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Sozialismus

Sozialismus Marxismus Politische Theorie Schulen, Strömungen und Positionen Soziologie socialism 5616 10.24894/HWPh.5616Peter RubenBeate Brossmann RedaktionFriedhelm GuttandinChristine FreundRalf Konersmann
(engl. socialism; frz. socialisme; ital. socialismo; russ. socializm)
1. Die rechts- und sozialphilosophischen Anfänge der Begriffsbildung. – a) Das Wort ‹S.› ist, soweit bekannt, erstmals 1789 in italienischer Sprache («socialismo») von A. Buonafede zur Bezeichnung eines rechtsphilosophischen Konzepts verwendet worden, das zur Begründung des Naturrechts die Existenz eines persönlichen Gesellschaftsverlangens («appetitus societatis» bei H. Grotius) bzw. eines individuellen Triebs nach Geselligkeit («socialitas» bei S. Pufendorf) unterstellt [1]. Buonafede, der von den «contraddizioni de' socialismi» spricht [2], steht mit dieser Namensgebung in der orthodox-katholischen moralphilosophischen Kritik, speziell an der deutschen Naturrechtslehre. Sie ist 1753 von A. Desing eröffnet worden [3]. Er hat die «socialitas» im Sinne Pufendorfs als antikatholisches Grundprinzip für die Deduktion des Naturrechts angezeigt und erstmals von «socialistae» als jenen gesprochen, die dieses Prinzip in der Rechtsphilosophie verteidigen. 1764 verwendet G. F. Finetti denselben Namen in Italien [4], wo bereits 1765 F. Facchinei volkssprachlich von «socialisti» redet [5]. Mit Facchinei, wie Desing Benediktiner, hat Buonafede 1765 Kontakt gehabt [6], so daß man gegenwärtig feststellen kann: Der Begriff ist im Rahmen der katholischen Kritik der aufklärerischen Rechtsphilosophie von Grotius und Pufendorf wie ihrer Weiterbildung durch Ch. Wolff u.a. als Bestimmung einer Heterodoxie eingeführt worden. In dieser Kritik sind – gut eine Generation vor der Identifikation des rechtsphilosophischen S. – Sozialisten als «Doctores heterodoxi» verurteilt worden, als Vertreter jener Ansicht, in der die Konstituierung des natürlichen Rechts der Person aus der Verwirklichung ihrer Gesellschaftlichkeit, unabhängig von der Besonderheit ihrer Religion, erklärt wird.
In diesem Sinne hat 1790 G. Hufeland von «Socialisten» sachlich als von jenen gesprochen, die das Naturrecht auf Geselligkeit gründen [7]. Im Gebrauch dieses Namens folgten ihm 1792 J. Ch. G. Schaumann[8] und 1793 J. Ch. Hoffbauer[9]. Um 1800 wurde der Name in Deutschland häufig verwendet und dem «Socialism» Pufendorfs epochemachende Bedeutung zugeschrieben [10]. 1803 weiß G. W. F. Hegel von «Systemen, welche antisocialistisch heißen und das Seyn des Einzelnen als das Erste und Höchste setzen» [11], womit nun nicht mehr Ansätze im Sinne der moralphilosophischen Aufklärungskritik des orthodoxen Katholizismus gemeint sind, sondern Konzepte, welche die Sozialkritik J.-J. Rousseaus voraussetzen, also die «societas» als Grund betrachten, die Rückkehr zur Natur zu empfehlen. Im ähnlichen Sinne versteht der Franziskaner G. Giuliani 1803 die Forderung nach der Rückkehr in den menschlichen Naturzustand als Auffassung der «antisocialisti» und plädiert seinerseits dafür, einen mit der katholischen Soziallehre übereinstimmenden S. auszubilden [12]. Diese in Deutschland und Italien namhaft gemachte, auch in Frankreich bekannte rechtsphilosophische Vorstellung hieß ‹Socialismus›.
Soweit wir wissen, hatte diese Redeweise in England kein Pendant. Hier ist ‹S.› 1837 als Ersatz für ‹owenism› eingeführt worden, um die Verwendung des «personal name» für eine Partei zu vermeiden [13].
b) Die allmählich aus dem rechtsphilosophischen Diskussionszusammenhang heraustretende Verwendung des Begriffs ist zunächst auf das politische Wirken der Saint-Simonisten zurückzuführen. Wie andere «-ismus»-Bildungen jener Zeit ist auch der sozialphilosophische S.-Begriff in seinen Anfängen das Ergebnis einer Außenbeschreibung. 1832/33 verwenden X. Joncières und P. Leroux das Wort ‹S.› als Gegenbegriff zu ‹Individualismus›: «Nous ne voulons pas sacrifier la personnalité au socialisme, pas plus que ce dernier à la personnalité» [14]. Die individualistische Wirtschaftstheorie erscheint Leroux als Form überzogener Freizügigkeit und daher als ebenso unakzeptabel wie im Gegenzug das Vorhaben der Sozialisten, die Menschen in «régimens de savans et ... d'industriels» zu organisieren. Seine an gleicher Stelle vorgenommene Distanzierung von beiden Extremen («Nous ne sommes ... ni individualistes, ni socialistes») begründet er mit seinem Glauben an die Werte der Freiheit [15]. Seit Beginn der zwanziger Jahre wird überdies in England das Adjektiv ‹socialistic› für die Kennzeichnung der Lehre Owens, ab 1827 als Qualifizierung des Saint-Simonismus gebräuchlich. Allerdings verwenden Owen, Saint-Simon und Fourier die Begriffe ‹S.› und ‹sozialistisch› selbst nicht.
Die seit Ende des vorigen Jahrhunderts verbreitete Bezeichnung ‹utopische Sozialisten› wird diesen Theoretikern erst im nachhinein verliehen, als Parteigänger des sich dezidiert als ‘wissenschaftlichʼ begreifenden S. aus einer historisch vorangeschrittenen Position der begrifflichen Entwicklung heraus beginnen, sich selbst eine Geschichte und Vorgeschichte zuzuschreiben. Zunächst verbreitet sich unter den Schülern und Anhängern der sog. ‘Frühsozialistenʼ rasch ein gegenüber der Unterscheidung ‹utopisch›/‹wissenschaftlich› einstweilen noch indifferenter S.-Begriff. Rückblickend hat man die frühen Sozialisten in Frankreich auch als Vertreter eines «socialisme romantique» angesprochen, der, entstanden und entwickelt auf dem Höhepunkt der literarischen und künstlerischen Romantik, in dieser seine eigentümlichen Wurzeln habe [16].
Spätestens seit Mitte der dreißiger Jahre wird ‹S.› auch zur Selbstkennzeichnung und als Oberbegriff gebraucht, der es gestattet, geistesverwandte Gruppen voneinander abzusetzen. Die in dieser Entwicklung erkennbare Wende vom rechtsphilosophischen zum sozialtheoretischen Gebrauch des Begriffs wird 1836 von L. Reybaud auch explizit vollzogen, als er in der ‹Revue de deux Mondes› die Anhängerschaften von Owen, Fourier und Saint-Simon als «socialistes modernes» [17] vorstellt. Bei aller Differenziertheit im einzelnen sollte dieser Oberbegriff auf Gemeinsamkeiten in den sozialtheoretischen Vorstellungen der Gesellschaftskritik verweisen. Zu diesem Vorstellungskomplex gehören die Ablehnung der wirtschaftlichen Ausbeutung und der sozialen Ungleichheit, die Religionskritik, der Glaube an die Konvergenz von Wissen und Glück und das Vertrauen in die realgeschichtliche Möglichkeit, unter der Führung politischer oder intellektueller Eliten das Ideal einer Gemeinschaft verwirklichen zu können, in der die produktive Arbeit die zentrale Lebenstätigkeit des Menschen sein sollte. Praktisch umgesetzt, führen diese Vorstellungen zeitweilig zu Musterkolonien, wie die von Owen in den USA gegründete «New Harmony» sowie die von Fourier initiierten «Phalanstères» und Cabets «Icaria».
Im Gefolge dieser sozialen Experimente, ihrer theoretischen Begründung und Kommentierung treten erste Überschneidungen der Begriffe ‹S.› und ‹Kommunismus› (s.d.) auf. Die Bezeichnung ‹Kommunismus› beginnt sich um 1840 in Frankreich einzubürgern. V. Considérant nennt Cabets «Icaria» ausdrücklich eine Äußerungsform der sozialistischen Strömungen seiner Zeit und spricht vom «communisme icarien de Cabet» [18]. Fourier gilt ihm als Entdecker des «wissenschaftlichen S.» [19]. Eine andere Sprachregelung soll J. Lechevalier getroffen haben, als er 1849 vor Gericht stand. Kommunismus sei das logische und notwendige Ziel des S. [20]. Die einigermaßen willkürliche Verwendung, welche die beiden Begriffe in diesen Jahren erfuhren, läßt sich auch in der Folgezeit beobachten. Ihre eindeutige Unterscheidung ergibt sich erst aus dem Bemühen, sie als theoretische Begriffe einzuführen. Diesen Versuch unternimmt 1842 L. Stein, dessen Buch ‹S. und Communismus des heutigen Frankreichs› (1842) die Debatte und das Verständnis der Begriffe vor allem in Deutschland für Jahrzehnte prägen sollte. Erstmals bezeichnet Stein den S. als Wissenschaft: S. sei die «Wissenschaft der Gesellschaft» [21], die das «wirkliche Ganze zu einem Ganzen in der Anschauung» erheben [22] solle und auf diese Weise die systematische, philosophisch begründete Umgestaltung der gesamten Gesellschaft gestatte [23]. Der S. als Wissenschaft solle demzufolge lehren, «was das Proletariat ist, was es will und was es sein wird» [24]. Während der S. positiv sei, da er die Bildung einer neuen Gesellschaft anstrebe, sei der Kommunismus negativ, da er die bestehende Gesellschaft bloß umstürzen wolle [25]. Indem Stein den S.-Begriff auf diese Weise positiv besetzt und Befürchtungen wie Bedenklichkeiten auf den «Kommunismus» konzentriert, verschafft er dem S. nachhaltig Geltung und Anerkennung im deutschen Sprachraum.
Die nachfolgende Begriffsgeschichte operiert auch zunächst mit diesem Theorieangebot. Steins Motiv der Traditionsdifferenzen zwischen Deutschen und Franzosen aufgreifend, grenzen sich die von ihren Theoriekonkurrenten seit K. Marx so bezeichneten «wahren Sozialisten» M. Hess und K. Grün vom französischen S. ab. Im Unterschied zu den Franzosen, die durch Praxis und Philanthropie zum S. gefunden hätten, seien die Deutschen über die Philosophie zu ihm gelangt, so daß auch nur hier der Anspruch der Wissenschaftlichkeit verwirklicht werden könne. Hess behauptet geradezu, daß «die französischen Socialisten und Communisten, ... das Wesen des S. theoretisch keineswegs erkannt» [26] hätten. Vor dem Hintergrundder Forderung, daß der S. «nicht nur höchste Religion», sondern «auch die höchste Wissenschaft» sein müsse, nennt er die Ideen der französischen Sozialisten «unwissenschaftlich» [27]. Ähnliche Überlegungen finden sich bei Grün. Unter dem deutschen S. versteht dieser «die Wissenschaft der besten Gesellschaft, die Kunst, den Einzelnen zur vollen Entfaltung seiner Kräfte ... kommen zu lassen und ... die Gesellschaft so zu organisieren, daß das allgemeine Beste grade aus dem Besten jedes Einzelnen resultire» [28]. Die «wahren Sozialisten» vertrauen so sehr auf die Wissenschaftlichkeit ihres Begriffs, daß zumindest Hess die Ableitung der sozialistischen und kommunistischen Ideen aus der Klassenlage des Proletariats, wie Stein sie vorgenommen hatte, zurückweist. Seine zwischen 1841 und 1844 unter dem Einfluß Feuerbachs und der Junghegelianer entwickelten Ansichten über den «philosophischen» bzw. «wahren S.» basieren auf einer metaphysischen Wesensbestimmung des Menschen, in der auch die Ideale der Französischen Revolution aufgegriffen werden. Subjektive Freiheit und objektive Gleichheit sollen auf der Ebene der Gattung verwirklicht werden; die sozialistische Gesellschaft soll ein durch Erziehung und Bildung gehobenes Gemeinwesen der Harmonie, der Liebe und Versöhnung sein [29]. Hess wirbt für eine auf wissenschaftlichen Prinzipien basierende Verteilung der Arbeitsprodukte [30]. Mit Stein stimmt Grün insofern überein, als beide im Proletariat das Subjekt des gesellschaftlichen Wandels erblicken. Anders als Stein argumentiert er jedoch nicht verelendungstheoretisch, sondern metaphysisch: Der S. sei die Errungenschaft eines Proletariats, das zur Selbstbestimmung strebe. Voraussetzung des Erfolgs sei, daß das Privateigentum in gesellschaftlichen Besitz verwandelt werde. Im Unterschied zu Hess glaubt Grün nicht daran, dieses Ziel mit Reformen durchsetzen zu können. Er instrumentalisiert «den letzten Kampf ... zwischen Arm und Reich» für die Bildung der ‘absoluten Persönlichkeitʼ [31] und kommt damit den anarchistischen S.-Auffassungen nahe, die von P.-J. Proudhon und M. Stirner vertreten werden [32].
Für J. Donoso Cortés, der den S. vom Standpunkt des Katholizismus aus angreift, ist der Hauptgegner Proudhon [33]. Aus der Auseinandersetzung mit ihm ergibt sich der Vorwurf an den S., er strebe die Zerstörung der politischen, sozialen und religiösen Institutionen [34] und die Ausdehnung der individuellen Freiheit auf Kosten der Staatsmacht an [35]. Denn für die Sozialisten liege – wie für die Liberalen auch – das Böse nicht im Menschen, sondern in der Gesellschaft, die darum umgestürzt werden müsse [36]. Anders als der in sich heillos widersprüchliche Liberalismus vermag der S. diese Aufgabe in einer ungleich kühneren, «theologischeren» Weise anzugehen, die ihm, gäbe es nicht noch den Katholizismus, den welthistorischen Sieg über den Liberalismus zusichern würde [37]. «Der S. ist stark, weil er eine Theologie ist, und er ist zerstörerisch, weil er eine satanische Theologie ist» («El socialismo no es fuerte sino porque es una teología satánica») [38]. Da er ohne Dogma, Tradition und Kirche auszukommen meint, verwickelt sich der S. letztlich ebenfalls in Widersprüche und bleibt ein bloßer «Semi-Katholizismus» [39].
Etwa zur gleichen Zeit beginnt in Deutschland eine Diskussion, die aufgrundihrer am Proletariat orientierten S.-Vorstellungen immer wieder auf besonderes Interesse stößt, weil sie weniger von Intellektuellen als von Arbeitern getragen und geprägt wird. Beachtung erlangt sie weniger durch herausragendes theoretisches Niveau als durch die außergewöhnliche Identität von erkanntem historischem Subjekt und Theoretiker. W. Weitling wendet seinerseits eine konsequente Unterscheidung von ‹S.› und ‹Kommunismus› an und ändert die Wertung der Begriffe erneut: Als Sozialisten gelten ihm insbesondere die Fourieristen, in deren geplanter Wirtschaftsordnung das Privateigentum nicht unbedingt beseitigt werden soll [40]. Weitling selbst bekennt sich zum «radicalen S. oder Kommunismus» [41], weil er den Kommunismus als diejenige Lehre ansieht, die über eine soziale Revolution die grundlegende Überwindung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung anstrebe [42]. In den sechziger Jahren nimmt J. Dietzgen den Faden proletarischer Theoriebildung in Deutschland auf. Er bemüht sich um den Nachweis der Wissenschaftlichkeit des S.: «Der Unterschied zwischen den heutigen und vormaligen sozialistischen und kommunistischen Lehren ist der: Vormals war das Gefühl über die ungerechte Vertheilung der Güter das Fundament des S., während ihm heute die Erkenntnis der geschichtlichen Bewegung als Unterlage dient. ... Der moderne S. ist wissenschaftlich» [43]. Will sich das Proletariat wirklich aus eigener Kraft emanzipieren und nicht vertreten lassen, muß es nach Dietzgen mit der Wissenschaft kooperieren [44].
Peter Ruben
Beate Brossmann
[1]
Vgl. Art. ‹Sozial; das Soziale›.
[2]
A. Buonafede: Della istoria e della indole di ogni filosofia e della restaurazione di ogni filos. nei secoli XVI, XVII e XVIII 3 (Venedig 1789, Mailand 1838) 4, 558 (zit). 449. 498; vgl. F. Venturi: Contrib. ad un dizionario storico. ‘Socialistaʼ e ‘socialismoʼ nell'Italia del settecento. Riv. storica italiana N.S. 17 (1963) 129–140, 138.
[3]
A. Desing: Juris naturae larva detracta compluribus libris sub titulo Juris naturae prodeuntibus. Ut Puffendorffianis, Heineccianis, Wolffianis etc. (1753).
[4]
G. F. Finetti: De principiis juris naturae, et gentium adversus Hobbesinum, Pufendorfium, Thomasium, Wolfium, et alios lib. 12, t. 2 (Venedig 1764) 46; vgl. H. Müller: Ursprung und Gesch. des Wortes Sozialismus und seiner Verwandten (1967) 35.
[5]
F. Facchinei: Note ed osservazioni sul libro intitulato ..., in: C. Beccaria: Dei delitti e delle pene [Livorno 1764] (Florenz 1821) 4, 13; vgl. Venturi, a.O. [2] 129ff.
[6]
Venturi, a.O. 132.
[7]
G. Hufeland: Lehrsätze des Naturrechts und der damit verbundenen Wiss.en (1790) 16.
[8]
J. Ch. G. Schaumann: Wissenschaftl. Naturrecht (1792) 49.
[9]
J. Ch. Hoffbauer: Naturrecht aus dem Begriffe des Rechts entwickelt (1793) 329.
[10]
A. Thomas: Lehrb. der natürl. Rechtswiss. (1803) 14.
[11]
G. W. F. Hegel: Ueber die wissenschaftl. Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stellung in der prakt. Philos., und sein Verhältniß zu den posit. Rechtswiss.en (1802). Akad.-A. 4 (1968) 431.
[12]
G. Giuliani: L'antisocialismo confutato. Op. filos. (Vicenza 1803); vgl. Venturi, a.O. [2] 37f.
[13]
Anon.: Our name. New moral World 125 (8. März 1837) (Leitartikel).
[14]
X. Joncières: Rez. V. Hugo, Les feuilles d'automne, Le globe. J. Religion Saint-Simonienne (13. 2. 1832) 176.
[15]
P. Leroux: Cours d'économie polit. Rev. encyclopédique 60 (1833) 94–117, zit. 109f.; vgl. W. Schieder: Art. ‹S.›, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hg.): Geschichtl. Grundbegr. 5 (1984) 923–996, hier: 943.
[16]
S. Alexandrian: Le socialisme romant. (Paris 1973) 7ff.; andere Auffassung des romant. S. bei: S. Rubinstein: Romant. S. (1921).
[17]
L. Reybaud: Les socialistes modernes. Rev. des deux mondes, 4e sér., t. 7 (1836) 288–341.
[18]
V. Considérant: Le socialisme devant le vieux monde ou le vivant devant les morts (Paris 31849) 33.
[19]
a.O. 214.
[20]
Vgl. S. J. Tchernoff: Associations et sociétés sous la deuxième République 1848–1851 (Paris 1905) 231.
[21]
L. von Stein: Der Soc. und Communismus des heutigen Frankr. (1842) VII.
[22]
a.O. V.
[23]
Vgl. W. Schieder: S. – kaum mehr als ein Wort. Merkur 45 (1991) 546–551, 547.
