Kulturprotestantismus. Der Begriff ‹K.› ist ein kritisches Schlagwort aus der Zeit von 1871 bis 1919.
A. Harnack, R. Rothe, A. Ritschl, gelegentlich auch
E. Troeltsch und
F. Naumann gelten als die wesentlichen Vertreter des K., die Zeitschrift mit dem symptomatischen Titel ‹Die Christliche Welt› als sein Organ. Der Begriff ist auf dem Boden der Kulturkritik der dialektischen Theologie entstanden, taucht allerdings in den wichtigsten Arbeiten der führenden dialektischen Theologen vor 1926 (
K. Barth, F. Gogarten, E. Thurneysen) nicht auf, so daß der Ursprung des Begriffes dunkel bleibt. 1926 schreibt
P. Tillich: «Dem Geist der bürgerlichen Gesellschaft nahe, ja, fast völlig von ihm aufgesogen, ist die liberale Richtung [des Protestantismus]. Sie versucht, die Religion in das System der endlichen Formen als ihren Abschluß oder ihre Einheit einzuordnen. Sie stellt sich dar als K., der zwar viel von der Moral, aber wenig von der Erschütterung der Kultur durch das Ewige weiß»
[1]. Aus demselben Jahr stammt die positive Definition von K., die der Vorsitzende des Deutschen Protestantenvereins
W. Schubring gab: «Einbeziehung der modernen Kultur in die religiöse Sprache und die Hilfeleistung dabei, daß die Eindrücke aus der modernen Kultur religiös aufgenommen werden, das ist das Wesen dessen, was man K. genannt hat: das war gemeint, als
der Deutsche Protestantenverein 1863 die Parole ausgab: Versöhnung von Religion und Kultur»
[2]. Überwog in den zwanziger und dreißiger Jahren die polemische Bedeutung des Begriffes, so wird er heute überwiegend zur sachlichen Kennzeichnung des Protestantismus der angegebenen Periode und als Synonym für ‹liberale Theologie›, ‹Neuprotestantismus› und ‹Kulturreligion› gebraucht.