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Anarchie, Anarchismus

Anarchie, Anarchismus 141 10.24894/HWPh.141Ulrich Dierse
Politische Theorie anarchia (ἀναρχία) Gesetzlosigkeit anomia (ἀνομία) Unordnung Anfangslosigkeit Gottes1 268 Aseität Gottes1 268 polyarchon (πολύαρχον)1 268 monarchon (μόναρχον)1 268 inordinatio1 268 licentia1 268 Regierungsformen subversio reipublicae1 270 dissolutio imperii1 271 Herrschaftslosigkeit Anarchismus1 274 Anarchist1 274 Anarchie, philosophische1 276 Autorität1 280 Sozialismus1 280f Föderalismus1 280f Mutualismus1 280f Volksanarchie1 282 Antiautoritarismus1 283 Kommunismus1 284ff communisme anarchiste1 284 kommunistischer Anarchismus1 284 Syndikalismus1 288 Sozialismus1 288ff Kulturanarchismus1 291 Leben, spontanes1 282
. – 1. Die griechischen Wörter ἀναρχία und ἄναρχος bedeuten zunächst, bei Homer[1] und Herodot[2], «ohne Anführer, ohne Heerführer» (ἄναρχος), bei Euripides «führerlose Seeleute» [3]. Das Fehlen eines Feldherrn bewirkt dann allgemein den Zustand der Regierungs- und Herrscherlosigkeit, der Unordnung und Zügellosigkeit [4]. Bezeichnet ἀναρχία bei Xenophon neutral jenes Jahr, in dem es keinen Archon gibt [5], so wird sie von Aischylos ebenso wie das andere Extrem, die Tyrannenherrschaft, scharf abgelehnt [6]. Aus ihr folgt die Auflösung und Zersetzung des Gemeinwesens [7]. Platon geht von einer engeren politischen Bedeutung von ‹A.› aus: Die Demokratie, die er in der ‹Politeia› zu den ungerechten Herrschaftsformen zählt, ist «ohne Regierung» (ἄναρχος) und «buntscheckig» (ποικίλη), sie läßt alle möglichen Arten von Verfassungen zu [8]. Eine demokratische Polis bildet deshalb ebensowenig eine Einheit wie ein Heer ohne Vorgesetzten [9]. Die Ungebundenheit ist im Krieg wie im Frieden, bei Menschen wie bei Tieren schädlich, sie verhindert ein geeintes, gemeinsames Leben [10]. Zugleich erweitert Platon den Sinn von ‹A.› zu einer allgemeinen sittlichen Zuchtlosigkeit, indem er der Demokratie als Regierungsform den Charakter des demokratischen Menschen zuordnet, der nicht Herr über seine Begierden ist, sondern der Unordnung (ἀναρχία) unter der Maske der Freiheit, der Schwelgerei, Unverschämtheit und dem Übermut freien Lauf läßt [11]. Maßloses Freiheitsstreben führt immer zu völliger Gesetzlosigkeit [12]. Wenn die Demokratie in Tyrannei umschlägt, lebt im Tyrannen die Begierde (ἔρως) «in gänzlicher Zügellosigkeit und Gesetzlosigkeit» (ἀναρχία καὶ ἀνομία), verbreitet Unsittlichkeit und verdrängt das ursprüngliche Gefühl für Gut und Böse [13]. Auch Aristoteles sieht die Problematik der Demokratie darin, daß sie beständig in Gefahr ist, in Unordnung und Gesetzlosigkeit (ἀναρχία καὶ ἀταξία) abzugleiten und unterzugehen [14]. (Außerdem ist A. der Zustand jener Sklaven, die ohne Herrn sind [15].)
Alle diese Bedeutungen von ‹A.› behalten noch lange Zeit Gültigkeit. Philo von Alexandrien warnt vor einer Führer- und Herrscherlosigkeit, in der ein gerechter Richter und Lenker fehlt und die deshalb eine zerstörerische Pöbelherrschaft heraufbeschwört. Die zügellosen Triebe führen zur Gesetzlosigkeit und zum Untergang des Gemeinwesens [16]. Der Pythagoreer Stenides glaubt, daß es ohne König und Herrscher nichts Schönes und Gutes geben könne [17]. Für Dionysios von Halikarnassos ergibt sich die A. aus Aufstand und Aufruhr, aus der Nichtbeachtung der Befehle des Feldherrn [18].
In der christlichen Patristik findet der Begriff ‹A.› wenig Widerhall. Lediglich Theodoretus Cyrrhensis deutet ἄναρχος als «potentia nemini subiecta» (niemandem unterworfene Macht) [19]. Dagegen gewinnt jetzt und im Mittelalter ein anderer Sinn des Wortes ἄναρχος an Bedeutung: ἀρχή wird vorwiegend mit ‹principium›, ‹Anfang› übersetzt, so daß ἄν-αρχος zur Bezeichnung des absoluten, anfangslosen Wesens Gottes dient (Aseität Gottes): wie schon bei Parmenides[20], so bei Philo[21], Proklus (hier als «Kreis ohne Anfang» [22]), Sextus Empiricus[23], Ambrosius[24], Albertus Magnus, der damit eine Formel des Johannes Damascenus aufnimmt («Christus ex patre anarchos id est sine principio, est genitus» [25]), Eusebius und vielen anderen [26]. Nur an wenigen Stellen findet sich die politische Bedeutung von ‹A.›: Der Vokabulist Papias (11. Jh.) definiert sie «ubi nullius est potestas» [27], und Albertus Magnus kommentiert das aristotelische «anarchia servorum» als «abwechselnde Herrschaft eines Sklaven» (ana = circum, archi = principatus). Zugleich befürchtet er, daß bei einem Anwachsen der A. die «saevitia» des Volkes sich ausbreite [28]. Ansonsten wird ἄναρχος im Mittelalter als ‹anfangslos› interpretiert [29]. Herigerus und Sigebert von Gembloux spielen mit den beiden Bedeutungen von ἀρχή: Gott ist Herrscher, aber ohne Anfang: «archos, sed anarchos, princeps, sine principio» [30]. Von hier aus erhält der Begriff noch eine weitere Funktion: War er schon von Gregor von Nazianz zur Deutung der Dreieinigkeit Gottes benutzt worden [31], so erörtert Anselm von Havelberg ausführlich, ob es in Gott mehrere principia (πολύαρχον), kein principium (ἄναρχον) oder nur ein principium (μόναρχον) gebe. Aber Gott kann weder ohne principium sein, da er selbst «summum ac plenum principium» ist, noch mehrere Prinzipien in sich haben. Vielmehr ist er oberstes und alleiniges principium (μόναρχον) für anderes Seiendes und für sich [32].
Erst mit der verstärkten Aristotelesrezeption wird der Begriff ‹A.› neu belebt. Die lateinische Version des Averroes gab das aristotelische ἀναρχία noch mit «inordinatio» bzw. «licentia» wieder [33]. Moerbecke übersetzt schon genauer mit «sine ordine et sine principatu» bzw. «defectum principatus»; Thomas von Aquin kommentiert dies mit ähnlichen Worten. Während jedoch Moerbecke das aristotelische ἀναρχία δούλων mit «anarchia servorum» wiedergibt und ‹anarchia› damit in die lateinische Sprache einführt, wird es von Thomas, weil das lateinische Wort wohl noch fremd war, mit «licentia servorum» wiedergegeben [34]. Wie Moerbecke übernimmt auch Nicolaus von Oresme in seiner französischen Aristotelesübersetzung (1371) ‹anarchie› als Terminus für die Freilassung der Sklaven und führt es so als Fremdwort in die Nationalsprachen ein [35]. Zur Verdeutlichung wird es von ihm noch gesondert interpretiert: «Anarchie est quant l'on franchist aucuns serfs et met en grans offices» [36]. Von nun an ist ‹A.› Bestandteil vor allem der an Aristoteles orientierten Staatstheorien.
[1]
Homer, II. II, 703.
[2]
Herodot IX, 23.
[3]
Euripides, Hec. 607; Iph. Aul. 914.
[4]
Thucydides VI, 72; Xenophon, Anab. III, 2, 29.
[5]
Xenophon, Hell. II, 3, 1.
[6]
Aischylos, Eum. 696; Agam. 883; Suppl. 906.
[7]
Sophocles, Antig. 672.
[8]
Platon, Resp. 558 c.
[9]
Leg. 942 a.
[10]
Leg. 639 a, 942 c; Resp. 562 e; zur A. der Tiere vgl. Aristoteles, Hist. animal. 488 a 11. 553 b 17.
[11]
Platon, Resp. 560 e.
[12]
Ep. 8, 354 d.
[13]
Resp. 575 a.
[14]
Aristoteles, Polit. 1302 b 28f. 1302 b 31; vgl. Pol. Ath. 13, 1.
[15]
Polit. 1319 b 28.
[16]
Philo, De somn. II, 154. 286. 289. 290; De vita Mos. I, 26; De off. mundi 11; De sacr. Ab. et Caini 106; Quod deterius potiori insidiari soleat 141; De agric. 46; A. als Führerlosigkeit: De vita Mos. II, 161, 163; De special, leg. III, 125; Leg. ad Gaium 17.
[17]
Stenides bei Stobaeus, hg. Meineke 48, 63, Z. 28.
[18]
Dionysius von Halikarnass, Ant. Rom. VI, 62, 3; IX, 3, 1; IX, 4, 1; IX, 69, 1.
[19]
Theodoretus Cyrrh., MPG 80, 1209 c.
[20]
Parmenides, Frg. 8, 27.
[21]
Philo, De aetern. mundi 53; 75.
[22]
Proklus: Inst. theol. 146.
[23]
Sextus Empiricus: Adv. mathem. VII, 312; I, 180.
[24]
Ambrosius, Hex. I, 3, 8. MPL 14, 137 b.
[25]
Joh. Damascenus, MPG 94, 1209 c; Albertus Magnus, Opera omnia, hg. Fecker/Geyer 28 (1951) 169, 24.
[26]
Eusebius, De eccl. theol. I, 11, 1; vgl. G. W. H. Lampe: A Patristic Greek Lex. (Oxford 1961) 119f.
[27]
Papias: Elementarium doctrinae rudimentum (Mantua 1496, Neudruck Turin 1966) 21.
[28]
Albertus Magnus, Politica 6, 4 e. f.
[29]
Heiricus, Vita Germani, invoc. 27. Monumenta Germaniae (= MG), Poet. 3 (1896) 433.
[30]
Herigerus, Vita Ursmari I, 323. MG Poet. 5 (1937) 189; Sigebert Gemblac., Vita Deoderici, praef. MG. Script. 4 (1841) 464, 2.
[31]
Gregor von Nazianz, Orat. Theol. 29, 2. MPG 36, 76 a; vgl. Carm. Lib. I, 1, 3, 81. MPG 37, 414 a.
[32]
Anselm von Havelberg, Dialogi 2, 2. MPL 188, 1165f.
[33]
Aristotelis Opera cum Averrois Commentariis (Venetiis 1562–1574, Neudruck 1962) 3, 272 a, 287 k.
[34]
S. Thomae Aquinatis, In Libros Politicorum Aristotelis Expositio, hg. Fr. R. M. Spiazzi O. P. (Turin/Rom 1951) 250. 253. 322. 324.
[35]
Nicolaus von Oresme: Aristotelis Politica et Oeconomica cum glossomatibus gallice versa (Paris 1486).
[36]
Vgl. F. Godefroy: Dictionnaire de l'ancienne langue franç. (Paris 1937/38) 8, 117.
2. Zu Beginn des 16. Jh. wird ‹A.› nur sehr vereinzelt gebraucht. Erasmus von Rotterdam hält es für politisch klug, daß sich die verschiedenen Machtfaktoren im Staate, «potestas regum, reverentia pontificum, auctoritas conciliorum, senatuum, ac primarium civitatum, populique consensus», gegenseitig mäßigen und im Gleichgewicht halten, damit weder Tyrannei noch Aufruhr und A. entstehen. Beide Übel sind miteinander verwandt: «videlicet dum tyrannis vertitur in anarchiam, et anarchia dum compescitur, gignit tyrannidem» [1]. Zugleich zeigt sich bei Erasmus die Einsicht in zwei Momente der Politik und ihrer Theorie, die in der Folgezeit große Bedeutung gewinnen und immer wieder der Reflexion unterzogen werden sollten: Er stellt fest, daß die A. von der radikalen Sekte der Wiedertäufer ausgeht [2], und er erachtet diese Form der Regierung bzw. Regierungslosigkeit für noch schädlicher als ihr entgegengesetztes Extrem, die Tyrannei [3]. Auch J. Calvin hält die Tyrannei für immer noch besser und nützlicher als die A., die «rerum omnium perturbatio» [4]. Die Tyrannei ist zwar eine verdorbene und entstellte Regierungsform, aber sie bewahrt noch Züge der von Gott errichteten Ordnung, und es gibt in ihr noch Spuren von Gerechtigkeit [5]. Gewisse «homines phrenetici» jedoch, die nach Aufruhr und Unordnung streben, wollen alle menschlichen Obrigkeiten und jedes öffentliche Recht aufheben: Sie bewirken damit ἀναρχίαν und ἀταξίαν[6]. Zur Verteidigung der königlichen Oberherrschaft über die Kirche in England dient der Vorwurf der A. bei Stephan Gardiner, dem Legaten Heinrichs VIII. Es sei gefährlich und man gerate in die Nähe der A. («quae humana interim omnia studet confundere»), wenn man behaupte, die Untertanen seien in erster Linie Gott und nur um Gottes Willen dem Fürsten unterworfen und das Gesetz Gottes bestehe nur in sich selbst, ohne von der weltlichen Gewalt ausgeführt zu werden [7].
Größere Verbreitung fand der Begriff ‹A.› zunächst jedoch nicht. Erst gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jh. gelangte er mit der Diskussion um die absolute Macht des Herrschers und mit einer stärkeren Orientierung der Politiktheorien an den Begriffen des Aristoteles zu größerer Bedeutung. Justus Lipsius zitiert Sophokles (s.o.), um zu zeigen, daß in einer «societas civilis» eine gewisse Ordnung des Befehlens und Gehorchens notwendig ist, wenn sich nicht alles in A. auflösen soll [8]. John Case ordnet den drei richtigen und guten Regierungsformen Monarchie, Aristokratie, Demokratie drei Entartungsformen zu: Tyrannis, Oligarchie, A.; Timokratie und A. sind sogar der politischen Herrschaft überhaupt entgegengesetzt [9]. Nach Herm. Kirchner muß der Staat gegen alle inneren und äußeren Umsturzversuche geschützt werden. Denn die A., in der es «nihil officii» gibt, ist unheilvoller als die Tyrannei [10]. Auch Henningus Arnisaeus schließt sich an Aristoteles an und bezeichnet die A. als Fehlen jeder Form von Lenkung und als «subversio Reipublicae» durch eine zügellose Volksherrschaft [11]. Pierre Grégoire zitiert als Zeugen gegen die A. das Fragment des Stenides (s.o.) [12], und für J. Althusius widerstreitet die A. der Vernunft und dem Naturrecht und ist deshalb zu verdammen [13].
