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Negation der Negation

Negation der Negation 2711 10.24894/HWPh.2711 Hans Friedrich Fulda
Metaphysik Negation, doppelte Negativität negatio negationis6 690f Dialektik, negative6 691
Negation der Negation ist zum Terminus geworden und zu begriffsgeschichtlicher Wirksamkeit gekommen vor allem im spekulativen Idealismus Hegels – als Ausdruck für gewisse Zustände dialektischer Bewegung und zugleich für eine immer wiederkehrende, durch «Aufheben» charakterisierte Phase im Rhythmus dieser Bewegung. Vor Hegel sowie in nachhegelschen Texten über Dialektik wird statt ‹N.d.N.› zuweilen auch der Ausdruck ‹doppelte Negation› (duplex negatio, duplicata negatio) gebraucht. Grundlegend für Hegels Verwendung des Ausdrucks ‹N.d.N.› ist jedoch, daß das doppelt vorkommende Wort ‹Negation› hier – im Unterschied zum gewöhnlichen Sinn heutiger Rede von doppelter Negation – nicht dazu dient, etwas über Urteile, Aussagen oder Termini in Aussagen zu sagen; es wird vielmehr dazu gebraucht, jene «Gedankenbestimmungen» zu charakterisieren, in denen sich nach Auffassung des spekulativen Idealismus der alleinige Gegenstand der Philosophie und das menschliche Wissen von ihm artikulieren. Gegenbegriff zu ‹Negation› ist hier – wie bei negatio und negativum in der Metaphysik des 18. Jh. – nicht ‹Affirmation›, sondern ‹Realität› [1]. Allerdings differenziert Hegel im Gegensatz zu dieser Tradition zwischen Negation und Negativem, wie auch zwischen Realität und Positivem [2] – unbeschadet der Erhaltung einer Bedeutungsverwandtschaft, die es erlaubt, in Kontexten, in denen es auf Nuancen nicht ankommt, statt von N.d.N. vom Negativen des Negativen zu sprechen [3]. Weitere Unterschiede zwischen Hegels Auffassung von Negation und der Standardauffassung von Negation innerhalb der Ontologie des 18. Jh. bestehen darin, daß 1. (bloße) Negation bei Hegel nicht mehr als ein absoluter Mangel an Bestimmung konzipiert wird, sondern als Qualität, die mit Verneinung behaftet ist und für einen Mangel gilt [4]; daß 2. dementsprechend die Vorstellung einer negationslosen omnitudo realitatis als Unbegriff verworfen wird [5], sowie daß 3. qualitative Bestimmtheit sich nicht unwiderruflich in Realitäten und Negationen auseinanderlegt, die eindeutig unterschieden sind und auseinandergehalten werden können; vielmehr gilt auch, einem Diktum Spinozas entsprechend, daß jede qualitative Bestimmtheit Negation ist. Spinozas «omnis determinatio est negatio» (jede Determination ist Negation) ist nach Hegel sogar ein Satz «von unendlicher Wichtigkeit» [6]. Hegel will mit ihm jedoch nicht die getroffene Unterscheidung zwischen Realität und Negation wieder rückgängig machen, sondern ihre «Aufhebung» vorbereiten. Durch Aufheben der Unterscheidung sowohl zwischen Realität und Negation einer qualitativen Bestimmtheit wie auch zwischen einem Dasein und seiner Bestimmtheit denkt er sich die Gedankenbestimmung ‘Etwasʼ als erste N.d.N. gebildet [7]. Weitere Fälle von N.d.N. sind beispielsweise: Grenze, Unendlichkeit, Fürsichseiendes, Substanz, Zeit, Strafe.