[24]
Vgl. Stein, a.O. [21] (1842) 13.
[25]
a.O. 131.
[26]
M. Hess: Ueber die Not in unserer Gesellschaft und deren Abhülfe (1845). Philos. und Sozialist. Schr. 1837–1850, hg. A. Cornu/W. Mönke (1961) 323.
[27]
M. Hess: Über die sozialist. Bewegung in Dtschl. (1844), a.O. 300.
[28]
K. Grün: Politik und S. Rheinische Jbücher 1 (1845) 98–144, 138.
[29]
Vgl. A. Cornu/W. Mönke: Vorwort, in: Hess, a.O. [26] XXIV–XXVI.
[30]
Hess: Kommunistisches Bekenntniß in Fragen und Antworten (1846), a.O. [26] 364.
[31]
K. Grün: Die sociale Bewegung in Frankreich und Belgien (1845) 81.
[32]
Vgl. unten 3.
[33]
J. Donoso Cortés: Ensayo sobre el catolicismo, el liberalismo y el socialismo (1851). Obras compl. 2, hg. J. Juretschke (Madrid 1946): Ens. 2, 9. 10, a.O. 452–458. 463–467; Ens. 3, 4, a.O. 503–508. passim; dtsch.: Essay über den Katholizismus, den Liberalismus und den S. und andere Schr., hg. G. Maschke (1989): Ess. 2, 9. 10, a.O. 119–124. 130–133; Ess. 3, 4, a.O. 174–179. passim; vgl. dazu: C. Schmitt: Der unbekannte Donoso Cortés (1929), in: Donoso Cortés in gesamteurop. Interpret. Vier Aufsätze (1950) 74f.
[34]
Ens. 2, 10, a.O. 461; dtsch.: a.O. 128.
[35]
Carta al ... cardenal Fornari ... (1852), a.O. 622; dtsch.: Schreiben an ... Kardinal Fornari ... (1852), a.O. 308.
[36]
Ens. 2, 10, a.O. 458. 463; dtsch.: a.O. 125. 130; vgl. C. Schmitt: Polit. Theol. 1 (1922, 31979) 72f.
[37]
Vgl. Ens. 2, 8, a.O. 446; 2, 9, a.O. 449; 2, 10, a.O. 468; 3, 4, a.O. 496; dtsch.: a.O. 112f. 116. 135. 167.
[38]
Ens. 2, 8, a.O. 446; dtsch.: a.O. 112; Maschkes Übers. gibt hier das Orginal nicht genau wieder, bringt aber Donosos Intentionen auf den Punkt.
[39]
Ens. 3, 5, a.O. 514; dtsch.: a.O. 186; vgl. Ens. 2, 10, a.O. 486; dtsch.: a.O. 135.
[40]
W. Weitling: Garantien der Harmonie und Freiheit (1842, ND 1955) 244.
[41]
Atheismus und Socialismus. Republik der Arbeiter (New York 1851, ND 1979) 43.
[42]
L. Knatz: Utopie und Wiss. im frühen dtsch. S. (1984) 44; vgl. Art. ‹Kommunismus›. Hist. Wb. Philos. 4 (1976) 899–908.
[43]
J. Dietzgen: Der wiss. S. Der Volksstaat, H. 25 (26. 3. 1873).
[44]
Vgl. Knatz, a.O. [42] 174.
2.Der S.-Begriff bei Marx und Engels. – Wie L. Stein entstammen auch K. Marx und F. Engels dem philosophischen Umfeld des Hegelianismus. Während jedoch Stein mit den sog. ‘Rechtshegelianernʼ sympathisiert, bilden Marx und Engels zusammen mit A. Rüge, B. und E. Bauer, D. F. Strauss, L. Feuerbach – mit Einschränkung auch M. Stirner und M. Hess – den Kreis der ‘Links-ʼ bzw. ‘Junghegelianerʼ. Diese etwa zwischen 1835 und 1843 bestehende Gruppe verbindet Programmideen der politischen Aufklärung in Deutschland und Frankreich mit der Philosophie des Spätidealismus [1]. Dabei wendet sie das kritische Potential der Hegelschen Dialektik gegen die Religion [2] und darüber hinaus gegen die sozialen und kulturellen Zustände ihrer Zeit. Mit ihrer nachdrücklichen Anspruchserweiterung über die akademische Sphäre hinaus können die Junghegelianer von den späteren Gründern des «wissenschaftlichen S.» als Vorläufer anerkannt werden, zumal Marx und Engels mit den Mitgliedern des Kreises zeitweise engen Kontakt pflegen. So verwundert es nicht, daß Hess für Engels der «in der Tat erste Kommunist» in der – zunächst noch metaphorisch verstandenen – «Partei» [3] der Junghegelianer ist. Seinen eigenen Standpunkt qualifiziert Engels 1842/43 als «philosophischen Kommunismus» [4]. Wie die Junghegelianer hält er die Intellektuellen für das ausgezeichnete politische Subjekt und den sozialen Träger der geforderten gesellschaftlichen Veränderung. Erst Mitte 1843 rückt die Arbeiterklasse in diese Position. Als «kommunistisch» gelten Engels nun die französischen Sozialutopien, bes. diejenigen G. Babeufs und E. Cabets. Engels knüpft damit an das durch W. Weitling und den ‹Bund der Gerechten› geprägte Verständnis des Kommunismus als einer Bewegung an, die auf revolutionärem Weg einen radikalen Wandel des Bestehenden herbeiführen will. Davon unterscheidet er die zu dieser Zeit in England kursierenden Soziallehren, die er «sozialistisch» nennt und an denen er den sozialen und evolutionären Charakter hervorhebt [5].
Auch bei Marx dient das eben aufgekommene Begriffspaar ‹Sozialismus›/‹Kommunismus› in erster Linie zur Spezifikation der verschiedenen linksintellektuellen Gruppierungen. Gleichfalls 1843 charakterisiert er den «wirklich existierenden Kommunismus» Dezamys, Cabets und Weitlings in junghegelianisch gefärbter Diktion als «dogmatische Abstraktion», als «einseitige Verwirklichung des sozialistischen Prinzips», wie es in den Lehren von Proudhon und Fourier formuliert sei [6]. Jedoch bei dieser Sprachregelung sollte es nicht bleiben. Bereits ein Jahr später versieht Marx den Kommunismus-Begriff mit eindeutig positiven Vorzeichen, wenn er ihn als «die nothwendige Gestalt und das energische Prinzip der nächsten Zukunft», das mit der Aufhebung des Privateigentums einsetzen werde, klassifiziert [7]. Unter der Hand wird aus dem bald als Bezeichnung für eine ideelle Partei, bald als Programmtitel verwendeten Schlagwort ‹Kommunismus› ein geschichtsphilosophischer Begriff, der – in ein Stufenmodell eingesetzt – ein defizitäres Entwicklungsstadium der Gesellschaft beschreibt, das laut Marx einstweilen die «Negation der Persönlichkeit des Menschen» [8] dulde. Davon zu unterscheiden sei der S. Das «Ziel der menschlichen Entwicklung – die Gestalt der menschlichen Gesellschaft» verwirklicht sich für Marx zu dieser Zeit erst im S. aus einem positiven, «nicht mehr durch die Aufhebung der Religion vermittelten Selbstbewußtsein» [9]. Der somit gleichfalls geschichtsphilosophisch hergeleitete S. typisiert hier einen Gesellschaftszustand, in dem der Mensch «sich sein allseitiges Wesen auf allseitige Art» aneignet [10], mithin die höchstentwickelte Form des Kommunismus [11]. Parallel dazu formuliert Engels das Modell einer materiellen sozialhistorischen Entwicklung, das die bewußtseinstheoretischen Begründungen des S., die später von Marx systematisch ausgebaut werden, um ökonomische Komponenten ergänzen soll. Damit gilt die soziale Evolution als objektiviert. Kommunismus und S. können von da an als die notwendigen und aktuellen Folgen der unvergleichlichen wirtschaftlichen Prosperität des Jahrhunderts, bes. der industriellen Revolution, erscheinen [12].
Seit 1845 bezeichnen Marx und Engels sich selbst als «Kommunisten» und gehen damit zu den deutschen Junghegelianern auf Distanz. Die vormaligen Gesinnungsgenossen sehen sich nun als Metaphysiker, als «heilige Familie» [13] und «wahre Sozialisten» verspottet. In der Rückschau lassen diese Polemiken erste Spuren der späteren Terminologisierung des «wissenschaftlichen S.» erkennen. In ihren in der Folge entstehenden Gemeinschaftswerken [14] kritisieren Marx und Engels den «spekulativen Idealismus» [15] der Junghegelianer und damit deren Erwartung, gesellschaftliche Veränderungen ließen sich durch geistige Eliten herbeiführen. Demgegenüber berufen sie sich auf die englischen und französischen Sozialtheorien und die materialistische Philosophie des 18. Jh., um die Objektivität sozialer Prozesse zu legitimieren. Diese durch die Abkehr von idealistischen und anthropologischen Prämissen eingeleitete Umstellung erfordert die Neufassung des S.-Begriffs. Zunächst kommt es sogar zu einer Abwertung. So stellt sich der S. zwischenzeitlich als eine Bewegung bürgerlicher Kreise dar, die «auf dem Kontinent wenigstens, ‘salonfähigʼ» geworden sei, wohingegen «derjenige Teil der Arbeiterklasse, der sich von der Unzulänglichkeit bloßer politischer Umwälzungen überzeugt» habe und die Notwendigkeit «einer totalen Umgestaltung der Gesellschaft» begreife, seinem eigenen Anspruch folgend als «kommunistisch» zu bezeichnen sei [16]. Das Proletariat erscheint in der Folge endgültig als revolutionäres Subjekt des geschichtlichen Prozesses.
1848 setzen sich Marx und Engels von den zeitgenössischen sozialkritischen Richtungen ab und bedienen sich auch dabei des Begriffs ‹S.›. Die «eigentlich sozialistischen und kommunistischen Systeme ... St. Simons, Fouriers, Owens usw.» erhalten das Attribut «kritischutopisch». Sie hätten zwar, so heißt es nun, die Grundlagen der bestehenden Gesellschaft angegriffen und «zur Aufklärung der Arbeiter höchst wertvolles Material» geliefert, seien aber in der Praxis nicht über die Propagierung ihrer Gesellschaftspläne und über Appelle an die herrschende Klasse hinausgekommen [17]. Demgemäß läßt sich Proudhon als Vertreter des «konservativen oder Bourgeoiss.» einordnen [18], J. C. L. Sismondi als Vertreter des «kleinbürgerlichen S.», K. Grün als Vertreter des «deutschen oder ‘wahrenʼ S.» [19]. Mit derlei Epitheta können rivalisierende Auffassungen wirkungsvoll bekämpft werden. Die Disqualifizierung des sich selbst so nennenden – oder in distanzierender Absicht von anderen so etikettierten – «sozialistischen» Gedankenguts sollte in den marxistischen Theorien der Folgezeit kaum jemals eine Revision und Relativierung erfahren.
Laut Engels ist es ihm und auch Marx unmöglich gewesen, sich mit dem Begriff ‹Sozialdemokratie› zu identifizieren, da dieser vage sei und vorwiegend von Leuten gebraucht werde, die lediglich unbestimmte Sympathien für die Arbeiterklasse hegten [20]. Im Unterschied dazu präzisiert Engels, der um die Popularisierung seiner und Marx' Theorie bemüht ist, die Vorstellungen von der angestrebten Gesellschaftsordnung dahingehend, daß die Verhältnisse des Privateigentums und der Konkurrenz künftig durch eine Assoziation zu ersetzen seien, die alle Produktionszweige «nach gemeinschaftlichem Plan und unter Beteiligung aller Mitglieder der Gesellschaft» betreiben werde [21]. Religion und Staat – damit greift Engels einen schon im sog. ‹Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus› vorgetragenen Gedanken auf [22] – stürben ab [23]. Hatte Marx noch 1845 davon gesprochen, daß eine sozialistische Gesellschaft die Arbeitsteilung aufheben müsse, um jedermann das ihm Entsprechende nach Gutdünken zu überlassen [24], so revidiert er diese Ansicht gegen Ende seines Lebens. Die «Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion» bleibe stets das «Reich der Notwendigkeit»; erst jenseits dessen beginne das «wahre Reich der Freiheit», «die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt». Die Verkürzung des Arbeitstages sei hierfür die Grundbedingung [25]. Seit Anfang der fünfziger Jahre nimmt Marx die Phrase von der «Dictatur des Proletariats» in seine Analysen auf und bezeichnet damit einen politischen Entwicklungsschritt, in dem sich der Übergang von der kapitalistischen zu einer höheren Gesellschaftsform, nämlich zum S., vollziehe [26]. Das linksoppositionelle, philosophische und sozialtheoretische Gedankengut der vorangegangenen Jahrzehnte integrierend, prägt schließlich Engels die begriffsgeschichtlich besonders wirkungsvolle Formel vom «deutschen wissenschaftlichen S.» [27]. Die Formulierung hat unmißverständlich polemischen Charakter. Sie richtet sich gegen utopische und idealistische S.-Auffassungen, soll aber auch Vereinnahmungsversuche oder Verzeichnungen des politischen Gegners abwehren helfen. So weist Engels sowohl Äußerungen O. von Bismarcks zurück, der jedwede Art von Verstaatlichung «sozialistisch» nennt [28], als auch – zur anderen Seite hin – jene Zweifel am wissenschaftlichen Charakter des von Marx und ihm selbst entwickelten Programms, wie sie E. Dühring vorträgt. Im Streit der Theorien erlaubt der eigene Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, konkurrierende Auffassungen als unzulänglich zu diskreditieren [29]. Die damit eingeleitete Orthodoxiebildung innerhalb des «Marxismus» [30] wird von den führenden Sozialdemokraten zunächst unwidersprochen hingenommen [31].
[1]
Vgl. H./I. Pepperle (Hg.): Die Hegelsche Linke (1985) 5f. (Einl.); vgl. auch: W. Essbach: Die Junghegelianer. Soziol. einer Intellektuellengruppe (1988); vgl. Art. ‹Junghegelianismus›. Hist. Wb. Philos. 4 (1976) 658–660.
[2]
Vgl. Art. ‹Religionskritik›. Hist. Wb. Philos. 8 (1992) 734–746.
[3]
Vgl. M. Kliem (Hg.): F. Engels. Dok. seines Lebens (1977) 108.
[4]
a.O.
[5]
Vgl. F. Engels: Progress of social reform on the continent (1843). MEGA2 I/3 (1985) 495–510; vgl. Art. ‹Kommunismus›. Hist. Wb. Philos. 4 (1976) 899–908.
[6]
K. Marx: Br. an A. Ruge (Sept. 1843). MEGA2 I/2 (1982) 486–489, hier: 487.
[7]
Ökon.-Philos. Manuskripte [1844] (1932), a.O. 187–438, hier: 399.
[8]
a.O. 387.
[9]
398.
[10]
392.
[11]
Vgl. 387–392.
[12]
Vgl. Art. ‹Revolution, industrielle›. Hist. Wb. Philos. 8 (1992) 978–988.
[13]
Vgl. K. Marx/F. Engels: Die hl. Familie, oder Kritik der krit. Kritik [1844] (1845).
[14]
a.O.; Die dtsch. Ideologie [1845/46] (1932).
[15]
Die hl. Fam., a.O. [13]. MEW 2, 7.
[16]
Die dtsch. Ideol., a.O. [14]. MEW 3, 580.
[17]
Vgl. Manifest der Komm. Partei (London 1848). MEW 4, 489ff.
[18]
a.O. 488.
[19]
484f.
[20]
Vgl. F. Engels: Internationales aus dem ‘Volksstaatʼ (1871–1875), Vorw. vom 3. 1. 1894 (1894) 6f. MEW 22 (1963) 416–418, hier: 417.
[21]
Grundsätze des Kommunismus (1847). MEW 4, 364.
[22]
Nachweise: E. Vollrath: Die Kultur des Politischen. Konzepte polit. Wahrnehmung in Dtschl., in: V. Gerhardt (Hg.): Der Begriff der Politik. Beding, und Gründe polit. Handelns (1990) 280.
[23]
F. Engels: Herrn E. Dührings Umwälzung der Wiss. (Anti-Dühring) (1877/78, 31894). MEGA2 I/27 (1988) 444f.
[24]
Vgl. Marx/Engels: Die dtsch. Ideol., a.O. [14]. MEW 3, 33.
[25]
Vgl. K. Marx: Das Kapital (London 1867ff.). MEW 25, 828.
[26]
Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848–1850 (1859). MEGA2 I/10 (1977) 119–196, bes. 192.
[27]
F. Engels: Erg. der Vorbem. von 1870 zu ‘Der deutsche Bauernkriegʼ (London 1874). MEGA2 I/24 (1984) 379–384, hier: 383f.
[28]
Vgl. unten 5. a).
[29]
Vgl. Engels, a.O. [23] 443; K. Marx an F. A. Sorge (1877). MEW 34 (1966) 302f.
[30]
Vgl. Art. ‹Marxismus›. Hist. Wb. Philos. 5 (1980) 758–790.
[31]
Vgl. unten 5. b).
3. Der anarchistische S.-Begriff. – In den siebziger Jahren des 19. Jh. tritt der Privatgelehrte E. Dühring als Kritiker des von Marx und Engels vertretenen S.-Konzepts auf. Er mahnt eine «kurze und bündige Formulierung des internationalen S.» an und zielt damit auf ein bestimmtes Programm, das den «neuen Eigentumszuständen» auf wissenschaftlichem Niveau gerecht werden soll [1]. Die «rohen Schlagwörter des Mangels» hingegen, «nämlich Aufhebung des Privateigentums und des Erbrechtes», weist er energisch zurück [2]. Damit nimmt Dühring in Anspruch, seinerseits das Programm eines wissenschaftlichen S. vorzulegen. In den Mittelpunkt dieses «sozialitären Systems» stellt er die Vorstellung einer Aufhebung der Lohnabhängigkeit und ihre Ersetzung durch eine Organisation der Selbstwirtschaft. Der auf diese Weise unabhängig gewordene Arbeiter soll an der Produktionsleitung partizipieren und über den Ertrag seiner Arbeit uneingeschränkt verfügen können. In dieser Form der Emanzipation besteht für Dühring das Grundanliegen eines jeden S. Er hält auch Marx' Ablehnung des Privateigentums für veraltet und wirft ihm ein ökonomisch-deterministisches Politikverständnis vor [3]. Überdies finde die individuelle Freiheit nicht die ihr gebührende Anerkennung [4]. Damit nähert sich Dühring der Soziallehre Proudhons, der eine weitestmögliche Beschränkung der Staatsgewalt, Dezentralisierung sowie die umfassende Selbstverwaltung der Gemeinden und aller natürlichen Interessengruppen anstrebte. Dührings faktischer Einfluß bleibt gleichwohl gering. F. Engels gelingt es 1880 mit seiner programmatischen Schrift über ‹Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft›, den Begriff des «wissenschaftlichen S.» zum marxistischen Systembegriff zu erheben und ihn in diesem Sinne in der deutschen Arbeiterbewegung und deren politischer Philosophie langfristig durchzusetzen [5].
