Historisches Wörterbuch der Philosophie online 

Ancilla theologiae

Ancilla theologiae 142 10.24894/HWPh.142 Wolfgang Kluxen
Theologie Topoi und Metaphern Magd der Theologie Streit der Fakultäten1 294f obere/untere Fakultät1 294f Fakultäten, Streit der1 294f
Ancilla theologiae, «Magd», gelegentlich auch «Vasall» [1] der Theologie heißt die Philosophie im Anschluß an Petrus Damiani († 1072), der ihr das Recht abspricht, bei der Schrifterklärung, d.i. in Glaubensfragen, sich das Lehramt anzumaßen; sie hat, wie die Magd der Herrin, willig zu dienen (... quae tarnen artis humanae peritia, si quando tractandis sacris eloquiis adhibetur, non debet ius magisterii sibimet arroganter arripere; sed velut ancilla dominae quodam famulatus obsequio subservire) [2]. Die Formel entspricht einer patristischen Tradition. Schon Clemens von Alexandrien hat die (christlich verstandene) Weisheit als «Herrin» (κυρία) der Philosophie bezeichnet [3], und im Anschluß an Hieronymus[4] ist die Forderung, sie wie eine Kriegsgefangene (nach Deut. 21, 11–13) zu behandeln, stehender Topos. Während es aber der Tradition um «Verchristlichung» oder «christliche» Kritik der Philosophie ging, steht Petrus Damiani einem innerchristlich neu entstandenen theoretischen Anspruch der Dialektik – die sich aus dem Bildungssystem der «Freien Künste» zu emanzipieren beginnt – gegenüber: Sie verlangt, die universell gesetzten Formalprinzipien rationaler Argumentation zum alleinigen Kriterium der Entscheidung auch über Glaubensfragen zu machen (s. z.B. Berengar von Tours, † 1088). Dieser Anspruch wird zurückgewiesen: Die Prinzipien menschlicher Vernunft, einschließlich des Widerspruchsprinzips, können nur im menschlichen Bereich gelten und sich nicht die göttliche Allmacht unterwerfen; das Mysterium bleibt rational undurchdringlich.
Diese religiös motivierte Einrede gegen die Alleinzuständigkeit endlicher Vernunft bleibt von der Orthodoxie aufrechterhalten. Aber sofern die Scholastik der Folgezeit, ganz im Sinne des theoretischen Anspruchs, die Verwissenschaftlichung auch des «intellectus fidei» betreibt und eine rationale, zunächst dialektisch, dann metaphysisch durchgestaltete Theologie entwickelt, wird von ihr der «Magddienst» der Philosophie positiv ausgelegt. Nach Thomas von Aquin[5], der die klassische Gestalt der ausgleichenden «Synthese» erbringt, kann die Philosophie auf Grund des «natürlichen Lichtes» vor aller Offenbarung wahre Weltkenntnis erbringen, die vom Glauben vorausgesetzt ist (praeambula fidei); sie kann Glaubensinhalte gleichnishaft (durch similitudines) auf dieser Ebene verständlich machen; sie kann Angriffe gegen den Glauben widerlegen. Diese dreifache Aufgabe kann ihr gerade deswegen von der Theologie zugemutet werden, weil sie selbständig ist; sie untersteht der Theologie nur insofern, als diese um die letzten Möglichkeiten des Erkennens – durch Offenbarung nämlich – weiß und so ihren endgültigen Stellenwert bestimmen kann.
Die Spannung zwischen philosophischem Anspruch und theologischer Grenzzuweisung ist damit nicht ausgetragen. Sie führt noch im Jahrhundert der Hochscholastik zum «Streit der Fakultäten» [6], und die ancilla-Formel taucht ganz sachgerecht in Kants Schrift dieses Titels auf [7]. Freilich räumt Kant der «oberen Fakultät» den Herrschaftsanspruch nur insofern ein, als sie auf gesellschaftlich-politische Aufgaben bezogen ist; die «untere Fakultät» hat das uneingeschränkte Recht der Theorie für sich, und ohne Zweifel trägt sie nach Kant ihrer gnädigen Frau die Fackel voran, nicht die Schleppe nach [8].
[1]
Thomas von Aquin, In I. Sent. prol. 1.
[2]
Petrus Damiani, De omnipotentia divina c. 6, hg. Brezzi (Florenz 1943) 76.
[3]
Clemens Alex., Strom. I, 5, hg. Stählin (1906) 30, 1.
[4]
Hieronymus, Ep. Corp. scriptorum eccl. lat. 64, 56 n. 8 (658); 21 n. 13 (122ff.); 70 n. 2 (102).
[5]
Thomas, In Boet. de trin. 2, 3; vgl. M. Grabmann: Die theol. Erkenntnis- und Einleitungslehre und die philos. Wissenschaftstheorie des hl. Thomas von Aquin auf Grund seiner Schrift In Boethium de trinitate (1947); W. Kluxen: Philos. Ethik bei Thomas von Aquin (1964) 1–20.
[6]
L. Hödl: Der Anspruch der Philos. und der Einspruch der Theol. im Streit der Fakultäten (1960).
[7]
Kant, Streit der Fakultäten A 27.
[8]
ebda.