Wie im Fall des Etwas ist N.d.N. für Hegel generell Ergebnis und Index der Überwindung eines Gegensatzes zwischen paarweisen Bestimmungen, von denen die eine den Charakter hat, eher real oder positiv zu sein, während der anderen der Charakter eines Mangels oder eines Negativen zukommt. Zur Überwindung des Gegensatzes gehört, daß dessen eine Seite die Selbständigkeit der anderen vernichtet; es gehört dazu aber auch, daß sich das aus beiden Seiten bestehende Ganze als ein Verhältnisganzes selbst negiert und einfache, aber konkrete Einheit wird. Hegels reflexionslogischer Terminus für diesen Doppelcharakter stattfindender Negation ist Negativität. Sofern ‹Negation› nicht nur ein Ergebnis ausdrückt, sondern auch das Ereignis oder die Tätigkeit, die zu diesem Ergebnis führt, und sofern man den Unterschied zwischen (seinslogischer) Negation und (reflexionslogisch) Negativem vernachlässigen darf, kann man daher N.d.N. bzw. Negatives des Negativen auch mit Negativität identifizieren. Doch muß man dabei beachten, daß diese Negativität nicht nur eine Verfassung sich negativ zueinander verhaltender Gegensatzglieder ist – die (relative) Negativität eines jeden der Gegensatzglieder gegen sein Anderes –, sondern auch die entsprechende Verfassung des Verhältnisganzen, sich in sich selbst zu verzehren – absolute Negativität [8] –, und daß die destruktive Tätigkeit die Negation von Negation zu einem «In-sich-Zurückkehren» [9] dessen macht, wovon sie ausgeht. Die N.d.N. als Ergebnis ist so zugleich «einfache Beziehung auf sich» [10].
Beachtung im Hinblick auf die Bedeutung von ‹N.d.N.› als Ergebniswort verdient ferner der Umstand, daß N.d.N. im Sinne absoluter Negativität nicht nur das Nichtigwerden von Unterschieden und Gegensätzen zwischen Bestimmungen von Endlichem beinhaltet, sondern auch zwischen Bestimmungen von Endlichem und verendlichenden Bestimmungen des Unendlichen oder Absoluten. Durch die Funktion, dieses Nichtigwerden denkbar zu machen, wird N.d.N. zu einem Konzept, das eine vermeintliche Konsequenz des erwähnten Spinoza-Satzes verhindern helfen soll. Übereinstimmend mit Jacobi hat Hegel angenommen, daß, wenn man die These, jede qualitative Bestimmtheit sei Negation, nicht modifiziert, man damit die Behauptung verbinden müsse: daß nur die eine, in ihr selbst ganz bestimmungslose Substanz ist; daß alle ihre Attribute wie auch die Modi nur aufgrundvon Unterscheidungen sind, die ein äußerer Verstand macht, und daß die Individuen keine Substantialität haben [11]. Mit dem Nichtigwerden des Gegensatzes von Bestimmungen des Endlichen und des Unendlichen hingegen soll das Eine, das Gegenstand der Philosophie ist, in seinem eigenen, aus ihm selbst hervorgehenden Inhalt denkbar werden. Mit Rücksicht darauf wird «Negativität» auch zu einem Ausdruck für das Hervorgehen von Differenz und Sich-Entzweien. Zugleich soll das Nichtigwerden jenes Gegensatzes in seinem Ergebnis auch die verendlichende Instantiierung und damit Konkretisierung von abstrakt Unendlichem denkbar machen. So verhält sich Etwas, als Daseiendes und «Insich-sein» aufgehobener Unterscheidung, ähnlich zu Dasein wie Lebendiges sich zu Leben und denkendes Subjekt sich zu Denken verhält, und ‹N.d.N.› als Ergebniswort ist allemal auch Ausdruck für solches, das der Vorstellung mit Recht als Subjekt gilt, insofern es – wenn nicht in Wahrheit Subjekt, so jedenfalls – «der Anfang des Subjekts» ist [12]. Von daher versteht sich andeutungsweise, daß ‹N.d.N.›, bedeutungsgleich mit «absolute Negativität» gesetzt, schließlich sowohl zum Denken von Einzelheit, Individualität und Selbstsein als auch zur Charakterisierung des Prinzips dient, aus dem der Prozeß der Gedankenbestimmungen hervorgeht [13].