In der zweiten Hälfte des 19. Jh. verwenden einige Anarchisten die Termini ‹S.› und ‹Kommunismus› vorwiegend kritisch und distanziert, andere bekennen sich explizit zum S. So fordern P. J. Proudhon und M. Stirner eine konsequente Behandlung der Staats- und Eigentumsfrage. Statt bei einer noch so radikalen Änderung des Rechtssystems stehenzubleiben, wie sie es den zeitgenössischen Anhängern des S. unterstellen, soll nach Proudhon und Stirner mit dem Staat auch die Rechtsordnung abgeschafft, das Privateigentum jedoch erhalten bleiben: «... tandis que la communauté reste le rêve de la plupart des socialistes, l'anarchie est l'idéal de l'école économique, qui tend hautement à supprimer tout établissement gouvernemental et à constituer la société sur les seuls bases de la propriété et du travail libre» [6]. Stirner ergänzt, er und der Staat seien «Feinde. Mir, dem Egoisten, liegt das Wohl dieser ‘menschlichen Gesellschaftʼ nicht am Herzen ... Ich vernichte sie und bilde an ihrer Stelle den Verein von Egoisten» [7].
Die gleichzeitig aufkommende Idee des «Staats-S.», wie sie auch von F. Lassalle und I. K. Rodbertus vertreten wird [8], weisen die Anarchisten zurück. Dreh- und Angelpunkt der teilweise erbittert geführten Auseinandersetzung ist hier wie in der Folgezeit die Frage der individuellen Freiheit. Die sich zum S. bekennenden Anarchisten, die 1868 zu der von M. Bakunin gegründeten ‹Internationalen Allianz der sozialistischen Demokratie› zusammenfinden, scheiden nach kurzzeitiger Mitgliedschaft aus der von Marxisten dominierten ‹Internationalen Arbeiterassociation› aus. Dem, wie sie kritisieren, «autoritären Kommunismus» setzen sie programmatisch einen «freiheitlichen S.» oder, wie die Formel auch lautet, einen «kommunistischen Anarchismus» [9] entgegen. Die Organisation eines republikanischen S. soll mit der Überwindung jedweder Autorität beginnen und einem freien Menschen, der von keinerlei Gewalt oder illegitimer Macht eingeschränkt würde, alle erdenklichen Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Eine staatliche Zentralgewalt soll, diesem utopischen Entwurf zufolge, entbehrlich sein, da die «absolut autonomen Gemeinden» [10] sich selbst verwalten würden und die Produktionsmittel sich im Besitz kleiner Gruppen befänden [11]. Die von den kollektivistisch gesonnenen Sozialisten angestrebte «Diktatur des Proletariats» weist Bakunin als «Knechtschaft der Massen» [12] zurück. Es sei dies ein «System revolutionärer Autoritäten, der aufgezwungenen und von oben geleiteten Freiheit – das heißt: es ist eine schreiende Lüge» [13]. Zudem, so argumentiert die anarchistische Kritik, begünstige Marx' Konzept unweigerlich die Bildung von Nationalstaaten und untergrabe die internationalistischen Ideen des S. Der «föderative S.» hingegen werde in der revolutionären Situation auf die Regierungsbildung verzichten und die Eigentumsfrage so rasch und endgültig klären, daß die «Ordnung in der Gesellschaft» sich als «Resultante der größtmöglichen Entwicklung aller lokalen, kollektiven und individualen Freiheiten» ergeben werde, wie Bakunin erläutert [14].
Der französische, theoretisch auf den Anarchismus zurückgehende revolutionäre Syndikalismus versteht sich vorrangig als Gegenbewegung zum parteiförmig organisierten Reformismus und wendet sich mit seinen politischen Appellen direkt an die Arbeiterschaft. Er sucht in den Gewerkschaften Fuß zu fassen, um auf diese Weise die Betriebe langfristig in Produktionsverbänden zu assoziieren. Der schillernde Theoretiker und Kopf des Syndikalismus, G. Sorel, versteht unter ‹S.› die «théorie du syndicalisme révolutionnaire» und die «philosophie de l'histoire moderne en tant que celle-ci est sous influence de ce syndicalisme» [15]. Ausgehend von einer auch durch parlamentarische Politik nicht zu mildernden Feindschaft zwischen den Klassen, fordert Sorel das Proletariat auf, sich unmittelbar und ausschließlich auf eigene Einrichtungen zu stützen, um nach der durch den Generalstreik vorbereiteten Revolution zur Selbstregierung zu kommen [16].
Diese Sichtweise wirkt über die Jahrhundertwende hinaus. G. Landauer nimmt die anarchistische Kritik sowohl an der staatlich verfaßten Gesellschaft als auch an der von marxistischer Seite propagierten sozialen Alternative auf und bereichert die Debatte um eine zivilisationskritische Dimension. Die kapitalistische Entwicklung, welche die Marxisten in ein historisches Stufenmodell integriert und damit ihrem Verständnis nach legitimiert hatten, empfindet er weder als notwendige noch als vernünftige Etappe der Menschheitsgeschichte, vielmehr als unheilvoll. In der Arbeiterschaft vermag er kein Subjekt gesellschaftlichen Fortschritts zu erkennen. «Wahrer S. ist der Gegensatz zu Staat und kapitalistischer Wirtschaft. S. kann nur erwachsen aus dem Geist der Freiheit und freiwilligen Einigung, kann nur erstehen in den Individuen und ihren Gemeinden» [17]. Landauer sieht im S. eher einen Prozeß als eine stabile Ordnung oder Theorie der sozialen Welt. «S. ist der Aufbau einer neuen Gesellschaft» [18]. Die Konvergenz von S. und Anarchie vor Augen, wirbt er für ein «erträgliches, nicht nur ein genußreiches, sondern ein kulturerfülltes Leben» [19]. Kurzzeitig scheint der in solchen Vorstößen angedeutete «libertäre S.» [20] Wirklichkeit werden zu können, als K. Eisner Ende 1918 für zwei Monate das Amt des Ministerpräsidenten der provisorischen Regierung des Freistaats Bayern übernimmt. Der politischen Praxis der Bolschewisten hält Eisner einen «S. als Aktion» [21] entgegen und engagiert sich für die Beibehaltung des Parlamentarismus und eine planvolle Umwandlung der Wirtschaft. Dieses Verständnis von S. als Aufgabe, Bewegung und Tätigkeit teilt Eisner, der Anfang 1919 bei einem Attentat getötet wird, mit anderen führenden Theoretikern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), etwa mit R. Luxemburg[22].
[1]
Vgl. E. Dühring: Krit. Gesch. der Nationalökonomie und des S. (1871, 21875) 570.
[2]
a.O.
[3]
493f.
[4]
Vgl. H. Köppe: Das «sozialitäre System» E. Dührings. Arch. Gesch. S. Arbeiterbewegung 4 (1914) 393–438.
[5]
F. Engels: Socialisme utopique et socialisme scient. (1880). MEGA2 I/27 (1988) 539–580; dtsch.: Die Entwicklung des S. von der Utopie zur Wissenschaft (1882), a.O. 581–643.
[6]
P.-J. Proudhon: Du principe fédératif et de la nécessité de reconstituer le parti de la Revolution (Paris 1863). Oeuvr. compl., Nouv. éd. 15 (Paris 1959) 291f.; dtsch.: Über das föderative Prinzip 1 (1989) 48.
[7]
M. Stirner: Der Einzige und sein Eigentum (1845, 1991) 196.
[8]
Vgl. unten 5. a).
[9]
K. Diehl: P. J. Proudhon. Sein Leben und seine Lehre (o.J.) 751.
[10]
M. Bakunin: Prinzipien und Organisation der Int. Revolut. Ges. II: Revolut. Katechismus (1866). Ges. Werke, hg. M. Nettlau (1921ff., ND 1975) 3, 15.
[11]
Vgl. O. von Sperber: Die sozialpolit. Ideen A. Herzens (1894) 66–69.
[12]
M. Bakunin: Span. Br.fragmente Bakunins über Internationale und Allianz (1872), a.O. [10] 117.
[13]
a.O.
[14]
a.O. [10] 9.
[15]
G. Sorel: Réfl. sur la violence (Paris 1908) 1; dtsch.: Über die Gewalt (1981) 51.
[16]
La décomposition du marxisme (1906), in: La décomposition du marxisme et autres essais (Paris 1982) 211–256, hier: 251ff.
[17]
G. Landauer: Die 12 Artikel des Sozialist. Bundes (1906), in: Beginnen. Aufsätze über S. (1977) 114.
[18]
a.O. 112.
[19]
Volk und Land (1907), a.O. 4.
[20]
Vgl. K. Eisner: Der S. und die Jugend (1919) 13.
[21]
Resolution über Demokratie und Diktatur (1919), in: S. als Aktion (1977) 7.
[22]
Vgl. unten 5. b).
4. Der S.-Begriff des Neukantianismus. – Angesichts des zuweilen betont unpolitischen Charakters der Schulphilosophie nach 1870 in Deutschland bildet die Marburger Schule des Neukantianismus mit ihrem Versuch, als Philosophie zugleich politisch-soziale Theorie zu sein, eine Ausnahme. Bezugnehmend auf das in den sechziger Jahren des 19. Jh. entwickelte Konzept eines «idealistischen Reform-S.» durch F. A. Lange[1], formulieren H. Cohen, F. Staudinger, K. Vorländer, R. Stammler und P. Natorp um die Jahrhundertwende eigenständige S.-Auffassungen.
Der S. Langes, mit dem sich später Cohen kritisch auseinandersetzt, orientiert sich am Ziel «einer wirklichen und vollständigen Emanzipation der Arbeiter» [2]. Hier und in bezug auf die Darstellung der kapitalistischen Ökonomie beruft sich Lange auf Marx. Wie dieser hält er jene Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse für notwendig, die mit der rasanten Entwicklung der Industrie sowie der Teilung und Produktivitätssteigerung der menschlichen Arbeit objektiv bereits angelaufen sei. Die Prognose einer vom Proletariat getragenen, sozialen Umwälzung [3] teilt er hingegen nicht. Lange begreift den S. als gesellschaftliches Organisationsprinzip [4]. Auch soll die Wissenschaft keine Gewähr für das Eintreffen einer bestimmten Gesellschaftsordnung übernehmen, wie dies – Langes Kritik zufolge – in der parallel ausgebauten Theorie des «wissenschaftlichen S.» beansprucht wird [5]. Nicht die metaphysische Konstruktion der künftigen Geschichtsentwicklung, sondern die wissenschaftliche Kritik sowohl der Natur- als auch der Geisteswissenschaften soll demnach den Fortschritt von Erkenntnis und Gesellschaft tragen [6].
Auch die Neukantianer sind mit den ökonomischen Theorien von Marx vertraut und akzeptieren sie als Angebot zur kausalen Erklärung historischer Tatsachen. Vor allem teilen sie die Ansicht, daß die politische Emanzipation durch die Institution des Privateigentums faktisch blockiert werde. In einem Punkt besteht jedoch unüberbrückbare Gegnerschaft: Die später «vulgärmarxistisch» genannte These, nach der der S. mit naturgesetzlicher Notwendigkeit aus einer Aufeinanderfolge revolutionärer Krisen und Erschütterungen resultiere, wird von den Neukantianern zurückgewiesen. Im Gegenzug betonen sie das «subjektive» und – in praktischer Hinsicht – das «ethische» Moment sozialer Gestaltung und Veränderung. «Weil aber die Vertreter des wissenschaftlichen S. bisher noch gar nicht den Versuch gemacht haben, über die Begründung der moralischen Postulate des S. sich philosophisch klar zu werden, darum greifen wir auf Kant zurück» (L. Woltmann[7]).
Gegen den «sozialistischen Materialismus» der Marxisten wendet Cohen ein, die dort vollzogene Entwertung von «Recht und Staat zu Schemen und Schattenbildern» der materiellen Produktionsverhältnisse lasse jedwede Reformbestrebung «auf die schiefe Ebene der Revolution» abgleiten [8]. Spezifikum des «kritischen S.» sei die Begründung der «Idee» des S. als «Postulat» der praktischen Vernunft für die gerechte menschliche Organisation der modernen industriellen Arbeitswelt. Die Reformierung des politischen Lebens «aus dem ethischen Ideal des S.» hält Cohen für gleichbedeutend mit einer Verwirklichung der «Kernwahrheit des Gottesglaubens», der «Nächstenliebe» [9]. Der S. sei nur «im Recht, sofern er im Idealismus der Ethik gegründet» sei, der er historisch auch entstamme. Aus diesem Grund bestimmt Cohen den S. als universelle politische Verwirklichung des kategorischen Imperativs, «den Menschen als Selbstzweck von Allem» zu unterscheiden, «was ‘bloss Mittelʼ» ist, und beruft sich damit auf Kant als den wahren und wirklichen Urheber des deutschen S. [10].
Auf diese Weise ist die ökonomisch-historische Begründung des S., wie sie der wissenschaftliche S. geliefert hat, durch eine ethisch-politische Legitimationsstrategie ersetzt. Die «Gemeinschaft autonomer Wesen» bildet nun die Grundlage des Sittengesetzes und zugleich die Leitidee für die Entwicklung von Gesellschaft und Staat. Ein derart konzipierter «ethischer S.» unterscheidet sich vom marxistischen Verständnis tiefgreifend, verpflichtet er doch die geschichtliche Entwicklung auf die Annäherung ans «Reich der Zwecke» [11]. «Recht und Staat müssen ebenso streng und sicher als die [idealen, normalen] Wirklichkeiten der Gerechtigkeit anerkannt werden, wie sie andererseits ... als die Verwandlungsformen der sittlichen Idee gedacht werden müssen. Sie sind es, und nur sie, in denen die Gerechtigkeit Wirklichkeit wird» [12]. Cohen übernimmt diese Vorstellung in das rechtsphilosophische Konzept der Genossenschaft [13] und erklärt die Idee des «Zweckvorzuges der Menschheit» zum Leitbegriff des S. Überdies konkretisiert er den Adressaten des Imperativs und verlangt die Partizipation aller Gesellschaftsmitglieder – einschließlich der Arbeiterschaft – am praktischen Willensbildungsprozeß. Die Forderungen nach allgemeinem Wahlrecht und ökonomischer Demokratie sind Konsequenzen dieser Kritik [14]. Der S. wird zur Zielvorstellung einer Tugendlehre, die Liebe und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt des politischen Denkens rückt [15].
Eine ähnliche S.-Auffassung findet sich bei F. Staudinger. Der S. sei nicht deshalb eine richtige Forderung, wendet er gegen die marxistischen Begründungsversuche ein, weil er von der Arbeiterschaft getragen werde, sondern weil er das Gebot der Freiheit zu realisieren verspreche. «Wenn der Mensch Mensch sein soll, so muß er frei sein. Frei sein kann er nur, wenn er mit anderen Menschen sich in vernünftiger Weise verbindet» – mit dieser These begründet Staudinger «die sittliche Notwendigkeit des S.» [16]. Die Verwirklichung des S. ist dann auch nicht länger die Sache einer Partei, sondern der «höheren Sittlichkeit» des Einzelnen überantwortet [17]. «Bestimme deinen Willen nach dem Prinzip einer organischen Ordnung der menschlichen Gesellschaft, und suche diese Ordnung, so weit es in deinen Kräften steht, zu gestalten», lautet demgemäß Staudingers kategorischer Imperativ [18]. Im übrigen ist dieser S. antirevolutionär. Staudinger bezieht den Begriff auf eine Ordnung, die alle gesellschaftlichen und in diesem Sinne ineinandergreifenden Tätigkeiten des Menschen «nach dem Prinzip der Gemeinschaft regelt und damit die Beherrschung und Beraubung durch Einzelne unmöglich macht» [19]. Er verhehlt nicht, daß der Weg zu diesem Ziel lang und mühevoll sei. Es ist E. Bernstein, der diese Erwartungslage des Reform-S. zu der dann für den sog. «Revisionismus» charakteristischen These zuspitzt, das wie immer bestimmte Ziel sei ihm nichts, die Bewegung alles [20].
Ähnliche Auffassungen vertritt K. Vorländer. Seine ‹Geschichte der sozialistischen Ideen› (1924) bezieht das Denken Kants auf einen S. als «sittlicher Weltanschauung» [21]. Der S. fuße – wie R. Stammler im Einvernehmen mit ihm feststellt – auf der «Gemeinschaft frei wollender Menschen», in der «ein jeder die objektiv berechtigten Zwecke des anderen zu den seinigen macht» [22]. Wie bei Kant ziele die Politik dieses «ethischen S.» auf die Errichtung eines demokratischen und sozialen Rechtsstaats. In Reaktion auf den ökonomischen Fatalismus, wie er aus dem historisch-dialektischen Denken deduziert wurde, treten Stammler und P. Natorp für das Konzept eines «Sozialidealismus» ein, «das heißt für eine Verbindung von kritischer Theorie und emanzipatorischem Interesse» [23]. Für Stammler ist der S. nicht als Kausalität begreifbar, sondern als Teleologie. Deren Begründung heiße «sozialer Idealismus», ihr Ideal eine «Gemeinschaft frei wollender Menschen» [24]. Die Verbindung von – im doppelten Wortsinn – ‘idealistischʼ bestimmtem S. der politischen Praxis einerseits und Wissenschaft von der Gesellschaft andererseits begünstigt die Annäherung von sozialdemokratischem Revisionismus und neukantianischem S.
[1]
Vgl. H. Lübbe: Polit. Philos. in Dtschl. (1963) 99.
[2]
F. A. Lange: Die Arbeiterfrage und ihre Bedeut. für Gegenwart und Zukunft (1879) 379.
[3]
Lübbe, a.O. [1] 98.
[4]
Vgl. H. von der Linden: Cohens sozialist. Rekonstruktion der Ethik Kants, in: H. Holzhey (Hg.): Eth. S. Zur polit. Philos. des Neukantianismus (1994) 143.
[5]
Vgl. H. Holzhey: Neukantianismus und S., Einl., in: Holzhey (Hg.), a.O. 2.
[6]
von der Linden, a.O. 144.
[7]
L. Woltmann: Die Begründung der Moral. Socialist. Mh. 4 (1900) 718–724, 724.
[8]
H. Cohen: Einl. mit krit. Nachtrag (21902), in: F. A. Lange: Gesch. des Materialismus 1 (71902) 528.
[9]
Biogr. Vorwort des Herausgebers (1881), in: Lange, a.O. VIIIf.
[10]
Einl., a.O. 524f.; vgl. Lübbe, a.O. [1] 108f.
[11]
Vgl. Holzhey, a.O. [5] 28.
[12]
H. Cohen: Das Verhältniss der Ethik zur Politik, in: Cohen, a.O. [8] 529; vgl. Holzhey, a.O. 29; U. Sieg: Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus (1994) 25ff.
[13]
H. Cohen: Ethik des reinen Willens (1904) 219.
[14]
a.O. 304.
[15]
Vgl. Holzhey, a.O. [5] 25; auch: Th. Steinbüchel: Der S. als sittl. Idee (1927).
[16]
F. A. Staudinger: Kant und der S. Socialist. Monatshefte 8 (1904) 103–114.
[17]
Vgl. P. Müller: Erkennen und Organisieren, in: Holzhey (Hg.), a.O. [4] 227.
[18]
Vgl. F. A. Staudinger: Das Sittengesetz (1887) 143.
[19]
Ethik und Politik (1899) 116.
[20]
Vgl. Der Kampf der Sozialdemokratie und die Revolution der Ges. Die Neue Zeit. 16 (1897/98) 548–557, 556; vgl. unten 5. b).
[21]
K. Vorländer: Kant und der S. Kantstudien 4 (1900) 361–412, 361.
[22]
R. Stammler: Wirtschaft und Recht nach der materialist. Gesch.auffassung (1896) 575.
[23]
N. Jegelka: P. Natorps Sozialidealismus, in: Holzhey (Hg.), a.O. [4] 185; vgl. Art. ‹Sozialidealismus›.
[24]
Vgl. Stammler, a.O. [22] 572. 575.
