1. Der Begriff der A., abgeleitet vom griechischen
ἀντίθεσις[1], ist allem Anschein nach erst durch
Kant zu einem spezifisch philosophischen Terminus geworden. Davor findet er sich vereinzelt als Adjektiv in der antiken Rhetorik
[2] und Skepsis. Häufiger zitiert wird im 18. Jh. eine Stelle aus den ‹Grundzügen der Pyrrhonischen Philosophie› des
Sextus Empiricus, in der von einer
δύναμις ἀντιθετικὴ φαινομένων τε καὶ νοουμένων (einem Vermögen der Entgegensetzung von Wahrgenommenem und Gedachtem) die Rede ist
[3].
Eine wichtige Rolle spielt der Terminus in der kontroverstheologischen Literatur des 17. und 18. Jh. So stellt schon
Johann Wilhelm Bajer in seiner ‹Collatio› die strittigen Auffassungen mit Hilfe der stereotyp wiederkehrenden Überschriften ‹Thesis› und ‹Antithesis› derart gegeneinander, daß die linke Spalte jeder Seite die katholische Lehrmeinung (die Thesis), die rechte die protestantische (die Antithesis) wiedergibt
[4]. Einen eindrucksvollen Beleg für den kontroverstheologischen Gebrauch des Terminus liefert das ‹Collegium Anti-Theticum› von
Paulus Antonius, das eine durchdachte und interessante Theorie der A. enthält
[5]. Thema seines ‹Collegiums› sind die verschiedenen «Religions-Streitigkeiten»
[6], wie sie in den «Collegiis Polemicis»
[7] zur Diskussion stehen. Es heißt «antitheticum», «weil darin eigentlich Antithesis gezeiget, aber auch refutieret ist»
[8]. Es heißt «fundamentale», weil «bei einem jeglichen Artikul die Fundamenta der Antitheseos offensivae aller bekannten Religions-Parteien, und der dawider zu führenden Antitheseos defensivae» aufgedeckt werden [ ]. Die A., von der hier gehandelt wird, ist nun aber für Antonius keineswegs eine zufällige, bloß historisch zustande gekommene,
sondern erwächst mit innerer Notwendigkeit: «saltim subindicat thesis antithesin» (zumindest offenbart die Behauptung unter der Hand die Gegenbehauptung). Deshalb sind «alle libri thetici auch mit antithetici»
[9]. Der Grund für diese innere und notwendige Verknüpfung von Thesis und Antithesis liegt in dem «korrumpierten Verstände und Willen» des Menschen
[10]: «weil man die Erb-Sünde in sich hat», hat «ein jeder alle haereses in seinem Busen zu suchen»
[11]. – Vermutlich in unmittelbarer Abhängigkeit von Antonius hat noch
Franz Albert Schultz 1741–1746 an der Königsberger Universität unter dem Titel ‹Theologia Thetico-Antithetica› Vorlesungen gehalten; dieses Dogmatikkolleg hat auch der junge Kant besucht
[12].
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Vgl. Platon, Soph. 257 e/f. |
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Vgl. Demosthenes, XXI Argumentum II, 9. |
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Sextus Empiricus, Hyp. Pyrrh. 1, 4, 8. |
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J. W. Bajer: Collatio doctrinae pontificiorum et protestantium (1686). |
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P. Antonius: Collegium Anti-Theticum universale fundamentale. Nach der in den Thesibus Breithauptianis befindlichen Ordnung der theol. Materien Anno 1718 und 1719 gehalten, hg. Joh. Ulrico Schwentzel (1732). |
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a.a.O. Vorrede des Hg. §§ 1. 3. |
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a.a.O. Vorrede des Hg. § 5. |
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a.a.O. Vorrede des Hg. § 15. |
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a.a.O. 3; vgl. 7f. 19 u.ö. |
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G. Hollmann: Prolegomena zur Genesis der Religionsphilos. Kants. Altpreuß. Mschr. NF 36 (1899) 48ff. |