Wenn die N.d.N. identifiziert wird als Gedankenbestimmung (und Charakteristikum gewisser Gedankenbestimmungen), so ist damit noch nichts ausgemacht über logische Eigenschaften einer Aussage, deren Prädikat oder deskriptiver Gehalt der Negation einer Negation entspricht. Hegel hat sich kaum mit der Frage befaßt, wie Gedankenbestimmungen, die Negationen von Negationen sind, in Aussagen ausgedrückt werden. Doch ist klar, daß sich eine solche Aussage von doppelter Negation unterscheidet. Sie ist nicht logisch äquivalent mit der Affirmation eines Prädikats, das dem Positiven oder der Realität entspricht, dessen bzw. deren Negation oder Negatives in der N.d.N. ‘negiertʼ ist. Die doppelte Negation hingegen ist der Affirmation äquivalent, deren Negation in ihr negiert ist. Ferner: Von einer Aussage, die die Negation einer Negation im hegelschen Sinn ausdrückt, darf man sagen, sie sei äquivalent einer neuen Affirmation, deren Prädikat gegenüber demjenigen der früheren Affirmation inhaltlich bestimmter ist und aus der sich nicht rückwärts über die Aussage des der N.d.N. entsprechenden Prädikats auf die frühere Affirmation schließen läßt. Aber diese Äquivalenz beruht nicht auf formalen Eigenschaften beider Aussagen, sondern auf dem Ersetzungscharakter, den das Prädikat der neuen Affirmation im Verhältnis zum Prädikat der die N.d.N. ausdrückenden Aussage hat. Daß es seinen Ersetzungscharakter bekommt, wird in der die N.d.N. ausdrückenden Aussage dadurch vorbereitet, daß die N.d.N. den spekulativen Gegensatz jener Bestimmungen überwindet, um deren Berücksichtigung das Prädikat der neuen Affirmation bereichert ist. Die N.d.N. überwindet diesen Gegensatz, indem sie seine Glieder zu Momenten eines in sich gegliederten, aber einfachen Ganzen macht. Der Gegensatz, um den es sich dabei innerhalb der N.d.N. noch handelt, ist natürlich nicht derjenige, den die ontologische Tradition des 18. Jh. im nihil negativum enthalten dachte [14]; er ist also kein kontradiktorischer, denn seine Glieder gelten beide, und zwar von eben jenem Substrat, das sie beide näher bestimmen. Vom konträren und subkonträren Gegensatz quantifizierter Urteile unterscheidet ihn, daß Zwischenglieder in ihm ausgeschlossen sind und seine Relata sich nicht überschneiden. Er ist auch kein unendliches (limitatives) Verhältnis; denn seine Glieder liegen beide innerhalb einer bestimmten Begriffssphäre. Ebensowenig ist er die von Rickert im Begriff der Heterothesis gedachte kategoriale Opposition; denn die Glieder sind nicht bloß gegeneinander ‘andereʼ, sondern verhalten sich negativ zueinander, verkehren ihren Inhalt ineinander und machen sich so zu Momenten der «absoluten Negativität».
Seinen historischen Ursprung hat Hegels Konzept einer N.d.N. nicht in den vergleichsweise formalen Bemühungen, die Strukturen spekulativer Dialektik anzugeben und mittels ihrer einen kontinuierlichen Zusammenhang allgemeinster Gedankenbestimmungen herzustellen. Vielmehr ergab sich das hegelsche Verständnis von N.d.N. aus inhaltlichen Überlegungen zur praktischen Philosophie und zur Religionstheorie Kants. Am Anfang dieser Überlegungen stand die Einsicht, daß es darauf ankommt, die Postulate praktischer Vernunft auf eine Weise zu fassen, die dem Gedanken sittlicher Autonomie angemessen ist, und daß sich dabei die Materie des kantischen Postulierens als Prinzip des Spinozismus herausstellt [15]. Freiheit ist von ihrem inneren Grund her mit ihrer Verwirklichung zusammen zu denken. Wie aber kann das geschehen, ohne daß die Subjektivität und mit ihr die individuellen Subjekte einem anonymen Prozeß sich verwirklichender Vernunft preisgegeben werden? Wie kann dieses Ergebnis vermieden werden, wenn doch Spinozas «omnis determinatio est negatio» zur Konsequenz hat, daß nur die eine Substanz ist, in der alles verschwindet und Individualität kein Bestehen hat? Will man den Momenten gerecht werden, deren Bestehen das Freiheitsbewußtsein voraussetzt, so muß dasjenige, was an einem jeden von ihnen als einer Determination des Einen Negation ist, seinerseits negiert werden. Da die Negation Entgegensetzung im Einen ist, bedarf es der «Entgegensetzung gegen die Entgegensetzung». In dieser Bedeutung hat Hegel den Ausdruck ‹N.d.N.› erstmals gebraucht, und zwar zur Bestimmung von Freiheit in der «absoluten Sittlichkeit» [16]. Für die Begriffsbildung, die diesem Ausdruck schließlich seine differenzierte Bedeutung zuwachsen ließ, ist außerdem ohne Zweifel Hegels Auseinandersetzung mit Kants Oppositionslehre und transzendentaler Dialektik der theoretischen Vernunft bedeutsam gewesen. Trotz ungezählter Untersuchungen zur hegelschen Dialektik ist sie noch kaum erforscht [17].