5. Der politische S.-Begriff. – a) Der Staats-S. – In der zweiten Hälfte des 19. Jh. wird der S.-Begriff zusehends allgemein und unpräzise verwendet. Bereits 1844 konstatiert L. Stein, daß selbst dort, wo es sich «blos um eine Verbesserung» der Lage der «niederen Classe» handele, «von socialistischen Unternehmungen» gesprochen werde [1]. In der Folgezeit tritt diese Tendenz immer deutlicher hervor. Das Konzept wird verwendet als «Inbegriff aller über den Liberalismus hinausgehenden Bestrebungen» [2] und als Sammelbezeichnung für jene Denkrichtungen, «welche im Gegensatz zum Individualismus eine Unterordnung des Individuums unter den Gesamtorganismus und demgemäß eine Stärkung der öffentlichen Gewalt gegen die Willkür der Einzelnen in socialen Dingen» verfolgen [3]. Die Kritik der sozialen und ökonomischen Zustände schwingt in diesen Begriffsverwendungen immer noch mit. Die von Stein hergestellte Bindung des Terminus ‹S.› an das soziale Auftreten des Proletariats und sein Engagement wird jedoch vielfach gelockert zugunsten umfassender Forderungen nach einem sozial-humanitären Ausgleich der als härter empfundenen, aber prinzipiell vernünftig angesehenen gesellschaftlichen Verhältnisse: «Und unzweifelhaft hat dies System der freien Concurrenz seine Vortheile ... Aber in seiner Uebertreibung führt es dazu, daß alle Organisationen zerschlagen werden, daß ein Atomismus eintritt ... Dem gegenüber hat die sociale Auffassung ein gewisses Recht. Denn der Socialismus ... enthält auch die Forderung, daß das Erwerbsleben social, d.h. gesellschaftlich, organisch gestaltet werden soll» [4]. Die Gegenposition zum Status quo, die dem S.-Begriff bis dahin Kontur gegeben hatte, wird nun zum Konzept der Verbesserung und sozialen Reform abgemildert.
Bezeichnenderweise findet der Begriff ‹Staats-S.› Verbreitung in einer Zeit, als unter ‹S.› der Versuch verstanden wird, «mit den Kräften der Gesammtheit ... für die Hülfsbedürftigkeit einzelner Theile der Gemeinschaft» einzutreten [5]. Grundgedanken des Konzepts hat bereits 1839 der Nationalökonom K. Rodbertus entwickelt, ohne ihm schon seine Bezeichnung zu geben. Rodbertus, der später als einer der «Begründer des wissenschaftlichen S.» gilt [6], will Boden und Kapital vergesellschaften und die Produktionsergebnisse nach Maßgabe der geleisteten Arbeit aufteilen. Die Organisation einer so verfaßten Gesellschaft soll in den Händen des Staates liegen. Diese Auffassungen gewinnen zur Jahrhundertmitte Einfluß auf F. Lassalle, der die Bezeichnung ‹S.› zunächst unter Vorbehalt aufgreift. Sein System der Arbeiterproduktivgenossenschaften, dem er mit Hilfe des allgemeinen und direkten Wahlrechts näherkommen will, nennt er selbst nicht ‹S.›. Lediglich um den Diskreditierungen entgegenzutreten, denen der Begriff seit 1848 ausgesetzt ist, bekennt er 1863: «... wenn man dies unter S. versteht, daß wir suchen, die Lage der arbeitenden Klasse zu verbessern und ihrer Not abzuhelfen, – nun ..., dann sind wir Sozialisten! Glaubt man, ich würde mich vor einem Wort fürchten? Ich nicht!» [7] Damit wird die Aushöhlung des S.-Begriffs fortgesetzt. Lassalle faßt die «Verteilung des Eigentums von Gesellschaftswegen» unter dem Begriff ‹anarchischer S.›. Seiner Auffassung nach soll das Eigentum keineswegs abgeschafft, sondern in einer individuellen Form überhaupt erst eingeführt werden [8]. Da er seine Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft ohne gewaltsamen Umsturz und – im Geist der Saint-Simonisten – auf evolutionärem Wege und unter maßgeblicher staatlicher Beteiligung verwirklichen will, bevorzugt Lassalle das in der Arbeiterbewegung seiner Zeit schon aufgekommene Kompositum ‹sozialdemokratisch›. Die eingetretene Unscharfe der Begriffe erhält dadurch ihre Bestätigung, daß Lassalles «Produktionsgenossenschaften mit Staatshülfe» auf dem Gothaer Vereinigungsparteitag gleichwohl als «socialistisch» charakterisiert werden [9].
Explizit wird der Terminus ‹Staats-S.› 1870 von H. Ahrens eingeführt, der sich wiederum kritisch mit dem S.-Verständnis der Sozialdemokratie auseinandersetzt. Ab 1877 dient diese Neuprägung als Titelbegriff der ‹Wochenschrift für Socialreform› und wird im Zuge der weiteren Debatten zur Bezeichnung derjenigen Auffassung verbreitet, die den Übergang bestimmter Produktionsmittel in das Eigentum des Staates oder anderer übergeordneter gesellschaftlicher Einrichtungen empfiehlt. Die nationalen politischen Rahmenbedingungen sollen diesem Konzept zufolge unangetastet bleiben. Der S.-Begriff ist hiermit so weit gefaßt, daß ihn nicht nur die angegriffenen Sozialdemokraten selbst verwenden [10], sondern auch O. von Bismarck ihn aufnehmen und seinerseits gegen die Sozialdemokraten ausspielen kann. 1884 erklärt Bismarck vor dem Reichstag, daß der «Staat nicht Staats-S. genug treibt» und durch dieses Versäumnis die Sozialdemokratie stärke [11]. Bereits zwei Jahre zuvor hat Bismarck die Sozialmaßnahmen der Regierung als «socialistisch im höchsten Grade» bezeichnet und versichert, daß das Wort «Socialismus» ihn selbst nicht mehr schrecken könne [12].
[1]
L. Stein: Blicke auf den Socialismus und Communismus in Dtschl., und ihre Zukunft. Dtsch. Vierteljahrs Schrift 26/2 (1844) 1–61, 15.
[2]
K. Marlo [K. G. Winkelblech]: Unters. über die Organisation der Arbeit oder System der Weltökonomie (1850) 1/2, 547.
[3]
O. Wenzel: Die socialist. und communist. Arbeiterbewegung der Gegenwart; Nachtrag zu: A. Sudre: Gesch. des Communismus oder hist. Widerlegung der socialist. Utopien (1882) 412f.
[4]
A. Stöcker: Social-demokratisch, Socialistisch und Christlich-social. Vortrag (30. 3. 1880) 13.
[5]
G. Cohn: Was ist S.? Dtsch. Zeit- und Streitfragen 108 (1878) 433–463, 449.
[6]
Vgl. G. Adler: K. Rodbertus, der Begründer des wiss. S. (1884).
[7]
F. Lassalle: Rede in Frankf. a.M. (19. 5. 1863). Ges. Reden und Schr. 3 (1919) 263f.
[8]
Lassalle und der S., hg. E. Bernstein (1920) 68.
[9]
Protokoll des Vereinigungs-Congresses der Sozialdemokraten Deutschlands abgeh. zu Gotha, 22.–27. Mai 1875 (1875). Prot. der Sozialdemokr. Arbeiterpartei 2 (ND 1971) 4.
[10]
Vgl. unten 5. b).
[11]
O. von Bismarck: Rede (15. 3. 1884). Polit. Reden, hg. H. Kohl 10 (1894) 57.
[12]
Rede (12. 6. 1882), a.O. 9, 357f.
b) Der S.-Begriff der deutschen Sozialdemokratie. – Um die Jahrhundertwende ist es in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands selbstverständlich, den Begriff ‹S.› und seine Ableitungen als politisches Schlagwort zur Selbstkennzeichnung zu benutzen. F. Mehring nennt die theoretischen Grundlagen der Partei zwar «wissenschaftlichen Kommunismus», für die angestrebte Zukunftsgesellschaft benutzt er aber – gleich Marx und Engels – das Attribut «sozialistisch» [1]. 1890 erklärt W. Liebknecht die SPD unter Anspielung auf die von Engels getroffene Sprachregelung zur «Partei des wissenschaftlichen S.» [2], und das hieß: zur Partei des Marxismus. Nachdem die marxistische Theorie zur orthodoxen Leittheorie der organisierten Arbeiterschaft geworden ist, können heterodoxe bzw., wie der Begriff lautet, «revisionistische» Positionen aufkommen. Darunter fassen die Stimmführer der Partei grundsätzlich alles, was von der dominanten Doktrin abweicht: die Überlegungen Dührings, das Konzept des englischen Fabianismus [3] oder auch das philosophische Konzept des Neukantianismus [4].
Obwohl die Orthodoxen – allen voran K. Kautsky – um die ideologische Einheitlichkeit der Partei sehr bemüht sind, gelingt es E. Bernstein 1899, mit seiner Streitschrift ‹Die Voraussetzungen des S. und die Aufgaben der Sozialdemokratie› eine Diskussion über das Selbstverständnis der Partei und über den Begriff ‹S.› auszulösen. Im Zuge dieser sog. ‘Revisionismusdebatteʼ [5] versucht Bernstein, verschiedene Denkrichtungen des S. nebeneinanderzustellen. Die Partei, so die Überlegung, solle theoretisch nachvollziehen, was sie längst praktiziere [6]. Wie auf andere Weise G. Landauer, so bezweifelt auch Bernstein, daß die Bedingungen für den Übergang zum S., wie Marx sie angegeben hatte, ohne weiteres von selbst eintreten würden. Infolgedessen behandelt der Revisionismus den S. nicht als wissenschaftlich objektivierbare Notwendigkeit, sondern als ein normatives Prinzip umfassender Demokratisierung. «Demokratie ist Mittel und Zweck zugleich. Sie ist das Mittel der Erkämpfung des S., und sie ist die Form der Verwirklichung des S.» [7].
Bernstein bestimmt den S. auch als «organisatorischen Liberalismus» [8] und als «Bewegung zur» oder den «Zustand der genossenschaftlichen Gesellschaftsordnung» [9]. Die «Revisionismusdebatte» bringt aber auch andere S.-Auffassungen zum Vorschein. R. Luxemburg versichert, das «sozialistische Gesellschaftssystem» könne «nur ein geschichtliches Produkt sein, geboren aus der eigenen Schule der Erfahrung», so «daß der S. sich seiner Natur nach nicht oktroyieren ..., durch Ukase einführen» [10] lasse. In ihrer Kritik an der bolschewistischen Politik hebt auch Luxemburg den uneingeschränkt demokratischen Charakter des S. hervor. Anders als Bernstein gilt ihr indes der Klassenkampf als legitimes Mittel der Emanzipation. Für das Erreichen dieses Ziels wirbt sie – unter Hinweis auf eine Formulierung von Engels – angesichts der Weltkriegserfahrung mit der wirkungsvollen Parole: «Sozialismus oder Barbarei» [11].
Bernstein hat die Grundzüge einer Theorie der Sozialisierung skizziert und die Vorstellung von ‹S.› mit der anstehenden Transformation hochkomplexer Gesellschaften theoretisch vermittelt. Er fordert, daß sich das sozialistische Sollen am soziologisch ermittelten Sein orientiere [12]. In der Partei ist diese Vorstellung jedoch zunächst nicht konsensfähig. Anderen neuen intellektuellen Anregungen gegenüber zeigen sich die führenden Theoretiker der Partei indes aufgeschlossen, insbesondere gegenüber der Ethik der Neukantianer [13]. Die theoretische Spannung zwischen alten – orthodoxen – und neuen – heterodoxen – S.-Auffassungen führt am Ende des Ersten Weltkriegs zur Spaltung. 1918 trennt sich der marxistische Flügel von der Partei. Als ‹Kommunisten› bezeichnen sich nun diejenigen ehemaligen Sozialdemokraten Deutschlands (und Rußlands), die auf revolutionärem Weg die Arbeiterklasse an die Macht bringen und die ‘Diktatur des Proletariatsʼ als Übergang zur Zukunftsgesellschaft einführen wollen. Die verbliebene Sozialdemokratie beansprucht den Terminus ‹S.› weiterhin. Seither ist ‹Kommunismus› in erster Linie geläufig als ein radikal gesteigerter, revolutionärer S., während ‹S.› bzw. ‹Sozialdemokratie› sich eher auf den gemäßigten, auch parteiförmig organisierten Reformismus bezieht. Trotz der Diskreditierung durch den Nationalsozialismus vermag sich diese Konnotation auch in der Nachkriegszeit zu halten. Die SPD nennt ihren Reform-S. nunmehr «demokratischen S.» und grenzt sich damit sowohl vom kommunistischen S. Osteuropas als auch von jenem «nationalen» bzw. «deutschen S.» ab. Sie versteht sich seither vornehmlich als «linke Volkspartei», und als theoretische Kronzeugen ihrer ideellen Positionen dienen nun weniger Marx oder Luxemburg als K. R. Popper und H. Albert[14].
Das Syntagma ‹demokratischer S.› bleibt jedoch nicht exklusiv parteipolitisch gebunden. In der Folge wird es zum Synonym für die in den Ländern des «real existierenden S.» [15] dominierende Vorstellung einer gesellschaftspolitischen Alternative.
[1]
Vgl. Müller, a.O. [4 zu 1.] 178f.
[2]
W. Liebknecht: Rede (15. 10. 1890). Protokoll über die Verh. des Parteitages der SPD, Halle a.S., 12.–18. 10. 1890 (1890, ND 1983) 160.
[3]
Vgl. unten 5. c).
[4]
Vgl. oben 4.
[5]
Vgl. Art. ‹Revisionismus›. Hist. Wb. Philos. 8 (1992) 951–953.
[6]
F. Unger: Die Sozialdemokratie und ‘das Ende der Geschichteʼ, in: R. Faber (Hg.): S. in Gesch. und Gegenwart (1994) 150.
[7]
E. Bernstein: Die Voraussetz. des S. und die Aufgaben der Sozialdemokratie (1899, 21921, ND 51973) 178.
[8]
a.O. 188; vgl. Th. Meyer/E. Bernstein, in: Klassiker des S. (1991) 1, 213.
[9]
130.
[10]
R. Luxemburg: Zur russ. Revolution (1918). Ges. Werke (21979) 4, 332–365, hier: 360.
[11]
Die Krise der Sozialdemokratie (Zürich 1916), a.O. 49–164, bes. 62.
[12]
Vgl. S. Papcke: Vernunft und Chaos. Essays zur sozialen Ideengesch. (1985) 116f.
[13]
Vgl. a.O. 4.
[14]
Vgl. P. Giesecke: Kant und der S. (1990) 29; Unger, a.O. [6] 153.
[15]
K. Zweiling: Atomwaffen gegen den Marxismus. Von der Kritik der Waffen und der Waffe der Kritik. Einheit 3 (1948) 577–590.
c) Austromarxismus und Reform-S. – Wie Bernstein in der deutschen, so versucht M. Adler in der österreichischen Sozialdemokratie die marxistische Theorie philosophisch und wissenschaftlich zu untermauern. Somit tritt hier erneut der Wissenschaftsaspekt in den Vordergrund. Adler zufolge soll der S. «als der konsequente Abschluß der Sozialwissenschaft, als ihre bloße Umsetzung in geschichtliche Realität» begriffen werden, denn er sei «gar nichts anderes als die seit Platon durch alle geweihten Stunden menschlichen Denkens so lange schon herbeigesehnte Ordnung des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens nach Erkenntnissen der Wissenschaft, kurz die Technik der Sozialwissenschaft» [1]. Ohne im weiteren zwischen S. und Marxismus zu unterscheiden, sieht Adler im S. eine Lehre, die aus den Entwicklungstendenzen der Gesellschaft und den ermittelten Ursachen der ökonomischen Klassenbildung hervorgehe und eben daraus die Aufgabe ableite, «durch Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung herbeizuführen». Das Drängen und Treiben des Proletariats soll durch die theoretische Leistung des S. umgestaltet werden «zu Gedanken, die von der Helligkeit einer wissenschaftlichen Erkenntnis durchleuchtet sind» [2]. Daneben betont Adlers Austromarxismus – ähnlich wie A.Gramsci[3] – den kulturellen Gehalt des S. Der S. sei «Aufstieg der Massen zur Kultur», bestimmt Adler, «Besitzergreifung der großen Werte des Lebens durch das ganze Volk», «mächtigste Kulturbewegung der Geschichte» [4] und «Wille zu einer neuen Gesellschaft» [5]. Der S. wird zur Zielfigur der Gesamtgeschichte. Erst wenn er durchgesetzt sei, sagt Adler, könne man eigentlich von «Gesellschaft» reden, und er pflichtet Marx bei, der den Kapitalismus zur «Vorgeschichte der Menschheit» zählt [6].
Andere Akzente setzt R. Hilferding. Aus seiner Analyse der sozialökonomischen Veränderungen des Kapitalismus um die Jahrhundertwende [7] zieht er den Schluß, daß die kapitalistische Wirtschaft durch reformerische Umgestaltung allmählich den Idealen der öffentlichen Wohlfahrt angenähert werde. «Organisierter Kapitalismus' bedeutet ... in Wirklichkeit den prinzipiellen Ersatz des kapitalistischen Prinzips der freien Konkurrenz durch das sozialistische Prinzip der planmäßigen Produktion» [8]. Zur Durchsetzung des S. genüge es deshalb, die von Kapitalisten organisierte und geleitete Wirtschaft in eine durch den demokratischen Staat geleitete Wirtschaft umzuwandeln. Ähnliche Auffassungen, die in den politischen Fraktionen der Arbeiterschaft gleichfalls heftige Diskussionen auslösen, vertritt K. Renner. Zum S. werde eine evolutionäre Transformation führen, prophezeit Renner, bei der die erzwungene Vergesellschaftung der Produktionsmittel die Ausnahme bleibe. Den Hebel seines «induktiven S.» [9] sieht er einmal mehr in einem Staat, der die Sache des S. zu seiner eigenen mache und sich damit zum «Sozialstaat» weiterentwickle [10]: «Der Staat wird damit identisch mit der organisierten Gesellschaft und ruht vom Individuum bis zur Gesamtheit auf der Idee der Freiheit, der Selbst- und Mitbestimmung des einzelnen wie des ganzen Volkes» [11]. Damit übereinstimmend definiert O. Bauer die sozialistische als eine «organisierte Gesellschaft» [12], in der Umfang und Stellenwert der produktiven Arbeit enorm gesteigert würden. «Kein erwachsener, gesunder Mensch kann in ihr leben, ohne zu arbeiten. ... Keine Arbeit aber dient mehr anderem Zwecke als der Gütererzeugung und Güterverteilung, der Vermehrung des Güterreichtums der Gesellschaft» [13]. Bauer empfiehlt, die technokratischen Züge dieser Vision durch «sozialistische Kulturarbeit» [14] auszugleichen. «Wir aber wollen nicht einen bürokratischen S., der die Beherrschung des ganzen Volkes durch eine kleine Minderheit bedeuten würde. Wir wollen den demokratischen S., und das heißt die wirtschaftliche Selbstverwaltung des ganzen Volkes» [15].
Mit den Austromarxisten teilt J. Jaurès, der Kopf der französischen Sozialisten zur Zeit der Jahrhundertwende, die Überzeugung, daß der Staat sich in den Dienst der sozialistischen Entwicklung stellen lasse und stellen lassen solle. Mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechts werde er zum Organ des politischen Mehrheitswillens [16]. 1902 faßt Jaurès seine gesellschaftlichen Zielvorstellungen unter dem Begriff eines «kollektivistischen oder communistischen S.» («socialisme, collectiviste ou communiste») zusammen [17]. Um das damit umschriebene Ziel der sozialen Entwicklung zu erreichen, müsse kapitalistisches Eigentum sozialisiert werden [18]. Zuversichtlich sieht Jaurès die Voraussetzung für den S., jene «allgemeine Genossenschaft der vereinigten Bürger» («coopération universelle des citoyens associés») [19], zu seiner Zeit bereits im Entstehen begriffen. Die technischen Mittel der Verwirklichung wüchsen, versichert er, die Nation gestalte sich zur Einheit, zur höchsten Gewalt. Jaurès stellt seinen S. in den Dienst der Völkerverständigung und des Pazifismus, was ihm, dem Begründer der noch heute erscheinenden Zeitung ‹L'Humanité›, eine teilweise militante politische Gegnerschaft einträgt. 1914 wird er von einem nationalistisch gesinnten Landsmann ermordet.
