Anmutung, meist auch ‹A.-Qualität› (von Mut [engl. mood], Zumutesein), ist ein im Rahmen der
Kruegerschen Theorie der Komplexqualitäten
[1] von dessen Schülern eingeführter Spezialbegriff zur Bezeichnung farbig diffusganzheitlicher «gefühlsartiger» Eindrücke oder Erlebnisweisen mit (oft kaum merklichem) Einfluß auf die Gesamt-Gestimmtheit des Erlebenden. Sie sind von «physiognomischer Bedeutsamkeit» und werden daher auch als «physiognomische» Qualitäten gefaßt. Sie spielen in der Wahrnehmungs-, Gefühls- und Ausdruckspsychologie, sodann für die Entwicklungspsychologie eine entscheidende Rolle.
Schon
Th. Lipps spricht in seiner Ästhetik
[2] davon, daß der Betrachter sich «von dem Gegenstande lust- oder unlustvoll ‹angemutet› fühle», als Reaktion auf die «Zumutung» eben des sinnlichen Gegenstandes oder Reizes an ihn. Dieses Angemutet- oder «Berührtwerden» durch den Gegenstand wird dem «Zumutesein» des Subjekts theoretisch gegenübergestellt und geht faktisch in dieses ein. Statt «Zumutesein» (so bei
Krueger) wird bei
Lipps zunächst «(Ich-)Zuständlichkeit», bei
Krueger und späteren Autoren auch «Gestimmtheit» und «Befindlichkeit» gesagt. Eine erste Definition und theoretische Aufgliederung der A.-Qualität gibt Kruegers Schüler
Dürckheim 1932
[3]: Die «Ganzqualitäten», mit denen z.B. «der physiognomisch erlebte Raum ... den Erlebenden anspricht» oder «berührt», «das erlebende Subjekt in bestimmter Weise ‹anmutet› ... bezeichnen wir daher ... als ‹A.-Qualitäten› oder ‹A.-Charaktere›. Wir unterscheiden an solchen ‹A.-Qualitäten›: Artungsqualitäten, Stimmungsqualitäten und Stellungsqualitäten.» Die «Artungsqualität» eignet einer Gegebenheit (z.B. Umraum) durch ihr objektives, wenn auch subjektbezogenes Sosein im Erleben; die «Stimmungsqualität» ist die Farbe (vom Subjekt verfärbbar), die an diesem Sosein für uns hängt; die «Stellungsqualität» ist die Weise, wie wir uns zu dieser Gegebenheit (z.B. Umraum) «stellen», sie sich zu uns «stellt»
[4]. ‹A.› ist hiernach ein binnenpsychologischer Beschreibungsbegriff mit funktionalen Implikationen, wobei die Einheit von Empfindung (Wahrnehmung) und Gefühl vorausgesetzt wird. Definitionen, die den neurophysiologischen Aspekt der gefühlshaften Beeindruckung betonen oder eine funktionale Trennung von Wahrnehmung und Gefühl unterstellen
[5], werden vom ganzheitspsychologischen Standpunkt aus als «objektivistisch» abgelehnt.
Während noch
Lipps den Subjekt-Objekt-Gegensatz allgemein und auch für das Ausdrucks- und Kunsterleben als fundamental voraussetzt, ist dieser nach ganzheitspsychologischer Auffassung im unreflektierten Erleben – und ein solches ist das A.-Erleben ex definitione – nicht immanent oder thematisch. Eben deshalb ist diese Art subjekt-objekt-neutralen Erlebens beherrschend auf onto- wie phylogenetisch frühen Stufen. Das Kleinkind lebt und «denkt» «physiognomisch», in A. Aber auch das von
H. F. Hoffmann so genannte «Fühldenken» des Erwachsenen wird von
Wellek als ein «A.-Denken» eingeordnet
[6]. Eine A.-Qualität ist u.a. auch die «Bekanntheitsqualität» der Gedächtnispsychologie. Eine sehr differenzierte Aufgliederung, aber auch Ergänzung in Richtung auf Komplexqualitäten der Verhaltens erfahren die A.-Qualitäten gleichfalls im Rahmen der Krueger-Schule durch
H. Volkelt und
A. Rüssel[7] in der Annahme von Tuns-, Funktions-, Umgangsqualitäten u. dgl. Umgangsqualitäten bieten sich nicht allein im Umgang mit Gegenständen (z.B. spielend beim Kind), sondern werden auf Grund solchen Umgangs zu «Gegenstandsbeschaffenheiten»
[8]. Was
Volkelt als «Seins-(besser: Soseins-)qualität» anspricht, entspricht der
Dürckheimschen Artungsqualität als einer Unterart oder Seite der A.-Qualitäten. Die Umgangs- und Funktionsqualitäten werden von
Volkelt mit den schon von
N. Ach für die Willens-(Handlungs-)psychologie angenommenen «Gefügigkeitsqualitäten» in Parallele gesetzt
[9]. Auch in der objektivierenden (messenden) Ausdruckspsychologie sprechen
W. H. Müller[10] für die Graphologie,
P. R. Hofstätter[11] für die Physiognomik von «A.-Qualitäten».
Zur Einteilung dessen, was er «Gestalt-Eigenschaften» nennt, spricht auch der Gestalttheoretiker
W. Metzger von «A.-Weisen», die er den «Wesenseigenschaften» nach
Klages zurechnet.
Metzger definiert die «A.-Weisen» als die «Gruppe von Eigenschaften, die ... das ... Verhältnis zwischen dem Wahrnehmungsgegenstand und dem Wahrnehmenden – und zwar genauer seine eigentümliche
Wirkung auf diesen – betreffen»
[12]. In gleichem Sinne spricht auch
Lersch von «A.-Erlebnissen» wie auch von «Angemutetwerden», welches beides seinen Ort im «endothymen Grund» hat
[13]. Die «physiognomischen» Erlebnisweisen nach
H. Werner[14], zumal beim Kinde, meinen das gleiche, ebenso die «atmosphärischen Qualitäten» nach
Mühle/Wellek[15]. Nicht ohne weiteres damit gleichzusetzen ist das, was v.
Allesch als «Allgemeingegebenheit» einführt
[16].