Historisches Wörterbuch der Philosophie online 

Fürwahrhalten

Fürwahrhalten 1146 10.24894/HWPh.1146 Alwin Diemer
Erkenntnistheorie Glaubenerk. Wissen2 1149 Überzeugung2 1149 Zuversicht2 1150
Fürwahrhalten. Der Terminus ‹F.› gehört zu den substantivierten Infinitiven, die im ausgehenden 18. Jh. – zum Teil im Umkreis des Wolffschen Philosophierens, wie etwa ‹Bewußt-Sein› – Eingang in die «höhere», d.h. zugleich philosophische Literatur finden. Bedeutungsmäßig gehört ‹F.› zu einem Begriffsfeld, das sich auf die Geltung und Gewißheit der Erkenntnis und insofern auf Wahrheit bezieht; dieses Feld ist im allgemeinen durch die Trilogie «Glauben, Meinen, Wissen» abgegrenzt.
So heißt es etwa bei Wolff in einer Übersetzung eines Cicero-Zitates («... pro vero habere ...»): «Wenn ich es vor wahr halte, das ist, wenn ich dencke, es sey geschehen; so glaube ich es» [1]. Der Terminus begegnet gelegentlich auch in G. F. Meiers Vernunftlehre [2], ohne daß ihm hier eine besondere Bedeutung zukommt. Erst Kant behandelt dann den Begriff in seiner heutigen Form ausführlich: In der ‹Logik› ist das F. das subjektive Korrelat zur Wahrheit: «Wahrheit ist objective Eigenschaft der Erkenntniß, das Urtheil, wodurch etwas als wahr vorgestellt wird; die Beziehung auf einen Verstand und also auf ein besonderes Subject ist subjectiv das F.». An ihm werden dann drei «Arten oder Modi» unterschieden: «Das Meinen ist ein problematisches, das Glauben ein assertorisches und das Wissen ein apodiktisches Urtheilen» (sc. F.) [3]; genauer ist das Meinen «das F. aus einem Erkenntnißgrunde, der weder subjectiv noch objektiv hinreichend ist», das Glauben ein solches «aus einem Grunde, der zwar objectiv unzureichend, aber subjectiv zureichend ist», das Wissen schließlich ein solches «aus einem Erkenntnißgrunde, der sowohl objectiv als subjectiv zureichend ist» [4]. Das subjektive und das objektive Geltungsmoment wird in der ‹Kritik der reinen Vernunft› noch näher spezifiziert: «Die subjective Zulänglichkeit heißt Überzeugung (für mich selbst), die objective Gewißheit (für jedermann)» [5].
In der Folgezeit nimmt das subjektive Moment mehr und mehr zu; auch die anderen Termini können variieren. So sind etwa bei Fries Wissen, Glauben und Ahnung die drei Arten der Überzeugung; das F. ist neben dem Fürfalschhalten eine Form der ‹Assertion›: «Die beyden Formen der Assertion sind also F. und Fürfalschhalten und daher die beyden reinen Formen der Antwort: Ja und Nein, je nachdem der Verstand das Urtheil gegründet oder ungegründet findet» [6]. Nach Geyser nehmen wir bei der Folgerung an, «daß der von uns abgeleitete Satz in der Tat in jenem Wissen, woraus wir ihn abgeleitet haben, enthalten, d.h. mitgegeben sei. Der Akt dieses Annehmens wird darum am passendsten als F. bezeichnet. Dieses F. ist, wenn wir es logisch betrachten, entweder zutreffend oder nicht zutreffend». Psychologisch gesehen sei das F. vor allem durch die Modalität der Festigkeit und Sicherheit bzw. der Unsicherheit und des Schwankens charakterisiert [7]. Nach W. Wundt stützt sich alles F. «auf Zeugnisse, die schließlich auf irgendwelche Tatsachen der Erfahrung zurückführen»; das subjektive F. bezeichnet er als Glauben, das objektive als Meinung oder Vermutung [8]. Für Bolzano schließlich gilt: «Ein Glauben, das einen niedrigeren Grad der Zuversicht hat, pflegt man ein F. oder auch ein Meinen zu nennen» [9].
In der modernen logischen und erkenntnistheoretischen Literatur kommt der Terminus so gut wie nicht mehr vor.
[1]
Chr. Wolff: Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschl. Verstandes (21754) 145.
[2]
Vgl. G. F. Meier: Vernunftlehre (21762) §§ 208. 215.
[3]
Kant, Akad.-A. 9, 65f.
[4]
a.a.O. 66ff.
[5]
KrV B 850.
[6]
J. F. Fries: System der Logik (21819) 167.
[7]
J. Geyser: Abriß der allg. Psychol. (1922) 110.
[8]
W. Wundt: Allg. Logik und Erkenntnistheorie (31906) 397f.
[9]
B. Bolzano: Wissenschaftslehre (Neudruck 1930) 3, § 321; vgl. F. Brentano: Psychol. vom empirischen Standpunkt (1925) 2, 89.