Gegenüber dieser akademischen Behandlung des Begriffs findet ‹A.› als polemischer Ausdruck Verwendung in den Auseinandersetzungen der englischen Reformation. Der anglikanischen königstreuen Kirche dient der Vorwurf der A. als Anklage gegen radikalere Neuerer. John Whitgift, Erzbischof von Canterbury, warnt seine Gegner vor «anarchian, confusion, anabaptism», der Auflösung der Gesetze und Obrigkeiten [14]. Ebenso befürchtet auch Thomas Cooper, Bischof von Winchester, Atheismus, Barbarei und die Verwandlung der Monarchie in Demokratie (unkontrollierte Volksherrschaft) und A. [15]. Er richtet sich dabei vor allem gegen Henry Barrow, der für die Abschaffung der kirchlichen Hierarchie, der Zeremonien usw. und für die Auslegung des Evangeliums allein durch den Fürsten eintrat. Dieser weist den Vorwurf der A. zurück und richtet sich seinerseits gegen die «pseudohierarchie» der Kirche, «the most pestilent anarchie that Satan and all his instruments shall ever be able to raise up» und die Christus aus ihrem Reich ausschließe [16]. Die Wiedertäufer gelten in jener Zeit auch bei jenen, die eine begrenzte Monarchie vertreten und den König als den Gesetzen unterworfen erachten, als aufrührerisch und gefährlich, da sie alle politische Gewalt abschaffen wollen [17]. Der schottische Humanist und Ankläger Mary Stuarts, George Buchanan, ein scharfer Kritiker der Tyrannei der absoluten, über den Gesetzen stehenden Monarchie, hält die «potestatem ... ceteros magistratus» für notwendig, da sonst die «ἀναρχία» eintrete [18]. Um so mehr gehört bei den Gegnern der ‹Monarchomachen›, den Anhängern der absoluten Königsherrschaft, die Warnung vor dem Zustand der A., der aus der Rebellion gegen den Fürsten erfolge, zum Bestandteil der politischen Theorien. Ein Widerstandsrecht auch gegen einen erwiesenen Tyrannen darf es deshalb nicht geben [19]. Adam Blackwood, der Apologet Mary Stuarts, zitiert als abschreckendes Beispiel den Untergang der griechischen Polis und ihren Zerfall in A., um zu zeigen, daß die Herrschaft (potestas) nur einem Einzigen zukommen kann und nicht zwischen Volk und Fürst geteilt werden darf [20]. Die stärkste Wirkung erzielte in dieser Richtung Jean Bodin. Die Theorie der Souveränität des absoluten Herrschers impliziert, daß die A., wie sie oft nach dem Tode eines Herrschers eintritt («quand il n'y a ni souveraineté, ni Magistrats, ni commissaire qui ait puissance de commander» [21]), schlimmer ist als die Tyrannei, da sie jedes Verhältnis von Untertanen und Obrigkeit aufhebt [22]. Ebenso wie Bodin kann auch Etienne Pasquier als Wegbereiter des Absolutismus gelten. Die königliche Autorität wird gegen das gefährliche Übel, die «horrible anarchie et confusion», verteidigt [23].
Das 16. Jh. begreift die A. also als Fehlen von Autorität und Staat (Politia) [24], als «dissolutio imperii» [25] und Herrschaftslosigkeit. Oft wird sie als Folge der Demokratie, in der alle herrschen wollen und damit eine allgemeine Unordnung bewirken, angesehen [26]: Th. Golius bestimmt sie aristotelisch als Haus ohne Herrn: «tunc enim efficitur ἀναρχία, et omnes aeque volunt imperare» [27]. Vielfach jedoch werden an Stelle von ‹A.› die Begriffe ‹confusio›, ‹ruina›, ‹destructio› usw. gebraucht.
Erst in der Mitte des 17. Jh. setzt sich ein breiterer Gebrauch von ‹A.› durch. J. Milton kennt ‹A.› sowohl zur Bezeichnung politischer Zustände – hier wird u.a. die von den Gesetzen nicht gebundene Autorität des Königs als «lawless and unbounded anarchy» gekennzeichnet [28] – als auch in der Bedeutung von Unordnung und Chaos, die in der Hölle herrschen, aus der Satan und der «anarch» kommen [29]. Im englischen Bürgerkrieg wird ‹A.› zu einem viel gebrauchten Schlagwort der verschiedensten Parteien. R. Filmer macht gegen die Anhänger einer eingeschränkten Monarchie und des Widerstandsrechts des Volkes geltend, daß es keinen berufenen Richter geben könne, der entschiede, ob der König recht handelt oder nicht. Ist der König selbst Richter in Streitigkeiten zwischen sich und dem Volk, so ist er absolut. Ist das Volk Richter, so ist die Macht des Monarchen aufgehoben und das Resultat die A. Die Beurteilung, ob Befehle und Gesetze ungerecht sind, kann nicht den Untertanen überlassen bleiben, da jeder nach seinem eigenen Gutdünken und seiner privaten Meinung und Einsicht richten wird: «And I also appeal to the consciences of all mankind, whether the end this be not utter confusion, and anarchy» [30]. Noch stärker will Clement Walker mit seinem Werk, das wie das von Filmer ‹A.› im Titel trägt, in die Auseinandersetzungen seiner Zeit eingreifen [31]. Ohne sich direkt für eine der Parteien des Bürgerkriegs zu entscheiden, wendet er sich doch gegen die Hegemonieansprüche und diktatorischen Vollmachten Cromwells, der die alten Rechte und Freiheiten des Parlaments und des Adels beseitigt habe und das Land mit einem «military and arbitrary government» unterdrücken wolle [32]. Die Anmaßung seiner Anhänger, allein das Volk und seine Interessen zu vertreten, sei «anarchicall» [33]. Sie haben sich gegen den rechtmäßigen König und das legale Parlament erhoben und sind zu Tyrannen geworden, die mit ihren antimonarchischen und anarchischen Prinzipien die Macht zwar usurpiert haben, aber nicht deren rechtmäßige Inhaber sind [34]. Vielmehr ähneln sie den umstürzlerischen Wiedertäufern, deren Ideen sie unter dem Namen von «Independents» vertreten: «being a complication of all Antimonarchicall, Anarchicall heresies and schismes, Anabaptists, ... Libertines of all sorts» [35]. – Zur gleichen Zeit taucht auch in Cromwells Armee selbst der Verdacht der A. auf: Man glaubt, daß die Gewährung des Stimmrechts auch für die, die kein Eigentum besitzen, zur A. führe, obwohl die Verfechter dieses Programms es nicht wahr haben wollen [36]. Der Vorwurf wird jedoch unter Hinweis darauf, daß es sich um einen alten, fadenscheinigen Trick handle, zurückgewiesen [37]. – Auch die ‹Levellers›, die für die Volkssouveränität und die Gleichheit aller vor dem Gesetz eintreten, trifft der A.-Verdacht: J. Harrington befüchtet eine völlige A., wenn die oberste Macht bei den Repräsentanten des Volkes liege, das Volk aber in bestimmten Dingen ein Widerstandsrecht habe. Wo es keine absolute Souveränität gibt, kann überhaupt keine Regierung existieren [38]. Verliert die Regierung das Recht der Gesetzgebung, so wird sie zu einer bloß beratenden Versammlung, und die A. wird heraufbeschworen [39]. In seinem Hauptwerk ‹Oceana› (1656), in dem er einen Idealstaat zu konstruieren versucht, liegt für Harrington die richtige Regierungsform in dem natürlichen Gleichgewicht der Gewalten. Wird es verletzt, so folgen daraus je nach den drei guten Staatsformen (Monarchie, Aristokratie, Demokratie) die bekannten Entartungen der Tyrannei, Oligarchie und A. [40]. – Dies alte Einteilungsprinzip ist auch noch Hobbes bekannt, der daran aber einige bemerkenswerte neue Feststellungen knüpft: Mit den Namen ‹Tyrannei›, ‹Oligarchie› und ‹A.› wird nicht mehr eine Sache mit genau feststellbarem Inhalt bezeichnet, sondern zugleich auch der politische Standpunkt des Betrachters, sein Mißfallen an der entsprechenden Regierungsform. ‹A.›, eigentlich die Bezeichnung für das Fehlen einer Regierung, ist jetzt, wie auch die beiden anderen Begriffe, zu einem Wort der politischen Polemik geworden, das den Unmut der Untertanen wiedergibt. Politische Schlagworte dienen der Propaganda, sie bezeichnen «not a diverse kind of government, but the diverse opinions of the subjects concerning him who has the supreme power» [41].
Das politische Denken der Folgezeit zeigt, daß Hobbes' Feststellung einerseits bestätigt wurde, andererseits aber neue Versuche unternommen wurden, den Begriff ‹A.› genau zu bestimmen. S. von Pufendorf stimmt mit Hobbes überein [42], andere dagegen halten an dem alten Sinn von A. als Unordnung und Chaos, mangelnder Autorität und deshalb Bedrohung durch Umsturz und Gewalt fest. Für Bossuet resultiert sie – unter Berufung auf Paulus (1. Tim. 2, 1f.) – aus der Auflehnung gegen das Königtum: Wo jeder Herr sein will, wird gerade dadurch jeder zum Sklaven [43]. Labruyère sieht die Gefahr der A. in der Gleichheit des Besitzes, die das Verhältnis von Unter- und Überordnung («Subordination») beseitigt [44]. R. Cudworth erkennt Verbindungen zwischen Atheismus und A. [45]. Diese dann im 19. Jh. enge Beziehung zwischen den beiden jede Autorität ablehnenden Theorien wird von P. Bayle bestritten. Vielmehr führt für ihn die Religion der Heiden mit ihrer Vielzahl von Göttern und deren gegenseitigem Kampf zur A. [46]. Die Leidenschaften sind die Ursache für die Streitigkeiten unter den Menschen; sie führen zur A., «la plus grande peste du genre humain». In allen Staaten trifft man deshalb Vorsorge dagegen [47]. Auch J. Swift erkennt noch Ähnlichkeiten zwischen politischen und religiösen Extremen: Papisterei und absolute Königsmacht sowie Atheismus und A. sind gleichermaßen Gefahren [48].
Einen neuen Ansatz in der Geschichte des Begriffs bildet Fénelons Entgegensetzung von ‹Despotismus› und ‹A.›: Ein gut eingerichteter Staat beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen von Herrscher und Untertanen. Beider Glück und Sicherheit hängt von dem Gleichgewicht ab, in dem Freiheit und Ordnung stehen. Wird es verletzt, so entsteht entweder Despotismus oder A.: «La liberté sans ordre est un libertinage qui attire le despotisme; l'ordre sans la liberté est un esclavage qui se perd dans l'anarchie» [49]. Im Naturzustand wird jeder zum Tyrannen. A. ist nicht Freiheit, sondern Sklaverei [50]. So ist in dieser Zeit der Ausbruch der A. gleichbedeutend mit dem Rückfall in den Naturzustand. Für Rousseau ist jede Auflösung des Staates, jeder Mißbrauch der Regierung A., ob es sich dabei nun um Ochlokratie, Oligarchie oder Tyrannei handelt [51]. Montesquieu hält Sklaverei und A. gleichermaßen für Verletzungen des Naturrechts. Da das Menschengeschlecht nicht durch sich selbst bestehen kann, bedarf es einer Obrigkeit («L'autorité des magistrats»), die imstande ist, die beiden Extreme Tyrannei und A., die oft nahe beieinander liegen, zu verhindern [52]. Auch Berkeley setzt A. mit dem Naturzustand gleich, in dem es keine Ordnung und keinen Frieden unter den Menschen gibt. Nur im Stand der Gesellschaft ist der Mensch nicht dem Stärkeren ausgeliefert, nur hier wird er vor Unrecht und Gewalt gesichert. Er muß sich deshalb der «civil authority» unterwerfen [53]. Immer wieder wird die Verbindung bzw. Gleichartigkeit von Tyrannei und A. hervorgehoben. Swift hält die Willkürherrschaft für den ersten Schritt aus der A. des Naturzustandes, von der dann zur begrenzten Monarchie weitergegangen werden müsse [54]. Addison stellt Tyrannei und A. allegorisch als ein Paar von Ungeheuern dar [55]. Voltaire glaubt, daß sich die Menschheit in der Religion wie in der Politik immer zwischen diesen beiden Extremen bewege, in Gefahr, in den einen oder den anderen Abgrundzu fallen [56]. Despotismus bedeutet Mißbrauch der Monarchie, wie A. Mißbrauch der Republik [57]. Ähnlich stellt auch Diderot fest, daß jede Regierung entweder zum Despotismus oder zur A. tendiere [58]. Anders als bisher hält er aber die A. für weniger schädlich als die übergroße Zivilisation («urbanité») seiner Zeit, ohne aber zu wagen, den Naturzustand («l'état de nature brüte et sau vage») dem bürgerlichen Leben («l'état de législation») vorzuziehen [59]. Eine genaue Bestimmung des Verhältnisses von A., Despotismus, Barbarei und Republik gemäß den sie tragenden Prinzipien von Freiheit, Gesetz und Gewalt, nach denen jeder Staat eingerichtet ist, versucht Kant: Fehlt eine dieser drei Grundlagen, so entstehen die drei falschen Staatsformen: A. («Gesetz und Freiheit ohne Gewalt»), Despotismus («Gesetz und Gewalt ohne Freiheit») oder Barbarei («Gewalt ohne Freiheit und Gesetz»). Erst die Verbindung aller drei begründet die richtige Verfassung: «Gewalt mit Freiheit und Gesetz (Republik)» [60]. In der A. gibt es keine Gesetzgebung, es herrschen Unrecht und Chaos [61].
Mit Condorcet scheint sich dagegen ein positiveres Verständnis der A. anzubahnen. Er bezeichnet das Mittelalter, jene Epoche, in der die Germanen zur bestimmenden Macht im Abendland wurden, als eine «ruhelose A., in der das Volk unter der dreifachen Tyrannei der Könige, der Heerführer und der Priester seufzte». Diese Zeit bildet aber nur einen Abschnitt auf dem Wege des menschlichen Fortschritts. Sie bereitet zugleich eine neue Phase, die der Freiheit [62] vor. Ähnliche Auffassungen finden sich auch bei anderen Denkern des späten 18. Jh.: Mirabeau hält den Despotismus für unendlich schrecklicher als die A., weil jener eine allgemeine Unterdrückung mit sich bringe [63]. Aus der A. erwachsen die Revolutionen, die die Gesellschaft regenerieren [64].
Am weitesten hierin geht wohl William Godwin, der nun den Despotismus für eindeutig schlimmer als die A. ansieht, ohne aber der A. etwas von ihrem Schrecken zu nehmen. Geschichtlich ist sie der der Gesellschaft vorhergehende Zustand, deshalb aber auch nur ein vorübergehendes Übel, während der Despotismus Jahrhunderte überdauert. Der A. sind weit weniger Menschen zum Opfer gefallen als dem Despotismus. Trotzdem hat auch sie ihre schweren Nachteile: Verlust persönlicher Sicherheit, Unmöglichkeit einer fortdauernden, ruhigen Forschung, statt dessen ungestümes Vorwärtstreiben des Geistes. Die A. regt den Geist an und verbreitet Tatkraft, der Despotismus lähmt und unterdrückt die geistigen Kräfte; er läßt keine herausragenden Leistungen zu, sondern bewirkt allgemeine Gleichheit. Godwin setzt einige Hoffnungen auf die gegenwärtigen Revolutionen, die auch eine Art von A. mit sich führen. Er will aber keinesfalls die A. proklamieren und kann deshalb auch nicht, wie oft geschehen, als der erste Anarchist bezeichnet werden [65]. Eher betrachtet er den Staat, wie Th. Paine[66], als ein notwendiges Übel; andere und bessere Regierungsformen als der Absolutismus und die despotische Willkürherrschaft sind der A. vorzuziehen. P. B. Shelley, Godwins Schwiegersohn, läßt in seinem Gedicht ‹The Mask of Anarchy› den Triumph der A. feiern. Erscheint sie anfangs auch im Gefolge von Tod und Zerstörung, so bringt sie doch die Freiheit für die Unterdrückten, die jetzt ihren Beherrschern Widerstand leisten [67].
