austextierung hinausgeht. Zugleich wird die Grundaussage und Grundintention des Ausgangstextes in keiner Weise angetastet, sondern eher verstärkt. 50 Den Effekt, den die Verfahren beim Rezipienten haben konnten oder sollten, könnte man vielleicht mit dem Begriff der Intensivierung erfassen. Die amplificatio zielte in der antiken Rhetoriklehre ad commovendum, ein Aspekt, der in der mittelalterlichen Lehre nur von untergeordneter Bedeutung war; vgl. Barbara Bauer, «Amplificatio », in : Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Tübingen : Max Niemeyer 1992, 445 - 452. 170 Stefan Rosmer 3 Dichten in Tönen: Der Grüne Ton Frauenlobs in der Jenaer Liederhandschrift Bei den bisherigen Beispielen bestanden nicht geringe Schwierigkeiten, was das Verhältnis von Text und Melodie angeht: Die Musik ist nicht mehr oder nur in einer modernen Vermittlungsstufe erhalten oder die Textunterlegung ist nur hypothetisch zu rekonstruieren. Die Sangspruchdichtung und ihre Nachfolgegattungen bereiten dagegen wesentlich geringere Probleme, was die Verfügbarkeit und Lesbarkeit der Musik angeht. 51 Eine größere Anzahl an Melodien ist mit unterlegtem Text überliefert, die Notation der Jenaer Liederhandschrift (J ) kann als sehr gut und sorgfältig gelten. 52 Fest steht auch, dass mehrere Texte auf eine Melodie gesungen wurden, denn in der Sangspruchdichtung galt das Produktionsprinzip des Dichtens in Tönen: Ein ‘Ton’ als Einheit von Melodie, Reimschema und metrischem Schema (Verslänge, Verskadenz, Auftaktregelung) war von Anfang an für eine Reihe von Texten verfügbar. Es handelt sich also offensichtlich um die Wiederverwendung von 51 Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts gerät die Sangspruchdichtung in einen lang andauernden Transformationsprozess. An den Adelshöfen scheint ihre Pflege nachzulassen. Ab dem 14. Jahrhundert lässt sich auch eine zunehmende Verwendung von Tönen durch andere (Text‐)Autoren beobachten ( siehe oben, Anm. 16 ); Berufsdichter dichteten aber auch im 14. und 15. Jahrhundert überwiegend in eigenen Tönen. Ab dem frühen 15. Jahrhundert nehmen sich städtische Dilettanten der Gattung an. Der lang andauernde Prozess führt in den institutionalisierten Meistergesang. Im städtischen Meistergesang war das Dichten in den Tönen der ‘Alten Meister’ eine gängige Praxis, Meistersinger schufen aber auch eigene Töne. Die Tonnamen stammen aus der jüngeren Überlieferung ab dem 15. Jahrhundert. Einen ausgezeichneten Überblick bietet die Einleitung in Bd. 1 von : Horst Brunner und Burghart Wachinger (Hgg.), Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts, 16 Bde., Tübingen : Niemeyer 1986 - 2009 ; umfassend informiert jetzt : Dorothea Klein, Jens Haustein und Horst Brunner (Hgg.), Sangspruch / Spruchsang. Ein Handbuch, Berlin, Boston : de Gruyter 2019. 52 Zur Jenaer Liederhandschrift siehe oben Anm. 22 ; im Weiteren steht die Sigle J. Die Melodien von Sangsprüchen und Meisterliedern nach allen Handschriften sind ediert in Horst Brunner und Karl-Günther Hartmann (Hgg.), Spruchsang. Die Melodien der Sangspruchdichter des 12. bis 15. Jahrhunderts, Kassel etc.: Bärenreiter 2010 (Monumenta monodica medii aevi 6 ). Weitere Informationen zu den dort genannten Handschriften bietet das Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder ( wie Anm. 51). Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 171 Melodien zu verschiedenen Texten, das Dichten in Tönen wird aber kaum mit dem Kontrafakturbegriff in Verbindung gebracht. 