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Existenz, existentia

Existenz, existentia Metaphysik individua substantia existentia substantia individua2 856 5123 10.24894/HWPh.5123Pierre HadotAlois Guggenberger
I. Das Wort ‹existentia› (E.) taucht im Lateinischen zum ersten Mal in den theologischen Werken von Marius Victorinus auf (um 360 n.Chr.), wo es fast immer zur Übersetzung von ὕπαρξις dient und im Gegensatz steht zu ‹substantia›, das οὐσία wiedergibt, während ‹subsistentia› der Übersetzung von ὑπóστασις vorbehalten ist. ‹E.› ist von ‹existere› abgeleitet, das in der philosophischen Sprache oft an die Stelle von ‹esse› gesetzt wurde, besonders in der Partizipialform. Auf Grund dieser Bedeutungsgleichheit von ‹existere› und ‹esse› ist das Wort ‹E.› bei Victorinus gleichbedeutend mit ‹essentia› – das Victorinus selbst nur sehr selten gebraucht [1] – und bedeutet ganz allgemein ‹das Sein›. Aber entsprechend dem jeweils besonderen Sinn, der in den von Victorinus benutzten griechischen Quellentexten den Wörtern ὕπαρξις und οὐσία beigelegt wird, kann ‹E.› bei Victorinus drei verschiedene Bedeutungen annehmen:
a) In einer ersten Bedeutung steht ‹E.› (ὕπαρξις) im Gegensatz zu ‹substantia› (οὐσία), wie das reine Sein, das weder Subjekt noch Prädikat ist, im Gegensatz steht zum konkreten Subjekt, das durch seine Prädikate bestimmt ist [2]. Diese Gegenüberstellung setzt eine Ontologie voraus, derzufolge das Sein ursprünglich absolut universal und unbestimmt ist (eben das ist E.) und sich fortschreitend bestimmt, um durch das Hinzukommen immer mehr besonderer Bestimmungen oder Qualitäten zur konkreten Wirklichkeit zu gelangen (substantia). Die gleiche Gegenüberstellung von ὕπαρξις und οὐσία findet sich bei Damaskios[3], und wahrscheinlich hat Victorinus selbst diese Unterscheidung von Porphyrios[4]. Man kann sie durch eine enge wechselseitige Beeinflussung zwischen Platonismus, Aristotelismus und Stoizismus erklären. In der Tat entspricht diese Gegenüberstellung zunächst dem aristotelischen Gegensatz zwischen dem idealen Sein einer Sache und der Sache selbst (τὸ ἑκαστῷ εἶναι und ἑκαστός) [5]. Aber in der aristotelischen Überlieferung wird ὕπαρξις niemals verwendet, um das ideale Sein einer Sache zu bezeichnen. Das Wort ὕπαρξις hat seine philosophische Bedeutung in der stoischen Tradition angenommen, in der es sich scharf von οὐσία oder ὑπóστασις abhebt. Für die Stoiker bedeutet οὐσία oder ὑπóστασις das konkrete, stoffliche Subjekt, das als solches die Fülle der ontologischen Realität besitzt, während ὕπαρξις ein aktuelles Prädikat dieses konkreten Subjekts bedeutet, ein Geschehnis, das in ihren Augen lediglich eine Scheinrealität hat, weil es nicht stofflich ist [6]. Im Neuplatonismus wird dieses stoische Nicht-Stoffliche ein platonisches Nicht-Stoffliches; dieses des Eigenstandes entbehrende Prädikat wird ein Prädikat, wie die Platoniker es auffassen, d.h. eine präexistente Idee, an der die Substanz oder das konkrete Subjekt teilhat. Was substanzloses Wirken war, wird reines Wirken des universalen und unbestimmten Seins. So kann der aristotelische Begriff des ‹idealen Seins der Sache› (τὸ ἑκαστῷ εἶναι) wieder seinen ursprünglichen platonischen Sinn annehmen: Das noch nicht konkretisierte Sein wird die präexistente Idee. Victorinus kann also E. definieren als «prae-existens substantia», d.h. als die der konkreten Wirklichkeit präexistente Voraussetzung [7]. Diese letzte Definition spielt auf den etymologischen Sinn von ὕπαρξις an, der als «Voraus-Beginn» gedeutet wird und den die Übersetzung mit ‹E.› nicht zu fassen vermag. Die absolute Voraussetzung ist Gott selbst, den Victorinus [8] – hierin wahrscheinlich Porphyrios folgend [9] – ohne Zögern ‹E.› nennt. Es gibt eine Selbstsetzung der göttlichen Wirklichkeit, wodurch die ursprüngliche und absolut unbestimmte E. aus sich ins «Leben» tritt, um in der Selbsterkenntnis zu sich selbst zurückzukehren, und so konstituiert sie sich durch einen dreiphasigen Prozeß als voll bestimmte substantia [10].
