Äther (
αἰθήρ, aether),
Quintessenz (
πέμπτη οὐσία, quinta essentia).
Aristoteles sieht in
αἰθήρ den Ausdruck, mit dem die ersten Menschen die Göttlichkeit des obersten Himmels bezeichneten
[1]. Als etwas «Göttliches» (
αἰθέρα, δῖαν, σῶμα θεῖον) erscheint Ä. bei
Homer, Hesiod, Empedokles, Anaxagoras, Aristoteles und den
Stoikern[2].
Euripides, Zenon, Kleanthes, Ennius rufen in ihm die Gottheit an
[3]; in den
orphischen Hymnen preist man ihn als Nus des Allgottes
[4].
Homer, Hesiod, die
Orphiker, Pythagoreer und
Platoniker stellen sich den Ä. als Himmelslicht oder lichtartige Materie vor;
Parmenides, Anaxagoras und die
Stoiker als höchste, reinste Feuerschicht;
Empedokles, Platon (‹Epinomis›) als höchste, reinste Luftschicht. Im
Philolaos-Fragment, in der ‹Epinomis› und wahrscheinlich in den Dialogen des
Aristoteles, insbesondere aber in seiner Schrift ‹Über die Philosophie› erscheint Ä. als Q., als ein Element, welches von den anderen vier getrennt und verschieden ist
[5], In der späteren Überlieferung gelten beide Wörter als Synonyma.
Homer bezeichnet den Ä. als «unermeßlich», «windstill»; bei
Parmenides heißt es: «Das ätherische Flammenfeuer, das milde, gar leichte, mit sich selber überall identisch, mit den anderen nicht identisch»; er nennt den Ä. «den Allgemeinsamen»
[6].
Empedokles sieht in ihm vor allem göttliche Kraft, den «Titan Ä.». der rings den Kreis in seiner Gesamtheit umschnürt
[7]. In ähnlicher Weise ist Ä. bei Anaxagoras Kraft (
δύναμις) des göttlichen Feuers, welche alles zusammenhält
[8]. Dieser dynamischen Auffassung folgen
Platon und
Aristoteles: Beide leiten das Wort ‹Ä.› von
θεῖν ἀεί ab und folgern daraus, daß Ä. ein Körper ist, welcher sich ohne Anfang und Ende bewegt
[9]. Die
Doxographen berichten, Aristoteles lehre, die Seelen seien von derselben Q. wie die Sterne
[10];
Herakleides Pontikos erklärt den Seelenstoff für ätherisch und die Seele für lichtartig
[11]; der Peripatetiker
Kritolaos und sein Nachfolger
Diodoros lassen sowohl die Gottheit wie auch die Seelen aus Ä. bestehen
[12].
Synkretisten verschmelzen die Ä.-Lehren ihrer Vorgänger zu einer Art von «doctrina communis» und begreifen Ä. bzw. Q. als lichtartige, beseelte, himmlisch-astrale, überirdische, feinste Materie. Nach den Neuplatonikern, insbesondere aber nach
Porphyrios und
Proklos bestehen aus ihr die Körper der Dämonen und Engel; sie dient den Seelen als Vehikel (
τὸ ὄχημα); die Seelen nehmen von ihr die Umhüllung (
τὸ περίβλημα), einen Leib, welcher zwischen ihnen und den irdischen Leibern vermittelt
[13]. Daran knüpft
Origenes mit seiner Lehre über die Eigenschaften des wiederauferweckten menschlichen Leibes
[14] an.
Im
Mittelalter wirkt neben der aristotelischen Auffassung des Ä. als «materia caeli» auch die neuplatonische vom «corpus spirituale» weiter.
Isidor von Sevilla lokalisiert die Äthersphäre wie Platon zwischen der Luft- und Feuerschicht
[15].
Albert der
Grosse meint, daß die Durchsichtigkeit des Ä. «potius ex ipsa natura spiritualitatis corporis huius» folgt
[16].
David von Dinant gründet auf die aristotelische Ä.-Lehre seinen Pantheismus: es gibt für Gott, Nois (wie David die «mens» bezeichnet) und Welt eine gemeinsame Materie, welche er Hyle nennt
[17].
In der
Renaissance erscheint Ä. als den anderen vier Elementen übergeordnete, himmlisch-astrale, unsichtbare Q. und als Medium zwischen dem Geiste und dem Körper.
Agrippa stellt diese Q. als einen «spiritus mundi» vor: sie sei samenentfaltende Kraft und zugleich Prinzip der Belebung und Veränderung. Ähnlich bestehen für
Paracelsus alle Wesen aus einem elementarischen, irdischen, sichtbaren und einem himmlischen, astralischen, unsichtbaren Leib, welcher «spiritus» genannt wird; er sei Substrat aller Materie.
Agrippa und
Paracelsus bemühen sich, ihn auf dem Wege der
Alchemie abzusondern. Nach
Giordano Bruno ist der Ä. unermeßlich und beseelt, er erfüllt das Weltall und durchdringt als «spiritus universi» alle Körper
[18]. Diese im Grunde stoisch-neuplatonische Ä.-Auffassung spiegelt sich dann in den Ansichten des
F. Bacon, Gassendi und
R. Boyle wider, sofern sie einen «körperlichen Geist» und eine «körperliche Seele» annehmen; sie befruchtet auch den Hylozoismus des
H. More und die Theosophie des
V. Weigel. Zu dieser Zeit deutet
Newton die bisherigen Ä.-Hypothesen vom physikalischen Standpunkte: der Ä., als feinste Materie gedacht, sei nötig zur Erklärung der Licht- und Schwereerscheinungen. Im Zeitalter der
Romantik, insbesondere in der von
Schelling angeregten Naturphilosophie, erlebt die Ä.-Theorie eine Renaissance. So identifiziert
Oken den Ä. geradezu mit Gott: die Welt sei eine Darstellung Gottes
[19].
Ph. Spiller sieht in ihm die Urkraft, Gott; den reinen Monotheismus nennt er «Ätherismus»
[20]. Der Ä.-Q.-Begriff lebt bis heute, wie früher, besonders in den Lehren der
Vitalisten, Theosophen und
Spiritisten.