Ohne Hegels Konzept einer Negation von Negation würde ‹N.d.N.› heutzutage wohl kaum zur Nomenklatur eines Wörterbuchs gehören. Doch läßt sich außer von der Ursprungsgeschichte dieses Konzepts auch von seiner Vorgeschichte – oder besser: von einer Mehrheit solcher Vorgeschichten – sprechen, wenn man dabei nicht die Einheit eines Problems unterstellt und sich für die Einheit des Themas mit hinreichend schwachen Voraussetzungen begnügt. Als eine solche Voraussetzung mag beispielsweise gelten, daß entweder der doppelte Gebrauch des Wortes ‹Negation› im Ausdruck ‹N.d.N.› dazu dienen soll, nicht bloß Urteile, Aussagen oder Termini in Aussagen zu bezeichnen, sondern (zumindest auch) Entitäten oder Charaktere an Entitäten, die von Urteilen, Aussagen oder Termini in Aussagen verschieden sind; oder daß gewisse Ausdrücke, wie z.B. das griechische οὔ oder μή, das griechische α- und das lateinische a-privativum, das lateinische ‘nonʼ oder die negierend gebrauchte Vorsilbe ‘in-ʼ, gedeutet werden als Partikel, deren Vorkommen das Vorliegen nicht nur negativer Aussagen oder Termini in Aussagen indiziert, sondern auch das Vorliegen oder Unterstelltsein von den Aussagen oder Termini entsprechenden Entitäten und Charakteren. Wo immer in der platonisch-aristotelischen Tradition der Erörterung von Nichtseiendem die Auffassung vertreten wurde, daß es Negationen außer in Reden über Seiendes auch unter den entia gibt – seien diese nun bloß entia rationis oder entia realia –, da ergab sich die Möglichkeit, sinnvoll von einer Entität zu sagen, daß sie oder ihre Eigenschaft Negation von Negation (negatio negationis) sei. Von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, mochte naheliegend erscheinen, sobald im Hinblick auf das Nichtseiende eine ähnliche Mannigfaltigkeit seiner Bedeutungen unterschieden worden war wie im Hinblick auf das Seiende des Parmenides. Das war bereits in der griechischen Spätantike der Fall [18]. In besonderem Maß aber mußte es sich nahelegen, wo man – mit dem Übergang vom Griechischen zum Lateinischen – das den Redecharakter einer Verneinung und seine Struktur zum Ausdruck bringende ἀπόφασις (τινὸς ἀπὸ τινός) durch das den Gegensatz des Negativen gegen das Positive evozierende ‹negatio› ersetzte und – wie im lateinischen Mittelalter – sich dazu verstand, von Entitäten, die nicht Aussagen sind, sondern deren Objekte, zu sagen, daß sie etwas negieren. Exemplarisch wurde die auf diese Weise zustande kommende, ontologisch zu verstehende Rede von N.d.N. in der zur Lehre von der Begriffsbildung gehörenden logica praedicamentalis sowie in der metaphysischen Einheits- und Gegensatzlehre. In deren Kontext behauptete beispielsweise ein Skotist wie Mastrius «cum non ens sit negatio entis, ipsamet entitas, quae est forma positiva, per se formaliter negat hanc negationem sui» (da Nichtseiendes Negation von Seiendem ist, negiert eine Entität, die positive Form ist, allein schon durch sich der bloßen Form nach diese Negation ihrer selbst) [19] und identifizierte das Wesen des Seienden geradezu mit N.d.N. (negatio negationis entis a parte rei formalissime est ipsa quidditas entis, N.d.N. eines Seienden ist von der Sache her der reinen Form nach Washeit des Seienden selbst) [20]. Für Thomas hingegen ist die «negatio negationis, qua de ente negatur non ens» (N.d.N., durch die von einem Seienden Nichtseiendes negiert wird), nur ein Gedankending [21]. In beiden Fällen aber ist die «negatio negationis» – im Unterschied zu Hegel – nur Negation der Identität von etwas mit seinem Negat und damit eine Negation, die weder als solche das Aufheben oder Aufgehobensein von Unterschied noch Selbstnegation und absolute Negativität ist. Vielmehr gilt die Einheit als das der Sache nach Frühere gegenüber der in ihr konnotierten N.d.N.; und die das Eins konstituierende Ungeteiltheit-in-sich ist hier weder selbst N.d.N. noch ihr Produkt. Entsprechend besagt der Satz «duplicata negatio efficit affirmationem» (doppelte Negation bewirkt Affirmation), der ungeachtet verschiedener Auslegungen Gemeingut aller philosophischen Schulen des Mittelalters ist, auch nicht Äquivalenz, wie sie aufgrunddes Ersetzungscharakters gilt, den ein positives Prädikat im Verhältnis zu einem anderen Prädikat hat.