Obwohl der Begriff ‹Anarchismus› (= As.) bisher schon gelegentlich gebraucht war, hat er weitere Verbreitung erst in der ersten Hälfte des 19. Jh. gefunden [68]. Der zugehörige Begriff ‹Anarchist› ist vor allem durch die Französische Revolution aktuell geworden und wird schon damals als Neuschöpfung empfunden [69]. ‹A.› wird zu einem gängigen Schlagwort in der Publizistik und Propaganda der Revolution und zu einem Mittel der politischen Diffamierung mit Hilfe der Sprache. Robespierre weiß, daß der Vorwurf der Zerstörung und A. («de destruction et d'anarchie») gegen diejenigen, die Gleichheit und Gerechtigkeit wollen, nur der Einschüchterung der Unwissenden und der Bildung von Vorurteilen dient. Er betont aber zugleich, daß die revolutionäre Regierung nichts mit A. und Unordnung gemein habe [70]. Als Anarchisten sucht man verschiedene radikale Parteien, besonders die Anhänger Héberts, A. Clootz', Babeufs, die Mitglieder der Kommune und auch die Jakobiner, zu disqualifizieren [71]. In Deutschland gebraucht als einer der ersten Wieland den Ausdruck ‹Anarchist› für die «Freiheitsschwärmer» der Revolution; Görres übernimmt ihn aus einem Erlaß des Direktoriums [72].
Die Anklage wird vor allem von den Girondisten und ihrer Presse erhoben. Der Abgeordnete Brissot wirft den «Anarchisten» vor, sie wollten den Nationalkonvent beherrschen und sich die Republik unterwerfen. «Ni constitution, ni gouvernement, ni justice; voilà bien les traits de l'anarchie: voilà bien le système qui a constamment suivi le parti que j'ai dénoncé, système qui m'a paru subversif de tout gouvernement républicain» [73]. Brissot will verhindern, daß die Revolution über sich selbst hinaustreibt und zum Selbstzweck wird. Ihr Ziel können nicht dauernde gewaltsame Umwälzungen sein, es muß eine neue Ordnung errichtet werden. Die Anarchisten, die über die bisherige Revolution hinaus noch die Gleichheit des Eigentums, das Ackergesetz und weitere Aufstände, die «insurrection éternelle» [74], erstreben, sind die Feinde des Volkes. Sie wollen an Stelle der Verfassung, die Recht und Gesetz garantiert, nur die «pouvoir révolutionnaire» [75]. Sie haben die Gesellschaft in zwei Klassen geteilt, die der Besitzenden und der Nicht-Besitzenden, die eine gegen die andere aufgehetzt und dadurch neue Unordnung und noch größeres Chaos herbeigeführt [76].
Auch im Nationalkonvent und anderen Gremien wird warnend auf den verderblichen Einfluß der Anarchisten hingewiesen. Gleichzeitig distanziert man sich aber deutlich von den Vertretern der alten Ordnung, den Royalisten und Aristokraten [77]. 1797 wird vom Direktorium im Rat der Fünfhundert ein Eid eingeführt, in dem die Abgeordneten «Haß dem Königtum und der A.» schwören [78]. Viele erkannten aber bald, daß man mit dem Wort ‹A.› oft auch gerade die «glühendsten Republikaner» und die wahren Freunde der Freiheit verleumden konnte, und fordern die Beseitigung des Eides, da A. zu einer «Bezeichnung der Ächtung» («titre de proscription») geworden sei. Andere machen geltend, daß es eine gefährliche Partei gebe, die jede Regierung ablehne. Schließlich einigt man sich darauf, nur noch den zweiten Teil des Eides, die Treue zur Republik und zur Verfassung des Jahres III, zu beschwören [79].
Befürchtete man unter den Revolutionären selbst ein Abgleiten in A., so mußten um so mehr jene, die die Umwälzung in Frankreich überhaupt ablehnten, die Revolution als drohende A. empfinden. J. Bentham greift mit seiner Schrift ‹Anarchical Fallacies› (1791) die Erklärung der Menschenrechte an [80]. Die vormalige Gefahr der Tyrannei, die von einem einzigen ausging, ist abgelöst worden von einem neuen Übel, der A., die von der Masse verursacht wird [81]. Despotismus und A. sind gleichermaßen falsche Extreme [82]. Auch für A. Rivarol stehen diese beiden Begriffe im Wechselverhältnis. Die Parolen Ordnung oder Freiheit können Despotismus bzw. A. heraufbeschwören; nur die gegenseitige Achtung von Untertanen und Herrscher wird eine Revolte der einen oder die Unterdrückung des anderen vermeiden: «Avec les mots ordre et liberté on conduira et on ramènera toujours le genre humain du despotisme à l'anarchie et de l'anarchie au despotisme» [83]. E. Burke sieht in der Französischen Revolution generell eine Auflösung von Staat und Gesetzen, in der Konsequenz «civil and military anarchy ... and national bankruptcy» [84]. Von der Ausbreitung der französischen Herrschaft erwartet man in England auch die Verbreitung der «anarchical doctrines» [85]. Der Liberale B. Constant dagegen hält «die revolutionäre Regierung in Frankreich» nicht für A., sondern die Herrschaft Robespierres wie die Napoleons für Despotismus, für «die unaufhörliche und umfassende Gegenwart einer gräßlichen Regierung». A. und Despotismus haben jedoch das Gemeinsame, daß sie «Sicherheiten zerstören» und «den Wildheitszustand in das soziale Leben wiedereinführen» [86]. Fr. Schlegel, der noch 1796 eine Rebellion («Insurrektion») gegen einen «absoluten Despotismus» für legitim und eine tyrannische Herrschaft für «ein ungleich größeres politisches Übel als selbst die A.» gehalten hatte [87] und 1800/01 die «absolute Freiheit», die A., als Endzweck des Menschen, wenn auch nur als Ideal, das «durch Annäherung erreicht werden kann» [88], bezeichnete, sieht später die Gemeinsamkeiten von Despotismus und A.: Sie «führen sich gegenseitig herbei und verstärken sich gegenseitig. Daher kann der anarchische Geist der neuesten Periode von 1760 an eben gar nicht befremdend sein: Es ist nichts weiter als das Phänomen und die Frucht des auf den höchsten Grad gestiegenen Despotismus» [89]. A. hat für ihn jetzt einen völlig negativen Sinn: Die Wiedertäufer sind gefährliche «wütende Anarchisten» [90]. Angestrebt ist jetzt eine «wahre und göttliche Verfassung», wie sie bereits im Mittelalter realisiert war und jetzt wiederhergestellt werden muß. Ihre wesentlichen Elemente, «Theokratie» und «Heroismus» können A. und Despotismus verhindern [91]. W. T. Krug empfiehlt, von Zeit zu Zeit Reformen vorzunehmen, um «dadurch allen Revoluzionen, wodurch die Verfassung plötzlich und gewaltsam umgekehrt, mithin ein, wenn auch nur kurze Zeit dauernder, anarchischer Zustand herbeigeführt wird, vorzubeugen» [92]. Für Schopenhauer ist die A. ein wilder, tierhafter Naturzustand, das Gegenteil der gesetzlichen Ordnung [93].
Hegel beschreibt als A. jenen Zustand Deutschlands, der durch den Verlust der staatlichen Einheit und die Auflösung in «viele abgesonderte Staaten» gekennzeichnet ist [94]. Diese Entwicklung begann mit dem Westfälischen Frieden, in dem die «Partikularität» zum Prinzip erhoben und damit «die konstituierte A.» errichtet wurde [95]. Andererseits kann die A. auch den Staat selbst und damit auch die von ihm garantierte Freiheit aufheben, da «eine feste Regierung» und die Mitwirkung des Volkes am Staat zur Sicherung der Freiheit notwendig sind [96]. Zwar kann sich das Bewußtsein des Einzelnen mit «einer revolutionären Regierung» identifizieren und «unmittelbar» eins wissen, da die Revolution im Umsturz der alten Ordnung die Freiheit verwirklichen will, zugleich bleibt diese aber, wie Robespierres reines «Prinzip der Tugend», A. und Willkür, solange nur Tugend und Gesinnung anerkannt werden. Sie ist «die die A. zu konstituieren strebende A.» und zum Untergang bestimmt: «diese fürchterliche konsequente Freiheit, die in ihrer Konzentration so fanatisch auftrat, ... ging durch sich selbst vorüber» [97].
Seit der Mitte des 18. Jh. wird der ursprünglich nur politische Begriff ‹A.› vermehrt auch auf andere Gebiete, vor allem das des Geistes und Denkens, übertragen. Weil die alten, von der Schulphilosophie gelehrten und als gesichert angesehenen Wahrheiten dem erneuten Zweifel unterzogen wurden und das Subjekt sich nur auf seine eigene Einsicht und sein kritisches Urteil verließ, erscheint vielen die eigene Zeit als eine «Zeit der philosophischen A.» [98], der «inward anarchy», in der alle Beweise, Argumente und Vernunftschlüsse aufgehoben («countermined») werden können [99] und zügellose Kritiker in «barbarous anarchy» verfallen [100]. Man sucht jetzt nach einer neuen «Gewißheit und philosophischen Evidenz», die sowohl die Verwirrung der A. als auch den alten Despotismus vermeidet [101], nach einem Mittelweg zwischen «sceptischer A.», die in «Chaos» und «Verzweiflung», und einem Dogmatismus, der in «Barbarey» enden muß [102], zwischen «der vernünftigen Freiheit der Bewegung der Intelligenz» und der «A. und Losgebundenheit aller Meinungen und Doctrinen», die für die Gesellschaft schädlich sind [103]. Der Skeptizismus als «logische Insurrektion» ist vorübergehend tragbar, aber «als System ist er A.» [104]. Glaubte Schelling, daß Kant der A. – hier verstanden als «Prinzipienlosigkeit der Philosophie» («ἀρχή ... heißt bekanntlich Prinzip») – ein Ende gemacht habe [105], so ist für andere nach Kant nur eine neue A., ein Kampf der philosophischen Schulen entbrannt [106]. Ein «philosophischer As.» [107] ist ebensowenig haltbar wie eine «A. der Vorstellungen», in der keine dauerhafte «Ordnung der Wahrnehmungen» entstehen kann [108], und eine «religiöse A.», obwohl, nach Novalis, die A. als «Vernichtung alles Positiven» gerade das «Zeugungselement der Religion» [109] ist. Innere und äußere A. hängen zusammen, ob nun die sich in den Familien vollziehende «sittliche Revolution» die Vorläuferin der «allgemeinen A.» ist [110] oder die staatliche erst die sittliche A. hervorruft [111]. Bei W. S. Landor erscheint ein allgemeines Aufbrausen als Ursache der A., die nur durch den sie umgebenden Zustand der «Schläfrigkeit aus Überfluß und Lässigkeit» so beunruhigend erscheint [112].
Am deutlichsten hat A. Comte die Auswirkungen der geistigen A. auf die Politik hervorgehoben und diese Einsicht für seine Geschichtsphilosophie nutzbar gemacht. Das erste, theologische, Stadium der Geschichte ist zu Ende gegangen und damit auch die alte Einheit der Religion und der Institutionen. An seine Stelle ist das metaphysische Stadium getreten, in dem die einzelnen Subjekte keine absolut gültigen Gesetze über sich mehr anerkennen und in dem die Institutionen, die Nachfolger der früheren Theokratien, nur schwach und vorübergehend sind. Es herrscht eine «immense anarchie mentale et morale». Die Politik muß mühsam eine äußere Ordnung innerhalb der moralischen Unordnung aufrecht erhalten. Erst das dritte Stadium, der Positivismus, wird als «systematischer Garant gegen Rückschritt und A.», gegen Theologie und Metaphysik, Fortschritt und Ordnung sichern und die Zersplitterung der miteinander konkurrierenden Schulen und Richtungen beenden [113].
[1]
Erasmus von Rotterdam, Opera omnia, hg. J. Clericus (Leiden 1703, Neudruck 1961/62) 4, 704 d.
[2]
a.a.O. 3/1, 911 b.
[3]
4, 594 e.
[4]
J. Calvin, Opera quae supersunt omnia 49 = Corpus Reformatorum (= CR) 77, 253.
[5]
a.a.O. 55 = CR 83, 245.
[6]
55 = CR 83, 465; vgl. 36 = CR 64, 66.
[7]
St. Gardiner: Obedience in church and state, hg. P. Janelle (Cambridge 1930) 204/05.
[8]
J. Lipsius: Politicorum sive civilis doctrinae libri sex (Lugduni Batavorum 1589) 29f.
[9]
J. Case: Sphaera civitatis (Frankfurt 1593) 162f.
[10]
H. Kirchner: Res publica (1608, 31614) 248.
[11]
H. Arnisaeus: Doctrina politica (1606, Amsterdam 1643) 463. 464; vgl. 248.
[12]
P. Grégoire: De republica (1596, Frankfurt 21609) 174.
[13]
J. Althusius: Politica methodice digesta (1603, 31614, Neudruck 1961) 284.
[14]
The Works of John Whitgift, hg. J. Ayre (Parker Society) (Cambridge 1853) 3, 11.
[15]
Th. Cooper: An admonition to the People of England (1589) 92. 161f. 223.
[16]
The Writings of Henry Barrow, hg. L. H. Carlson (London 1962–1966) 1, 245f.
[17]
Theodor Beza: De iure magistratuum, hg. K. Sturm (1965) 33; John Ponet: A shorte treatise of politicke power (1556) fol. C 8.
[18]
G. Buchanan: De iure regnis apud Scotos (1579) cap. 65. Opera omnia (Lugduni Batavorum 1725) 2, 43f.
[19]
William Barclay: De regno et regali Potestate (Paris 1600) 47; vgl. 210f.
[20]
A. Blackwood: Pro regibus apologia (Paris 1588) 293f. 23. 64. 165; vgl. später die Verteidigung der Könige Charles I und Charles II bei: C. Bonde (i.e. Giles Duncombe): Scutum regale, or Vox legis (London 1660) 68.
[21]
J. Bodin: Les six livres de la republique (Paris 1583, Neudruck 1961) 508.
[22]
a.a.O. 937; vgl. Phil. Hen. Hoenonius: Disputationum politicarum liber unus (31615) 511. 66; J. Micraelius: Lexicon philosophicum (1662, Neudruck 1966) 113.
[23]
E. Pasquier: De l'autorité royale (1615). Ecrits politiques, hg. D. Thickett (Genève 1966) 287. 309.
[24]
Vgl. z.B. John Howson: A sermon preached at 4 Dec. 1597 (London 1597) 29; so auch noch Henry More, Opera omnia, hg. S. Hustin (London 1674–1679, Neudruck 1966) 1, 589; G. Hufeland: Lehrsätze des Naturrechts (21795) 288.
[25]
H. Grotius: Opera omnia theologica (Basel 1732) 1, 276 a 15. 461 b 32. 642 b 27. 756 a 2.
[26]
La Satyre Ménippé ou la Vertu du Catholicon (1594), hg. Ch. Read (Paris 21880) 296. 250.
[27]
Theoph. Golius: Epitome doctrinae moralis (1592) 313; vgl. Epitome doctrinae politicae (o.J., 1622) 233.
[28]
J. Milton, Works, Columbia-Ed. (New York 1931–1940) 6, 247; vgl. 2, 114. 441; 3, 331; 6, 104. 122. 247; 10, 103; 18, 3.
[29]
a.a.O. 2, 73. 209. 314; vgl. die dtsch. Übers, von ‹Anarch› bei J. J. Bodmer: Krit. Abh. von dem Wunderbaren in der Poesie (1740) 138; vgl. auch P. B. Shelley, The triumph of life. Poetical works, hg. Th. Hutchinson (London 1965) 513; A. Pope: The poems, Twickenham-Ed. (London 1954ff.) 5, 192; 3, 339: ‹The Dunciad›; Lord Byron, Works. Poetry 2, hg. E. H. Coleridge (London 1904) 128.