53 Wenig ergiebig scheint zunächst die Frage nach dem Verhältnis von den Texten eines Tons zur Melodie. Die Tatsache, dass viele Textstrophen auf dieselbe Melodie zu singen sind - bei Reinmar von Zweter sind es über 250 Strophen im Frau- Ehren-Ton, es gibt aber auch Töne mit wenigen Strophen -, lässt prägnante Beziehungen zwischen ‘Vorlage’ und ‘Kontrafakt’ als von vorneherein ausgeschlossen erscheinen. Zudem lässt sich meistens nicht bestimmen, was der erste Text zu einer Melodie war, was also der eine Prä-Text und was die vielen Re-Texte waren. Diejenige Gattung mittelalterlicher deutschsprachiger Liedkunst, zu der allein in nennenswerter Zahl Melodien überliefert sind, böte sich dann nur dazu an, Melodik, Strophenbau und Formgeschichte zu untersuchen, 54 vom Textinhalt müsste man ganz absehen. Im Folgenden sollen zwei mögliche Zugangswege zum Verhältnis von Melodie und Text sowie von Texten eines Tons zueinander knapp skizziert werden. 3.1 Zum Zusammenwirken von melodischem Strophenbau und Satzbau im Grünen Ton Frauenlobs Die Frage nach dem Zusammenhang von Melodie und Text kann sich zuerst einmal nicht an Fragen des Inhalts orientieren, sondern nach dem Verhältnis des Satzbaus zur melodischen, metrischen und reimtechnischen Gliederung fragen. 55 Es zeigt sich dann, dass es durchaus Texte gibt, die gut zu einem 53 Um das Dichten in Tönen genau zu erfassen, kann es selbstverständlich sinnvoll sein, es bewusst von anderen Arten der mehrfachen Melodieverwendung abzugrenzen und die Unterschiede herauszuarbeiten. Siehe Kornrumpf und Wachinger, «Alment » ( wie Anm. 4 ). Die mehrfache Verwendung einer Melodie durch ihren Autor selbst dürfte aber bisweilen auch einem eher intuitiven, unterminologischen Kontrafakturverständnis zuwiderlaufen. 54 Grundlegend dazu Horst Brunner, Formgeschichte der Sangspruchdichtung des 12. bis 15. Jahrhunderts, Wiesbaden : Reichert Verlag 2013 (Imagines Medii Aevi 34 ). 55 Instruktiv ist in dieser Hinsicht Michael Shields, «‘Ich mâle ûf des sanges simz / mit tichte als ich beste kann’. Zu den Melodie- und Textentsprechungen in Spruchdichtungen des 13. Jahrhunderts », in : Elisabeth Andersen, Manfred Eikelmann, Anne Simon (Hgg.), 172 Stefan Rosmer Ton passen, die zum Ton in einem reizvollen Spannungsverhältnis stehen, oder die schlecht zu einem Ton passen. Dies lässt sich an zwei Strophen im Grünen Ton Frauenlobs aus der Jenaer Liederhandschrift (J ) demonstrieren (Bsp. 5 ). 56 Gemeinsam ist beiden Strophen ein Enjambement zwischen dem Ende des ersten und dem Beginn des zweiten Stollens (Vers 6 und 7 ). 57 Die Melodie unterstützt ein Überspielen der Abschnittsgrenze durch den gleichstufigen Anschluss und die Tonrepetition des Stollenbeginns. Die längeren, fünfhebigen Verse am Stollen- und Strophenende (Vers 6, 11 und 19 ) ermöglichen es, unterschiedliche Zäsuren zu setzen. In ( a ) Wer kante gotes krefte ist in Vers 6 eine Zäsur nach « sol » möglich, bevor der neue Satz beginnt. In Vers 12 und in den entsprechenden Versen von ( b ) Got sit din ewic immer kann sie unterbleiben. Got sit din ewic immer nutzt die Möglichkeit zur melodischen Zäsur dagegen im Schlussvers 19, indem die zusätzlichen Binnenreime « inricheit » und « meit » gesetzt werden und die Melodiezeile so neu unterteilt wird. 58 Beides gefährdet aber nicht die Identität der Zeilenmelodie. In der weiteren Passung von Melodie und Text gibt es Unterschiede : In Wer kante gotes krefte sind Melodie und Text gut aufeinander abgestimmt. Den inhaltlich-syntaktischen Verspaaren entsprechen die Melodiezeilenpaare Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin, New York : de Gruyter, 249 - 266. 56 Zur Handschrift siehe oben Anm. 23 ; Textedition in : Frauenlob (Heinrich von Meissen ), Leichs, Sangsprüche, Lieder, hg. von Karl Stackmann und Karl Bertau, 2 Bde., Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht 1981 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philol.