Thematisch enger mit Hegel verwandt ist die Verwendung, die ‹N.d.N.› als Ausdruck für die Aufhebung einer Beschränkung gefunden hat. Sie läßt sich in der frühen Neuzeit beispielsweise bei dem Cartesianer Johannes Clauberg[22] und bei Henry More[23] belegen, dürfte aber auf ältere Ideen zu den sprachlich privativen göttlichen Attributen – wie infinitum, increatum – zurückgehen. Vermutlich hat sie ihren Ursprung in der neuplatonischen Spekulation über das Eine. In deren Tradition jedenfalls sind Konzeptionen von N.d.N. entwickelt worden, die der hegelschen am nächsten kommen. Eine erste solche Konzeption bahnt sich an bei Proklos – wenn auch anscheinend ohne ein griechisches Äquivalent für den Ausdruck ‹negatio negationis› [24]. Was die Proklos-Forschung ‹N.d.N.› nennt, ist allerdings nicht das Eine selbst, sondern «der äußerste Akt des sich selbst übersteigenden Denkens, das den nichtdenkenden und nicht zu denkenden Ursprung zu berühren versucht» [25]. Thomas hingegen charakterisiert später das mit dem Seienden vertauschbare Eine selbst als «negatio negationis et rei simul» (N.d.N. und der Sache zugleich) [26] – dies freilich wiederum im Blick auf die Glieder eines kontradiktorischen Gegensatzes und ohne Selbstbezüglichkeit der Negation. Im Unterschied dazu scheint Meister Eckhart einen reflexiven Vollzug der göttlichen Natur selbst im Auge zu haben, wenn er diese Natur als «omnis negationis negatio» [27] bezeichnet. Aber auch für ihn bekräftigt die ausgesagte negatio negationis, daß in Gott keinerlei Negation Platz greift: «in ipso deo nullum prorsus locum habet negatio» (in Gott selbst hat Negation durchaus keinen Platz) [28]. Die Negation ist dem Einen, Gott, nicht – wie bei Hegel – immanent; sie ist ihm fremd. Ähnlich lehrt dann auch Nicolaus Cusanus: «Deo ... nulla convenit negatio seu privatio; sed propria est ei soli negatio negationis, quae mucro et apex purissimae affirmationis» (Gott ... kommt keine Negation oder Privation zu; sondern eigentümlich ist ihm allein die Negation jeglicher Negation, die Gipfel und Spitze reinster Affirmation ist) [29].
Anzumerken bleibt, daß in der mittelalterlichen Philosophie gelegentlich auch die Individuation durch duplex negatio bzw. N.d.N. zu erklären versucht wurde, so beispielsweise bei Heinrich von Gent[30].