Hatte Jaurès die Verwirklichung des S. noch der Partei überantworten wollen, so zieht H. de Man als erster bekennender Sozialist nicht nur die Rolle der Partei, sondern auch die durch Stein und dann vor allem von marxistischer Seite betonte Verbindung von Arbeiterbewegung und S. nachdrücklich in Zweifel. Seines Erachtens ist das Proletariat zur sozialen Subjektwerdung unfähig, und der materialistischen Geschichtsauffassung spricht er ab, die historische Notwendigkeit des S. bewiesen zu haben. Dennoch bekennt sich de Man zum Klassenkampf und hält am Ideal des S. als einer von Ausbeutung freien Zukunftsgesellschaft fest. Sie könne jedoch nur ein ethisch-rechtliches Ideal und Postulat sein. «... aller S. erstrebt eine gerechte, genossenschaftliche Ordnung der Gesellschaft» [20]. Den Kampf der Klassen stellt de Man in den umfassenderen Zusammenhang einer Emanzipation der menschlichen Gattung. Der vom orthodoxen historischen Stufenmodell favorisierten Vorstellung der kapitalistischen Immanenz setzt er die «allgemeinmenschliche Transzendenz» [21] des S. entgegen, ohne damit auf Reformforderungen zu verzichten. Der 1935 entwickelte «Plan du travail» überschreibt die Verfügungsgewalt des Finanzkapitals und der Banken der öffentlichen Hand und gibt damit ein Programm vor, das de Man zu Beginn des Zweiten Weltkriegs als Mitglied der belgischen Regierung zu verwirklichen sucht.
In den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jh. werden in England jene Lehren ‹sozialistisch› genannt, die das wirtschaftsliberalistische ‘Laissez-faireʼ-Prinzip zu begrenzen suchen und der Gesellschaft das Recht einräumen, die Abläufe der Produktion und der Distribution zu beeinflussen [22]. Der von der 1884 von S. und B. Webb sowie G. B. Shaw gegründeten ‹Fabian Society› propagierte «Fabianismus» versteht sich als eher praktischer denn theoretischer oder weltanschaulicher S. Als Vertreter eines demokratisch-konstitutionellen Reform-S. lehnen die Fabianer das Klassenkampf-Modell ebenso ab wie die Idee einer historischen Mission des Proletariats oder die Revolution als Mittel der gesellschaftlichen Veränderung. Demgegenüber bekennen sie sich zu einem stufenweisen Übergang zum S., der auf strikt legislativem und administrativem Wege innerhalb des parlamentarischen Systems durch allmähliche Demokratisierung und Nationalisierung sämtlicher ökonomischer Ressourcen zu erreichen sei [23]. Ebenfalls vergleichsweise moderat treten die Anhänger des «Gilden-S.» («Guild S.») auf, einer englischen Spielart des französischen Syndikalismus. Seine Vertreter G. D. Cole, W. Mellor, A. R. Orage und S. G. Hobson gehen zwischen 1913 und 1923 davon aus, daß eine soziale Umgestaltung im Bereich der Ökonomie durch «Arbeiterkontrolle» beginnen müsse. Autonome lokale, regionale und nationale Gewerkschaften bzw. «Gilden» werden als Produzentenvereinigungen aufgefaßt, also als genuin proletarische Organisationsformen. Im Unterschied zum französischen Syndikalismus versteht der Gilden-S. sich nicht als revolutionär. Seine Vorstellung vom Staat als politisch pluralem Ordnungsfaktor, als Organ der Nationalisierung und als Assoziation der Bürger rückt die «Gilden-Sozialisten» programmatisch in die Nähe der deutschen Staatssozialisten [24].
[1]
M. Adler: Der S. und die Intellektuellen (Wien 1923) 48.
[2]
a.O. 46.
[3]
A. Gramsci: Socialismo e cultura (1916), in: Marxismo e letteratura, hg. G. Manacorda (Rom 1975) 90–93; dtsch.: S. und Kultur (1916), in: Marxismus und Literatur, hg. S. Kebir (1983) 24–29; vgl. unten 7.
[4]
M. Adler: Die Kulturbedeutung des S. (Prag 1924) 8.
[5]
a.O. 13.
[6]
22f.
[7]
R. Hilferding: Das Finanzkapital (1910).
[8]
Kieler Parteitag der SPD (1927) Protokoll.
[9]
So benannt von N. Leser: Karl Renner (1870–1950), in: Klassiker des S. (1991) 2, 44–57, hier: 48.
[10]
Vgl. Art. ‹Sozialstaat›.
[11]
K. Renner: Vom liberalen und sozialen Staat. Vortr. auf dem 1. Kongr. des Österr. Gewerkschaftsbundes. Stenogr. Protokolle 1 (1948) 29. 48.
[12]
O. Bauer: Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie (1907). Werkausg. 1 (Wien 1975) 49–622, hier: 166.
[13]
a.O. 158.
[14]
163.
[15]
Der Weg zum S. (1919), a.O. [12] 2 (1976) 89–131, hier: 129.
[16]
J. Jaurès: Le socialisme et la vie (Paris 1901). Oeuvr., hg. M. Bonnafous 6 (Paris 1933) 353–360, hier: 359; dtsch.: Der Socialismus und das Leben. Sozialist. Studien (1974) 165–175, hier: 174.
[17]
Le but (Paris 1901), a.O. 347–350, hier: 349; dtsch.: Das Endziel, a.O. 157–162, hier: 161.
[18]
a.O.
[19]
349/160.
[20]
H. de Man: De socialistische idee (Arnheim 1933), hg. L. Hancké (Antwerpen/Amsterdam 1975) 334; dtsch.: Die sozialist. Idee (1933) 244.
[21]
Vgl. H. Stuke: Sozialgesch. – Begriffsgesch. – Ideengesch. Ges. Aufsätze (1979) 162–164.
[22]
J. Viner: The intellectual history of laissez faire. J. Law Economics 3 (1960) 45–69.
[23]
M. I. Cole: The story of Fabian socialism (London 1961).
[24]
G. D. H. Cole: Guild S., a plan for economic democracy (New York 1921); vgl. oben 5. a).
d) Der russisch-sowjetische S.-Begriff. – Der Mannigfaltigkeit des S.-Begriffs in der zweiten Hälfte des 19. Jh. fügt die russische Intelligencija um 1870 eine weitere Facette hinzu. Die Narodniki (Volkstümler), die in bezug auf Ziele und Methoden der «sozialen Wiedergeburt» Rußlands recht unterschiedliche Auffassungen vertreten, konzentrieren sich in ihren Programmen auf die Bauernschaft. Sie verlangen die Errichtung einer auf Gemeineigentum basierenden Föderation freier, sich selbst verwaltender und kollektiv organisierter ländlicher Gemeinden und Handwerksassoziationen. Die Vorstellungen von einem solchen «Mir-» bzw. «Agrar-S.» [1] gehen auf Theoretiker wie A. Herzen, N. A. Dobroljubow, N. G. Tschernyschewski und P. L. Lawrow zurück. Sie vertreten die These, in Rußland sei der Übergang zum S. mit Hilfe der «Dörfer, die ihren ‘mirʼ, ihre Welt bilden», unter Umgehung kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsformen möglich. In der traditionellen Dorfgemeinde erblicken sie das Muster für eine auf dem Kollektiveigentum an Produktionsmitteln gründende Gemeinschaft, und sie sehen sich in dieser Auffassung durch die Stifter der marxistischen Theorie bestärkt [2].
Auch von G. W. Plechanow wird diese Ansicht zunächst geteilt. Ab Mitte der achtziger Jahre setzt er seine Hoffnung allerdings auf das entstehende Industrieproletariat, dessen Aktivierung einen russischen Sonderweg zum S. erübrige. Plechanow macht die marxistische Gesellschaftstheorie in Rußland bekannt. Dabei unterstützt ihn W. I. Lenin in der Überzeugung, daß trotz sozialökonomischer Unterentwicklung die Grundaussagen der Marxschen Kapitalismusanalyse und S.-Theorie auch auf Rußland zuträfen. Während allerdings Plechanow – auf «menschewistischer» Linie – die Arbeiterschaft auf legalem Wege führen und die Ländereien an demokratische Selbstverwaltungsorgane übergeben will, verficht Lenin die «bolschewistische» Linie, eine illegale, durch Zentralisierung gestärkte Parteiorganisation als «Avantgarde» des Proletariats zu rekrutieren, die sobald wie möglich eine soziale Revolution initiieren, die «Diktatur des Proletariats» errichten sowie die großen Ländereien und Industriebetriebe nationalisieren soll. Diese Vorstellungen ähneln denen der Frühsozialisten bzw. Kommunisten G. Babeuf und D. A. Blanqui[3]. Unter ‹S.› versteht Lenin die «erste oder niedere Phase der kommunistischen Gesellschaft» [4], in der die Produktionsmittel Gemeineigentum seien. Während in dieser Phase Staat und Klassen noch existent und demzufolge Unfreiheit und Ungleichheit noch verbreitet sind, sollen sie schließlich im Kommunismus, der «höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft» [5], zerfallen. Zwischen kapitalistischer und sozialistischer Gesellschaftsformation nimmt Lenin eine «politische Übergangsperiode» an, eine «revolutionäre Diktatur des Proletariats», die «sich unmittelbar auf die bewaffnete Gewalt der Massen» stützen soll [6].
Nach Lenins Tod (1924) bewegt sich «die Ausbildung der sowjetmarxistischen Theorie ... auf der Basis von Lenins Interpretation des Marxismus, ohne auf die ursprüngliche Marxsche Theorie zurückzugehen» [7]. Entschiedener noch als Lenin selbst verficht der ‘Leninismusʼ die Überzeugung, daß der Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium eingetreten sei und weitgehend an Stabilität gewonnen habe. Die ungleichmäßige Entwicklung dieser Länder führe dazu, daß die sozialistische Revolution am Rande des kapitalistischen Weltsystems wahrscheinlicher sei als in den hochindustriellen Staaten Europas, wie noch Marx angenommen hatte [8]. Auf der Basis dieser Korrektur läßt sich die Entwicklung in der Sowjetunion aufs neue als gesetzmäßiger Prozeß darstellen. Lenins Erwägung von 1915/16, daß «S. zunächst ... in einem einzeln genommenen Lande möglich» sei, [9] kann entsprechend dogmatisiert und zum ‘Stalinismusʼ vereinfacht werden. Im Zentrum steht jetzt endgültig die Rechtfertigung der sozialistischen Staatsmacht als «Diktatur des Proletariats». Die «Umerziehung der Menschen», die vor allem eine moralische Einstellung zur Arbeit impliziert, wird mit ihren repressiven Begleiterscheinungen zur wichtigsten Voraussetzung für die Transformation des S. zum Kommunismus erklärt [10].
In der nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone gegründeten DDR scheinen im Jahr 1961 die Fundamente des S. gelegt zu sein. Den Bezeichnungen für Einrichtungen und Verhältnissen von besonderer Relevanz wird das Attribut ‹sozialistisch› angefügt, und es kommt zu einer weiteren Entleerung des Begriffs [11]. Bereits 1948 ergänzt der Chefredakteur der Parteizeitschrift der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands die auf die anzustrebende Gesellschaftsordnung vorausgreifende Bezeichnung ‹S.› durch das Attribut «real» [12]. Beabsichtigt ist, westliche und namentlich sozialdemokratische Kritiken am bolschewistischen Typus des S. abzuwehren. Parallel dazu wird der «wissenschaftliche S.» bzw. «wissenschaftliche Kommunismus» zur Wissenschaftsdisziplin und 1964 als drittes Lehrfach des «marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums» an gehobenen Bildungseinrichtungen eingeführt [13]. Der Begriff mitsamt seinen Ableitungen erstarrt zur Legitimationsformel, für die die Unterscheidung von Wissenschaft und Ideologie entfällt. Dennoch versuchen gleichzeitig Systemkritiker den sozialkritischen und utopischen Gehalt des Begriffs über traditionsbesetzte Syntagmen wie «demokratischer S.» und «humaner S.» zu bewahren.
Beate Brossmann
Redaktion
[1]
A. Rosenberg: Gesch. des Bolschewismus (1987) 61.
[2]
F. Engels: Nachwort [zu ‹Soziales aus Rußland›] (1894). MEW 18, 673f.
[3]
Vgl. Stuke, a.O. [21 zu 5. c)] 122.
[4]
W. I. Lenin: 3. Kongr. der Komm. Internationale (1921). Werke 32 (1961) 481.
[5]
Staat und Revolution (1918), a.O. 25 (1960) 478. 416f. 473–478.
[6]
a.O. [4].
[7]
H. Marcuse: Die Ges.lehre des sowjet. Marxismus (1964) 55f.
[8]
G. W. Brück: Von der Utopie zur Weltanschauung (1989) 322.
[9]
W. I. Lenin: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa (1915). Werke 21 (1960) 345.
[10]
Brück, a.O. [8].
[11]
Vgl. M. Kinne: Sozialistisch im Sprachgebrauch der DDR. Frequenzen und Verwendungsweisen im ‹Neuen Deutschland› (Mai 1973), in: Sprachsystem und Sprachgebrauch. Festschr. H. Moser, hg. U. Engel/P. Grebe 2 (1975) 226–243, bes. 229.
[12]
Zweiling, a.O. [15 zu 5. b)] 582.
[13]
Vgl. G. Grosser: Zur Gesch. des wiss. S. (Kommunismus) als Wiss.disziplin an der Karl-Marx-Univ. Leipzig. Beitr. marxist.-leninist. Grundlagenstudium 24/3 (1985) 3–18; vgl. Art. ‹Philosophie V. Institutionelle Formen der Philos.›. Hist. Wb. Philos. 7 (1989) 846–848.
6. Der S.-Begriff der Sozialwissenschaften. – Der akademische S. beginnt laut A. Gehlen – zumindest in Deutschland – mit J. G. Fichte: Dieser sei «der erste deutsche theoretische Sozialist» gewesen [1]. W. Sombart dagegen nennt L. Stein als denjenigen, der, obgleich «nicht eigentlich Sozialist der Weltanschauung nach, sondern ‘reinerʼ Theoretiker» [2], als erster den S. in Deutschland bekannt gemacht habe. Sozialistische Theoretiker waren beide in dem Sinne, daß ihre Schriften zwar in der sozialistischen Theorietradition rezipiert wurden, aber keinen direkten Bezug zu irgendwelchen Kräften der sozialen Veränderung fanden. Allerdings gilt nicht Fichte (der den Terminus ‹S.› nicht kennt), sondern Stein als derjenige, der historisch die Konjunktur des S.-Begriffs in Deutschland eingeleitet hat.
Stein ist nicht nur ein sozialistischer Akademiker in dem Sinne, daß er sich mit dem S. eher theoretisch als praktisch befaßt, sondern auch derjenige, der von vornherein den S. sowohl als soziale Bewegung wie auch als Wissenschaft auffaßt. Kritikern, die die Wissenschaftlichkeit der sozialistischen Theorien abstreiten, hält Stein entgegen, daß man zwar «ihre Deduktionen nicht für wissenschaftlich» habe «gelten lassen wollen, weil sie bei der Organisation der Industrie als deren eigentlichen Ziel anlange» [3]. Doch dies wäre Unrecht. «Das Dasein des Proletariats» zwinge nämlich dazu, «die Betrachtungen über die menschliche Gesellschaft zur Wissenschaft der Gesellschaft zu erheben» [4]. Einer solchen «Wissenschaft der Gesellschaft» komme der gleiche Rang zu wie der Staats- und Wirtschaftswissenschaft [5]. Ähnlich versteht K. Biedermann (1847) die «Sozialwissenschaft oder den S.» als die Wissenschaft, die im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften wie Politik, Rechtswissenschaft, Staats- und Volkswirtschaftslehre nicht bloß «einzelne Seiten oder Beziehungen der gesellschaftlichen Zustände berücksichtigen ..., [sondern] das Zusammenleben der Menschen und die gesellschaftlichen Verhältnisse in größter Allgemeinheit zum Gegenstande der Betrachtung erheben» will [6].
Parallel zur vermehrten Verwendung des S.-Begriffs in Deutschland wird der Versuch unternommen, den S. als Theorie und Wissenschaft unter einem neuen Fachterminus, nämlich dem der «Socialistik» zu fassen [7]. Eine systematische Verwendung dieses Begriffs findet sich allerdings erst im Jahre 1900, und da auch zum letzten Mal, bei E. Dühring: «Der S., ein völlig modernes Wort, bezeichnet vorherrschend einen Kreis von Ideen und Sätzen, und wie man zwischen Wirtschaft und Wirtschaftslehre unterscheidet, so darf man auch die Geschichte der socialen Gestaltungen nicht mit derjenigen der Socialtheorie unkritisch vermischen. Letztere hiesse besser Socialistik» [8].
Neben ‹S.› und ‹Socialistik› tritt im Laufe des 19. Jh. der von A. Comte eingeführte Terminus ‹Soziologie› auf. Er glaube, schreibt Comte 1839, «devoir hasarder, des à présent, ce terme nouveau, exactement équivalent à mon expression, déjà introduite, de physique sociale» [9]. Comte, der das Wort ‹S.› selbst nicht gebraucht, vertritt eine Verbindung von Ordnung und Fortschritt [10], die erst durch die Soziologie hergestellt und garantiert werden kann. Innerhalb der Hierarchie der Wissenschaften betrachtet er sein Fach als das komplizierteste und wichtigste. Dessen Vertretern, den Soziologen (als «savants positifs»), will Comte «confier ... le travail théorique de la réorganisation sociale» [11], während «le pouvoir temporel appartiendra aux chefs des travaux industriels» [12].
In Deutschland wird die Verbindung von S. als wissenschaftlicher Theorie und Soziologie von F. Tönnies hergestellt. Sozialistische Theorien, gekennzeichnet durch Antiliberalismus und kritische Analyse, seien schon von Saint-Simon und Comte entwickelt worden [13]. «Eine sozialistische Theorie heißt hier nicht: eine Theorie, die bestimmte Werturteile (über Kapitalismus, Privateigentum, Proletariat) fällt, eine bestimmte Politik oder gar eine Gesellschaftsordnung postuliert, sondern gemeint ist nur eine Theorie, die nicht die entwickelten und als selbstverständlich geltenden Werturteile des Liberalismus und also der vorherrschenden sozialphilosophischen Ansicht ohne weiteres gelten läßt. ... Die Theorie stellt sich kritisch, d.h. erkennend, betrachtend, beobachtend, theoretisch, zu den Dingen und ihrer Entwicklung» [14]. In dieser Beurteilung des Liberalismus als Gegenpart des S. dürfte Tönnies durch die Kritik von K. Marx an J. S. Mill [15], einem Schüler von J. Bentham und D. Ricardo, beeinflußt worden sein. Marx rechnet Mill der ‘bürgerlichenʼ Ökonomie zu und stellt ihn damit in den Augen nicht nur der Marxisten auf die Seite der Gegner des S. Tönnies nimmt Mill in einem Überblick über den S. in England überhaupt nicht zur Kenntnis [16]. Tatsächlich aber gehört J. S. Mill, der im Laufe seiner theoretischen Arbeiten mit den Gedanken von Owen, Saint-Simon, Comte und Fourier in Berührung gekommen ist [17], zu den Vätern des S. In seiner ‹Autobiographie› ordnete er sich selbst «under the general designation of Socialists» [18] ein. Während Mill allen Konzeptionen eines despotischen Kommunismus eine Absage erteilt, beschreibt er in seiner berühmt gewordenen Passage seines Hauptwerks ‹Principles of Political Economy› (1848) die wahrscheinliche Zukunft der Arbeiterklasse in einem kooperativen S. als eine «association of the labourers themselves on terms of equality, collectively owning the capital with which they carry on their operations, and working under managers elected and removable by themselves» [19].