[30]
R. Filmer: The anarchy of a limited or mixed monarchy, in: Patriarcha and other political works, hg. P. Laslett (Oxford 1949) 297.
[31]
C. Walker: Anarchia anglicana: or, the hist. of independency (1648/49).
[32]
a.a.O. 2, 161.
[33]
2, 19f.
[34]
1, 93f.; 2, 23f. 149.
[35]
2, 200; vgl. 1, 58f.; 2, 154.
[36]
Puritanism and Liberty. Being the Army Debates 1647–1649, hg. A. S. P. Woodhouse (London 1938 u.ö.) 59; vgl. 70.
[37]
a.a.O. 440.
[38]
J. Harrington: Works (London 1771, Neudruck 1963) 404; zu dem A.-Vorwurf gegen die ‹Levellers› vgl. G. Woodcock: Anarchism (Cleveland/New York 1962) 44.
[39]
Harrington, a.a.O. 418.
[40]
37; vgl. 364; ähnlich noch A. Ferguson: An essay on the hist. of the civil society (1767), hg. D. Forbes (Edinburgh 1966) 127.
[41]
Th. Hobbes: Engl. Works, hg. Molesworth (London 1839–45) 2, 93f.; 3, 172f. 683.
[42]
S. von Pufendorf: De iure naturae et gentium (1672) VIII, 5, § 11, hg. Mascovius (1759) 2, 193.
[43]
Bossuet, Oeuvres (Bar-le-Duc 1870) 9, 212.
[44]
Labruyère, Oeuvres, hg. G. Servois (Paris 1865) 2, 275.
[45]
R. Cudworth: The true intellectual system of the universe (London 1678, Neudruck 1964) 319.
[46]
Bayle, Oeuvres diverses (Den Haag 1727–1731, Neudruck 1964–1968) 3, 338f. 348; vgl. G. Berkeley, Works, hg. Luce/ Jessop (London etc. 1948–1957) 3, 141.
[47]
a.a.O. 3, 349. 358.
[48]
J. Swift: The examiner and other pieces, hg. H. Davis (Oxford 1957) 204.
[49]
Fénelon, Oeuvres (Paris 1838) 5, 38: Examen de conscience sur les devoirs de la royauté.
[50]
a.a.O. 5, 52. 66.
[51]
Rousseau, Du contrat social III, 10, Oeuvres, hg. B. Gagnebin/M. Raymond (Paris 1959ff.) 3, 423.
[52]
Montesquieu, Oeuvres, hg. A. Masson (Paris 1950–1955) 2, 57. 149. 255. 263.
[53]
Berkeley, a.a.O. [46] 6, 25; 6, 44.
[54]
J. Swift: The sentiments of a Church of England man (1708). Works, hg. Sheridan and Nichols (London 1808) 3, 94.
[55]
J. Addison, in: The Spectator No. 3 (March 3, 1711), hg. Bond (Oxford 1965) 1, 14.
[56]
Voltaire: Essais sur les mœurs et l'esprit des nations chap. 130. Oeuvres, hg. Beuchot (Paris 1829–1840) 17, 262.
[57]
a.a.O. 39, 432.
[58]
D. Diderot: Encyclopédie ou dict. raisonné (Paris 1751–1780) 1, 407: Art. ‹A.›.
[59]
Supplément au Voyage de Bougainville. Oeuvres philos., hg. P. Vernière (Paris 1961) 512; dtsch. in: Philos. Schriften, hg. Th. Lücke (1961) 2, 234.
[60]
Kant: Akad.-A. 7, 330f.
[61]
a.a.O. 8, 302.
[62]
M.-J.-A. Condorcet: Esquisse d'un tableau hist. des progrès de l'esprit humain (1794), hg. W. Alff (1953) 172f.
[63]
Esprit de Mirabeau (Paris 1797) 1, 110f.
[64]
a.a.O. 1, 127.
[65]
W. Godwin: Enquiry conc. political justice (London 1793) 2, 548f. 734–740.
[66]
Th. Paine: The rights of man (London 1791).
[67]
Shelley, a.a.O. [29] 338–345; vgl. H. N. Brailsford: Godwin, Shelley and their circle (London 1913 u.ö.).
[68]
Th. Blount: Glossographia (1656, Neudruck Menston 1969); E. Dering: Speeches on relig. (1642) 153. Als erste im 19. Jh.: W. T. Krug: Fundamentalphilos. (1818) 311; F. von Baader: Werke, hg. F. Hoffmann (1850–1860, Neudruck 1963) 7, 51 (aus dem Jahre 1824).
[69]
J. Fr. Laharpe: Du fanatisme dans la langue révolutionnaire (Paris 1797) 106; W. Feldmann: Die große Revolution in unserer Sprache. Z. dtsch. Wortforsch. 13 (1911/12) 248f.; F. Brunot: Hist. de la langue franç. des origines à nos jours (Paris 1966–68) 9, 827f.
[70]
Oeuvres de M. Robespierre, hg. Laponneraye/Carrel (Paris 1840) 2, 156f. 163; Oeuvres complètes (Paris 1914–1967) 10, 274; vgl. E. Sieyès: Polit. Schriften (1796) 2, 371.
[71]
Vgl. A. Mathiez: Die frz. Revolution (1950) 291. 372. 438. 486.
[72]
Wieland, Werke, hg. J. G. Gruber (1824–1827) 40, 337; J. Görres: Das rote Blatt 1 (1798). Ausgew. Werke und Briefe, hg. W. Schellberg (1911) 1, 34.
[73]
J. P. Brissot: A ses commettans, sur la situation de la Convention Nationale, sur l'influence des Anarchistes, ... (Paris 1793, London 1794) 6.
[74]
a.a.O. 7.
[75]
73.
[76]
Vgl. J. P. Brissot: A tout les républicains de France, sur la Société des Jacobins de Paris (Paris 1792), zit. in: P. Kropotkin: Die frz. Revolution, dtsch. G. Landauer (o.J.) 2, 51–62.
[77]
Gazette nationale ou le moniteur universel No. 251 (1790); No. 71 (1793); No. 260 (1795); No. 316 (1796); Nos. 227. 313 (1798); No. 180 (1799); dagegen Lamarque, a.a.O. No. 164 (1796) = Réimpress, de l'ancien moniteur (Paris 1853–1863) 5, 583; 15, 672; 24, 627; 28, 373; 29, 258. 327. 624bis; 27, 592.
[78]
a.a.O. No. 124. 358 (1797) = Neudruck 28, 529–531. 816–818.
[79]
No. 305 (1799); Nos. 307. 308 (1799); No. 309 (1799); No. 311. 312 (1799) = Neudruck 29, 747. 751. 752. 753. 755.
[80]
J. Bentham: Works (London 1838–1843) 2, 489–529.
[81]
Economic Writings, hg. W. Stark (London 1952–1954) 2, 296.
[82]
a.a.O. [80] 5, 222; An Introduction to the principles of morals and legislation (1789) 1, § 14, in: A fragment on government. An introduction ..., hg. W. Harrison (Oxford 1948) 130.
[83]
A. Rivarol: Oeuvres choisies, hg. M. de Lescure (Paris o.J.) 1, 271. 276.
[84]
E. Burke: Reflections on the revolution in France (London 1790, 121793) 56; vgl. 81. 318f. 331f.; dtsch. hg. D. Henrich (1967) 76. 99. 305. 314f.
[85]
The annual register for the year 1797. Hist. of Europe (London 4807) 107.
[86]
B. Constant: De l'esprit de conquête et de l'usurpation (1814) II, 15; dtsch. Über die Gewalt, hg. H. Zbinden (1942) 145f.
[87]
Fr. Schlegel: Versuch über den Begriff des Republikanismus. Krit. A., hg. E. Behler (1958ff.) 7, 25.
[88]
a.a.O. 12, 84.
[89]
14, 217f.
[90]
14, 232.
[91]
14, 256.
[92]
W. T. Krug: System der praktischen Philos. 1: Rechtslehre (21830) 312; vgl. 310.
[93]
Schopenhauer, Werke, hg. Frauenstädt/Hübscher (21948ff.) 2, 405; 6, 225. 381.
[94]
Hegel, Schriften zur Politik und Rechtsphilos., hg. G. Lasson (1913) 3. 15. 84f. 159; vgl. 71. 101. 109.
[95]
Vorles. über die Philos. der Weltgesch., hg. G. Lasson (1944) 898.
[96]
a.a.O. [94] 113f. 128.
[97]
a.a.O. [95] 930; Phänomenol. des Geistes, hg. J. Hoffmeister (1937) 422.
[98]
Herder, Werke, hg. B. Suphan (1877–1913, Neudruck 1967/68) 2, 99.
[99]
E. Young: The revenge 4, 1. Works (London 1854) 2, 221f.
[100]
The Englishman, hg. R. Steele, No. 7, Oct. 20, 1713; Neu-A. R. Blanchard (Oxford 1955) 31.
[101]
M. Mendelssohn, Schriften zur Philos., Ästhetik und Apologetik, hg. M. Brasch (1892) 1, 72.
[102]
J. G. Hamann, Werke, hg. J. Nadler (1949–57) 3, 280.
[103]
F. von Baader, a.a.O. [68] 1, 146.
[104]
F. Schlegel: Athenäumsfragment 97, a.a.O. [87] 2, 179.
[105]
F. W. J. Schelling: Werke, hg. K. F. A. Schelling (1856–1861) 10, 88.
[106]
Aus Jens Baggesen's Briefwechsel mit K. L. Reinhold und F. H. Jacobi (1831) 2, 216; ein entsprechender Vergleich bei G. H. Lewes: Gesch. der Philos. von Thales bis Comte (1871–1876) 1, 33.
[107]
W. T. Krug, a.a.O. [68] 311; Allg. Handwb. der philos. Wiss. (1827–1829) 1, 117.
[108]
Hölderlin, Große Stuttgarter A., hg. F. Beissner (1946ff.) 4/1, 211f.
[109]
Novalis, Schriften, hg. P. Kluckhohn (1929) 2, 71. 77.
[110]
F. Schlegel, a.a.O. [87] 10, 31.
[111]
Goethe, Hamburger A. 2, 147; vgl. 14, 56; vgl. F. Meinecke, Werke (1957ff.)4, 312. 370. 375: «A. der Werte».
[112]
W. Landor: Imaginary conversations. Works (London 1846) 1, 135.
[113]
A. Comte: Discours sur l'esprit positif; dtsch. hg. I. Fetscher (1956) 109. 161; vgl. 177, 199; Système de politique positive ou traité de sociol. (Paris 1851–54, 31890–1895) 1, 73; 2, 18f.; 3, 2. 29; vgl. 2, 296. 458; 3, 35; 4, 26. 370. 443.
3. Der erste, der sich selbst als ‹Anarchisten› bezeichnete, war P. J. Proudhon. Hatte er noch in seinem Frühwerk ‹De l'utilité de la célébration du dimanche› (1839) nach einem Zustand sozialer Gleichheit gefragt, der außerhalb von Despotismus und A. liegt [1], so bekennt er sich in seinem ersten Hauptwerk ‹Qu'est-ce que la propriété› (1840) offen zum Anarchismus (= As.) und versteht unter A. nun nicht mehr Unordnung und Chaos, sondern «Abwesenheit jedes Herrschers, jedes Souveräns». Die neue, Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklichende Gesellschaft sucht ihre Ordnung in der A., während die alte, in der die Menschen der Autorität anderer unterworfen sind, Unordnung und Chaos repräsentiert und deshalb zum Untergang bestimmt ist. Die neue Ordnung wird von der Wissenschaft hervorgebracht, die alles regelt, «was Gegenstand der Gesetzgebung und Politik ist». Die Wissenschaft löst die «Herrschaft des Menschen über den Menschen» ab, die despotische Willkür im Gebrauch und Mißbrauch des Eigentums («propriété» im Gegensatz zu «possession», dem rechtmäßigen, persönlichen Besitz); der Wille des Einzelnen wird in ein «wissenschaftliches Gesetz» umgewandelt [2]: «Die Freiheit ist A., weil sie die Herrschaft der Willkür nicht zuläßt, sondern bloß die Autorität des Gesetzes, d.h. die Notwendigkeit» [3]. Auch Proudhon weiß, daß das «beständige Zeugnis der Geschichte» gegen die A. und für die Notwendigkeit einer Ordnungsmacht in Form einer Regierung spricht, aber diese blieb doch immer ein Objekt des Mißtrauens und ein Faktor «dauernder Instabilität» [4]. Die «A. der Produktion», der «wirtschaftlichen Kräfte», ist ein Übel, das die Gesellschaft zerstört und deshalb beseitigt werden muß [5], doch kann solche A. sogar unter einer starken politischen Zentralgewalt existieren [6], und wahre A. im Sinn von Herrschaftslosigkeit schließt Ordnung nicht aus: «die höchste Vollkommenheit der Gesellschaft findet sich in der Vereinigung der Ordnung und der A.» [7]. Aus der Negation des Eigentums folgt die Negation jeder Autorität, sowohl der religiös-kirchlichen als auch der politischen: A. ist «die wahre Form der Regierung» [8]. In der Geschichte hat es immer zwei entgegengesetzte Parteien gegeben: eine hierarchische, die an die Autorität des Eigentums, des Königtums oder der Demokratie, der Philosophie oder der Religion glaubte, und eine «anarchische und atheistische», die jede göttliche oder menschliche Autorität ablehnte, den Sozialismus [9]. Das autonome Ich kann kein göttliches Gesetz, kein «commandement mystique» über sich anerkennen, sein Gesetz ist der praktische Atheismus [10]. Proudhon nennt seine Theorie gelegentlich auch ‹Sozialismus› [11]; gegen die Sozialisten seiner Zeit (L. Blanc, P. Leroux u.a.) hat er sich jedoch immer zum As. bekannt: Die A. ist die Grundlage der voll entwickelten, «erwachsenen» Gesellschaften (sociétés adultes), so wie die Hierarchie das Prinzip der primitiven Gesellschaften ist [12]. Da der Staat in seiner Schutz- und Garantiefunktion überflüssig ist, kann er abgeschafft, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigt und die A. konstituiert werden, in der nicht Unordnung, sondern der höchste Grad an Ordnung und individueller Freiheit herrscht [13]. Am Anfang der Geschichte der sozialen Entwicklung steht der Absolutismus, an ihrem Ende wird die A. stehen [14]. Schon in seiner eigenen Zeit glaubt Proudhon in der direkten Regierung und der direkten Gesetzgebung Anzeichen für eine generelle Schwächung der Regierung und für eine Tendenz zur A. zu erkennen [15]. An Stelle der politischen Mächte (Regierung, Polizei, Armee, Zentralverwaltung) sollen in der reinen A. (anarchie pure) ökonomische Organisationsformen treten, die die Bauern und Arbeiter zu einer Einheit zusammenschliessen und damit jene schlechte «anarchie des forces sociales», die immer zur Rechtfertigung des Despotismus gedient hat, verschwinden lassen. Die Absurdität der politischen Institutionen wird offenbar und die A. schließlich wie eine Wohltat angenommen werden [16].