-Hist. Klasse 119 und 120 ), 468 - 469. 57 ( a ) « wist man … gewalte hat »: ‘Wenn man es nur genau wüsste, wo die Natur in Fesseln liegt [von wem sie abhängig ist], da sie doch Macht über alle Dinge hat! ’, ( b ) « da scheyn licht … megedliche tzymmer »: ‘Da strahlte leuchtend … das jungfräuliche Gemach [= Maria ]’. Vgl. die Interpunktion und die Anmerkungen in Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder ( wie Anm. 56 ) und die Angaben im Wörterbuch zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe, unter Mitarbeit von Jens Haustein redigiert von Karl Stackmann, Göttingen ; Vandenhoeck und Ruprecht 1990 (Abhandlung der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philol.-hist. Klasse 186 ). 58 « mit inricheit »: ‘mit Innigkeit, mit tiefer Andacht’; « meit »: ‘Jungfrau’ [= Maria ]. Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 173 Bsp. 5 : Grüner Ton Frauenlobs in der Jenaer Liederhandschrift ( wie Anm. 22 ) ( a ) Wer kante gotes krefte (recte ), siehe auch : Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder (wie Anm. 56 ), VII,3 ; diese Strophe steht in der Hs. unter der Melodie (fol. 108r) ( b ) Got sit din ewic immer, siehe auch : Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder, VII,1 ; in der Hs. die elfte Strophe des Tons (fol. 109v ) Schreibung nach der Handschrift, aber / u/ und / v/ nach dem Lautwert unterschieden ; Noten in eckigen Klammern stehen nicht in der Handschrift bzw. sind dort radiert. 174 Stefan Rosmer in Vers 1- 2 und 3 - 4, die zunächst D als Bezugston setzen. Nachdem Stollenende und Abgesangsbeginn dann doch A als Finalis etablieren, greift Vers 15 auf die Melodie von Vers 3 und 9 zurück. Es entsteht ein dreiversiger melodischer Abschnitt von Vers 13 - 15, der wieder den Zwischen-Bezugston D ins Spiel bringt. Die textliche Pointe ist, dass in diesem Abschnitt drei Eigenschaften Gottes genannt werden (« er eyn », « syn maiestas wirde », « syn Bsp. 5 : (Fortsetzung ). Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 175 ewicheit »), aber in Vers 13 vier Personen angekündigt wurden. 59 Der Ruhepunkt am Ende von Vers 15 auf D - hat der Rezipient den melodischen Verlauf der Stollen noch im Ohr, kann er bereits vermuten, dass dies nicht der endgültige Schlusston ist - erzeugt so in Verbindung mit dem Text die Erwartung, dass noch etwas kommen muss. Die Nennung wird in Vers 16 erst nur angedeutet (« diu reine »), die Melodie bleibt auf D bezogen. Dann erfolgt in Vers 17 die Nennung : Die vierte ist Maria. Mit Vers 17 kommt auch die Rückbewegung zu A als Finalis in Gang. In ( a ) Wer kante gotes krefte unterstützt also der melodische Strophenbau die Struktur und das Verständnis des Textes optimal. In dieser Form ist das in ( b ) Got sit din ewic immer nicht der Fall, Melodiegrenzen und Satzbzw. Sinngrenzen kongruieren seltener. Man könnte daraus schließen, dass Got sit din ewic immer schlechter zur Melodie passt. In diesem Fall könnte aber die vergleichsweise schlechte Koordination von Satzbau mit Melodie und Strophenform kein Zufall sein. Es handelt sich um einen ausgesprochen schwer zu verstehenden Text, der das unergründliche Mysterium der Inkarnation in Form dunkler Metaphern behandelt. Die Schwerverständlichkeit dürfte intendiert sein, weil ein letztlich unbegreifliches Geheimnis behandelt wird. In den beiden Stollen fällt es schwer, überhaupt eine feste Satzgrenze auszumachen, erst am Ende von Vers 12 ist eindeutig ein Sinnabschnitt zu Ende. Zum Beispiel lässt sich in Vers 5 «Da scheyn licht durch dyn sigenunft » das Wort « licht » zunächst als Substantiv und Subjekt auffassen ; erst wenn klar wird, dass « der megedliche tzymmer» in Vers 7 das Subjekt ist, steht auch fest, dass « licht » als Adverbiale aufzufassen ist. 60 Vers 7 seinerseits könnte sowohl zu Vers 5 - 6 als auch zu Vers 8 - 9 als Subjekt aufgefasst werden, Vers 8 und 9 würden weitere Beschreibungen für die Erwählung bzw. Präexistenz Marias in der göttlichen providentia enthalten. 