Historisches Wörterbuch der Philosophie online 

Lichtung

Lichtung 2253 10.24894/HWPh.2253 Peter Probst
Heidegger Metaphysik
Lichtung kommt als Begriff bei M. Heidegger im Zusammenhang der Analyse des Seins des Menschen als eines In-der-Welt-Seins in der Weise des Daseins vor. Mit dem Namen für eine Formation der Waldlandschaft greift Heidegger die traditionelle Rede vom lumen naturale auf und interpretiert sie als ein Bild für «die existenzial-ontologische Struktur» [1] des Menschen. Das Dasein ist «an ihm selbst als In-der-Welt-sein gelichtet» [2]. «Das Seiende, das den Titel Da-sein trägt, ist ‘gelichtetʼ » [3]. Diese Gelichtetheit läßt sich als «die Erschlossenheit des Da» [4] charakterisieren. Sie «ermöglicht ... alle Erleuchtung und Erhellung, jedes Vernehmen, ‘Sehenʼ und Haben von etwas» [5].
Das Dasein ist «nicht durch ein anderes Seiendes» gelichtet, «sondern so, daß es selbst die L. ist. Nur einem existenzial so gelichteten Seienden wird Vorhandenes im Licht zugänglich, im Dunkel verborgen» [6]. So kann «die Erschlossenheit des In-Seins die L. des Daseins genannt» [7] werden. «Das Licht dieser Gelichtetheit verstehen wir nur, wenn wir nicht nach einer eingepflanzten, vorhandenen Kraft suchen, sondern die ganze Seinsverfassung des Daseins, die Sorge, nach dem einheitlichen Grunde ihrer existenzialen Möglichkeit befragen. Die ekstatische Zeitlichkeit lichtet das Da ursprünglich» [8].
Der Begriff steht im Zusammenhang mit Heideggers Wahrheitsbegriff und dient später wesentlich dazu, das Wesen des Kunstwerks zu erfassen. Heidegger erörtert diese Frage am Beispiel der ‹Bauernschuhe› V. van Goghs und des Gedichts ‹Der römische Brunnen› von C. F. Meyer: «Im Werk der Kunst hat sich die Wahrheit des Seienden ins Werk gesetzt. ‘Setzenʼ sagt hier: zum Stehen bringen. Ein Seiendes, ein Paar Bauernschuhe, kommt im Werk in das Licht seines Seins zu stehen. Das Sein des Seienden kommt in das Ständige seines Scheinens. So wäre denn das Wesen der Kunst dieses: das Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden» [9]. Dafür gibt es eine ontologische Begründung: «Inmitten des Seienden im Ganzen west eine offene Stelle. Eine L. ist. Sie ist, vom Seienden her gedacht, seiender als das Seiende. Diese offene Mitte ist daher nicht vom Seienden umschlossen, sondern die lichtende Mitte selbst umkreist wie das Nichts, das wir kaum kennen, alles Seiende. Das Sein kann als Seiendes nur sein, wenn es in das Gelichtete dieser L. herein- und hinaussteht. Nur diese L. schenkt und verbürgt uns Menschen einen Durchgang zum Seienden, das wir selbst nicht sind, und den Zugang zu dem Seienden, das wir selbst sind. Dank dieser L. ist das Seiende in gewissen und wechselnden Maßen unverborgen» [10]. Und daraus folgt für das Wesen des Kunstwerks: «Im Werk ist die Wahrheit am Werk, also nicht nur ein Wahres. Das Bild, das die Bauernschuhe zeigt, das Gedicht, das den römischen Brunnen sagt, bekundet nicht nur, sie bekunden streng genommen überhaupt nicht, was dieses vereinzelte Seiende als dieses sei, sondern sie lassen Unverborgenheit als solche im Bezug auf das Seiende im Ganzen geschehen. Je einfacher und wesentlicher nur das Schuhzeug, je ungeschmückter und reiner nur der Brunnen in ihrem Wesen aufgehen, umso unmittelbarer und einnehmender wird mit ihnen alles Seiende seiender. Dergestalt ist das sichverbergende Sein gelichtet. Das so geartete Lichte fügt sein Scheinen ins Werk. Das ins Werk gefugte Scheinen ist das Schöne. Schönheit ist eine Weise wie Wahrheit west» [11].
[1]
M. Heidegger: Sein und Zeit (121972) 133.
[2]
ebda.
[3]
a.O. 350.
[4]
147.
[5]
350f.
[6]
133.
[7]
170.
[8]
351.
[9]
Holzwege (21952) 25.
[10]
a.O. 41f.
[11]
44.
H. Feick: Index zu Heideggers «Sein und Zeit» (21968). – E. Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger (1967).