In seinen späten Schriften hat Proudhon dann die A. eher als ein Ideal angesehen, das nie völlig erreicht werden kann. Die Menschheit nähert sich ihren Zielen, der Gleichheit, A. und Nicht-Religion (non-religion, non-mysticisme) immer mehr an, sie schreitet fort in Richtung auf Wissenschaft, Recht, Freiheit, Ehre und Gerechtigkeit [17]. Proudhon konzipiert vier ideale Regierungsformen: Monarchie oder Patriarchat (Regierung aller durch einen einzigen), Panarchie oder Kommunismus (Regierung aller durch alle), Demokratie (Regierung aller durch jeden) und «Anarchie oder Self-government» (Regierung eines jeden durch jeden). Die beiden ersten sind Regime der Autorität, die beiden letzten Regime der Freiheit [18]. In der A. werden die politischen Funktionen auf wirtschaftliche zurückgeführt, die soziale Ordnung resultiert allein aus Tausch und Vertrag. Demokratie und A. erscheinen nie in der Reinheit ihres Begriffs, sie sind dazu «verurteilt, im Status ewiger Wünsche (desiderata perpétuels) zu bleiben» [19]. Gegenüber dem nie voll zu verwirklichenden Ideal der A. gewinnen in den späten Schriften die oft synonym gebrauchten Begriffe ‹Föderalismus› und ‹Mutualismus› an Bedeutung. In der Föderation, die zur «idée dominante de la politique» wird, verbinden sich die Partner durch einen Vertrag zu einem bestimmten Handeln, lassen einander darüber hinaus aber alle Autonomie [20], während der Mutualismus gegenseitige ökonomische Leistungen (Dienste, Kredit, Sicherheit, Werte) sichert [21].
Trotz Proudhons Neudefinition des A.-Begriffes fand der As. zunächst nur wenig Verbreitung. Im politischen Leben um 1848 stößt die A. weiterhin auf Ablehnung, obwohl sie den Liberalen für weniger verwerflich gilt als die Despotie [22]. Werden von den Regierungen die demokratischen Bestrebungen als A. und Pöbelherrschaft disqualifiziert, so wendet sich K. A. Varnhagen von Ense mit diesem Begriff gegen die Willkür und Unentschlossenheit der Minister, die mit ungesetzlichen Mitteln gegen das Volk vorgehen [23].
M. Hess sieht den Wert der A., auf der auch Atheismus und Kommunismus fußen, nur in der Durchbrechung der «äußeren Schranken», in der «Schrankenlosigkeit»; sie muß danach zur «Selbstbestimmung oder Selbstbeschränkung, zur Sittlichkeit fortschreiten» [24].
Eine große politische Bewegung konnte Proudhon zu seiner Zeit nicht begründen, obwohl er bei vielen Anhängern und Freunden Widerhall fand. K. Grün nimmt die Definition der A. als Herrschaftslosigkeit auf und hält sie für unerläßlich in einer Wissenschaft, «welche die Freiheit des Menschen begründen» soll [25]. – W. Marr wendet sich gegen die aus der Revolution von 1848 unversehrt wieder hervorgegangenen Autoritäten und gegen den Sozialismus, in dem er dieselben diktatorischen Elemente sieht wie im «patriarchalischen Absolutismus». Die A. ist die einzige Rettung gegenüber «Gouvernementalismus» und «Repräsentativsystem». Zwischen A. und Autorität gibt es keinen Mittelweg. Das «Streben für und nach Individualität» ist «das einzig richtige, das einzig logische». Die Freiheit ist identisch mit der «Anarchie», sie «realisiert sich in der fortwährenden Negation alles überflüssig gewordenen Positiven» [26]. In geheimen Bünden hat Marr selbst für die Verbreitung seiner Ideen gewirkt, für die er 1846 noch den Begriff ‹Demokratie› verwendet [27].
In Frankreich vertritt A. Bellegarrigue einen individualistischen As., in dem jeder Einzelne für sein persönliches Wohlergehen verantwortlich ist, ohne daß der Staat in sein Tun eingreifen darf [28]. – E. Cœurderoy ruft die «revolutionnaires anarchistes» zu einer allgemeinen Revolte und Erhebung auf, zu einem Unordnung und Chaos bringenden Krieg, der in seinen Zielen unbestimmt bleibt, aber trotzdem die Hoffnung der Menschheit ist, da sich die Gesellschaft immer in Revolutionen umformt. Andererseits kann der Mensch aber auch in jeder Epoche der Geschichte sein Glück und seine Freiheit finden [29]. Er muß zwischen seinem ungeduldigen Streben nach Unendlichkeit und Freiheit, seinen «aspirations anarchiques» und den Hindernissen, die dem entgegenstehen, einen Ausgleich finden. Aber die Zeit ist nahe, in der der Staat und seine Funktionäre von einer fröhlichen A. («anarchie joyeuse») abgelöst werden [30]. – Nach den Erfahrungen von 1848 glaubt J. Dejacque, daß polizeiliche Einrichtungen für die Aufrechterhaltung der Ordnung überflüssig seien und daß deshalb das Heil für die Massen in der A. liege: «L'anarchie est l'état de santé des multitudes». Zur Verwirklichung dieser Utopie («rêve non réalisé, mais non pas irréalisable») plant er eine Organisation der Bevölkerung in großen Wohneinheiten (l'Humanisphère), in denen keine Hierarchie und Autorität, sondern vollkommene A. herrscht [31].
Obwohl M. Stirner immer zum As. gerechnet wird, hat er doch den Begriff ‹A.› nur selten verwandt, einmal als Gegensatz zum Liberalismus, dann aber gerade als dessen Attribut [32]. Erst der spätere individualistische As. hat auf Stirner zurückgegriffen.
Auch bei den frühen amerikanischen Individualisten (J. Warren, St. P. Andrews, L. Spooner) ist die A. nicht die erstrebenswerte Gesellschaftsform. Vielmehr herrschen hier die Begriffe «Individualität» und «Souveränität des Individuums über sich selbst» vor. Staat, Recht, Gesellschaft, Institutionen müssen hinter der Selbstbestimmung des Einzelnen zurückstehen [33]. Sie sind es, die die allgemeine Unsicherheit und A. vergrößern [34]. ‹A.› wird hier also noch im alten negativen Sinn gebraucht.
Hatte sich der proudhonistische As. in Frankreich mit den verschiedenen Strömungen des Sozialismus auseinanderzusetzen [35], so hatte er bis 1869 auch einen nicht unbeträchtlichen Einfluß in der «Ersten Internationalen» (I. A. A.). Von da an wurde er aber mehr und mehr von dem As. Bakuninscher Provenienz zurückgedrängt, der jetzt gegen den zentralistischen Marxismus auftrat. M. Bakunin hatte schon 1848 die Hoffnung geäußert, daß die A. aus einem Bauernkrieg, der von den «schlechten Leidenschaften» hervorgebracht würde, entstünde. «Nur ein anarchischer Bauernkrieg einerseits und die Verbesserung der Bourgeoisie durch die Bankerotte andererseits kann Deutschland retten» [36]. Auch nach seiner Flucht aus der Verbannung wirkte Bakunin in seinen Schriften für eine solche A., die die «revolutionären Instinkte der Massen» nicht «zurückpressen», sondern sie «organisieren» soll, so daß eine alle Länder übergreifende Revolution aus ihnen hervorgehen kann [37]. «Wir fürchten die A. nicht, wir rufen sie an, überzeugt, daß aus dieser A., das heißt der vollständigen Äußerung des entfesselten Volkslebens, die Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, die neue Ordnung und die Kraft der Revolution selbst gegen die Revolution hervorgehen müsse» [38]. Die neue «lebendige Organisation» und die «natürliche Aktion» wird vom Volk direkt ausgehen; es werden sich «freie Föderationen von Ackerbau und Industrie betreibenden Assoziationen» bilden. Die oberste Organisation der Revolution, die «Assoziation der internationalen Brüder» verzichtet entweder ganz auf jede Diktatur oder erkennt nur eine solche an, die direkt auf der «Volks-A.», auf der von einer «unsichtbaren kollektiven Kraft geleiteten revolutionären A.» beruht [39]. Bakunin hat immer den Wert des «spontanen Lebens» und der Leidenschaften für die A., den Vorrang des Lebens vor der Wissenschaft, ja sogar «bis zu einem gewissen Grade die Empörung des Lebens gegen die Wissenschaft oder vielmehr gegen die Herrschaft der Wissenschaft» betont [40]. Die neue Gesellschaft soll Gerechtigkeit und Gleichheit garantieren, eine «Gleichheit des Ausgangspunkts», die «die gleichmäßig für alle tatsächliche Möglichkeit bietet, sich zu den größten Höhen der Menschheit zu erheben, zuerst durch Erziehung und Unterricht, dann durch die eigene Arbeit eines jeden in freier Assoziation» [41]. In der vollständigen Entwicklung seiner Fähigkeiten und Anlagen besteht die Freiheit des Menschen, die das höchste Gut ist [42]. Bedroht wird sie von den Autoritäten aller Art, vor allem von den sich gegenseitig ergänzenden und bedingenden Autoritäten von Staat und Kirche/Religion. Die Auflehnung gegen die Gesellschaft ist schwieriger als der Kampf gegen die Natur, weil der Mensch das, was er ist, durch die Gesellschaft geworden ist, und seine Freiheit an den anderen nicht ihre Beschränkung findet, sondern die anderen die «notwendige Voraussetzung und Bejahung» der Freiheit des Menschen sind [43]: «Mit einem Wort, wir weisen alle privilegierte, patentierte, offizielle und legale Gesetzgebung, Autorität und Beeinflussung zurück, ... in der Überzeugung, daß sie immer nur zum Nutzen einer herrschenden und ausbeutenden Minderheit gegen die Interessen der ungeheuren geknechteten Mehrheit sich wenden können. In diesem Sinne sind wir wirklich Anarchisten» [44]. Das Prinzip der spontanen, freien Assoziation und die Zurückweisung jeder staatlichen oder autoritären Lenkung gilt bereits für den revolutionären Kampf selbst. Die Ablehnung jeder «politischen Macht» zugunsten der nur «sozialen und folglich antipolitischen Macht» trennt, nach Bakunin, «die revolutionären Sozialisten oder Kollektivisten von den autoritären Kommunisten» [45]. Er stellt «das anarchistische System von Proudhon», das er «erweitert, entwickelt und von all seinem metaphysischen, idealistischen, doktrinären Aufsatz befreit» habe, dem System des autoritären Kommunismus, des «doktrinären Staatssozialismus» gegenüber [46]. Diese Differenzen führten schließlich zum Ausschluß Bakunins und seiner Anhänger aus der «Internationalen» (Kongreß in Den Haag 1872), zum Bruch der Marxisten mit den Anarchisten. Die Anarchisten, die die volle Autonomie der einzelnen Sektionen vertraten [47], hielten zunächst in Saint-Imier (Schweiz) einen eigenen Kongreß ab (September 1872) und versammelten sich zu «antiautoritären Internationalen» in Genf (1873), Brüssel (1874), Bern (1876) und Verviers (1877). Außer den anarchistischen Delegationen vor allem aus Italien, Spanien, Holland, Belgien und der Westschweiz wurden diese Kongresse auch von Sozialdemokraten besucht, bis es zwischen beiden Richtungen zu einer neuen Spaltung kam, so daß die weiteren Kongresse der Anarchisten an Bedeutung verloren [48].
Marx und Engels verteidigten die zentrale Leitung der «Internationalen» und erklärten die Begriffe «Autonomie der Sektionen, freie Föderation autonomer Gruppen, Antiautoritarismus, A.» für «Phrasen» [49]. «Unter der Maske des extremsten As.» richten die Anarchisten «ihre Angriffe nicht gegen die bestehenden Regierungen, sondern gegen die Revolutionäre» [50]. Die Abschaffung des Staates, die der As. proklamiere, sei selbst ein autoritärer Akt, und auch der As. halte es für notwendig, eine Organisation aufzubauen, so daß «also alle Elemente des ‹Autoritätsstaates› aufs schönste wieder hergestellt» seien [51]. Die Ideale der A., der reinen Aktion «von unten nach oben» und der «freien Föderation» lassen sich praktisch nicht verwirklichen; statt der Abschaffung des Staates folgt nur die Aufsplitterung in «eine Anzahl neuer, kleiner Staaten» [52]. Angesichts des Drucks der Regierenden kann die A. nicht schon mit der Organisation der Proletarier beginnen, sondern erst am «Ziel der proletarischen Bewegung» stehen, wenn der Staat abgestorben ist. Die Anarchisten aber greifen die «Sache am umgekehrten Ende an» [53].
Neben Bakunin wurde vor allem auch J. Guillaume, der Organisator der «Fédération Romande» und späteren «Fédération Jurassienne» in der Schweiz aus der «Internationalen» ausgeschlossen. Er vertritt eine Gesellschaftsform, die sich aus kleinen Produktionsgruppen und lokalen Föderationen aufbaut, die sich wiederum zu ‹Kommunen› zusammenschließen. In der Autonomie und Unabhängigkeit der einzelnen Sektionen liegt deren «an-archie», die «Abwesenheit einer zentralen Autorität» [54]. Meistens gebrauchten die Jurassier für sich nicht den Begriff ‹As.›; sie nannten sich eher ‹Föderalisten›, ‹antiautoritäre Kollektivisten› und ‹Autonomisten› [55].
Nach seinem eigenen Bekenntnis gelangte P. Kropotkin durch die «Prinzipien der Gleichheit ..., die Unabhängigkeit im Denken», die er im schweizerischen Jura vorfand, zum As. [56]. Anders als Bakunin, der sich zum ‹kollektivistischen As.› rechnete und den Kommunismus scharf ablehnte, bevorzugte Kropotkin den Begriff ‹kommunistischer As.›. Er versuchte den Nachweis zu führen, daß der As. seine Wurzeln in der modernen Wissenschaft hat. Er lehnt jede metaphysische Erklärung z.B. des Rechts, des Staates, der Nationalökonomie ab, d.h. jede Begründung, die sich nicht mit den Methoden der exakten Naturwissenschaft gewinnen läßt [57]. Der As. entspringt dem «direkten Leben», «sucht aber sofort seinen Ausdruck und seine theoretische und wissenschaftliche Begründung zu finden» [58]. Die moderne Wissenschaft hat ihre Parallele im As., da auch jener seine Mitglieder keiner Autorität unterwerfen, sondern den Individuen die Möglichkeit zur freien Entwicklung ihrer Fähigkeiten und einer harmonischen Verbindung untereinander geben will: «Elle cherche le plus complet développement de l'individualité, combiné avec le plus haut développement de l'association volontaire sous tous les aspects» [59]. Die A. bedarf, damit sie sich nicht in falschem Individualismus verliert, des Kommunismus, der gemeinsamen Organisation von Produktion und Arbeit und der Verwaltung des Eigentums. As. und Kommunismus liegen in der Tendenz der Zeit, sie ergänzen sich gegenseitig. Der Kommunismus darf jedoch nicht die autoritäre Form des Marxismus annehmen; die neue Gesellschaft braucht nicht die Einmischung des Staates, sie kann sich allein auf freiwilliger Basis, aus der Notwendigkeit ihrer Bedürfnisse heraus und auf der Grundlage der gegenseitigen Hilfe bilden (vgl. ‹Gegenseitige Hilfe in der Entwicklung› [1904]). Der «communisme anarchiste» ist die Synthese von wirtschaftlicher und politischer Freiheit [60]. Die «Entwicklung der Initiative des Individuums und der Gruppe» kann nur unter «Einschränkung der Funktionen des Staates» erfolgen. Sie liegt in der A., die nicht Unordnung, sondern Verneinung der Autorität und der alten knechtischen Ordnung bedeutet [61]: «Die vollständige Unabhängigkeit der Kommune, die Föderation der freien Kommunen, und die soziale Revolution innerhalb der Kommune – durch das Volk selbst vollbracht», ist das Ziel [62]. Die Arbeitsteilung soll aufgehoben, die Industrie dezentralisiert und eng mit Landwirtschaft und Handwerk verbunden werden [63]. So überwindet der kommunistische As. die Entfremdung der Menschen untereinander und schafft neue Kontakte, neue Formen von Geselligkeit und eine Moral, aufgrundderen die Menschen ohne äußeren Zwang doch in einer der Gesellschaft nützlichen Weise handeln, da sie die Notwendigkeit dazu von selbst einsehen [64].