61 Mit Vers 10 59 « er eyn »: ‘seine unitas’, Gott in seiner ungeteilten Einheit ; « syn maiestas wirde »: ‘die Würdigkeit seiner Majestät’; « syn ewicheit »: ‘seine Ewigkeit’. 60 « der megedliche tzymmer »: ‘das jungfräuliche Gemach [= Maria ]’; « scheyn licht »: ‘schien hell/ leuchtend’. 61 Sie wären als weitere Adverbiale zu « scheyn » aufzufassen, Vers 7 wäre Konstruktion apo koinou ; « in tzuckersuzzen smackes pradem »: ‘im Dunst zuckersüßen Geschmacks/ 176 Stefan Rosmer « durch trechtlich wart der gotlich gadem » wird aber klar, dass Vers 8 und 9 die Umstände des Vorgangs der Inkarnation beschreiben und Adverbiale zu « wart » sind. 62 Der erste lange Satz war mit « tzymmer » doch schon beendet. Dass die Bezüge sich beim Zuhören erst Schritt für Schritt und vielleicht auch erst beim zweiten oder dritten Anhören der Strophe vereindeutigen, entspricht dem komplizierten und schwer zu durchschauenden konzeptuellen Zusammenhang der Theologumena von göttlichem Heilsplan, Inkarnation und Erwählung Marias vor aller Zeit. Das Verhältnis von Melodie und Text arbeitet dem Rezeptionseffekt optimal zu, dass alles irgendwie zusammengehört, aber der Zusammenhang eben nur ‘irgendwie’ zu erfassen ist. 3.2 Der Grüne Ton in der Jenaer Liederhandschrift (J ) Wenn man nach den Sinnpotenzialen eines Tons für einen Text fragt, muss man zum einen zuerst an abstrakte oder allgemeine Bedeutungen denken. 63 Geruchs’; « myt gheisticheit gewidemet »: ‘mit Geistigkeit [= dem Heiligen Geist ? ] ausgestattet’. 62 ‘Das göttliche Gemach [= Maria ] wurde schwanger’. 63 Vgl. Christoph März, «Metrik, eine Wissenschaft zwischen Zählen und Schwärmen ? Überlegungen zu einer Semantik der Formen mittelhochdeutscher gebundener Rede », in : Jan-Dirk Müller und Horst Wenzel (Hgg.), Mittelalter. Neue Wege durch einen alten Kontinent, Stuttgart : S. Hirzel 1999, 317- 332 ; Stefan Rosmer, «Zusammenhänge zwischen metrisch-melodischen Formtypen, sprachlichen Gestaltungsmustern und Inhalten in den Marienliedern Oswalds », in : Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 19 ( 2012/ 2013 ): Oswald von Wolkenstein im Kontext der Liedkunst seiner Zeit, hg. von Ingrid Bennewitz und Horst Brunner, 255 - 272. Unter anderen methodisch Prämissen zielt in eine ähnliche Richtung : Henry Hope, «Zur Performanz von Frauenlobs Spruchmelodien : Der Versuch eines Neuansatzes », in : Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 21 ( 2016/ 2017 ): Sangspruchdichtung zwischen Reinmar von Zweter, Oswald von Wolkenstein und Michel Beheim, hg. von Horst Brunner und Freimut Löser, 261- 278. Eine Abgrenzung der Sangspruchmelodik von anderen Gattungen bzw. Liedtypen unternimmt für Oswald von Wolkenstein Valerie Lukassen, «Melodien des Spruchsangs : Musikalische Varianz als Charakteristikum. Eine Studie am Beispiel ausgewählter Lieder Oswalds von Wolkenstein », in : ebd., 379 - 388 ; tendenziell skeptisch zur melodischen Differenzierung Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 177 Zum andern kann man gedanklich auf der Seite der Rezipienten ansetzen : Texte, die schon einmal in Verbindung mit einem Ton gehört wurden und den Rezipienten geläufig waren, konnten die Bedeutung eines Tons einfärben, insofern diese Texte durch die Melodie mit in Erinnerung gerufen werden konnten. Bei der Rezeption eines neuen Textes im selben Ton hätten dann bereits Vorannahmen und Assoziationen das Hören des neuen Textes beeinflusst. 