Possibilismus (von frz. possible, possibilité) ist ein im Anschluß an den französischen Historiker
L. Febvre eingeführter Ausdruck für eine Umweltlehre und Geographie des Menschen, die den von
F. Ratzel herrührenden Begriff eines «geographischen Determinismus» ersetzen bzw. korrigieren sollte
[1].
Febvre sprach nur von «possibilistes»; der Ausdruck ‹P.› kam erst später auf. Es liegt nahe anzunehmen, daß er mit der sozialpolitischen Bewegung der «Possibilistes» (1883–1890) zusammenhängt
[2]. Grundgedanke der neuen Doktrin war, daß die Natur dem Menschen keinen absoluten Zwang auferlegt, sondern nur «Möglichkeiten des Handelns [bietet], zwischen denen [er] jeweils seine Wahl trifft» bzw. treffen kann
[3]. Dabei hängt der Entscheid vom Willen der Person, «vom Zustand einer gegebenen Gesellschaft ..., von ihren kulturellen Vorstellungen und vom geschichtlichen Moment» ab
[4]. Als den Begründer des P. bezeichnete Febvre den damals führenden französischen Geographen
P. Vidal de la
Blache, der tatsächlich die Möglichkeiten gegenüber dem Naturzwang betonte, jedoch daraus keinerlei Theorie zu entwickeln versucht hatte. Die an sich «selbstverständliche» Tatsache «relativer» Entscheidungsfreiheit des Menschen, die indessen von keinem der kritisierten Forscher (F. Ratzel, E. Semple u.a.) ignoriert worden war, wurde in der Folge, wenn auch mit Modifikationen, akzeptiert
[5]. Sie bildet nunmehr die unbestrittene Grundlage der geographischen, soziologischen und historischen Umweltlehre. Doch bleibt zu sagen, daß die mit dem Wort ‹P.› postulierte Wahl- bzw. Entscheidungsfreiheit des Menschen eine Rahmenfreiheit darstellt (Atmung, Nahrungsmittelsuche, Tod usw. sind stringente Daseinsmomente). Von einem absoluten P. kann also keine Rede sein. Dies wird übrigens von den modernen Umweltforschern (bes. den Geographen) klar bewußt gemacht.