F. Oppenheimer vertritt einen «liberalen S.», der nicht zuletzt von dem «sozialen Liberalismus» [20] Mills, bes. «seiner zweiten halbsozialistischen Periode» [21], seine Herkunft ableitet. Oppenheimer stellt sich mit seinem Konzept des liberalen S. zwischen die Theorien des Kapitalismus und des Kommunismus, diskutiert sie aber an den Programmen der «sozialdemokratischen Partei» und des «Programms des Rechts-S.» [22]. Seine Zentralthese: «Wo das Land Volkseigentum ist, ist Kapitalismus unmöglich» [23], läuft auf die Forderung einer moderaten Landreform hinaus. Neben Oppenheimer ist es J. A. Schumpeter, der ausdrücklich an Mill als einen «evolutionary socialist» [24] anknüpft. Schumpeters Begriffsdefinition ist geprägt vom Gegensatz zwischen «kommerzieller» und «sozialistischer Gesellschaft» [25]. Sein S. ist ein allein auf die Regelung der ökonomischen Probleme beschränkter «Centralist Socialism» [26]. Der Einfluß Mills macht sich auch bei A. Wagner bemerkbar, der zwar davon ausgeht, daß «S. der Gegensatz zum ‘Individualismusʼ» ist, der dann jedoch konstatiert: Das «richtige ist aber nicht: S. oder Individualismus, sondern S. und Individualismus» [27]. Der S. in der Tradition von Mill möchte weder der Gesellschaft noch dem Individuum den Primat über die jeweils andere Seite einräumen. Den gesuchten Kompromiß findet man in der Beschränkung des S. auf den Sektor der Ökonomie. In diesem Sinne plädiert A. Schäffle für einen «‘praktischenʼ S.» [28] im Gegensatz zu einem «demokratischen S.» [29] oder auch zu «demokratisch-kommunistischer Realisierung des S.» [30]. Während in letzterem Fall der «Untergang der höchsten und idealsten Güter der Zivilisation» bevorstehe, beschränke sich der «praktische S.» auf den «volkswirtschaftlichen Kern» [31], nämlich auf die Frage der «Verwandlung der privaten Konkurrenzkapitale in einheitliches Kollektivkapital» [32].
Daß in der zweiten Hälfte des 19. Jh. das Wirtschaftsgeschehen in Deutschland in steigendem Maße auf monopolistischer Grundlage organisiert worden sei, ist Ausgangsbeobachtung des S.-Konzepts von E. Jaffé. Der Krieg trage nun dazu bei, bemerkt er 1914, daß die Kartelle und Trusts nur Übergangserscheinungen seien bis zu ihrer Übernahme in Besitz und Verwaltung der Allgemeinheit. Eine Etappe zu diesem Ziel sei die durch den Krieg forcierte Militarisierung des Wirtschaftslebens [33]. Noch während des Kriegs (1916) schließt sich L. von Wiese dieser Einschätzung weitgehend an. Was im System der Politik der Militarismus, das sei im System der Wirtschaft und des Sozialen der S.; denn beide seien ihren Grundkräften nach gleich, die letztlich die straffe Organisation und genaue Regulation der menschlichen Aktionen beförderten [34]. Bei dem, was hier entstehe, handle es sich nicht etwa um einen Klassen-S., sondern um einen Staats-S. Im Unterschied zum Klassen-S., der einer gesellschaftlichen Klasse, den Besitzlosen oder dem Proletariat die Aufgabe der sozialistischen Umgestaltung zuschreibe, seien es beim Staats-S. die einzelnen Staaten, die durch Gesetzgebung und Verwaltung den S. herbeiführten [35]. Wiese hält es in mancher Hinsicht für legitim, anstelle von ‹Staats-S.› von ‹Staatskapitalismus› zu sprechen [36]. Auf jeden Fall bringe der Staats-S. die Gefahr mit sich, die Freiheit der Individuen allzusehr zu beschränken. Zwar sei seine Heraufkunft nahezu unvermeidlich, aber es komme darauf an, durch Kompromisse zwischen ihm und den liberalen politischen Grundsätzen unerwünschte Wirkungen abzuschwächen [37].
Ähnlich wie von Wiese und Jaffé sieht auch J. Plenge eine neue Zeit, nämlich die Zeit des S., heraufziehen. ‹S.› ist für ihn gleichbedeutend mit ‹Organisation› [38]. Da für Plenge der S. bewußte und freiwillige Bindung des Einzelnen an das gesellschaftliche Ganze bedeutet, spricht er sich für eine Beibehaltung des Privateigentums aus, sofern es im Interesse des Gesamtwohls eingesetzt wird. Die Realisierung eines solchen Gesellschaftsmodells setzt allerdings sowohl wissenschaftlich fundierte Kenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge als auch die Etablierung einer Führerschicht, die die Gesellschaft im Sinne des S. zu führen vermag, voraus. Mit dem Konzept eines «aufbauenden S.», eines «S. der sozialen Funktionäre» [39], kommt Plenge den Modellen Saint-Simons und Comtes nahe. Die neue Ordnungselite soll nicht parlamentarisch-demokratischer Kontrolle, sondern allein dem Sachverstand verpflichtet sein. Außerdem ist für sie eine volkswirtschaftlich-soziologische Ausbildung vorgesehen. Offensichtlich eignen sich die Gedanken der frühen französischen Soziologie für Versuche, einen Weg zwischen Staats-S. und Staatskapitalismus einerseits und liberalem Konkurrenzkapitalismus andererseits zu finden. Der Eindruck bestätigt sich kurz nach dem Krieg, als E. Troeltsch im Anschluß an die Konzeption Plenges konstatiert, daß sich «in Deutschland und den östlichen Nachbarländern» nicht die «reine Demokratie westlichen Stiles», sondern eine «mit S. durchsetzte Demokratie» verwirklicht habe [40]. Demokratie und S., jeweils von ganz verschiedener geistiger und historischer Herkunft, können Troeltsch zufolge in einem «organisatorischen S.» [41] oder einem «S. der Organisation» [42] fusionieren. Letztlich handle es sich bei diesem Vorschlag um einen Kompromiß zwischen einem «organisatorischen Not-S.» und einem «Handarbeiter-S.» [43]. Träger eines solchen S. sollen nicht mehr die sozialistischen Intellektuellen sein, auch nicht das Proletariat oder der Staat mit seinen Organen, sondern die «Ingenieur-Sozialisten» [44].
Aus vergleichbarer Perspektive, nämlich der Unvermeidbarkeit des S., macht auch M. Scheler einen Kompromißvorschlag: Im Unterschied zum Konzept jenes an Comte erinnernden ‘positivenʼ Ingenieurs bei Troeltsch sucht Scheler eine christlich abgeschwächte Variante des S.: «in einer Welt, in der ein gewisses Maß von S. die Selbstverständlichkeit einer allgemeinen Weltüberzeugung anzunehmen beginnt und eigentlich nur noch über die Art und Richtung des S. gestritten wird» [45], müsse man sich, um wenigstens das Schlimmste, nämlich einen «Zwangskommunismus» [46] zu verhindern, auf einen «prophetischen» bzw. «christlichen S.» [47] verständigen. Dieser Weg der Zügelung des heraufkommenden S. durch seine Vermischung mit liberalen, ingenieurwissenschaftlichen und christlichen Elementen wird auch von G. Schmoller vorgeschlagen. Der Gefahr eines despotischen S. könne durch Wissenschaft begegnet und der «berechtigten Aufgabe» [48] des S. entsprochen werden. Besonders in Krisenzeiten hätten solche Konzepte Konjunktur. Diese Auffassung ist nicht nur während des Ersten Weltkriegs verbreitet. Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs fordert A. J. Toynbee ebenfalls «a working compromise ... between unrestricted free enterprise and unlimited socialism» [49]. Der sich zu seiner Zeit schon abzeichnenden Konfrontation der beiden großen Machtblöcke will er mit einer «Mischung zwischen Freiwirtschaft und S.» [50] zuvorkommen. Zur Verhandlung der hierbei aufkommenden Probleme schlägt er, jenseits von Fanatismus und Glauben, eine pragmatische Haltung vor, die Vor- und Nachteile, Irrtümer und Bewährung überprüft [51].
Eine solche Haltung zeichnet auch M. Weber aus, der, selbst kein Sozialist, zum Ende des Ersten Weltkriegs unter dem Eindruck der Russischen Revolution das Thema ‹S.› unter rein ökonomischen Gesichtspunkten abhandelt: «der Gegensatz zu S. ... ist: privatwirtschaftliche Ordnung» [52]. Weber dekliniert die verschiedenen Varianten des S. wie «Staats-S.» [53], «Konsumenten-S.»[54] unter folgender Fragestellung durch: «was innerhalb einer Gesellschaft unternehmungsmäßig, also privatwirtschaftlich und was nicht privatwirtschaftlich, sondern – in diesem weitesten Sinne des Wortes – sozialistisch, das heißt: planvoll organisiert, an Bedarf gedeckt wird, hat geschichtlich gewechselt» [55]. In der streng wissenschaftlichen Einstellung gegenüber dem S. stimmt E. Durkheim mit Weber überein. Durkheim analysiert den S. als ein historisches Phänomen. «Mais, pour celà, il ne faut pas considérer le socialisme dans l'abstrait, en dehors de toute condition de temps et de lieu, il faut, au contraire, le rattacher aux milieux sociaux où il a pris naissance ... Nous nous efforcerons de déterminer en quoi il consiste, quand il a commencé, par quelles transformations il a passé et ce qui a déterminé ces transformations» [56].
Hier ist schon die Herangehensweise einer wissenssoziologischen Perspektive auf den S. angedeutet, die dann von K. Mannheim konsequent ausformuliert wird. Von konservativen Quellen inspiriert, hat die sozialistische Theoriebildung nunmehr gelernt, die historische Bedingtheit der Ideen und der politischen Konzepte in Rechnung zu stellen [57]. So gesehen, ist der S., was Engels zufolge die Utopisten übersehen haben [58], nicht Ausdruck einer absoluten Wahrheit, die nur entdeckt zu werden brauchte, sondern eine zeitbedingte Theorie.
Aus dieser Perspektive lassen sich nun die einzelnen Varianten der Theorien des S. auf ihre gesellschaftliche Geschichtsbedingtheit hin untersuchen. Diese Soziologie, die das ideologiekritische Erbe des S. antritt und das Verfahren der Ideologiekritik auf diesen selbst anwendet, rückt nach Mannheim immer mehr in die Position einer «Zentralwissenschaft» [59]. Zugleich wirkt sie ernüchternd, sobald sie auf die Theorie des S. angewendet wird, denn sie «zerstört die sozialvitale Intensität seiner Idee» [60], besonders ihren utopischen Gehalt. Dies hat erhebliche Folgen für die freischwebenden sozialistischen Intellektuellen, von denen eine Gruppe sich völlig von der Ideologie löst. Sie «wird skeptisch und vollzieht in der Wissenschaft im Namen der Echtheit die soeben charakterisierte Ideologiedestruktion» [61]. Was hier stattfindet, ist so etwas wie eine Transformation des S. von einer Ideologie in eine Einzelwissenschaft, nämlich in die Soziologie.
Daneben haben aber auch ältere akademische Disziplinen sozialistisches Gedankengut integriert. Dies gilt nicht nur – wie schon beobachtet – für die Ökonomie, sondern auch für die Staatsrechtslehre. Der Rechtsphilosoph H. Ahrens erklärt 1870, der S. wolle «irgend eine, das Princip der individuellen Persönlichkeit mehr oder minder achtende Form der Association» [62] verwirklichen. Mit Hilfe seiner Unterscheidung zwischen einem «Privat-S.», der «keine gesellschaftliche Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung» darstellt, und einem «Staats-S.» [63], dessen «Theorien ... die ganze gesellschaftliche Ordnung in hohem Grade gefährden», will Ahrens den Privat-S. als eine vom Genossenschaftsgedanken ausgehende Arbeitsordnung einführen. Genossenschaftsrechtlich argumentiert auch der Rechtshistoriker O. von Gierke[64], den man als Vertreter des ‘juristischen S.ʼ bezeichnet [65]. Um so erstaunlicher, daß ein dem genossenschaftsrechtlichen Gedanken entgegengesetzter Rechtspositivismus, wie H. Kelsen ihn vertritt, den S. nicht von vornherein kategorisch ablehnt. So hat Kelsen in seiner Schrift ‹S. und Staat› betont, daß diese «sich nicht gegen den S. richtet. Nur der Marxismus und auch von diesem nur seine politische Theorie ist es, mit der ich mich auseinandersetze» [66]. Kelsen wendet sich vehement gegen die marxistische Vorstellung, es könne eine Gesellschaft ohne Staat gedacht werden [67]. Weit weniger distanziert argumentiert H. Heller. Für Heller gründet der S. «in der Idee der gesellschaftlichen Gerechtigkeit, in dem Willen zu gegenseitiger Hilfe und gerechter Gemeinschaft, in der sittlichen Gestaltung unserer gegenseitigen Beziehungen» [68]. Sozialistische Politik läßt sich demnach erst dann auf die Fragen der Zeit ein, wenn sie das nationale Schicksal und den parlamentarisch-demokratisch organisierten Staat bejaht, wozu keine konsequent marxistische Position, die an Internationalismus und Staatsverneinung festhalte, in der Lage sei [69].
Diese Verbindung von Staat, Kulturnation und S. ist auch als «nationaler Kultur-S.» charakterisiert worden [70]. Hiermit ist zugleich die Stoßrichtung von W. Sombarts Konzept eines S. als Ordnungsprinzip angegeben. In seinem Spätwerk ‹Deutscher S.› (1934) will er den S. nicht als «rein wirtschaftliches Problem betrachten», sondern als «Ordnung aller gesellschaftlichen Verhältnisse» [71] verstanden wissen. «Die logische Anordnung dieser Auffassung ist also folgende: Erster (abstrakter) Oberbegriff: S.; erster (konkreter) Unterbegriff: Nationaler S.; zweiter (individueller) Unterbegriff: Deutscher S.» [72]. Wortgeschichtlich hat Sombart Vorläufer. So beschreibt E. Dühring das S.-Konzept von F. Lassalle als «National-S.» [73]. G. Schmoller bezieht den Terminus «deutscher S.» [74] auf Theorien, die in Deutschland entwickelt worden sind. Interessanterweise vermutet H. Spencer, daß die Konjunktur des S. in Deutschland kein Zufall sei, sondern aufgrundder inneren Verwandtschaft von S. und perfekter Heeresorganisation, wie sie hier durchgeführt sei, geradezu naheliege [75]. Als ob Sombart die Hellsicht Spencers hätte bestätigen wollen, bestimmt er als Agenten der sozialistischen Bewegung nicht eine soziale Gruppe oder Klasse, sondern den Staat. «Da der Deutsche S. nationaler S. ist ..., so kommen als die Mächte, die [ihn] ... herbeiführen sollen, nur die staatlichen Mächte, kommt nur der Staatsmann in Betracht» [76]. Ausgehend von dem Thema «S. und soziale Bewegung», hat sich Sombart über den «proletarischen S.» [77] auf den deutschen S. hinbewegt. Auf das gleiche Ziel hin, wenn auch aus anderer Richtung kommend, orientiert sich A. Gehlen. Nachdem H. Dietzel schon 1888 J. G. Fichte als deutschen Sozialisten bezeichnete [78] und Marianne Weber sich 1900 mit einem S. Fichtes befaßt hat [79], führt Gehlen 1935 erneut Fichte als Vorläufer des «Deutschen S.» ein [80]: «die berühmte Schrift über den ‘geschlossenen Handelsstaatʼ (1800) muß man ... in Hinsicht auf die Begründung eines nationalen S.» sehen [81]. Da die privatwirtschaftliche «Produktionsanarchie» weder das Recht auf Eigentum noch das auf Arbeit garantieren könne, sei es Aufgabe des Staates, «durch Überwachung und Leitung der gesamten Wirtschaft und Produktion» diese zu sichern [82]. Nicht Überwindung des Privateigentums und des Staates, sondern gerade deren Bestandserhaltung ist Programm dieses Deutschen S.
Friedhelm Guttandin
[1]
A. Gehlen: Deutschtum und Christentum bei Fichte (1935). Ges.ausg. 2, hg. L. Samson (1980) 227.
[2]
W. Sombart: S. und soziale Bewegung (1896, 51905) 50.
[3]
L. Stein: Proletariat und Ges., Text nach: Der S. ..., a.O. [21 zu 1.] (1971) 10.
[4]
a.O. 20.
[5]
21.
[6]
K. Biedermann: Vorles. über S. und soziale Fragen (1847) 5. 7.
[7]
Vgl. G. Gutzkow: 25. Brief (18. 4. 1842). Briefe aus Paris. Ges. Werke 12 (1845–46) 293; Marlo [Winkelblech], a.O. [2 zu 5. a)] 347 (Anm.).
[8]
E. Dühring: Krit. Gesch., a.O. [1 zu 3.] (1900) 228.
[9]
A. Comte: Cours de philos. positive 4: Partie dogmatique de la philos. sociale, 47e leçon (1839). Oeuvr. 4 (51893, ND Paris 1969) 201 (Anm. 1).
[10]
Catéchisme positiviste ou sommaire exposition de la religion univ. ... (1852). Oeuvr. 11 (ND Paris 1970) 1.
[11]
Plan des travaux scient. nécessaires pour réorganiser la société. Ecrits de jeunesse (1816–28), suivis du mém. sur la cosmogonie de Laplace (1835), hg. P. E. de Berrêdo Carneiro/P. Arnaud (Paris/Den Haag 1970) 241–321, hier: 264; dtsch.: Plan der wiss. Arbeiten, die für eine Reform der Gesellschaft notwendig sind (1973) 68; vgl. Art. ‹Soziologie›.
[12]
a.O. 263/68.
[13]
Vgl. F. Tönnies: Gemeinschaft und Ges. (21912) Vorrede (ND 1991) XXIX.
[14]
a.O.
[15]
Vgl. K. Marx: Grundrisse der Kritik der polit. Ökonomie (1857/58). MEGA2 II/1, 1 (1976) 24f.
[16]
Vgl. F. Tönnies: Ethik und S. Erster Artikel (Schluß). Arch. Soz.wiss. Soz.politik 26 (1908) 78.
[17]
Vgl. G. Claeys: Justice, independence, and industrial democracy: The developm. of J. S. Mill's view of socialism. J. Politics 49 (1987) 122–147, bes. 126; R. Ottow: Why J. S. Mill called himself a socialist. History Europ. Ideas 17 (1993) 479–483, 480f.
[18]
J. S. Mill: Autobiography (1873), in: Autobiogr. and lit. essays (Toronto 1981) 238.
[19]
Princ. of polit. econ. IV, 7, 5 (1848). Coll. works 3 (Toronto 1965) 775; dtsch.: Grundsätze der polit. Oekonomie nebst einigen Anwend. ders. auf die Ges.wiss. (1864) (1913–21) 581.
[20]
F. Oppenheimer: Weder Kapitalismus noch Kommunismus (21932) 186.
[21]
a.O. 184.