64 Denkbar ist auch, dass eine bewusst auswählende Verwendung eines Tons für bestimmte Inhalte schon durch seinen Autor erfolgte, allerdings ist für die Lyrik vom 12. bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts zu berücksichtigen, dass es keine autornahen Handschriften gibt und so der Blick auf den Usus eines Autors durch die Interessen der Sammler und Handschriftenredaktoren getrübt ist. 65 Um mögliche Sinnpotenziale von Tönen nachzugehen, kann man aber untersuchen, ob es in einer Handschrift zwischen Ton und Thema Korrelationen gibt. In der Jenaer Liederhandschrift (J ) sind im Grünen Ton fünfzehn Strophen überliefert. 66 Zwei davon sind sogenannte Gegenstrophen, bei denen die Annahme naheliegt, sie seien von einem anderen Autor an Frauenlob gerichtet, bei einer dritten scheint dies erwägenswert. 67 Die zwölf übrigen von Liedtypen Lorenz Welker, «Melodisch-rhythmische Differenzierungen im Vortrag von Spruch und Minnelied », in : ebd., 401- 414. 64 Über die konkreten Vortragssituationen wissen wir allerdings nichts, und auch die Kenntnis, die Interessen und der literarisch-musikalische Sachverstand der historischen Rezipienten ist bestenfalls umrisshaft zu erkennen. 65 Für Töne und Autoren des 14. und 15. Jahrhunderts vgl. die Untersuchungen von Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, 2 Bde., Tübingen : Niemeyer 1983 und 1984 (Münchener Texte und Untersuchungen 82 und 83 ), im Register von Bd. 1 s. v. Ton, Töne : Einzelliedton, Repertoiretöne, Thematische Besetzung der Töne. 66 J 66 -80 ; Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder ( wie Anm. 56 ) VII,3 ; VII, 4 ; VII,9 ; VII,14 ; VII,15 ; VII,11 ; VII,16 ; VII,17 ; VII,18 ; VII,19 ; VII,1 ; VII,2 ; VII,41 G ; VII,42 G ; VII,*43. 67 Gegenstrophen : Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder, VII,41 G und VII,42 G ; vgl. dazu Burghart Wachinger, Sängerkrieg, Untersuchungen zur Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts, München : C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 1973 (Münchener Texte und Untersuchungen 42 ), 275 - 279 ; mögliche Gegenstrophe : Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder, VII,*43. Die Frage nach der Echtheit klammere ich aus. Sie stellt sich im Fall der 178 Stefan Rosmer Strophen lassen sich zwei thematischen Schwerpunkten zuordnen. Die eine Hälfte behandelt geistliche Themen, die andere enthält Tugendlehre. Die religiösen Strophen stellen zentrale Glaubenswahrheiten ins Zentrum - Trinität, Inkarnation, Tod und Auferstehung Christi - und behandeln oft mehrere Theologumena in einer Strophe in Bezug zueinander. 68 Ihnen ist eine kosmologische Strophe mit abschließendem Gotteslob an die Seite zu stellen. 69 Nicht alle Strophen treiben die Dunkelheit so auf die Spitze wie das zuvor besprochene Got sit din ewic immer, aber alle kann man sowohl inhaltlich wie auch in der Formulierungsweise als ziemlich schwer zu verstehen einschätzen. Sie verwenden nur mit großem Vorwissen zu entschlüsselnde Metaphern, lateinische Fremd- und Lehnwörter ( substantie, forme ) oder von Frauenlob auch in anderen Texten im Anschluss an scholastische Terminologie umgeprägte deutsche Wörter ( sache für causa prima ). 70 Das alles dient auch der Prätention höchster Gelehrsamkeit des Urhebers solcher Strophen. Die sechs anderen Strophen behandeln die Tugenden nicht lehrhaft-ermahnend, wie es in anderen Sangsprüchen anzutreffen ist, sondern eher allgemein-explizierend. Sie arbeiten dabei mit allegorischen Figuren und literarischen Allusionen auf eine Strophe Walthers von der Vogelweide. 