b) In einer zweiten Bedeutung bezeichnet nun umgekehrt ‹substantia› (οὐσία) das noch unbestimmte Sein und ‹existentia› (ὕπαρξις) das bestimmte Sein, das eine Form empfangen hat [11]. Dieser Sinn stammt aus der kirchlichen Überlieferung des beginnenden 4. Jh., die einerseits ὕπαρξις und ὑπóστασις vermengte und andererseits die οὐσία (= substantia für Victorinus) als unbestimmt, die ὑπóστασις aber als bestimmt auffaßte [12]. Diese neue Unterscheidung dient nun bei Victorinus dazu, die Beziehungen zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist zu beschreiben: Jeder von diesen dreien ist die gemeinsame göttliche substantia, aber gemäß der Art, die jedem von ihnen eigentümlich ist, d.h. gemäß ihrer besonderen E. (Eigentümlichkeit, Bestimmung, Beschaffenheit, Tätigkeit) [13]. Dieser theologische Wortgebrauch von ‹E.› findet sich in der Folgezeit nur selten, weil die Lateiner vom Ende des 4. Jh. an fast immer ὑπóστασις mit ‹substantia› wiedergeben. Die Gleichsetzung von ‹E.› mit ‹proprietas› taucht später nur noch bei Orosius auf [14], ferner in einem anonymen Glaubensbekenntnis [15] und schließlich in gewissen lateinischen Übersetzungen von Konzilsdokumenten, in denen ‹E.› dem Wort ὑπóστασις entspricht [16].
c) In einer dritten Bedeutung wird ‹E.› bei Victorinus schlicht zum einfachen Synonym für ‹substantia› und bezeichnet so auf ungenaue Weise das «aliquid esse», das Etwas-Sein [17].
Nach Victorinus reflektiert man im ausgehenden Altertum nicht mehr über den Sinn von existentia, und das Wort, das nur selten gebraucht wird, hat einen sehr unbestimmten Sinn. An den sehr wenigen Stellen, wo es bei Augustinus[18], Calcidius (zweite Hälfte des 4. Jh.) [19], Pelagius[20], Claudianus Mamertus[21] und Cassiodor[22] begegnet, bezeichnet es die konkrete Realität einer Sache. In einem engeren Wortsinn bedeutet es einen Prozeß der Verwirklichung, ein Erscheinen oder Heraus-Treten (im etymologischen Sinn von ‹ex-sistentia›) bei Calcidius[23] (im Gegensatz zu possibilitas), bei Julian von Eclan[24] (im Gegensatz zu possibilitas), bei Leo dem Grossen[25] und bei dem anonymen Verfasser der Schrift ‹De attributis personae› [26]. Bei Makrobius und Boethius – der Traktat ‹De fide› [27], in dem das Wort einmal auftaucht, ist wahrscheinlich apokryph – scheint ‹E.› ganz zu fehlen. Es ist bemerkenswert, daß Scotus Eriugena es vermeidet und das Wort ‹substantia› zur Wiedergabe von ὕπαρξις gebraucht [28]. Obwohl das Wort ‹E.› also ungebräuchlich wurde, waren die Formulierungen des Victorinus, die den Terminus auf Gott anwandten und auf eine Trias ‹existentia – vita – intelligentia› anspielten, dem Mittelalter durch Alcuin bekannt, der sie in ‹De fide› zitiert [29].
Pierre Hadot
[1]
Marius Victorinus, Adversus Arium, hg. Henry/Hadot III, 7, 29–35; dtsch. bei P. Hadot: M. Victorinus. Christl. Platonismus, in: Bibliothek der Alten Welt (= BAW) (1967) 246.
[2]
a.a.O. I, 30, 21–26. BAW 74; vgl. Candidi Ep. (= M. Victorinus) I, 2, 19. BAW 74.