[22]
205.
[23]
183.
[24]
J. A. Schumpeter: History of economic reasoning, hg. E. B. Schumpeter (New York 1954) 531; dtsch.: Gesch. der ökon. Analyse (1965) 650.
[25]
Capitalism, socialism, and democracy (London 1942) 167; dtsch.: Kapitalismus, S. und Demokratie (31972) 267.
[26]
a.O. 168/268.
[27]
A. Wagner: Grundleg. der polit. Ökon., in: W. Sombart: Grundlagen und Kritik des S. 2 (1919) 278 (Anhang).
[28]
A. Schäffle: Die Quintessenz des S. (221919) V (Vorw. zu 131891).
[29]
a.O. IV.
[30]
64.
[31]
a.O.
[32]
11.
[33]
E. Jaffé: Der treibende Faktor in der kapitalist. Wirtschaftsordnung. Arch. Soz.wiss. Soz.politik 40 (1915) 3–29, 28.
[34]
Vgl. L. von Wiese: Staats-S. (1916) 13.
[35]
a.O. 34; vgl. auch oben 5. a).
[36]
75.
[37]
26.
[38]
Vgl. J. Plenge: Marx und Hegel (1911) 178.
[39]
a.O. 180.
[40]
Vgl. E. Troeltsch: S. Kunstwart Kulturwart 33 (1. Febr.heft) (1920) 97–107, 97.
[41]
a.O. 103.
[42]
102. 104.
[43]
a.O.
[44]
Anon. [E. Troeltsch]: Um den S. 4, a.O. [40] (2. Märzheft 1920) 254–257, zit. 256.
[45]
M. Scheler: Prophet, und marxist. S.? (1919). Ges. Werke 6 (31986) 261.
[46]
a.O. 268.
[47]
a.O.
[48]
G. Schmoller: Grundr. der Allg. Volkswirtschaftslehre 1 (1901) 99.
[49]
A. J. Toynbee: Civilisation on trial (New York 1948) 147; dtsch.: Kultur am Scheidewege (1949) 155.
[50]
a.O. 148/156.
[51]
Vgl. a.O.
[52]
M. Weber: Der S. (1918) 11. Akad.-A. I/15 (1984) 599–633, hier: 609.
[53]
a.O. 16/614.
[54]
16/615.
[55]
11/610.
[56]
E. Durkheim: Le socialisme (Paris 1928) 10f.
[57]
Vgl. K. Mannheim: Ideologie und Utopie (1929, 71985) 211; Sombart, a.O. [2] 54ff.
[58]
Engels, a.O. [5 zu 3.]. MEW 19, 200f.
[59]
Mannheim, a.O. [57] 213.
[60]
a.O. 215.
[61]
222.
[62]
H. Ahrens: Naturrecht oder Philos. des Rechts und des Staates (1870/71) 1, 197.
[63]
a.O. 208.
[64]
Vgl. O. Gierke: Das dtsch. Genossenschaftsrecht 1: Rechtsgesch. der dtsch. Genossenschaft (1868, Graz 1954).
[65]
Vgl. G. Dilcher: Genossenschaftstheorie und Sozialrecht: Ein ‘Juristen-S.ʼ O. von Gierkes? Quaderni Fiorentini 3–4 (1974/75) 319–365.
[66]
H. Kelsen: S. und Staat. Eine Unters. der polit. Theorie des Marxismus (1920, 21923) V.
[67]
a.O. 48f.
[68]
H. Heller: S. und Nation (1925, 21931) 9. Ges. Schr., hg. M. Drath u.a. (Leiden 1971) 1, 437–526, hier: 442.
[69]
Vgl. W. Schluchter: Entscheidung für den Rechtsstaat. H. Heller und die staatstheoret. Diskussion in der Weimarer Republik (21983) 125.
[70]
Vgl. a.O. 137.
[71]
W. Sombart: Dtsch. S. (1934) 59.
[72]
a.O. 122.
[73]
Dühring, a.O. [1 zu 3.] (1900) 541.
[74]
Schmoller, a.O. [48] 98.
[75]
H. Spencer: The princ. of ethics 2 (New York 1893, ND 1966) 44.
[76]
Sombart, a.O. [71] 170.
[77]
a.O. 160; Der prolet. S. 1–2 (1924) [= 10., neugearb. Aufl. von ‹S. und soz. Bewegung› (1896)].
[78]
Vgl. H. Dietzel: Rodbertus. Darst. seiner Sozialphilos. (1888) 19f.
[79]
Vgl. M. Weber: Fichtes S. und sein Verhältnis zur Marxschen Doktrin. Volkswirtschaftl. Abh. der bad. Hochschulen 4/H. 3 (1900).
[80]
Gehlen, a.O. [1] 227.
[81]
a.O.
[82]
233.
7. Der «konservative S.». – Der während des Ersten Weltkriegs in Deutschland aufgekommene Begriff des «konservativen S.» ist – gleich den älteren Prägungen – das Ergebnis einer liberalismus- und kapitalismuskritischen Einstellung, die nun mit zivilisations- und kulturkritischen Motiven verbunden wird. Zudem markiert diese Begriffsentwicklung einen Orientierungswechsel: von einer Ideologie, die im Namen der Unterdrückten der ganzen Welt auftritt, zu einer Ideologie für Volk und Nation [1]. Dabei berufen sich die konservativen Sozialisten in entscheidenden Punkten auf F. Nietzsche. Dessen eigenes S.-Verständnis, welches sich in vernichtender und rein polemischer Kritik äußert, – Nietzsche beschimpft den S. als «tölpelhaftes Mißverständniß» des «christlichen Moral-Ideals» [2], «als die zu Ende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten» [3] – übernehmen sie jedoch keineswegs. Statt dessen knüpfen sie an die Vorarbeiten der deutschen Staatssozialisten an [4], die dem Begriff einen eigenen Inhalt verliehen und ihn in diesem Sinne positiv besetzt hatten.
Der Bruch mit den linkssozialistischen Traditionen zeigt sich beispielhaft bei O. Spengler. Mit Nietzsche deutet Spengler seine Zeit als Verfallsstadium der abendländischen Kultur, die nur ein spezifischer S. regenerieren könne. «Es ist kein Zweifel, daß uns Römerzustände bevorstehen, aber eine monarchisch-sozialistische Ordnung kann sie unwirksam machen» [5]. Anders als Nietzsche will Spengler mit dem Katalog der klassischen preußischen Tugenden zugleich die Idee des S. retten und erklärt diesen kurzerhand zum exklusiven Traditionsgut der Deutschen: «es gilt, den deutschen S. von Marx zu befreien. Den deutschen, denn es gibt keinen anderen ... Wir Deutsche sind Sozialisten. Die anderen können es gar nicht sein» [6]. Diese Leitvorstellung setzt Spengler dem sog. «Wirtschafts-» bzw. «Arbeitersozialismus» entgegen, der hinter dem Schlagwort von der «Überwindung des Individualismus» eine «Apotheose des Herdengefühls» verstecke [7]. Liberalismus und Links-S. faßt Spengler als komplementäre Erscheinungen. Der davon abgehobene preußische S. stelle demgegenüber eine «Lebensform» in Aussicht [8], die aus dem Prinzip «alle für alle» und dem daraus folgenden Gedanken lebe, «daß jeder einzelne ohne Unterschied der Stellung Diener des Ganzen, des Staates ist» [9]. Die Partei- und Klassenorientierung der älteren und konkurrierenden S.-Vorstellungen soll damit entfallen. «S. ist, rein technisch gesprochen, das Beamtenprinzip. Jeder Arbeiter erhält letzten Endes den Charakter eines Beamten statt eines Händlers, jeder Unternehmer ebenso» [10]. Um die, wie Spengler diagnostiziert, bedrohte Kultur zu retten, reicht die Verwirklichung des preußischen S. an Ort und Stelle jedoch nicht aus. Der preußische S. ist expansionistisch. «Es ist die entscheidende Frage nicht nur für Deutschland, sondern für die Welt, und sie muß in Deutschland für die Welt gelöst werden: Soll in Zukunft der Handel den Staat oder der Staat den Handel regieren? Ihr gegenüber sind Preußentum und S. dasselbe» [11].
In der Revolutionszeit von 1918/19 prägt W. von Moellendorff mit einer programmatischen Schrift den syntagmatischen Begriff «Konservativer S.». Da die Linkssozialisten «die Kapitalisten» nicht hätten beerben können, obwohl die «wirtschaftliche Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft ... in großen Zügen den ihr vorausgesagten Lauf genommen» habe [12], seien offenbar die Menschen selbst nicht reif für eine sozialistische Gesellschaft. Diesen Bedenken entspricht – wie bei Spengler – eine kultur- und liberalismuskritische Haltung besonders gegenüber der technischen Entwicklung, welche die linkssozialistische Anbetung der Produktivkräfte ausdrücklich einschließt. «Sozialist sein heißt, über den Kapitalismus hinaus das Getriebe der Wirtschaft nicht nur zweckmäßig einrichten zu wollen, sondern ihm im Namen der Gemeinschaft den Zweck erst setzen. Die Wirtschaft ist nicht um ihrer selbst willen da» [13]. An die Stelle einer «sich rational dünkenden Produktion» setzt Moellendorff den Entwurf eines «organisatorischen S.» [14], welcher «der Gemeinschaft in all ihren Gliedern eine mäßige Lebensfristung» sichern soll [15]. Die gegebenen Eigentumsverhältnisse sollen erhalten bleiben. Der konservative S. beabsichtigt lediglich eine Korrektur der «heutigen Eigentumsgeltung» [16] zugunsten einer «organisatorischen Sozialisierung» [17], die sich sozialreformerischen Ideen – etwa der Forderung nach Lohngleichheit – gegenüber durchaus aufgeschlossen zeigt. Eine gewisse Sympathie mit der russischen Revolution ergibt sich aus der von Moellendorff und ebenso von A. Moeller van den Brück vertretenen Auffassung, jedes Volk müsse die Gelegenheit haben, «einen solchen S. aus sich heraus zu gebären» [18].
In seinem Buch ‹Das dritte Reich›, einer 1922 entstandenen Programmschrift des konservativen S. und der «konservativen Revolution» [19], wiederholt und bekräftigt Moeller van den Brück den Satz Spenglers: «Jedes Volk hat seinen eigenen S.» [20]. Als S. gilt hier die auf einem «national gebundenen Gebiet» herrschende «Wirtschaftsform eines Volkes» [21]. Nachdem sich der marxistische S. in weltgeschichtlichem Maßstab verkalkuliert habe, könne die Menschheit nur noch von einem S. Rettung erhoffen, der sie «nicht in Klassen aufteilt, sondern in Völkern begreift: und der in der Nation einen Körper sieht» [22]. Daher habe der S. in jedem Land seinen spezifischen Sinn. So solle man sich den «deutschen S.» in der Tradition von List, Weitling, Luther, Stein und Rodbertus als «eine körperschaftliche Auffassung von Staat und Wirtschaft» denken, «die vielleicht revolutionär durchgesetzt werden muß, aber alsdann konservativ gebunden sein wird» [23]. Der konservative S. ist nicht nur nationalistisch, er ist auch antimarxistisch, antirationalistisch, antiwestlich und antiparlamentarisch. Modelle wie das Zunftwesen des Mittelalters, gemeinwirtschaftliche Vorstellungen und der Führergedanke sollen den «Liberalismus» des «Westlertums» endgültig ablösen.
Ohne ausdrücklichen Bezug auf Moellendorff plädiert 1919 J. Plenge gleichfalls für einen «organisatorischen S.» bzw. «organisatorischen Volkssozialismus» [24]. Von diesem unterscheidet er den S. «als Gesinnung». Während unter jenem S. der «gesellschaftlichen Organisation» die «vollbewußte Gestaltung der Gesellschaft zur höchsten Kraft und Gesundheit» verstanden werden soll, betont das Gemeinschaftsideal, das Plenge mit zahlreichen zeitgenössischen Autoren teilt [25], die «Befreiung des Einzelnen zur bewußten Einordnung in das begriffene Lebensganze von Staat und Gesellschaft» [26]. Diesen S. nennt Plenge auch «inneren S.» und schließt ihn mit dem «äußeren Individualismus» zu einer Idealvorstellung zusammen. Die während des Weltkriegs erfolgte Einschränkung der Privatwirtschaft in Deutschland scheint ihm die Möglichkeit eines «wirtschaftlichen Staatssozialismus» [27] erwiesen zu haben. In Friedenszeiten soll an die hier demonstrierte «Kräftezusammenfassung von Staat und Wirtschaft» [28] angeknüpft werden. Funktionsträger dieses S. soll in erster Linie der sog. «Organisator» sein, der «Zusammenordner zur planvollen Arbeit» [29]. Dementsprechend scheint Plenge der Parlamentarismus für einen «organisatorischen S.» vollkommen ungeeignet zu sein. «Denn der S. verlangt weitgespannte Pläne, gut beaufsichtigte Beamte und große Autorität» [30]. Die «Volksorganisation» soll in die Hände eines «Vertrauensausschusses von hervorragenden Köpfen» gelegt werden, «der für eine ganze Reihe von Jahren seiner Macht sicher ist» [31].
Im Zusammenhang mit dem Ideal eines «Ständestaates» spricht O. Spann zwar ebenfalls von «organisierter Wirtschaft» [32], verzichtet dabei jedoch auf den Begriff ‹S.›. Unter ‹S.› versteht er vielmehr kritisch jene Gesellschaftstheorien und -utopien, die von der Möglichkeit der Gleichheit von Individuen in homogenen Gemeinschaften ausgehen, vor allem die Gesellschaftslehre des Marxismus und ihre praktischen Umsetzungsversuche durch die Bolschewiki und die Sozialdemokraten. Die «vollständige Durchvergemeinschaftung der Menschen» sei ein «Ungedanke» [33]. Für Spann ist der S. eine praktische «Grenzerscheinung in Geschichte und Erfahrung»: Überall dort, wo geistig Gleichartige sich in größerer Zahl zusammenfänden, zeigten sich tatsächlich «Erscheinungen sozialistischer Art» [34], die jedoch als Normen für eine entwickelte Gesellschaft nicht ausreichten.
Nachdem W. Sombart – nach gewissen Sympathien in früherer Zeit – in den zwanziger Jahren den marxistischen S. kritisiert und zurückgewiesen hatte [35], liefert er 1934 eine alternative S.-Konzeption. Sein S. erscheint nun als «sozialer Normativismus», d.h. als «ein Zustand des gesellschaftlichen Lebens, bei dem das Verhältnis des Einzelnen grundsätzlich durch verpflichtende Normen bestimmt wird, die einer allgemeinen im politischen Gemeinwesen verwurzelten Vernunft ihren Ursprung verdanken und im Nomos ihren Ausdruck finden» [36] soll. Nachdem er den S.-Begriff derart formalisiert hat, kann Sombart sagen, jede und also auch eine liberalistische Gesellschaft enthalte sozialistische Elemente und umgekehrt. Seinen «deutschen S.» hält er selbst – neben dem marxistischen und dem christlichen S. – für den dritten S.-Begriff von Bedeutung in der Neuzeit. Es soll dies eine Ordnung sein, die dem, was Sombart für deutsche Eigenart hält, entspricht: antikapitalistisch, unproletarisch, zwangsfrei und «totalistisch» [37]. Wie Spann will Sombart seine auch als «mittelständischen S.» bezeichnete Gesellschaft ständisch gegliedert wissen [38], die wirtschaftlich das Ziel der Autarkisierung der deutschen Volkswirtschaft verfolgen soll [39].
Der nationalsozialistische S.-Begriff gleicht im wesentlichen dem konservativen, der den während des 19. Jh. vorherrschenden selbstverständlichen Internationalismus des S. revidiert hatte. Bereits um die Jahrhundertwende sind so die Idee eines «deutschen S.» und (in Zusammenhang damit, seit etwa 1908) die Wortbildungen Nationalsozialist bzw. 1919 ‹National-S.› möglich [40]. Vorwiegend über propagandistische Schriften verbreitet, erfährt der Begriff freilich eine beträchtliche Vulgarisierung. A. Rosenberg empfiehlt den S. als die «von einem Kollektiv durchgeführte Sicherung des Einzelwesens bzw. ganzer Gemeinschaften vor jeglicher Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte» [41]. Unter Bezug auf Bismarck [42] bezeichnet er z.B. die Verstaatlichung der Deutschen Reichsbahn als eine «sozialistische Maßnahme vorbildlicher Art» [43]. Staats- und Eigentumsformen hingegen sollen für die Realisierung des S. nicht entscheidend sein: Privates Eigentum werde anerkannt, «wo es eine Gesamtsicherung verbürgt» [44], verspricht Rosenberg und nennt die Monarchie «wesentlich sozialistischer als die Republik von Weimar», welche privaten und gar ausländischen Finanziers Einfluß eingeräumt habe [45]. Ähnlich G. Strasser: «Im bewußten Gegensatz zur französischen Revolution, als ihr Gegenpol und Überwinder, verwirft der Nationalsozialismus die Phrase vom Individualismus ..., verwirft er den Rationalismus ... So liegt in der nationalsozialistischen Staatsidee letzten Endes die Ablösung der liberalen Epoche, das Bekenntnis ... zur deutschen Seelengestalt» [46]. Im gleichen Jahr betont Strasser den revolutionären Charakter des deutschen S. und repräsentiert damit eine Richtung innerhalb der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), die ein Jahr nach der Machtübernahme gewaltsam entfernt wird. Die Kapitalismus- und Zivilisationskritik dieses «revolutionären Nationalsozialisten» [47] steht stellvertretend für das theoretische Muster der meisten konservativen und nationalen Sozialisten: «Das Lebensgefühl der breiten Massen kehrt sich in steigendem Maße von jenen kapitalistischen Wirtschaftsformen der Industrialisierung, der Riesenstädte und der Technik ab und drängt gebieterisch nach neuen Formen» [48], vor allem nach einer neuen «Einfachheit der Lebenshaltung» [49], nach der «planmäßigen Entstädterung» und «Reagrarisierung Deutschlands» [50] sowie dem «Abbau von Überindustrialisierung» und der «Abkehr von Riesenbetrieben» [51]. Die Attitüde des radikalen Parteiflügels überdauert teilweise dessen physische Präsenz, so z.B. bei H. O. Schäfer[52].
Dieses stark zentralistische, teilweise an vormodernen Sozialformen orientierte S.-Verständnis wird, befreit von seinen deutsch-völkischen Anteilen, in den Grundzügen von den russisch-sowjetischen Sozialisten [53] geteilt. Diese Gemeinsamkeit bestätigt im nachhinein die bereits 1918 von Moeller van den Brück vertretene These, daß es «zwischen Liberalismus und S. eine Versöhnung allerdings nie, zwischen Konservatismus und S. dagegen sehr wohl geben kann» [54].
Beate Brossmann
Redaktion
[1]
K. D. Bracher: Zeit der Ideologien (1985) 150ff.
[2]
F. Nietzsche: Nachgel. Frg., Herbst 1887 10[170] (272). Krit. Ges.ausg., hg. G. Colli/M. Montinari (1967ff.) 8/2, 224.
[3]
Nachgel. Frg., Juni-Juli 1885 37[11], a.O. 7/3, 312.
[4]
Vgl. Abschn. 5. a).
[5]
O. Spengler: Preußentum und S. (1924) 95.
[6]
a.O. 2.
[7]
Jahre der Entscheidung (1933) 180.
[8]
a.O. [5] 20.
[9]
a.O. 76.
[10]
78.
[11]
101.
[12]
W. von Moellendorff: ‘Konservativer S.ʼ (1932) 167.
[13]
a.O. 168.
[14]
175. 177.
[15]
168.