71 In einer Frauenlob-Überlieferung in besonders intrikater Weise. Echtheitsurteile lässt sich im Fall Frauenlobs nur der Status « hinreichend begründeter Arbeitshypothesen zubilligen ». Für die Strophen der Jenaer Handschrift ist die Echtheitsfrage auch auszuklammern, weil die Frauenlob-Strophen dieser Handschrift die Grundlage für die Entwicklung der Kriterien bilden, anhand derer Helmut Thomas sein Urteil über Echtheit oder Unechtheit traf, auf dem die Aufnahme der Strophen in die Ausgabe beruht ( vgl. Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder [ wie Anm. 56], 169 - 175, Zitat 172 ). 68 Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder, VII,1 ; VII,2 ; VII,3 ; VII,4 ; VII,9. 69 Ebd., VII,11. 70 Ebd., VII,9, 1 ; vgl. GA I,16, 1 und Wörterbuch zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe ( wie Anm. 58 ). 71 Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder ( wie Anm. 56 ), VII,15. Vgl. dazu Gert Hübner, «Hofhochschuldozenten », in : ders. und Dorothea Klein, Sangspruchdichtung um 1300. Akten der Tagung in Basel vom 7. bis 9. November 2013, Hildesheim : Weidmannsche Verlagsbuchhandlung 2015 (Spolia Berolinensia 33 ), 69 -87 ; Franziska Wenzel, «Souveränität in der Sangspruchdichtung. Intertextuelle und intradiskursive Phänomene bei Walther und Frauenlob », in : ebd., 167- 194. Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 179 Strophe wird ein ebenfalls von Frauenlob andernorts scholastisch-theologisch geprägtes norme verwendet. Zwar behandeln die Strophen nicht göttliche Geheimnisse, aber sie sind genauso wie die sechs religiösen bestrebt, die umfassende Gelehrsamkeit ihres Autors zur Schau zu stellen. In J hat der Ton also ein recht deutliches semantisch-pragmatisches Profil. Wenn man’s überspitzt formulieren will : Der Grüne Ton erscheint in der Jenaer Handschrift als Frauenlobs Angeber-Ton. Die beiden ebenfalls in J überlieferten Gegenstrophen nehmen nun anscheinend genau diese Gelehrtheitsprätention aufs Korn. Die eine behauptet, den Angesprochenen in Kenntnis des Kosmos und in Weisheit überhaupt zu übertreffen. Die überbietenden Formulierungen des Stollens sind wegen der Unmöglichkeit des Behaupteten offensichtlich ironisch gemeint: ‘Wenn du die Regentropfen zählen kannst, dann zähle ich die Sandkörner.’ 72 In der anderen wird ein Sänger als noch nicht dreizehnjähriger Jüngling angesprochen, dem gerade erst der Bart zu sprießen beginnt. 73 Sie beginnt mit der Frage, wo er denn zur Schule gegangen sei, denn im deutschen Reich könnten sich nicht einmal Kleriker mit ihm an Gelehrsamkeit messen. Er müsse also seine Weisheit wohl direkt aus dem Himmel haben. 74 Vor dem Hintergrund des Profils des Grünen Tons in J scheint seine Wahl für die Gegenstrophen kein Zufall zu sein : Frauenlob würde gerade in der Melodie, die er bevorzugt für seine besonders gelehrten Texte verwendete, für seine nur angebliche oder zumindest von ihm selbst forciert bzw. angeberisch herausgestrichene Gelehrtheit verspottet. Einem Publikum, das von Frauenlob im Grünen Ton die Texte der Jenaer Handschrift kannte und das für die melodisch-strophische Gestalt ein Ohr hatte, wäre diese Pointe sicher nicht entgangen. Die Gegenstrophen im Grünen Ton wären dann der Verwendung der Melodie eines Reinmar-Lieds durch Walther vergleichbar. Nur zielten hier Spott und Kritik auf die Selbstinszenierung eines Sängers und Dichters und die ironisch-polemische Beziehung würde nicht durch die Zitate von Formulierungen hergestellt, sondern durch die Verwendung des passenden Tons. Zu fragen ist einerseits, in welchem Verhältnis dieser 72 Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder ( wie Anm. 56 ), VII,41 G, 5 - 6. 