[3]
Damaskios, Dub. et Sol. § 120, hg. Ruelle 1, 312, 11.
[4]
Vgl. P. Hadot: Porphyre et Victorinus (Paris 1968) 267–271. 489.
[5]
Aristoteles, Met. VIII, 3, 1043 b 2 und VII, 6, 1031 a 15.
[6]
Arius Didymus 26, Doxogr. graec., hg. Diels 461, 19–20; Sextus Empiricus, Pyrrh. Hyp. II, 80; vgl. H. Dörrie: hypostasis. Nachr. Akad. Wiss. Göttingen, philos.-hist. Kl. 3 (1955) 51–54. 63; Hadot, a.a.O. [4] 489.
[7]
M. Victorinus, a.a.O. [1] I, 30, 22. BAW 158; vgl. Damaskios, a.a.O. [3] § 34, 1, 66, 22.
[8]
Victorinus, Hymn. III, 38. BAW 332; Adv. Arium I, 33, 24. BAW 165; Candidi Ep. I, 1, 16; 2, 19; 3, 16. BAW 73–75.
[9]
Hadot, a.a.O. [4] 267–271.
[10]
Victorinus, a.a.O. [1] I, 51, 19–27. BAW 194; I, 60, 5–12. BAW 205; vgl. Damaskios, a.a.O. [3] § 121, 1, 312, 16.
[11]
Victorinus, a.a.O. [1] II, 4, 11. 31. BAW 219.
[12]
Athanasius, Ep. ad Afros 4. MPG 26, 1036 b; Basilius von Cesarea, Ep. I, 38, 3. MPG 32, 328 b.
[13]
Victorinus, a.a.O. [1] IV, 33, 32. BAW 318; III, 8, 41–44. BAW 248.
[14]
Orosius, Common. 2, hg. Schepps, 154, 19.
[15]
C. Caspari: Kirchenhist. Anecdota 1 (Christiania 1883) 310.
[16]
Acta Conciliorum Oecumenicorum, hg. Schwarz II, 2, 2, 65, 15.
[17]
a.a.O. [1] I, 30, 26. BAW 158; I, 55, 19. BAW 199.
[18]
Augustin, Sermo 71, 26.
[19]
Calcidius, In Tim. 25 d, hg. Waszink 18, 2.
[20]
Pelagius bei Augustin, De natura et gratia XIX, 21.
[21]
Claudianus Mamertus, De statu animae III, 12.
[22]
Cassiodor, Var., hg. Mommsen, I, 10, 19, 14.
[23]
Calcidius, a.a.O. [19] § 235 = 289, 2.
[24]
Julian von Eclan bei Augustinus, Contra Julianum op. imperf. I, 47.
[25]
Leo der Grosse, Sermo 76, 2.
[26]
Rhetores lat. minores, hg. Halm 306, 10.
[27]
Boethius, De fide, Zeile 57 Rand.
[28]
Scotus Eriugena, MPL 122, 1119 c (= Übersetzung von Pseudo-Dionysius, De div. nom. II, 1); 1121 c (= De div. nom. II, 4).
[29]
Alcuin, De fide II, 2. MPL 101, 24 d (= Victorinus, Ad Cand. 13, 6; Adv. Arium I, 33, 24).
Thesaurus Linguae latinae 5/2 (1950) 1867–1868. – P. Hadot s. Anm. [1] und [4]; Marius Victorinus et Alcuin. Arch. Hist. doctrinale et litt. du M.A. 21 (1954) 5–19. G. Huber: Das Sein und das Absolute (1955).
II. Für die Darstellung des Sinnwandels, den der E.-Begriff vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart durchgemacht hat, kann als Leitfaden der Gegensatz zwischen Seinsphilosophie und Wesensmetaphysik dienen. Damit ist nicht gesagt, daß sich das heutige Verständnis von E. wie ein logisch ableitbares und notwendiges Resultat der Geschichte ergeben würde. Doch wird daraus ersichtlich, daß auch die Begriffsgeschichte von ‹E.› wie jeder begriffsgeschichtliche Durchblick mehr ist als ein bloßes historisches Museumsstück.