In der nachidealistischen Kritik an der N.d.N. als einem Strukturelement der dialektischen Methode fand der ursprüngliche Problemzusammenhang, in dem dieses hegelsche Konzept entstanden war, keine Beachtung mehr. Auch die marxistische Lehre von der Dialektik, die Hegels Begriff der N.d.N. in groben Umrissen übernahm, aber seine spekulative Begründung verwarf, hat ihn nicht auf das Eine als Gegenstand der Philosophie bezogen, sondern ihrem materialistischen Prinzip entsprechend vor allem auf die Entwicklung des Kapitalismus und die Evolution der Natur [31]. Sie hat ihn als Begriff eines ganz gewöhnlichen Vorgangs betrachtet. N.d.N. ist nun «eine sehr einfache und überall täglich sich vollziehende Prozedur, die jedes Kind verstehen kann, sobald man den Geheimniskram abstreift, unter dem die alte idealistische Philosophie sie verhüllte» [32]. Die «Prozedur» steht unter einem Gesetz, dem dialektischen Gesetz der N.d.N., das «als ein äußerst allgemeines und eben deswegen äußerst weitwirkendes und wichtiges Entwicklungsgesetz der Natur, der Geschichte und des Denkens» [33] verstanden wird. Marx und Engels haben nicht bezweifelt, daß die N.d.N. in jedem Fall ein Resultat affirmativen Charakters hat. Die Kritik dieser Überzeugung ist den auf eine «negative Dialektik» ausgehenden Intentionen Sartres und Adornos gemeinsam [34], deren angemessene Formulierung gegenwärtig viele als ein Desiderat sowohl der Überwindung des dogmatischen Marxismus als auch der bloß verstehenden Hegelrezeption betrachten.
[1]
Vgl. A. G. Baumgarten: Metaphysica (Halle 41757) § 135ff.
[2]
Vgl. G. W. F. Hegel, Wiss. der Logik, hg. G. Lasson (1934) 1, 101; 2, 41ff.
[3]
a.O. 1, 102.
[4]
1, 98.
[5]
1, 99.
[6]
1, 100.
[7]
1, 102.
[8]
1, 103.
[9]
Sämtl. Werke, hg. H. Glockner 15 (1959) 451.
[10]
a.O. [2] 1, 102.
[11]
a.O. 1, 100.
[12]
1, 102.
[13]
2, 496f.
[14]
Vgl. Baumgarten, a.O. [1] § 7.
[15]
Vgl. K. Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben (1844) 159.
[16]
Hegel, a.O. [9] 1, 482–487.
[17]
Eine bemerkenswerte Ausnahme ist M. Wolff: Der Begriff des Widerspruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels (1981).
[18]
Vgl. hierzu und zum Folgenden W. Hübener: Die Logik der Negation als ontolog. Erkenntnismittel, in: H. Weinrich (Hg.): Positionen der Negativität (1975) 112ff.
[19]
Mastrius de Meldula: Disputationes ... in duodecim Aristotelis Stagiritae libros Metaphysicorum, in: Bartholomaei Mastrii de Meldula et Bonaventurae Belluti ... Philosophiae ad mentem Scoti cursus integer 4 (Venedig 1708) n. 103, p. 150a.
[20]
ebda.
[21]
Thomas von Aquin, I Sent., d. 24, q. 1, a. 3, ad 1.
[22]
J. Clauberg, Opera omnia philos. (Amsterdam 1691) 612.
[23]
Henry More, Opera omnia (London 1679, ND Hildesheim 1966) 2/1, 170.
[24]
Vgl. W. Beierwaltes: Proklos. Grundzüge seiner Met. (1965) 360ff. 395ff.
[25]
a.O. 396.
[26]
Thomas von Aquin, Quaest. quodlibetales, Quodl. 10, q. 1, a. 1, ad 3.
[27]
Eckhart, In Joh. n. 692.
[28]
Lat. Werke 2, 289, 3.
[29]
Cusanus-Texte, hg. J. Koch I, 2/5, 112.
[30]
Vgl. J. Assenmacher: Die Gesch. des Individuationsprinzips in der Scholastik 1 (1925) 31.
[31]
MEW 20 (1962) 120ff. 348.
[32]
a.O. 126.
[33]
131.
[34]
J.-P. Sartre: Critique de la raison dial. (Paris 1960) 137–139. 168–171; Th. W. Adorno: Negative Dial. (1966) 159.
W. Hübener s. Anm. [18]. – D. Henrich: Substantivierte und doppelte Negation, in: H. Weinrich (Hg.) s. Anm. [18] 481–485. – K. Hedwig: Negatio negationis. Arch. Begriffsgesch. 24 (1980) 7–33. – M. J. Suda: ‘N.d.N.ʼ bei Hegel und der Marxsche Atheismus, in: W. R. Beyer (Hg.): Die Logik des Wissens und das Problem der Erziehung. Nürnberger Hegel-Tage 1981 (1982) 173–182.