Ancilla theologiae, «Magd», gelegentlich auch «Vasall»
[1] der Theologie heißt die Philosophie im Anschluß an
Petrus Damiani ( 1072), der ihr das Recht abspricht, bei der Schrifterklärung, d.i. in Glaubensfragen, sich das Lehramt anzumaßen; sie hat, wie die Magd der Herrin, willig zu dienen (... quae tarnen artis humanae peritia, si quando tractandis sacris eloquiis adhibetur, non debet ius magisterii sibimet arroganter arripere; sed
velut ancilla dominae quodam famulatus obsequio subservire)
[2]. Die Formel entspricht einer patristischen Tradition. Schon
Clemens von Alexandrien hat die (christlich verstandene) Weisheit als «Herrin» (
κυρία) der Philosophie bezeichnet
[3], und im Anschluß an
Hieronymus[4] ist die Forderung, sie wie eine Kriegsgefangene (nach Deut. 21, 11–13) zu behandeln, stehender Topos. Während es aber der Tradition um «Verchristlichung» oder «christliche» Kritik der Philosophie ging, steht
Petrus Damiani einem innerchristlich neu entstandenen theoretischen Anspruch der
Dialektik – die sich aus dem Bildungssystem der «Freien Künste» zu emanzipieren beginnt – gegenüber: Sie verlangt, die universell gesetzten Formalprinzipien rationaler Argumentation zum
alleinigen Kriterium der Entscheidung auch über Glaubensfragen zu machen (s. z.B.
Berengar von Tours, 1088). Dieser Anspruch wird zurückgewiesen: Die Prinzipien menschlicher Vernunft, einschließlich des Widerspruchsprinzips, können nur im menschlichen Bereich gelten und sich nicht die göttliche Allmacht unterwerfen; das Mysterium bleibt rational undurchdringlich.
Diese religiös motivierte Einrede gegen die Alleinzuständigkeit endlicher Vernunft bleibt von der Orthodoxie aufrechterhalten. Aber sofern die
Scholastik der Folgezeit, ganz im Sinne des theoretischen Anspruchs, die Verwissenschaftlichung auch des «intellectus fidei» betreibt und eine rationale, zunächst
dialektisch, dann
metaphysisch durchgestaltete Theologie entwickelt, wird von ihr der «Magddienst» der Philosophie positiv ausgelegt. Nach
Thomas von Aquin[5], der die klassische Gestalt der ausgleichenden «Synthese» erbringt, kann die Philosophie auf Grund des «natürlichen Lichtes» vor aller Offenbarung wahre Weltkenntnis erbringen, die vom Glauben vorausgesetzt ist (praeambula fidei); sie kann Glaubensinhalte gleichnishaft (durch similitudines) auf dieser Ebene verständlich machen; sie kann Angriffe gegen den Glauben widerlegen. Diese dreifache Aufgabe kann ihr gerade deswegen von der Theologie zugemutet werden, weil sie selbständig ist; sie untersteht der Theologie nur insofern, als diese um die letzten Möglichkeiten des Erkennens – durch Offenbarung nämlich – weiß und so ihren endgültigen Stellenwert bestimmen kann.
Die Spannung zwischen philosophischem Anspruch und theologischer Grenzzuweisung ist damit nicht ausgetragen. Sie führt noch im Jahrhundert der Hochscholastik zum «Streit der Fakultäten»
[6], und die ancilla-Formel taucht ganz sachgerecht in
Kants Schrift dieses Titels auf
[7]. Freilich räumt Kant der «oberen Fakultät» den Herrschaftsanspruch nur insofern ein, als sie auf gesellschaftlich-politische Aufgaben bezogen ist; die «untere Fakultät» hat das uneingeschränkte Recht der Theorie für sich, und ohne Zweifel trägt sie nach Kant ihrer gnädigen Frau die Fackel voran, nicht die Schleppe nach
[8].