1. Die Theologen-Philosophen des Früh- und Hochmittelalters gebrauchen selten die Substantivform ‹existentia› (E.). Auch die Verbalform ‹existere› verwenden sie sparsam, sie setzen dafür mit Vorzug ‹esse› und das noch deutlichere ‹subsistere›. In dem Erweis, daß «deus vere est», faßt Anselm von Canterbury das Ergebnis seines berühmten argumentum in den Satz zusammen: «Existit ergo procul dubio aliquid, quo maius cogitari non valet, et in intellectu et in re» (Es existiert ohne Zweifel etwas, das größer nicht gedacht werden kann, sowohl im Intellekt als in Wirklichkeit) [1]. In der späteren Wiederaufnahme und Abwandlung dieses sog. ontologischen Gottesbeweises bei Descartes, Spinoza und anderen erscheint regelmäßig das in der Zwischenzeit geläufig gewordene ‹E.›.
Im Universalienstreit des Frühmittelalters bekämpfte Peter Abaelard die selbständige E. des Allgemeinen. Doch bestehen auch nach Abaelard wie allgemein in der christlich umgestalteten Ideenwelt Platons die Musterformen der Dinge zuerst im persönlichen Gottesgeist, «antequam ... in corpora prodirent, h. e. in effecta operum provenirent» [2]. ‹prodire› und ‹provenire› erinnern an den etymologischen Ursprungssinn von ‹exsistere›. Abaelard verwendet dieses Wort nicht, und um die E. in der Wirklichkeit gegenüber dem bloßen Gedachtsein (= modus intelligendi) zu betonen, bedient er sich des Ausdrucks ‹modus subsistendi›. Auch bei Richard von St. Viktor findet sich das ‹in actum prodire›; er bezeichnet aber damit den Anfang des Existierens (initium existendi) der Erfahrungsdinge, woraus er seinen empirisch unterbauten Gottesbeweis formt [3]. Dann tritt bei dem Viktoriner Richard das Wort ‹E.› selbst auf: Er verbessert die Definition von ‹Person›, die Boethius als «individua substantia» bestimmt hatte, und sagt dafür «incommunicabilis» und «singularis E.», wobei er für die Trinität die im Wort ‹E.› mitangesprochene Ursprungsbeziehung hervorhebt, die für die göttlichen Personen unterschiedlich ist [4]. Albert der Grosse greift für die Bestimmung von ‹Person› auf Richard und Petrus Lombardus zurück und nennt die göttlichen Personen «proprie loquendo ... existentiae»; menschliche Personen sind nach ihm «subsistentes existentiae» [5]. Es ist bezeichnend, daß zur Zeit Alberts der Sprachgebrauch von ‹existere› und ‹subsistere› noch im Fluß war.
Obwohl im Begriffsvokabular des Thomas von Aquin ‹E.› eine ganz untergeordnete Rolle spielt, scheiden sich am Für und Wider, das seiner Seinsphilosophie entgegengebracht wurde, die Wege, die das Verständnis von E. in der Folgezeit einschlägt. Der Aquinate wendet ‹E.› nie an, um damit die metaphysische Seinsstruktur des endlichen Seienden – «compositio ex esse et quod est» – zu kennzeichnen [6].
Erst nach Thomas bürgert sich für jene «realis compositio» das Begriffspaar ‹existentia / essentia› ein. Es ist beachtenswert, daß die ersten Gegner der thomasischen Lehre von der Realdifferenz zwischen Sein und Wesen ebenfalls nicht ‹E.›, sondern ‹esse› gebrauchen. So Johannes Duns Scotus: «Dico ... quod simpliciter falsum est, quod esse sit aliud ab essentia» [7] (vor Scotus ebenso Heinrich von Gent[8], Gottfried von Fontaines[9] und andere). Bei den drei Hauptverteidigern der Seinsauffassung des Thomas, unter denen Capreolus, der «princeps thomistarum», sich als erster hervortat, taucht eine terminologische Neuerung auf mit der Gegenüberstellung von «esse existentiae» und «esse essentiae», die auch Silvester von Ferrara übernimmt [10]. Zwar treten diese beiden Thomisten entschieden auf die Seite ihres Meisters, doch gibt die neue Terminologie – Thomas spricht nie von «esse essentiae» – nicht mehr ungebrochen des letzteren Grundintention wieder. Es kündigt sich die Neigung zu einer essentialistischen Auffassung an. Bei Cajetan, dem dritten bedeutenden Interpreten des Aquinaten, wird die Tendenz zur Wesensmetaphysik noch stärker. Es zeigt sich mehr und mehr, daß die neue Formel «esse essentiae et esse existentiae», deren sich Cajetan sehr oft bedient [11], auch vom Verständnis der Sache abdrängt. Die gefüllte Bedeutung, die ‹esse› bei Thomas hatte, wird abgeschwächt und allmählich bis zum bloßen Dasein, bis zur nackten Tatsache der E. entleert. Silvester hatte sich noch dagegen gewandt, daß ‹esse› für das Wesen nichts anderes bedeute, als daß dieses «extra causas poneretur». Cajetan läßt sich auf die Formulierung ein: «id quod realiter existit extra causas suas est ens reale» [12].