Viele von Kropotkins Anhängern haben für die Verbreitung des kommunistischen As. gewirkt. Für E. Reclus zeigt die Geschichte, daß jeder Fortschritt in Richtung auf Freiheit und Gleichheit mit einer Auflehnung gegen die Gehorsam fordernden Mächte verbunden war. Die großen Epochen des Geistes und der Kunst waren auch Zeiten beständiger Kämpfe und der A., in der die Menschen nach Freiheit strebten [65]. Das Ideal der A. ist die «volle und absolute Freiheit», seine Meinung auszudrücken, zu handeln, wie man will und sich mit anderen in «kollektiven Werken» zu verbinden [66]. Jede Autorität von Institutionen, Staat und Kirche, wird zurückgewiesen [67]. So kommt der Tag, da die Revolution, vorbereitet von der Evolution, die Freiheit für alle bringen wird [68]. – Auch für J. Grave bedeutet A. die «négation de l'autorité» in Familie, Religion, Politik, Armee usw. Die Basis der neuen Gesellschaft ist allein die Solidarität der Einzelnen, aufgrundderen sich, wenn das persönliche Eigentum und damit der Antagonismus der Interessen beseitigt sind, die «harmonie sociale» bilden kann. Die Arbeit verliert dann den Charakter der Mühsal und des Leidens [69]. Ohne Hoffnung auf etwaige gute Regierungen und gerechte Institutionen soll die zukünftige Gesellschaft allein auf der «action individuelle», der Autonomie und Initiative der Individuen aufgebaut sein. Ein Rückfall in die Isolierung des Naturzustandes muß jedoch durch die Assoziation der Menschen in kleinen unabhängigen Gruppen mit engen Beziehungen untereinander verhindert werden [70]. – Ebenso vertritt auch Ch. Malato einen kommunistischen As., in dem die Autonomie und Freiheit des Menschen in den Gruppen, der Gruppen in den Stadt- und Dorfkommunen, der Kommunen in den Föderationen garantiert werden. Der kommunistische As. will die Sozialisierung der Wirtschaft erreichen, ohne in den Fehler des autoritären und hierarchischen Sozialismus zu verfallen, der am Staat festhält [71].
In Italien entwickelt entsprechende Theorien vor allem E. Malatesta. Der Kommunismus, falls er nicht in seiner autoritären Form auftritt, kann sowohl die «individuelle Freiheit» als auch «das Wohlbefinden aller» garantieren. Bei aller notwendigen Organisation des As. muß doch die Freiheit des Experimentierens, des Suchens nach einer besseren sozialen Ordnung erhalten bleiben [72]. Der Kollektivismus wird als «unvereinbar mit der A.» abgelehnt, da er die wirtschaftliche Konkurrenz aufrecht erhält; erst der Kommunismus bringt die gemeinsame Nutzung der Produktionsmittel und die Überführung des Eigentums in Gemeingut [73]. – Wie Malatesta verwirft F. S. Merlino den Kollektivismus, betont aber gegenüber dem Kommunismus das Prinzip der persönlichen Autonomie, der A. und des freien Vertrages [74].
J. Most, ein ehemaliger deutscher Sozialdemokrat, vertrat von 1882 an in Amerika zunächst einen Kollektivismus, in dem ein «föderalistisches System ... der individuellen Freiheit den weitesten Spielraum gewährt, aber gleichzeitig auch ein ordnendes Band um alle Elemente schlingt, welche im großen und ganzen den gleichen Zwecken dienen» [75]. Später vertritt auch er den kommunistischen As. «mit dem Verlangen nach freiem Genußrecht, freier Arbeitsleistung und Abwesenheit jeder eigentlichen politischen Organisation» in Anlehnung an die «Agitationsschriften Kropotkins» [76]. Er wendet sich damit gegen den damals in Amerika vorherrschenden (z.B. von B. R. Tucker vertretenen) individualistischen As. [77]. Durch die Propaganda der russischen Emigranten A. Berkman und E. Goldman u.a. gewann dann der kommunistische As. größere Verbreitung. Er bedeutet für sie Freiheit an Stelle von Staat und Gesetzen, gemeinsame Nutzung der Güter an Stelle des privaten Besitzes. A. meint nicht Unordnung und Chaos, sondern Ordnung auf der Grundlage der Freiheit, Kommunismus ohne bolschewistische Diktatur. Während dis bisherigen Revolutionen nie den richtigen Weg zur Verwirklichung der Freiheit gefunden haben, wird sich die «social revolution» von ihr leiten lassen und die A. heraufführen [78]. Der As. wird alle Gegensätze zwischen Individuum und Gesellschaft in einer Einheit des Lebens versöhnen, der schöpferischen Energie des Einzelnen und der ungehinderten Gruppenbildung freien Raum lassen. As. ist deshalb die Theorie der sozialen Harmonie, die aber über die konkrete Form der zukünftigen Gesellschaft nichts aussagen kann, da sie dies gerade der freien Entfaltung der menschlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten überlassen will [79].
Auch A. R. Parsons, der 1887 mit anderen Anarchisten als angeblicher Verantwortlicher für eine blutig verlaufene Streikversammlung zum Tode verurteilt wurde [80], strebt eine «Ordnung ohne Regierung» (As.), verbunden mit «allgemeiner Kooperation (Kommunismus)» an. Auch er wehrt sich gegen das allgemeine Vorurteil, daß A. «Gewalt, Chaos, Zügellosigkeit» bedeute; sie ist «gerade das Gegenteil der gegenwärtigen Ordnungslosigkeit» [81]. Der As. kann jedoch keine «abgerundete Skizze von der vollständigen Organisierung einer freien bürgerlichen Gesellschaft ... geben», denn das hieße, «den kommenden Geschlechtern eine neue Schranke in den Weg setzen» [82]. Es kann nur soviel gesagt werden, daß die «zentralisierte oder konzentrierte Gewalt» durch Selbstbestimmung und das «natürliche Gesetz» ersetzt werden soll [83]. «Das Naturgesetz ist völlig ausreichend» zur Regelung der gesellschaftlichen Ordnung, da die jetzigen Übel nur aus den wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten folgen [84].
Ähnliche Gedanken finden sich bei D. Saurin: das Ich ist sein alleiniger Gesetzgeber, der Mensch folgt den Gesetzen, die er in sich findet. Da diese allgemein und notwendig, vernünftig und einsehbar sind, kann auf ihnen eine soziale Ordnung aufgebaut werden. Der Staat und jeder äußere Zwang wird überflüssig: «L'Ordre ne reviendra qu'avec l'A., la loi inviolable, à laquelle chacun adhère, comme à sa propre nécessité» [85].
Gegenüber den verschiedenen Arten des kommunistischen As. hatte der individualistische As. weniger Bedeutung. J. H. Mackay, der Wiederentdecker Stirners, wendet sich gegen jede Gewalt, die den Einzelnen in der Freiheit seiner Persönlichkeit einschränken könnte, und gegen jede Gewaltanwendung bei der Umformung der Gesellschaft. Das Ideal der A., Herrschaftslosigkeit und Gleichheit, «das freie unabhängige Individuum, dessen einzige Forderung an die Gesellschaft in der Respektierung seiner Freiheit besteht und dessen einziges selbstgegebenes Gesetz die Respektierung der Freiheit der Anderen ist», darf nicht durch Attentate und Terror, sondern nur durch passiven Widerstand erreicht werden. Die Befreiung des Menschen kann nur das Werk des Einzelnen, nicht etwa das der Arbeiterklasse sein [86]. – Für B. R. Tucker sind «Staatssozialismus» und As., Autorität und Freiheit, Marx und J. Warren bzw. Proudhon unversöhnliche Gegensätze. «Ich definiere As. als den Glauben an die größtmögliche Freiheit, vereinbart mit Gleichheit der Freiheit; oder in anderen Worten, als Glauben an jede Freiheit, ausgenommen die Freiheit des Eingriffs» [87]. Der As. beruht auf der Anerkennung des Egoismus, des Strebens nach dem persönlichen Vorteil der Individuen. Das schließt jedoch nicht die Möglichkeit «freiwilliger Vereinigungen vertragschließender Einzelner» außerhalb des staatlichen Zwangs- und Herrschaftsverbandes aus. Auch Recht und Eigentum können dann, soweit sie nicht aufoktroyiert bzw. monopolisiert sind, von den Anarchisten geachtet werden [88]. – Der Kampf gegen den Bolschewismus, gegen Staatsautorität und wirtschaftliche Monopole, gegen die Anwendung von Gewalt und für die nicht an Staat und Parteien gebundene Freiheit des Menschen ist auch für B. Lachmann der Inbegriff des As. [89].
In den Niederlanden wurde der As. von F. D. Nieuwenhuis begründet, der sich von der Kirche abwandte, da ihm «nicht das Christsein, sondern das Menschsein», die «Humanität» die höchste Aufgabe war und die Kirche diese nicht wahrnehmen könne [90]. Sein ‹Nachfolger› war B. de Ligt, der sich als «Sozialanarchist» bezeichnet und vom «Bourgeoisindividualismus» abgrenzt. Obwohl er glaubt, daß sich Marxismus und As. gegenseitig zu revidieren haben, sieht er, daß die Revolution von 1917 in die falschen Hände geraten ist und daß der As. beim Neuaufbau nach der Revolution versagt hat [91].
In Belgien war C. de Paepe der Hauptvertreter des As. Für ihn ist die A. die konsequente Verwirklichung des demokratischen Prinzips; sie kann aber erst nach einer «sozialen Reorganisation» eintreten, da man sie jetzt noch als Unordnung und Chaos ablehnt, wo sie doch gerade Sicherheit, Ordnung und Harmonie herbeiführen will. 1874 wandte er sich jedoch vom As. ab, da er von der kommenden Revolution eine allgemeine Desorganisation befürchtete [92].
In unzähligen Schriften, Broschüren, Zeitschriften usw. suchten die Anarchisten ihre Ideen zu verbreiten und vor allem zu erreichen, daß der As. nicht mit Unordnung und Zerstörung gleichgesetzt werde. Da sie aber die Teilnahme am politischen Leben ablehnten und, mit Ausnahme der individualistischen Anarchisten, glaubten, nur mit Gewalt die sozialen Verhältnisse umgestalten und die Revolution herbeiführen zu können, beschränkten sich ihre praktischen Taten oft auf lokale Erhebungen (Insurrektionen), Attentate, Anschläge und Terrorakte. Man erhoffte sich durch diese «Propaganda durch die Tat» – dieses Prinzip wurde 1877 von P. Brousse konzipiert [93] – eine größere Wirkung als durch Reden oder Schriften. Es sollte eine Agitation sein, die Aufsehen erregte und so schnell mit den Zielen des As. bekannt machte [94]. Die «Propaganda durch die Tat» «will nur aufklären, nur der Wahrheit zum Siege verhelfen, die auf dem Wege der bloß gesprochenen oder geschriebenen Agitation so arg langsam sich zu den Massen Bahn bricht» [95]. Der extremste Fanatiker war der zeitweilig mit Bakunin verbundene Netschajew, der all sein Handeln in den Dienst der Revolution stellen wollte und im Bewußtsein, im Recht zu sein, vor keinem Mittel zurückschreckte [96]. Brutale Mittel sollen nach A. Hamon die Gesellschaft nicht direkt verändern, sondern sind als Protest gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu verstehen [97]. Der Geist der allgemeinen, unbestimmt bleibenden Revolte charakterisiert alle Menschen, ist aber bei den Anarchisten besonders ausgeprägt [98].
Diese Gewaltakte veranlaßten viele Kritiker, den As. lediglich als kriminelle Bewegung anzusehen [99], auch dort, wo man als Heilmittel gegen den As. mehr Liberalität empfahl, um ihn dadurch unschädlich zu machen [100]. Man befürchtet die «Schrankenlosigkeit und Fessellosigkeit», die Ichsucht, die der As. mit sich bringen werde, so daß ein «Krieg aller gegen alle und schließlich brutale Unterdrückung des Schwachen durch den Starken» folge [101]. Andere glauben, daß die Ideen des As. undeutlich und wenig originell sind und daß sie deshalb auch keine ernste Gefahr darstellen [102]. Völlige Herrschaftslosigkeit, das Ideal des As., ist praktisch unmöglich, da immer «Leitung und Entscheidung» notwendig sind. Der As. gibt höchstens den Anstoß, «nach dem geringsten Maß von Herrschaft zu suchen» [103].
Ernsthaftere Kritiker dagegen fragen nach den Wurzeln der «Theorie des As.». R. Stammler sieht sie beim individualistischen As. im Bürgertum (Liberalismus, Privateigentum), beim kommunistischen As. im Sozialismus. Beide haben aber das gemeinsam, daß in ihnen «der radikalste Skeptizismus in Sachen der Rechtsordnung beschlossen ist». Sie lassen eine «Organisation der menschlichen Gesellschaft nur unter Konventionalregeln» zu [104]. Der As. «verwirft ... nicht gerade das Recht an sich, aber das Gesetzesrecht zu Gunsten des Gewohnheitsrechtes und die staatliche Rechtsvollstreckung zu Gunsten einer auf wohlverstandenem Selbstinteresse beruhenden freiwilligen Rechtsbefolgung» [105]. E. Linpinsel hält die volle Befreiung von allen Bindungen und Institutionen für undurchführbar, sieht aber im As. «eine Korrektur an der Vergewaltigungstendenz» der sozialen Gebilde, an der «zunehmenden Normierung, Institutionalisierung des Lebens». Nach C. Schmitt liegt allem As. der Glaube zugrunde, daß der Mensch gut und das Böse nur «Folge theologischen Denkens» sei [106]. Für L. Oppenheimer ist der föderalistische As. die bedeutendste aller Richtungen des As., da er die Entfaltung aller Kräfte des Einzelnen und der Gemeinschaft sowie deren Verbindung zu einer lebendigen Einheit und neuen Ordnung, nicht dagegen ihre Vereinzelung zum Ziel hat [107].
Schon zu Ende des 19. Jh. verlor der As. stark an Bedeutung. Die Lösung der sozialen Probleme und die praktischen Aufgaben zur Verbesserung der Lage der Arbeiter wurden vom Sozialismus und, in Frankreich, vom Syndikalismus wahrgenommen. Die Syndikalisten, unter denen sich viele ehemalige Anarchisten befinden, betonen gegenüber dem Sozialismus die Autonomie und Unabhängigkeit von einer zentralen Verwaltung; sie lehnen die Teilnahme an Regierung und Parlament ab, werfen aber dem As. vor, sich von den wirklichen Aufgaben der Arbeiter ab- und dem Individuum zuzuwenden. Deshalb wollen sie in Gewerkschaften (C.G.T.) und «Arbeitsbörsen» (Bourses de Travail), mit Streiks, direkten Aktionen und Klassenkampf für die Arbeiterklasse kämpfen [108]. A. Naquet glaubt, daß der As. seinen Weg nicht konsequent zu Ende gehe: Zwar werden die Produktionsmittel sozialisiert, aber der Verbrauch bleibt weiterhin individuell. Die Ablehnung einer politischen Organisationsform könnte vielleicht doch zu einer neuen Diktatur führen [109]. G. Sorel kritisiert den bourgeoisen Intellektualismus des As., der schließlich dazu geführt habe, daß viele Anarchisten, um wirklich revolutionär tätig zu werden, in die Syndikate eingetreten seien [110]. Da der Syndikalismus mit dem As. den Antiparlamentarismus teilt, ist Sorel bereit, sich unter diesem Aspekt zum As. zu bekennen [111].