73 Vgl. Hübner, «Hofhochschuldozenten » (wie Anm. 71). 74 Frauenlob, Leichs, Sangsprüche, Lieder, VII,42 G. 180 Stefan Rosmer Befund zum Grünen Ton in der Jenaer Liederhandschrift zu den Texten des Grünen Tons in anderen Handschriften steht, andererseits, ob sich auch für andere Töne eine Art inhaltliches Profil ausmachen lässt. Die hier untersuchten Strophen können eine Ausnahme oder Besonderheit darstellen. Aber selbst wenn hier nur ein Einzelfall in den Blick tritt, kann er als solcher doch von Interesse sein und die Frage aufwerfen, mit was für einem Fall man es genau zu tun hat. 4 Fazit und Ausblick Allein die hier umrissenen vier Beispiele der mehrfachen Verwendung einer Melodie und Strophenform - oder nur einer Strophenform - führen jeweils in unterschiedliche Kontexte, obwohl die Auswahl auf den Bereich der deutschsprachigen Lyrik und einstimmig notierter Musik beschränkt blieb. In allen vier Fällen eröffnet sich eine Reihe verschiedener text- und musikphilologischer Probleme, denen es im Einzelnen nachzugehen lohnt. Kontrafakturforschung kann daher einerseits zu Grundfragen der Musik- und Textphilologie (Wann ist eine Melodie als die gleiche anzusehen ? Wie variabel sind Verse und Strophen ? Welche Rekonstruktion einer ‘textlos’ aufgezeichneten Melodie ist die plausiblere ? Wie strukturiert der Reim eine melodische Phrase ? Wie wirkt sich die Melodie auf die Wahrnehmung eines Reims aus ? Wie verhalten sich sprachliche und musikalische Syntax zueinander ? ) wichtige Beiträge leisten und Anstöße zu neuen oder neu zu formulierenden Fragen geben. Andererseits eröffnen mehrfach verwendete Melodien - das haben die vier umrissenen Beispiele gezeigt - ein weites Feld kultureller Sinn- und Handlungszusammenhänge, bei deren Erschließung und Verständnis auch die Materialität der Überlieferung ein wichtiger Anhaltspunkt ist. Diese Zusammenhänge lassen sich am ehesten durch Detailuntersuchungen verbunden mit einer möglichst genauen historischen Kontextualisierung ermitteln. Allzu forsche oder gar zu ‘Regeln’ erklärte Generalisierungen und Klassifizierungen können, so hilfreich sie für eine erste Orientierung sind, für das Verständnis von Kontrafakturen mitunter eher hinderlich sein, weil die Einsortierung in Kategorien des Austauschs oder der Melodieumarbeitung den Eindruck erwecken kann, dass mit ihr die Forschung bereits abgeschlos- Wiederverwendung von Melodien und Strophenformen in der deutschsprachigen Liedkunst 181 sen sei, wo sie doch erst als erster Zugang zu Texten, Melodien und Kulturen anzusehen ist. Die Vielgestaltigkeit, die sich bereits an den vier Beispielen zeigt, gibt aber vielleicht auch Anlass dazu, nochmals darüber nachzudenken, ob die Tatsache, dass der mittelalterlichen Musiklehre ein Oberbegriff für das Verfahren ‘Neuer Text auf eine gegebene Melodie’ fehlte, wirklich nur die Selbstverständlichkeit und Geläufigkeit des Verfahrens indiziert. Es könnte sich lohnen zu untersuchen, welche spezifischen Praktiken auf die Ebene der begrifflichen Reflexion gehoben und in der Musiklehre diskutiert werden, welche zumindest - wie im Fall von Rubriken wie In dem done und Contrafact uff einen geistlichen sinn - an begriffliche Reflexion herangeführt werden, ohne dass sich ein musiktheoretischer (Teil‐)Diskurs ausbildet, und welche Verfahrensweisen offenbar ganz in der praktischen Sphäre blieben. Hier eröffnet sich - im Anschluss an die begriffsgeschichtlichen sowie die form- und musikanalytischen Forschungsergebnisse und auch jenseits der deutschsprachigen mittelalterlichen Lyrik - ein weites diskurs- und praxisgeschichtliches Forschungsgebiet für die Musikgeschichte. 182 Stefan Rosmer