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Absurd

Absurd 28 10.24894/HWPh.28 Rainer Fabian
Existenzphilosophie Absurdität vernunftwidrig1 66
Absurd (von lat. absurdus, mißklingend; lat. Synonyma: a) absonus [1], inconcinnus, b) ineptus, ineruditus, stultus, c) abhorrens, alienus) hat die geläufige Bedeutung: widersinnig, unlogisch, die Grenzen des diskursiven Verstandes überschreitend. So meint «ad absurdum führen» die Widerlegung einer Behauptung in der Weise, daß der versteckte Widersinn derselben durch konsequente Durchführung des in den Prämissen angelegten Gedankens aufgedeckt wird. In der allgemeinen Bedeutung taucht der Ausdruck in dem fälschlicherweise Tertullian zugeschriebenen «credo quia absurdum» auf, das wohl von dessen Worten «Et mortuus est dei filius; prorsus credibile est, quia ineptum est. Et sepultus resurrexit; certum est, quia impossibile est» [2] abgeleitet ist.
Bei Kierkegaard wird ‹das Absurde› häufig synonym gebraucht für ‹Paradox›. Es bezeichnet die als Faktum vom Verstand nicht mehr begreifbare Menschwerdung Christi, die Verbindung von Zeitlichkeit und Ewigkeit, die aber als das Unbegreifliche begriffen und dadurch Gegenstand des Glaubens werden kann, «denn gerade das Absurde ist der Gegenstand des Glaubens und das Einzige, was sich glauben läßt» [3]. Die Menschwerdung ist «das Absurde, ... weil es den Widerspruch enthält, daß das, was nur im strikten Gegensatz zu allem menschlichen Verstand das Historische werden kann, es geworden ist. Dieser Widerspruch ist gerade das Absurde, das nur geglaubt werden kann» [4]. Eine Interpretation des «credo quia absurdum» im Sinne Kierkegaards findet sich bei dessen Interpreten und Schüler Léon Schestow[5]. Nietzsche dagegen kritisiert den blinden Glauben: «Zu der Demuth, welche spricht: credo quia absurdum est und ihre Vernunft zum Opfer anbietet, brachte es wohl schon Mancher: aber Keiner, so viel ich weiß, bis zu jener Demuth, die doch nur einen Schritt davon entfernt ist und welche spricht: credo quia absurdus sum» [6].
‹L'absurde (l'absurdité)› ist ein Zentralbegriff neuerer Strömungen atheistischer Philosophie in Frankreich. Dem autonomen Subjekt, das einzig sich selbst als sinnstiftend anerkennt, erscheint die Welt in sich selbst als sinnlos, absurd. Nach Camus entsteht «das Absurde aus ... [der] Gegenüberstellung des Menschen, der fragt, und der Welt, die vernunftwidrig schweigt» [7]. Kennzeichen des «absurden Menschen» ist die Bejahung der Spannung zwischen Sinnanspruch und fremder Welt, die zur Potenzierung des Bewußtseins auf Seiten des Subjekts und zur metaphysischen Revolte führt. In der Revolte erweist sich das Gefühl des Absurden als unmittelbare Bejahung des Lebens als des obersten Wertes für das Individuum, das mit sich zugleich die Existenz aller Menschen bejaht [8]. Bei Sartre wird die Absurdität in den Existenzweisen des Ekels und der Langeweile erfahren, als deren ratio essendi sich die Kontingenz der Welt als ganzer erweist. Auch bei Sartre entsteht die Absurdität aus der Gegenüberstellung des Begründungsanspruches freier Subjektivität und der Nichtableitbarkeit des ihr begegnenden Seienden, das sich als «gratuité parfaite», als «de trop» erweist [9].
[1]
Cicero, De or. 3, 41: «sunt enim certa vitia quae nemo est quin effugere cupiat: mollis vox, aut muliebris, aut extra modum absona atque absurda».
[2]
Tertullian, De carne Christi 5.
[3]
S. Kierkegaard, Werke 16/1 (1957) 202.
[4]
a.a.O. 203; vgl. Werke 4 (1950) 48–53 u. 16/2 (1958) 267ff. 291ff.
[5]
L. Schestow: Kierkegaard et la philos. existentielle (Paris 1936) 152ff.
[6]
Fr. Nietzsche, Musarion-A. 10, 273.
[7]
A. Camus: Der Mythos von Sisyphos (dtsch. 1956) 29.
[8]
L'homme révolté (Paris 1951).
[9]
J.-P. Sartre: La nausée (Paris 1938) 182–190; L'être et le néant (Paris 1943).
J. Möller: Absurdes Sein? (1959). M. Esslin: The theatre of the absurd (London 1962). –W. F. Haug: Jean-Paul Sartre und die Konstruktion des Absurden (1966). –R. Kroner: Between faith and thought (New York 1966) 26–36.