Schärfere Kritik übt der Sozialismus am As. J. Guesde, ein ehemaliger Anarchist, der dann zu einer eigenen Variante des Sozialismus gelangte, wendet sich gegen die naive Auffassung des As., daß es genüge, den Staat abzuschaffen, um alle gesellschaftlichen Antagonismen zu überwinden [112]. B. Russell hält den As. zwar für möglich, aber nicht für wünschenswert, da ihm der Staat als Schlichtungs- und Garantieinstanz doch notwendig erscheint [113]. Dem Sozialismus werden hier wie auch bei W. Morris und G. B. Shaw[114] die größeren Chancen eingeräumt, die soziale Lage zu verbessern. Dagegen glaubt Fr. Oppenheimer, daß sich das Ideal des As. mit den von ihm selbst vertretenen Vorstellungen («sozialer Liberalismus») berühre, wenn auch eine Aufhebung der Arbeitsteilung und völlige Abschaffung des Staates nicht möglich sei [115].
Sowohl Sozialdemokraten wie Marxisten haben gegenüber dem As. immer geltend gemacht, daß die Abschaffung des Staates bzw. sein Absterben erst am Ende des Weges zum Sozialismus stehen könne, daß für den Kampf gegen den Kapitalismus eine gute Organisation der Arbeiter und, um eine Konterrevolution zu vermeiden, die Diktatur des Proletariats notwendig seien [116]. Während M. Adler annimmt, daß «kein prinzipieller Unterschied zwischen Sozialismus und As. in bezug auf das Ziel der sozialen Entwicklung» bestünde, sondern nur in bezug auf den Weg dorthin [117], unterscheiden Plechanow, Lenin und Stalin scharf zwischen Kommunismus und As.: Die Anarchisten sind nach Plechanow bourgeoise Utopisten, die in ihrer Kompromißlosigkeit «überall das Gegenteil von dem erzielen, was sie zu erzielen suchen» [118]. Sie sind Kleinbürger, Individualisten und Revoluzzer, die das Machtmittel des Staates nicht ausnutzen wollen und deshalb den Klassenkampf nicht begriffen haben. An Plechanow kritisiert Lenin, daß er in seiner Auseinandersetzung mit dem As. die wichtigste Frage, die des Staates, nicht berücksichtigt habe [119]. Stalin sieht den grundsätzlichen Unterschied zwischen Marxismus und As. darin, daß der As. zuerst die Befreiung der Persönlichkeit erstrebt, um daraus die Befreiung der Masse abzuleiten, während der Sozialismus umgekehrt vorgeht [120].
Nach 1918 hatte der As. als politische Bewegung nur noch lokale Bedeutung. Zwar setzten viele Anarchisten (u.a. Kropotkin) ihre Hoffnung auf die russische Revolution, in der Ukraine kämpfte eine anarchistische Armee [121], aber die Anhänger des As. wurden bald durch den bolschewistischen Zentralismus unterdrückt [122]. Zu einer praktischen Anwendung seiner Prinzipien gelangte der As. für einige Zeit in Spanien, bis er auch dort teils von den Kommunisten, teils von den Falangisten beseitigt wurde [123].
Aus den Erfahrungen der russischen Revolution, in der er aktiv für den As. kämpfte, kommt G. P. Maximoff zu dem Schluß, daß nur die A., die staatslose Föderation und die kommunistische Produktionsweise, gleichbedeutend mit einer neuen Form des Anarcho-Syndikalismus, eine freie Gesellschaft begründen können [124]. Während R. Rocker sich zum Syndikalismus bekennt, der nicht wie der traditionelle Sozialismus an Staat, Parteien und Diktatur des Proletariats festhält, sondern eine «Reorganisation der Gesellschaft von unten nach oben» erstrebt [125], vertreten P. Ramus und E. Mühsam weiterhin den kommunistischen As., die «Herrschaftslosigkeit auf politischem wie ökonomischem Gebiet» [126]. Nicht der Marxismus (Sozialdemokratie und Bolschewismus), sondern nur der As. kann von Unterdrückung und Ausbeutung befreien, «das Geistesreich individueller Freiheit und sozialen Gemeinsinns und Glücks» errichten und damit den Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft aufheben [127]. Frieden und Antimilitarismus sind im As. am konsequentesten verwirklicht [128]. Gegenüber dem individualistischen As. bestreitet der auf Gütergemeinschaft beruhende kommunistische As. «die Möglichkeit und auch die Wünschbarkeit des vom Ganzen losgelösten Individuums», denn die «Selbstverfügung und Selbstentschließung des Menschen» kann nicht ohne die Gesellschaft, «die Gemeinschaft aller im Sozialismus» existieren [129].
G. Landauer betont gegen den anarchistischen Kommunismus, der «losgelöst ... von aller Wirklichkeit» und vom «selbstgewachsenen Leben» immer nur «aufs Absolute ausgeht» (Kropotkin, E. Reclus u.a. rechnet er eher zum «Kommunalismus»), einen «Sozialismus der Bewegung», der nicht einem starren, einheitlichen Programm, sondern dem Leben und dem wirklichen Menschen folgt, der die Revolution nicht als Ergebnis eines festen Geschichtsprozesses erhofft, sondern schon jetzt mit der Erneuerung «beginnen» will, z.B. in der «Zusammenlegung des Konsums», in den Genossenschaften und «Gemeinden», in denen sich das Volk «abseits des Staates» konstituiert, in der sozialistischen Siedlung [130]. Gegen den dogmatischen, doktrinären Marxismus und gegen den ungerechten, unterdrückenden Kapitalismus bringt Landauer Geist und Kultur, Leben und «lebendiges Volk» ins Spiel, gegen die «Geistlosigkeit des Staates» («der Staat ist das Surrogat des Geistes») und gegen den Bürokratismus der Sozialdemokratie setzt er die gemeinschaftliche Verbindung der Arbeiter «in kleinen Gruppen, je nach Berufen und Organisationen» [131]. «Der Geist gibt dem Leben einen Sinn, Heiligung und Weihe; der Geist schafft, zeugt und durchdringt die Gegenwart mit Freude und Kraft und Seligkeit; das Ideal wendet sich vom Gegenwärtigen ab, dem Neuen zu; es ist Sehnsucht nach der Zukunft, nach dem Besseren, nach dem Unbekannten. Es ist der Weg aus den Zeiten des Niederganges heraus zu neuer Kultur» [132]. Nach eigener Aussage hat Landauer den Begriff ‹A.› nur selten verwandt, er ist «ein andrer, in seiner Negativität und besonders starken Mißverständlichkeit weniger guter Name für Sozialismus» [133]. «Der Sozialismus ist die Rückkehr zur natürlichen Arbeit, zur natürlichen, abwechslungsvollen Verbindung aller Tätigkeiten, zur Gemeinschaft von geistiger und körperlicher, von handwerklicher und landwirtschaftlicher Arbeit, zur Vereinigung auch von Unterricht und Arbeit, von Spiel und Arbeit» [134]. Aber die sich am Staat und am Parlamentarismus beteiligenden Marxisten wissen nicht, «daß Sozialismus A. ist und Föderation» [135].
Eine Zusammenfassung der breiten Literatur des As., eine möglichst vollständige Darlegung aller Richtungen («Exposé des principes, théories, conceptions, tendances et méthodes de la pensée et de l'action véritablement révolutionnaires, c'est-à-dire anarchistes») will S. Faure in einem Lexikon geben, in dem alle Artikel unter dem Aspekt des As. stehen [136].
Auch nach den Beziehungen zwischen Kunst und A. wird gefragt. Schon Madame de Staël fand die in Deutschland herrschende «anarchie douce et paisible», das Fehlen eines geistigen Zentrums, günstig für die Entwicklung der individuellen Einbildungskraft und des künstlerischen Genies [137], und im 19. Jh. bekundeten viele Künstler und Schriftsteller ihre Sympathie mit dem As. H. Read glaubt, daß jeder Künstler notwendig ein Anarchist sein müsse; der As. ist die einzige Alternative zum Herr-Knecht-Verhältnis [138]. Nach E. Wind gehört ein gewisses Maß an Unruhe und Verwirrung zu jeder schöpferischen Energie [139].
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Interesse am As. zunächst gering. R. Rocker propagiert noch einmal die A. als «Synthese von Liberalismus und Sozialismus» [140]; P. Heintz versucht, obwohl er weiß, daß der «historische As. des 19. Jh. tot ist», den Nachweis, daß der As. doch als «stille Revolution» und als «Empörung des Lebens gegen die Starrheit und den Schematismus der Institutionen» weiterlebt [141]. In Frankreich bildet sich 1950 unter G. Fontenis eine «Fédération anarchiste». Wie schon Nietzsche[142] beobachtet auch I. Fetscher im As. das «Umschlagen radikaler Freiheitsforderungen in Apologien des Terrors» [143]. Erst in jüngster Zeit wird mit dem Streben nach einem undogmatischen Sozialismus auch der As. erneut diskutiert. Neben einem verstärkten Interesse am historischen As. [144] sieht man auch in der Gegenwart «Erscheinungen anarchistischer Untergrund- und Gegenkulturen» und «Kultur-As.» [145] bzw. «sektiererische wie anarchistische Züge» in der Konsequenz der Theorie H. Marcuses[146], obwohl sich dieser selbst nicht zum As. zählt, wenn er auch «das anarchistische Element als eine sehr mächtige und progressive Kraft» betrachtet [147]. Einerseits beobachtet man die direkt aus dem Volke kommende Revolution des spanischen As. mit Sympathie [148], andererseits ist aber gerade diese Spontaneität und Unmittelbarkeit Gegenstand der Kritik und der Ablehnung [149].
Ulrich Dierse
[1]
P. J. Proudhon: De l'utilité de la célébration du dimanche (Paris 1839, Neudruck 1926) 61.
[2]
Qu'est-ce que la propriété? hg. E. James (Paris 1966) 295. 299ff.; dtsch. A. F. Cohn (1896) 219. 224ff.
[3]
a.a.O. 304; dtsch. 228; vgl. De la création de l'ordre dans l'humanité (Paris 1843).
[4]
De la justice dans la révolution et dans l'église (Neudruck Bruxelles 1860) 4. 3.
[5]
Idée générale de la révolution au 19e siècle (Neudruck Paris 1868). Oeuvres complètes 10, 42f.; Les majorats littéraires (Bruxelles 1862) 99; vgl. Système des contradictions économiques ou philos. de la misère (Paris 1846) 1, 201; 2, 445; M. Bakunin: Gesammelte Werke (1921–1924) 1, 172; 2, 51; zum Fortwirken des Begriffs s. Art. ‹A. der Produktion› in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft (1966ff.) 1, 206ff.
[6]
P. J. Proudhon: De la capacité politique des classes ouvrières (Paris 21865) 397. 401. 408. 415.
[7]
Qu'est-ce que la propriété? a.a.O. [2] 308; dtsch. 232.
[8]
Bekenntnisse eines Revolutionärs, hg. G. Hillmann (1969) 94.
[9]
Système des contradictions a.a.O. [5] 1, 9.
[10]
a.a.O. 1, 434f.
[11]
Le Droit au travail et le droit de propriété (Paris 1848) 7. 36.
[12]
Mélanges 3. Oeuvres complètes 19 (Paris 1870) 9.
[13]
a.a.O. 24. 29. 56. 59.
[14]
Idée générale de la révolution a.a.O. [5] 132.
[15]
a.a.O. 107.
[16]
259–261.
[17]
Théorie de la propriété (Neudruck Paris ca. 1863) 241f.
[18]
Du principe fédératif (Paris 1863) 25.
[19]
a.a.O. 29f.; vgl. 37f. 42.
[20]
64. 67–70.
[21]
De la capacité politique a.a.O. [6] 183–193.
[22]
C. von Rotteck und C. Welcker: Das Staatslex. (218451848) 1, 516ff.
[23]
K. A. Varnhagen von Ense: Tagebücher (1861–1870) 5, 214. 277. 291f. 304. 306. 310. 313. 318. 322. 334; 6, 76, 163. 214; 7, 374. 431. 445; 8, 117. 193. 303; 9, 254. 261f. 274; 10, 289. 332; 11, 444; vgl. für Spanien z.B. [Algarve]: L'anarchie espagnole (Paris 1868).
[24]
M. Hess: Philos. und Sozialist. Schriften 1837–1850, hg. A. Cornu/W. Mönke (1961) 221–225.
[25]
K. Grün: Die soziale Bewegung in Frankreich und Belgien (1845) 448f.
[26]
W. Marr: A. oder Autorität? (1852) 58ff. 80. 95. 108. 128.
[27]
Das junge Deutschland in der Schweiz (1846) bes. 13 3. 172.
[28]
A. Bellegarrigue: L'a. Journal de l'ordre Nr. 1. 2 (Paris 1850), zit. A. Sergent und Cl. Harmel: Hist. de l'a. (o. O. 1949) 234ff.
[29]
zit. a.a.O. 256–263.
[30]
E. Cœurderoy: Jours d'exil (Teil 2) (London 1855) 31. 72.
[31]
Zit. Sergent/Harmel, a.a.O. [28] 263–271; vgl. M. Nettlau: Der Vorfrühling der A. (1925) 210–216.
[32]
M. Stirner: Der Einzige und sein Eigentum (21882) 109. 147.
[33]
J. Warren: Equitable commerce (New York 1852, Neudruck New York 1965); St. P. Andrews: Die Wiss. von der Gesellschaft (1904).
[34]
J. Warren: True civilization (Boston, Mass. 1863, Neudruck New York 1967) 81f.; vgl. 41. 127.
[35]
Vgl. A. Blanqui: Kritik der Gesellschaft (1886) 2, 80f. 184.
[36]
M. Bakunin: Brief an G. Herwegh vom 8. 12. 1848, in: 1848. Briefe von und an G. Herwegh, hg. M. Herwegh (21898) 226f.
[37]
Werke (1921–1924) 3, 82f.
[38]
a.a.O. 3, 88.
[39]
1, 35; 3, 90. 96f.
[40]
3, 98; 2, 127–131.
[41]
3, 76.
[42]
2, 224.
[43]
1, 102. 178–181.
[44]
1, 113. 3, 9.
[45]
2, 269.
[46]
3, 76. 117.
[47]
3, 168.
[48]
Vgl. J. Braunthal: Gesch. der Internationale (1961–1963) 1, 198f.
[49]
Marx/Engels, Werke (1957ff.) 18, 440.
[50]
a.a.O. 18, 333.
[51]
18, 345.
[52]
18, 485, 492.
[53]
18, 50.
[54]
J. Guillaume: Idées sur l'organisation sociale (La Chaux-de-Fonds 1876) 54, zit. J. Maitron: Hist. du mouvement anarchiste en France 1880–1914 (Paris 1951) 480; vgl. auch R. R. Bigler: Der libertäre Sozialismus in der Westschweiz (1963) 125.
[55]
Bigler, a.a.O. 119.
[56]
P. Kropotkin: Memoiren eines Revolutionärs (1920) 2, 91.
[57]
Moderne Wiss. und As. (1904) 49ff. 60–73. 85; vgl. Paroles d'un révolté (Paris ca. 1885) 49.
[58]
Moderne Wiss. a.a.O. 57.
[59]
L'a., sa philos., son idéal (Paris 1896) 16f.