Im Endergebnis kam es in der philosophischen Entwicklung zu folgender Bestimmung von E. In der Gegenüberstellung der Seinskonstituentien existentia/essentia im endlichen Seienden wurde auf der Seite der E. nur mehr das faktische Existieren belassen. Die Tatsache, bloß da zu sein, wurde nicht so bedeutsam erachtet, daß daraus philosophisch zu Bedenkendes zu entnehmen wäre. Gehalt und Wert, die allein Aufmerksamkeit verdienen, liegen im essentiellen Bereich. Soll über E. Näheres ausgemacht werden, dann läßt sich von dem maßgeblichen Teil, d.i. von der essentia her, nur sagen, daß sie eben von einer Ursache in die Wirklichkeit gesetzt wurde. Über das hinaus, wodurch eine «res extra suas causas et extra nihilum» steht, läßt sich von E. kein weiterer Aufschluß gewinnen.
Damit war der Wesensbetrachtung, den begrifflich faßbaren und definitionsmäßig umreißbaren Wesenheiten der Vorrang in der Philosophie eingeräumt. Bei Thomas von Aquin war es umgekehrt; das esse ist den Wesen vorgeordnet, die essentiae kommen aus dem esse wie aus ihrer Quelle. Dies traf sicher nicht mehr bei Franz Suárez zu, der die Philosophie der Überlieferung an die Neuzeit weitergab.
[1]
Anselm von Canterbury, Proslogion, prooemium c. 2. MPL 158, 227 a.
[2]
Peter Abaelard, Theol. christiana 1, 9. MPL 178, 991 a.
[3]
Richard von St. Victor, De trin. I, 8. MPL 196, 894 d.
[4]
a.a.O. IV, 6–24.
[5]
Albertus Magnus, I Sent. d. 25, a. 1 ad 1; d. 23, a. 1, ad aliud; vgl. A. Hufnagel: Das Person-Problem bei Albertus Magnus, in: Beitr. zur Gesch. der Philos. und Theol. des MA, Suppl. 4: Stud. Albertina, Festschrift B. Geyer, hg. H. Ostlender (1952) 202–233. 214. 216.
[6]
Thomas von Aquin, De ver. q. 27, a. 1 ad 8.
[7]
Johannes Duns Scotus: Opus oxon., in IV Sent. d. 13, q. 1, n. 38 (8, 807).
[8]
Heinrich von Gent: Quodl. I, q. 9.
[9]
Gottfried von Fontaines: Quodl. III, q. 1.
[10]
Johannes Capreolus: Defensiones theologicae, hg. Paban/Pégues 1–6 (Turonibus 1900–1908) II, d. I, q. 2, a. 2; Franciscus de Sivestris Ferrariensis: Comm. in S. contra gent. S. Thomae Aquinatis. Ed. Leonina (Rom 1918–1930) II, 58; VII, 2.
[11]
Thomas de Vio Cajetanus: In de ente et essentia D. Thomae Aquinatis Comm., hg. M. H. Laurent (Turin 1934) V, 101, S. 158. 168.
[12]
a.a.O. IV, 59, S. 92.