[60]
a.a.O. 18. 30. 32. 48f.; La conquête du pain (Paris 1902) 31ff. 38ff. 43; Paroles d'un révolté a.a.O. [57] 89. 95; Die Entwicklung der anarchistischen Ideen (1920) 12ff.
[61]
Moderne Wiss. a.a.O. [57] 78; La conquête du pain a.a.O. [60] 135; Paroles d'un révolté a.a.O. [57] 99–104, 118.
[62]
Die Entwicklung der anarchistischen Ideen a.a.O. [60] 9.
[63]
Landwirtschaft, Industrie und Handwerk (1904).
[64]
L'anarchie a.a.O. [59] 43f. 48; La morale anarchiste (Paris 1891) 49f. 55.
[65]
E. Reclus: L'évolution, la révolution et l'idéal anarchique (Paris 1898) 87f.
[66]
a.a.O. 143f.
[67]
a.a.O. 144ff.
[68]
291f.
[69]
J. Grave: La société mourante et l'a. (Paris 1893) 1f. 15. 17. 270f.; vgl. La société future (Paris 51895) 157; L'individu et la société (Paris 1897).
[70]
L'a., son but, et ses moyens (Paris 21899) 3. 6. 73. 77f. 96f. 220.
[71]
Ch. Malato: Philos. de l'anarchie (Paris 1897) 3. 6. 26. 89–92. 236.
[72]
Vgl. M. Nettlau: Errico Malatesta (1922) 102. 147. 150f. 153.
[73]
M. Nettlau: Anarchisten und Sozialrevolutionäre (1931) 273–277.
[74]
a.a.O. 282–285.
[75]
J. Most: Die freie Gesellschaft (New York 1884), zit. J. Langhard: Die anarchistische Bewegung in der Schweiz (1903) 233.
[76]
Zit. R. Rocker: Johann Most. Das Leben eines Rebellen (1924) 143.
[77]
Vgl. Rocker, a.a.O. 298ff.; vgl. J. Most: Für die Einheitsfront des revolutionären Proletariats. Das Ziel des Kommunismus: Kommunistischer As. (1921) bes. 13–15.
[78]
A. Berkman: What is communist anarchism? (New York 1929); Teilabdruck in: A. Berkman: A.B.C. of anarchism (London 1945) 181. 185. 196. 296f.
[79]
E. Goldman: Anarchism and other essays (New York, London 21911) 49. 57f. 62. 67. 73.
[80]
Vgl. P. Ramus: Der Justizmord von Chicago (1922).
[81]
A. R. Parsons: As. Seine Philos. und seine wiss. Grundlage (Chicago 1887) 75. 96. 177; vgl. A. Fischer bei Parsons 81; G. Engels, a.a.O. 91; D. D. Lum, a.a.O. 159. 167.
[82]
Parsons, a.a.O. 183.
[83]
98f.
[84]
100f. 106f.
[85]
D. Saurin: L'ordre par l'a. (Paris 1893) 13. 23. 54.
[86]
J. H. Mackay: Die Freiheitssucher (21921) 143. 170. 176. 185. 210. 218; Die Anarchisten (51924) 125f. 245. 272. 275.
[87]
Propaganda des individualistischen As. in dtsch. Sprache, Heft 1–9 (1908–1919) bes. Heft 1: B. R. Tucker: Staatssozialismus und As. 4ff.; Heft 5: Der Staat in seiner Beziehung zum Individuum 7ff.; Heft 6: Was ist Sozialismus? 12.
[88]
B. R. Tucker: Instead of a book (New York 1893), zit. P. Eltzbacher: Der As. (1900) 165ff.
[89]
Der individualistische Anarchist. Halbmonatsschrift, hg. B. Lachmann 1 (1919) 1ff. 250ff.
[90]
F. D. Nieuwenhuis: Mein Abschied von der Kirche (41892) 3. 12f. 21; vgl. Die verschiedenen Strömungen in der Sozialdemokratie (1892) bes. 18.
[91]
B. de Ligt: As. und Revolution (o.J. ca. 1923) 9. 17. 19f.
[92]
Zit. M. Nettlau: Der As. von Proudhon zu Kropotkin (1927) 59f. 215; vgl. die Hymne auf die A., zit. Sergent/Harmel, a.a.O. [28] 340f.
[93]
Vgl. Nettlau, a.a.O. [72] 65.
[94]
J. Most, zit. Langhard, a.a.O. [75] 238ff.
[95]
W. Sombart: Sozialismus und soziale Bewegung (61908) 50.
[96]
Vgl. M. Prawdin: Netschajew – von Moskau verschwiegen (1961).
[97]
A. Hamon: Les hommes et les théories de l'a. (Neudruck Paris 1893) 31.
[98]
Psychol. de l'anarchiste-socialiste (Paris 1895).
[99]
[R. E. Martin]: Der As. und seine Träger (1887); F. Ludwig [d.i. A. Deppisch]: Kommunismus, As., Sozialismus (1908); F. Dubois: Le péril anarchiste (Paris 1894).
[100]
C. Lombroso: Die Anarchisten (1895).
[101]
L. von Bar: Wurzeln und Nährboden des As., in: Die Nation. Eine Sammlung ausgewählter Artikel (1894) 80; L. Büchner: Am Sterbelager des Jh. (1898) 264; vgl. J. C. Bluntschli: Allg. Staatsrecht (1852) 135f.
[102]
J. Garin: Die Anarchisten (1887) 122. 130f. 145. 222.
[103]
E. Dühring: Sache, Leben und Feinde (1882) 313f.; Krit. Gesch. der Nationalökonomie und des Sozialismus (31879) 552f.
[104]
R. Stammler: Die Theorie des As. (1894), in: Rechtsphilos. Abh. und Vorträge (1925) 1, 74. 76; zum Zusammenhang des As. mit Liberalismus und Sozialismus vgl. Bernatzik: Der As. Schmollers Jb. 19 (1895) 16; Ch. Gide und Ch. Rist: Gesch. der volkswirtschaftl. Lehrmeinungen (21921) 670; K. Diehl: Über Sozialismus, Kommunismus und As. (1905, 41922) 78; A. Gray: The socialist tradition (London 21947) 495.
[105]
W. Borgius: Die Ideenwelt des As. (1904) 25.
[106]
E. Linpinsel: Zur Theorie und Kritik des philos. und ökonomischen As. Z. Politik 19 (1930) 393. 400; Abhängigkeit und Selbständigkeit im As., in: Abhängigkeit und Selbständigkeit im sozialen Leben, hg. L. von Wiese (1951) 406f; C Schmitt: Polit. Theol. (1934) 71ff.
[107]
L. Oppenheimer: Die geistigen Grundlagen des As. Die Dioskuren. Jb. Geisteswiss., hg. W. Strich 3 (1924) 255f. 259ff.
[108]
Syndicalisme et socialisme. Discours de la conférence int. à Paris le 3 avril 1907 (Paris 1908); V. Griffelhues: L'action syndicaliste (Paris 1908) bes. 3. 11ff. 14ff.; V. Griffelhues und L. Niel: Les objectifs de nos luttes de classes (Paris 1909) bes. 43; E. Pouget: Le sabotage (Paris ca. 1910); E. Berth: Les nouveaux aspects du socialisme (Paris 1908); erweitert: Les derniers aspects du socialisme (Paris 1923) bes. 70–110; P. Delesalle: Les Bourses du Travail et la C.G.T. (Paris ca. 1910); F. Pelloutier: Hist. des Bourses du Travail (Paris 1902); vgl. J. P. Wirz: Der revolutionäre Syndikalismus in Frankreich (1931).
[109]
A. Naquet: L'a. et le collectivisme (Paris 1904) 13ff.
[110]
G. Sorel: Réflexions sur la violence (Paris 101946) 54ff.
[111]
a.a.O. 343.
[112]
J. Guesde: Ausgewählte Texte, hg. C. Willard (1962) 158f.
[113]
B. Russell: Roads to freedom. Socialism, anarchism, and syndicalism (London 1918) 115. 130. 144.
[114]
W. Morris: The collected works (Neudruck New York 1966) 23, 194. 278; G. B. Shaw: The impossibilities of anarchism (London 1893).
[115]
Fr. Oppenheimer: Fürst Kropotkin und der As., in: Soziol. Streifzüge. Ges. Reden und Aufsätze (1927) 2, 150f. 155ff.
[116]
K. Kautsky: Die materialistische Geschichtsauffassung (1927) 2, 604; S. Katzenstein: Der As. und die Arbeiterbewegung (1908); N. Bucharin: As. und wiss. Kommunismus (21920) bes. 9–11; K. Radek: As. und Räteregierung (o.J.); Die Anarchisten und die Sowjetrepublik (1920).
[117]
M. Adler: Die Staatsauffassung des Marxismus (1922, Neudruck 1964) 242. 252f.; Wegweiser. Studien zur Geistesgesch. des Sozialismus (21919) 183.
[118]
G. Plechanow: As. und Sozialismus (21904) bes. 72–81.
[119]
W. I. Lenin, Werke (1955–1965) 4, 334–337; 8, 479; 9, 441; 10, 57–60; 15, 392. 410; 23, 165f.; 24, 32. 132. 312; 25, 449–452. 490f. 499f.; 27, 386f.; 31, 16f.
[120]
J. W. Stalin: As. oder Sozialismus? Werke (1950–1955) 1, 259; vgl.: Anarchizm, Große Sowjet-Enzyklopädie (Moskau 21950) 356–368; dtsch. Der As. (1953).
[121]
D. Footman: Civil war in Russia (London 1961).
[122]
Vgl. Volin [d.i. V. M. Eichenbaum]: Nineteen-Seventeen: The Russian revolution betrayed (London 1954); A. Berkman: The Bolshevik myth (London 1925); E. Goldman: My disillusionment in Russia (London 1925).
[123]
Vgl. J. Peirats: Los anarchistas en la crisis politica española (Buenos Aires 1964); La CNT en la revolucion española 1–3 (Toulouse 1951); C. Colomer: Hist. dell'anarchismo español 1. 2 (Barcelona 1956); E. J. Hobsbawm: Primitive rebels (Manchester 1959); dtsch. Sozialrebellen (1962); H. Thomas: Anarchist agrarian collectives in the spanish civil war, in: A century of conflict 1850–1950. Essays for A. J. P. Taylor, hg. M. Gilbert (London 1966) 245–263.
[124]
G. P. Maximoff: Constructive anarchism (Chicago 1952) 23–27, 31f. 99.
[125]
R. Rocker: Die Prinzipienerklärung des Syndikalismus (1920) 3f. 6. 9. 12; Über das Wesen des Föderalismus im Gegensatz zum Zentralismus (1923); Anarcho-Syndicalism (London 1938).
[126]
P. Ramus: Der kommunist. As. als Gegenwartsziel der Befreiung (ca. 1929) 7.
[127]
Die Irrlehre des Marxismus im Bereich des Sozialismus und Proletariats (21927); Das anarchistische Manifest (o.J.) 21; Die Neuschöpfung der Gesellschaft durch den kommunist. As. (1921) bes. 2ff.
[128]
Die hist. Entwicklung der Friedensidee und des Antimilitarismus (1908).
[129]
E. Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunist. As.? Mschr. Fanal, Sonderheft (1933) 5f. 10. 15.
[130]
G. Landauer: Beginnen. Aufsätze über Sozialismus (1924) 53. 69. 104. 133ff. 145. 150f.
[131]
Aufruf zum Sozialismus (21919) 7. 19; Rechenschaft (31930) 31; vgl. 15. 51ff. 170. 175. 180ff.
[132]
Aufruf ... a.a.O. 9.
[133]
Beginnen ... a.a.O. 114. 179; Die Revolution (1907) 91.
[134]
Beginnen a.a.O. 71.
[135]
Aufruf ... a.a.O. 55.
[136]
Encyclopédie anarchiste, hg. S. Faure (Paris o.J.) Vorrede.
[137]
Madame de Staël: De l'Allemagne 1, 2. Oeuvres complètes (Paris 1820/21) 10, 30f.
[138]
H. Read: Poetry and anarchism (London 1938, 1941) 15. 70f. 82; The philos. of anarchism (London 1940); Anarchy and order (London 1954).
[139]
E. Wind: Art and anarchy (London 1963) 1f., vgl. 7.
[140]
R. Rocker: Die Entscheidung des Abendlandes (1949) 316f.
[141]
P. Heintz: As. und Gegenwart (1951) 69f. 120.
[142]
Nietzsche, Musarion-A. 10, 166f.; zur Parallelität von As. und Christentum vgl. 17, 130. 252f.
[143]
I. Fetscher: Zur Dialektik des As., in: Humanität und polit. Verantwortung, hg. R. Reich (1964) 48.
[144]
O. Rammstedt (Hg.): As. (1969).
[145]
J. Habermas: Nachgeahmte Substanzialität. Merkur 24 (1970) 325f.
[146]
H. H. Holz: Utopie und As. Zur Kritik der krit. Theorie Herbert Marcuses (1968) 134.
[147]
H. Marcuse: Über Revolte, As. und Einsamkeit (1969) 13.
[148]
N. Chomsky: Amerika und die neuen Mandarine (1969) 76ff.
[149]
Kursbuch, hg. H. M. Enzensberger 19 (1969).
J. Stammhammer: Bibliogr. des Sozialismus und Kommunismus 1–3 (1893–1909). –E. Sernicoli: L'anarchia e gli anarchici 1. 2 (Mailand 1894). –E. V. Zenker: Der As. (1895). –M. Nettlau: Bibliogr. de l'a. (Paris 1897, Neudruck New York 1968); Der Vorfrühling der A. (1925); Der As. von Proudhon zu Kropotkin (1927); Anarchisten und Sozialrevolutionäre (1931). –P. Eltzbacher s. Anm. [88]. –B. Friedländer: Die vier Hauptrichtungen der modernen sozialen Bewegung 1. 2 (1901). –J. Langhard s. Anm. [75]. –W. Borgius s. Anm. [105]. –K. Diehl s. Anm. [104]. –W. E. Biermann: As. und Kommunismus (1906). –Ch. Cornelissen: Über die Evolution des As. Arch. Sozialwiss. Sozialpolitik 26 (1908) 343–361. –H. Zoccoli: Die A. (1909). –E. M. Schuster: Native amer. anarchism. Smith Coll. Stud. in Hist. 17, Oct. 1931–July 1932 (Northampton, Mass. 1932). –G. Sarno: L'anarchia (Bari 1948). –A. Sergent und Cl. Harmel s. Anm. [28]. –J. Maitron s. Anm. [54] ausführliche Bibliogr. 539–716. –G. D. H. Cole: A hist. of socialist thought 2: Marxism and anarchism 1850–1890 (London 1954). –J. J. Martin: Men against the state. The exposition of individualist anarchism in America 1827–1908 (New York 1957). –D. Novak: The place of anarchism in the hist. of political thought. Rev. Politics 20 (1958) 307–329. –J. Braunthal s. Anm. [48]. –G. Woodcock: Anarchism (Cleveland/New York 1962). –R. R. Bigler s. Anm. [54]. –J. Joll: The anarchists (London 1964, dtsch. 1966). –P. Avrich: The russian anarchists (Princeton, N. J. 1967) Bibliogr. 259–289. –D. Guerin: As. Begriff und Praxis (1967). –E. Weseloh: As. Eine Bewußtseinshaltung (Diss. Münster 1968). –U. Linse: Organisierter As. im Dtsch. Kaiserreich von 1871 (1969); Der dtsch. As. 1870–1918. Eine polit. Bewegung zwischen Utopie und Wirklichkeit. Gesch. in Wiss. und Unterricht 20 (1969) 513–519.