2. Im Rationalismus der Neuzeit setzt sich ein Begriffsobjektivismus durch, von dem Kant sagen konnte, daß man «aus Begriffen die Wirklichkeit herausklauben» wollte. Descartes erblickt den Index für E. in den «conceptus clari et distincti». Spinoza definiert «causa sui» – diesen Begriff von Gott hatte vorher Descartes gegeben – als «id, cuius essentia involvit existentiam» [1]. Leibniz verlegt die E. in einen «nisus», eine Tendenz der Wesenheiten, aus denen die essentiell gehaltvollsten zum Zuge kommen müssen, woraus sich die «beste Welt» er gibt: «ut possibilitas est principium essentiae, ita perfectio seu essentiae gradus (per quem plurima sunt compossibilia) principium existentiae» (wie die Möglichkeit das Prinzip der Essenz ist, so ist die Vollkommenheit oder der Grad der Essenz (durch den die meisten Dinge zusammen möglich sind) das Prinzip der E.) [2]. Chr. Wolff läßt vollends, was ‹seiend› besagt, zusammenfallen mit widerspruchsfrei denkbar und wesensmöglich: ens ist identisch mit possibile. Die «philosophia» bestimmt Wolff als «scientia possibilium, quantenus esse possunt» [3]. Hegel steigert die «Anstrengung des Begriffs» so, daß er die Metaphysik, um die es ihm eigentlich geht, als Logik entfaltet und die E. des Ein elnen als «Moment» im Systemganzen aufgehen läßt. «Sein und E.» faßt Hegel wie folgt: «Dieses Seyn aber, zu dem das Wesen sich macht, ist das wesentliche Seyn, die E. ...» [4]. Wenn eine «Besondertheit» nicht «im Ganzen getragen und gehalten wird», fehlt die «Einheit der Allgemeinheit und Besondertheit». «Insofern diese Einheit nicht vorhanden ist, ist etwas nicht wirklich, wenn auch E. angenommen werden dürfte». So unterscheidet Hegel zwischen «E.» (als schlechter, empirischer Wirklichkeit) und (echter, begriffhafter) «Wirklichkeit».
[1]
Spinoza, Ethica I, def. 1.
[2]
Leibniz, De rerum originatione radicali (1697); Philos. Schriften, hg. Gerhardt 7, 304.
[3]
Chr. Wolff: Logica ... (1732) Discursus prelim. c. 2, § 29, S. 13.
[4]
Hegel, z.B. Logik. Werke, hg. Glockner 4, 597ff.; Philos. des Rechts, Zusatz (E. Gans) zu § 270, hg. Lasson (1928) 362f.
3. Mit dem Protest S. Kierkegaards gegen Hegels Begriffsdialektik beginnt das E.-Denken der Jetztzeit: «Über dem Denken wurde der Denker vergessen». Schon vor Kierkegaard hatte sich der späte Schelling in seiner «Philosophie der Freiheit» von einer Philosophie des Wissens und der Wesenheiten zur konkreten geschichtlichen Wirklichkeit gewandt. Auch die Romantik hatte wieder den Blick für die Unableitbarkeit der Geschichte geöffnet. Doch der Theologe Kierkegaard, der an der «E. des subjektiven Denkers» «unendlich interessiert» ist, wurde der wirksamste Anreger für das existenzielle Denken unserer Zeit. Mit der Frage: «Wie werde ich ein Christ» zentrierte Kierkegaard sein ganzes Interesse um die religiöse E. Sein Begriff von E. gewann erst in der Breite Einfluß, als er von der mehrschichtigen Bewegung der heutigen E.-Philosophie in säkularisierter Form aufgenommen wurde.
Auch Nietzsche ist als Wegbereiter zu nennen, weniger durch seine Lehre als vielmehr durch die Antriebe, die von seiner Kritik der abendländischen Philosophie und ihrer «lateinischen Seinsgläubigkeit» ausgehen. Obwohl die Phänomenologie in ihren Anfängen (E. Husserl, M. Scheler) mit der «Wesensschau» einsetzte, lenkte sie doch durch die Überwindung des Psychologismus und durch die Intentionalität der gebenden Akte auf die E. als die Mitte menschlichen Verhaltens hin. Dem steht nicht entgegen die «Einklammerung der E.», d.h. hier der natürlichen Annahme der Wirklichkeit, in Husserls phänomenologischer Reduktion. Dadurch wurde die Intentionalität des Bewußtseins herausgestellt, die dann in der Fortbildung der Phänomenologie zur gesamt-menschlichen Intentionalität erweitert wurde. In dieser verdichtet sich die konkrete und geschichtliche E. des Menschen, wie sie in der E.-Philosophie gefaßt wird.
Heute sind es in der Hauptsache drei Bedeutungen, in denen ‹E.› verstanden wird: existentialistisch, existentiell, existenzial. Im radikalen Existentialismus, den J.-P. Sartre vertritt, ist der Mensch eine Nullpunkt-E. Er hat in absolut bedingungsloser Freiheit sich selbst zu erfinden und zu entwerfen. Dieses Selbstschöpfertum ist die Folge aus dem Kernsatz Sartres, daß «die E. der Essenz vorausgeht». Sicher klingt hier das alte Gegensatzpaar ‹existentia/essentia› nach, doch war damit in keiner Weise eine Seinsverfassung des Menschen gemeint. Allein die «condition humaine», zur Selbstschaffung in existentialistischen Stößen verurteilt zu sein, soll damit benannt sein.
Die existentielle Fassung von E., wie sie vor allem K. Jaspers herausarbeitet, zeigt Nähe zu dem, was in der philosophischen Überlieferung die menschliche Person ausmacht. E. entzieht sich jeglichem «gegenständlichen» Denken. Ein «anderes», das «appellierende Denken» allein kann sie ansprechen. Die Begriffe der E.-Erhellung sind solche, in denen ich nicht meinen kann, ohne in ihnen selbst zu sein [1]. E. ist «die Weise, wie ich zu mir selbst und zum Transzendenten mich verhalte». Letzteres deswegen, weil der Mensch in den «Grenzsituationen» (Kampf, Leid, Schuld, Tod) über sich hinaus verwiesen wird. Sein Transzendieren geschieht stets aus einer geschichtlichen Situation heraus, auch hat es immer nur einen Richtungssinn. Ein Darstellungssinn, wodurch das Transzendente wie ein Gegenstand verfügbar würde, kann ihm nie eignen. Das Signum des Menschen als E. ist sein Scheitern vor der Transzendenz.
Von existenzialen Absichten war M. Heideggers ‹Daseinsanalyse› von Anfang an (schon in der 1. Aufl. von ‹Sein und Zeit› 1927) geleitet. «Das ‹Wesen› des Daseins [des Menschen] liegt in seiner E.» [2], will sagen, in seiner Offenheit für das Sein, für seinen geschichtlich sich wandelnden Zuspruch und Anspruch. Die spätere, unmißverständlichere Benennung «Ek-sistenz» machte dies vollends deutlich.
G. Marcel nimmt einen ähnlichen Weg von der E. zum Sein. In seiner betont «konkreten Philosophie» ist E. die reflex vollzogene Wahl seiner selbst, die nur möglich ist aus dem Grundbezug zum Sein-selbst, zur «présence» schlechthin, d.i. zum Geheimnis des Seins [3].
Alois Guggenberger
[1]
K. Jaspers: Philos. 2: Existenzerhellung (1932) bes. 1–23 u. passim.
[2]
M. Heidegger: Sein und Zeit (51941) 42.
[3]
G. Marcel: Position et approches concrètes du mystère ontologique (1949) 53. 78ff.; dtsch. Das ontologische Geheimnis. Fragestellung und konkrete Zugänge. Philos. Jb. 59 (1949) 466–490, bes. 475. 482ff.
L. De Raeymaeker: Philos. de l'être (Louvain 21947). – E. Gilson: L'être et l'essence (Paris 1948). – H. Knittermeyer: Die Philos. der E. (1952). – Studi filosofici all'«esistenza», al mondo, al trascendente (Roma 1954). – E. Gilson: Hist. of Christian philos. in Middle Ages (London 1955). – C. Fabro: Dall'essere all'esistente (Brescia 1957). – A. De Waelhens: Existence et signification (Louvain/Paris 1958). – J. Hegyi: Die Bedeutung des Seins bei den klass. Kommentatoren des hl. Thomas v. Aquin (1959). – M. Müller: E.-Philos. im geistigen Leben der Gegenwart (31964). – J. B. Lotz: Sein und E. (1965). – K. Kremer: Die neuplatonische Seinsphilos. und ihre Wirkung auf Thomas von Aquin (Leiden 1966). – O. Schnübbe: Der E.-Begriff in der Theol. Rudolf Bultmanns (1959). – H. Ogiermann: Existenziell, existenzial, personal. Scholastik 40 (1965) 321–513.