[16]
a.O.
[17]
173.
[18]
171.
[19]
Vgl. Art. ‹Revolution, konservative›. Hist. Wb. Philos. 8 (1992) 978–988.
[20]
A. Moeller van den Brück: Jedes Volk hat seinen eigenen S. (1931) [Auszug aus: Das dritte Reich (1923)] 65ff.
[21]
Das dritte Reich (31931) 314.
[22]
S. und Außenpolitik, hg. H. Schwarz (1933) 94.
[23]
a.O. [20] 69.
[24]
J. Plenge: Zur Vertiefung des S. (1919) 146.
[25]
Vgl. Art. ‹Gemeinschaft›. Hist. Wb. Philos. 3 (1974) 239–243.
[26]
Plenge, a.O. [24] 6.
[27]
a.O. 3.
[28]
6.
[29]
Die Altersreife des Abendlandes (1948) 97.
[30]
a.O. 152.
[31]
a.O.
[32]
O. Spann: Der wahre Staat (1921) 274. 279.
[33]
Gesellschaftslehre (1923) 133. 255.
[34]
a.O. 255.
[35]
Vgl. oben 6.
[36]
Sombart, a.O. [71 zu 6.] 60.
[37]
a.O. 168; vgl. G. Soballa: Was heißt S.? (1948) 160.
[38]
a.O. 224; vgl. Soballa, a.O. 169.
[39]
a.O. 284; Soballa, a.O. 178.
[40]
Vgl. Schieder, a.O. [15 zu 1.] 994f.
[41]
A. Rosenberg: Der Mythus des 20. Jh. (1942) 534.
[42]
Vgl. oben 5. a).
[43]
Rosenberg, a.O. [41] 536.
[44]
a.O. 538.
[45]
537.
[46]
G. Strasser: Die Staatsidee des Nat.soz. (1932) 1.
[47]
Int. Marxismus und Nationaler S. (1931) 38.
[48]
a.O. 28.
[49]
Aufbau des dtsch. S. (1932) 29.
[50]
a.O. 39.
[51]
40.
[52]
H. O. Schäfer: Prakt. S. (1937) 31.
[53]
Vgl. oben 5. d).
[54]
A. Moeller van den Brück: Br. an J. Plenge (15. 9. 1918), zit. nach: Plenge, a.O. [29] 119.
8. Religiöser S. – Obwohl der religiöse S. [r.S.] seine Wurzeln in der christlich-sozialen Bewegung des 19. Jh. hat, ist doch der Begriff ‹r.S.› vom Begriff ‹christlicher S.›, der in Deutschland während der Revolution von 1848/49 von H. Merz[1] und J. H. Wichern[2] geprägt worden ist und in Gegenwendung für den in Frankreich aufgekommenen politischen S. ein «antirevolutionäres Gesellschaftsprogramm» [3] bezeichnete, zu trennen. Dabei wird der Begriff weiter gefaßt, durchaus auf unterschiedliche Positionen angewandt und vor allem immer wieder problematisiert.
Lassen sich bereits bei den Frühsozialisten, etwa bei W. Weitling[4], Tendenzen zum r.S. erkennen, so verwenden doch erst die Schweizer Vertreter des r.S. seit 1907 die Selbstbezeichnung «religiös-sozial»: Wenn Laien und Pfarrer wie H. Kutter[5] und L. Ragaz[6] zu einer «religiös-sozialen Zusammenkunft» einladen [7], dann dient die Bezeichnung gerade der Abgrenzung von den christlich- und von den evangelisch-sozialen Verbänden, von denen sich die Religiösen Sozialisten unter anderem in ihrer Kirchenkritik unterschieden wissen wollen: «... die Stellung des Religiös-Sozialen zur Kirche ... [ist] von Anfang an ... unkirchlich» [8]. Der Begriffsbestandteil ‹religiös› soll dabei sowohl Unabhängigkeit vom Christentum als auch konfessionelle Freiheit signalisieren. Die Bewegung integriert zwar mehrheitlich Protestanten, ihr gehören aber auch Katholiken (W. Hohoff[9]) und Juden (M. Buber[10]) an. L. Ragaz bestimmt die Bewegung als «von Anfang an sozialistisch» [11] und definiert den r.S. als «ein Verständnis des ganzen Christentums, das dessen sozialen Sinn ins Licht stellt» [12].
Bei den frühen Schweizer Religiös-Sozialen Kutter und Ragaz[13] zeigt sich deutlich das Bemühen um eine Synthese zwischen S. und Christentum. Dabei beziehen sie sich auf Ch. Blumhardt[14] und dessen Gedanken der Realisation des ‘Reichs Gottesʼ im Hier und Jetzt, und zwar durch die sozialistische Bewegung. Der Enthusiasmus des Reich-Gottes-Gedankens der religiös-sozialistischen Anschauung erfährt allerdings durch «das Mitmachen der europäischen sozialdemokratischen Parteien bei den Massenschlächtereien des Ersten Weltkriegs und die Entwicklung des Leninschen Zentralismus» eine scharfe Brechung [15]. K. Barth steht den Schweizern anfangs nahe und wehrt sich gegen den Verdacht, den religiösen Sozialisten gehe es darum, den S. als «Mittel» zum Zweck der Durchsetzung einer christlichen Weltanschauung zu mißbrauchen [16]. Intensiv setzt er sich auch mit P. Althaus' Auffassung vom r.S. auseinander [17], der für einen «‘S. Jesuʼ» eintritt, welcher «nicht in der Empfehlung irgend einer Ordnung oder Verfassung, sondern in etwas ganz Persönlichem» bestehe [18]. Später jedoch reagiert Barth «höchst allergisch ... gegen alle Identifikationen, aber auch gegen alle solche Parallelisierungen und Analogisierungen des theologischen und des sozial-politischen Denkens ...» [19].
P. Tillich greift den Reich-Gottes-Gedanken in seinen Schriften zum «Kairos» auf [20]. Seiner Auffassung nach will der r.S. «radikaler, revolutionärer sein als der S., weil er vom Unbedingten her die Krisis zeigen will. Er will dem S. das Bewußtsein des gegenwärtigen Kairos», des richtigen Augenblicks in der Zeit, geben [21]. Tillich formuliert als Fernziel des r.S. eine neue Theonomie vom Kairos her [22]. Im Unterschied zu anderen Vertretern des r.S., die sich 1919 zum ‹Bund der Religiösen Sozialisten Deutschlands› zusammenschließen, bleibt der Kreis um Tillich eng (K. Mennicke, E. Heimann u.a.) [23]. Bezieht die ‹Kundgebung ... der religiösen Sozialisten Deutschlands 1928› konkret Stellung gegen «alle von bürgerlichen und christlichen Sozialreformern propagierten Rettungsversuche der heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung» [24] und stellt die politische Praxis in den Vordergrund, so bleiben Tillich und seine Anhänger theoretisch orientiert. Gemeinsam geben sie die Zeitschrift ‹Blätter für Religiösen S.› – ab 1930 in ‹Neue Blätter für den S.› umbenannt – heraus [25]. 1933 schreibt Tillich ‹Die sozialistische Entscheidung› [26]. Dieses Buch vermeidet wie schon zuvor die ‹Blätter für den S.› den «angefochtenen Namen ‘religiöser S.ʼ». Daß jedoch «die religiöse Wurzel der Gedanken keineswegs abgeschnitten ist, zeigt die Wahl aller zentralen Begriffe, zeigen die Abschnitte über den sozialistischen Glauben, über die Stellung des S. zu Kultur und Religion» [27]. Da dieses Werk Tillichs kurz nach Erscheinen eingestampft wird, können seine Kritik am Ursprungsmythos und seine Gedanken zur Affinität einer «romantischen» Auffassung des r.S. zum Nationalsozialismus [28] nicht wirksam werden. In seinem RGG-Artikel ‹Religiöser S.› sieht Tillich im r.S. den «Versuch, die Radikalität und Transzendenz des Religiösen zu vereinen mit der Konkretheit eines immanenten Gestaltungswillens» [29], die dem S. eigen ist, und liefert eine Typologie seiner verschiedenen Gestalten: Die «primitive» Form sei die «gesetzliche», die den S. als «die eindeutige Konsequenz der sittlichen Religion, speziell des Christentums» ansieht. Von «romantischer» Ausprägung sei der etwa im Bolschewismus zu findende Gedanke, «S. ist Religion». Demgegenüber versuche der «praktisch-politische Typ», die tatsächliche sozialistische Bewegung mit dem tatsächlichen Christentum zu vereinen und stehe überhaupt für die Möglichkeit, als Christ auch Sozialist zu sein. Der etwa durch Blumhardt – und auch Tillich selbst – vertretene «dialektische oder dynamische» Typ schließlich bemüht sich, den statischen Gegensatz zwischen S. und Christentum in ein dialektisches Verhältnis aufzulösen [30]. Unabhängig von dieser Typologie kennzeichnet den r.S. allgemein seine Übereinstimmung mit der Marxschen Analyse der kapitalistischen Gesellschaft, die Ablehnung jeglicher «utopistischen Ethik» [31] wie auch der «abstrakt egalitäre[n] und anarchische[n] Theorie des Gesellschaftsaufbaus» [32]; der r.S. ist weiterhin «konfessionell ungebunden» [33], seine «Problematik ... universal» [34].
Konkreter auf die Arbeiterbewegung bezogen als Tillich, der mehr an einer «theoretischen Klärung des Problems» Kirche und Arbeiterschaft interessiert ist [35], ist in Deutschland E. Eckert. Er agitiert in Zeitungsartikeln und kleineren Schriften, ruft in einer programmatischen Schrift ‹Was wollen die religiösen Sozialisten?› auf zum «Kampf um die Vertiefung der sozialistischen Bewegung durch die Kräfte der Religion! Durch das Evangelium zum S.! Durch den S. zum Evangelium! Das sei unsere Losung!» [36].
G. Wünsch, der theologische Kopf des 1926 gegründeten ‹Bundes der Religiösen Sozialisten› bemüht sich als Herausgeber der Zeitschrift für Religion und ‹S.› [37] um breite Öffentlichkeit des r.S. Als Schüler von E. Troeltsch gilt sein Forschungsinteresse einer Ethisierung des wirtschaftlichen Lebens [38]. Er strebt die Verknüpfung des r.S. mit dem Marxismus an, will nicht einen «eigenartigen», «religiösen» oder «christlichen» S. propagieren: «Die Bezeichnung ‘r.S.ʼ für unsere Sache ist überhaupt falsch; denn wir kennen einen solchen nicht, etwa im Unterschied von einem ‘profanenʼ S. Wir bejahen den S. der modernen Arbeiterbewegung, der nach Begründung und Ziel sehr mannigfaltig ist und innerhalb dessen wir uns doktrinär nicht festlegen, auch nicht auf den marxistischen S. Der Marxismus und seine Verknüpfung mit christlicher Religiosität ist uns aber ein ganz besonders wichtiges Problem, und wir hoffen, gerade hier – für viele Christen und Sozialisten mag das schauerlich klingen – positive Verbindungslinien ziehen zu können» [39]. Von kirchlicher Seite wird eine solche Verbindung allerdings für unmöglich erklärt [40].
In den Publikationen der religiösen Sozialisten wird früh der aufkommende Nationalsozialismus analysiert; man grenzt sich von ihm ab; die Opposition reicht bis hin zu einer Entgegnung auf Hitlers Regierungserklärung am 12. 2. 1933 [41]. Viele Vertreter des Berliner Kreises um Tillich sind im NS-Widerstand umgekommen [42]. Nur wenige, wie etwa Wünsch, geraten auch in die Nähe faschistischer Ideologie [43].
E. Fuchs, ein Wünsch nahestehender Thüringer Pfarrer [44], setzt auf eine Humanisierung der Gesellschaft aus der «Kraft des S.» [45]. Primär ist ihm der Kampf gegen die kapitalistische Wirtschaft: «Wie es keine Erneuerung unseres Volkes gibt, ohne die Arbeit an der Bezwingung der Wirtschaft, so kein neues Leben der Religion, es sei denn, sie tue dasselbe» [46]. Fuchs, der nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft unter dem NS-Regime von Frankfurt a.M. aus den Wiederaufbau religiös-sozialistischer Gruppen zu initiieren versucht, folgt 1949 aus Widerstand gegen die Entwicklungen in der BRD, die «Entfesselung des wirtschaftlichen Wettrennens» [47] und die Anpassungspolitik der SPD in der Frage der Wiederaufrüstung, einem Ruf an die Universität Leipzig. In der DDR arbeitet er weiterhin zu Fragen christlicher und marxistischer Ethik [48].
Nachdem die Fortsetzung des ‹Bundes› 1945 aufgrunddes Ost-West-Konfliktes nicht gelingt, kommt es in Bochum 1977 durch G. Ewald zu einer Neugründung des ‹Bundes der religiösen Sozialisten Deutschlands e.V.› [49]. Er gibt eine eigene Zeitschrift heraus, in der Theologen und Theologinnen wie H. Gollwitzer und D. Solle publizieren [50]. Die Satzung beruft sich auf die Ziele des ‹Bundes der Religiösen Sozialisten› von 1926 [51]. Der ‹Bund› unterhält Kontakte zum ‹Internationalen Bund der Religiösen Sozialisten› [52]. Ewald, in seinem Engagement für den r.S. auch Leiter «eines der wenigen Sozialisationszentren» der Bochumer Universität, seinem «Kohlenkeller» [53], übernimmt selbstironisch die Reaktion der 68er Studentenbewegung in die Darstellung des zeitgenössischen r.S.: «‘Achtung Pietkongʼ hieß es nun bei den linken Gruppen, als die Frommen politisch wurden» [54].
Christine Freund
Redaktion
[1]
Vgl. H. Merz: Armuth und Christenthum. Bilder und Winke zum christl. Communismus und Socialismus (1848) 95.
[2]
Vgl. J. H. Wichern: Die Revolution und die Innere Mission (1848). Sämtl. Werke, hg. D. Meinhold 1 (1962) 129–132. 130; Der Standpunkt der inneren Mission gegenüber dem kirchl. polit. und nat. Interesse (1848), a.O. 110–116. 114.
[3]
Schieder, a.O. [15 zu 1.] 969; vgl. Art. ‹Christl. Sozialismus›. Hist.-krit. Wb. des Marxismus, hg. W. F. Haug 2 (1995) 495–501.
[4]
W. Weitling: Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte (Paris 1838/39, ND 1971); Das Evangelium eines armen Sünders (Bern 1845, ND 1971); vgl. H. Dietrich: Wie es zum Bund der relig. Sozialisten kam (1927) 4.
[5]
H. Kutter: Sie müssen! Ein offenes Wort an die moderne Christenheit (1910).
[6]
L. Ragaz: Das Evangelium und der soz. Kampf der Gegenwart (Basel 1907).
[7]
E. Buess/M. Mattmüller: Prophet. S. Blumhardt – Ragaz – Barth (Fribourg 1986) 80f.
[8]
L. Ragaz: Von der Schweiz, relig.-soz. Bewegung zur dialekt. Theol., in: G. Wünsch (Hg.): Reich Gottes – Marxismus – Nat.soz. (1931) 1–65, hier: 4.
[9]
K. Kreppel: W. Hohoff – der ‘rote Pastorʼ und die kath. Sozialisten, in: G. Ewald (Hg.): Relig. S. (1977) 79–90.
[10]
M. Buber: Drei Sätze eines r.S. (1928), in: Pfade in Utopia. Über Gemeinschaft und deren Verwirklichung, hg. A. Schapira (31985) 283–286; Religion und Gottesherrschaft (1923), a.O. 367–371; Ragaz und ‘Israelʼ (1946), a.O. 372–380; ‹Drei Diskussionsbeiträge Pfingsten 1928› (1929), a.O. 383–394.
[11]
L. Ragaz: Was ist r.S.? Z. Relig. Sozialismus 1 (1929, ND 1971) 7–21, bes. 8 (Anm. 1).
[12]
a.O. 9.
[13]
Vgl. zu Ragaz: K. O. Benn/W. E. Failing/K.-H. Lipp: L. Ragaz, relig. Sozialist, Pazifist, Theologe und Pädagoge (1986).
[14]
Buess/Mattmüller, a.O. [7] 70f.; vgl. L. Ragaz: Der Kampf um das Reich Gottes in Blumhardt, Vater und Sohn – und weiter (Zürich 1925); vgl. E. Thurneysen: Ch. Blumhardt (1926).
[15]
H. Gollwitzer: Reich Gottes und S. bei K. Barth (1973) 9.
[16]
K. Barth: Jesus Christus und die soz. Frage (1911). Ges.ausg., Abt. III: Vortr. und kl. Arbeiten (1909–14), hg. H.-A. Drewes/H. Stoevesandt (Zürich 1993) 386–409, hier: 390; vgl. auch: Gollwitzer, a.O. 7.
[17]
K. Barth: Grundfr. der christl. Sozialethik. Auseinandersetz. mit P. Althaus (1922). Ges.ausg., Abt. III: Vortr. und kl. Arbeiten (1922–25), hg. H. Finze (Zürich 1990) 39–57.
[18]
P. Althaus: Relig. S. Grundfr. der christl. Sozialethik (1921), in: C. Stange (Hg.): Stud. des apologet. Seminars in Wernigerode, 5. Heft (1921) 3–99, 28.
[19]
K. Barth: Br. an J. L. Hromádka (10. 7. 1963). Ges.ausg., Abt. V (Briefe 1961–68), hg. J. Fangmeier/H. Stoevesandt (Zürich 1975) 152; zur Haltung Barths zum r.S. nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. auch: F. W. Marquardt: Theol. und S. Das Beispiel K. Barths (1972); Gollwitzer, a.O. [15].
[20]
P. Tillich: Kairos II. Ideen zur Geisteslage der Gegenwart (1926). Ges. Werke, hg. R. Albrecht 6 (1963) 29–41; vgl. Art. ‹Kairos II.›. Hist. Wb. Philos. 4 (1976) 668f.
[21]
Kairos I (1922), a.O. 27.
[22]
a.O. 26.
[23]
E. Heimann: S. und Sozialpolitik. Ökon. und philos. Betracht. über die Bezieh, zw. ihnen, in: P. Tillich (Hg.): Kairos. Zur Geisteslage und Geisteswendung (1926) 311–344.
[24]
Sonntagsblatt des arbeitenden Volkes 10/33 (12. 8. 1928) 169, hg. E. Eckert; zit. nach: W. Deresch (Hg.): Der Glaube der relig. Sozialisten (1972) 205f.
[25]
Bl. für Relig. S., hg. K. Mennicke 1–8 (1920–27); Neue Blätter für den S. Z. für geistige und polit. Gestaltung, hg. E. Heimann/F. Klatt/P. Tillich [ab 1931 hg. Th. Haubach u.a., ab H. 4 ohne Hg.] 1–4 (1930–33) [im Juni 1933 Ersch. eingestellt].
[26]
P. Tillich: Die Sozialist. Entscheidung (1933, ND 1980), a.O. [20] 2 (1962) 219ff.
[27]
a.O. 223f.
[28]
Vgl. K. Heinrich: Vorwort, in: Tillich, a.O. [26] (ND 1980) 7–10.
[29]
Tillich: Art. ‹S.: II. Relig. S.›. RGG2, hg. H. Gunkel/L. Zscharnak 5 (1931) 637–648, 648.
[30]
a.O. 637f.
[31]
645.
[32]
a.O.
[33]
646.
[34]
648.
[35]
R. Breipohl: Relig. S. und bürgerl. Gesch.bewußtsein zur Zeit der Weim. Rep. (Zürich 1971) 173.
[36]
E. Eckert: Was wollen die relig. Sozialisten? (1926), in: R. Breipohl (Hg.): Dok. zum r.S. in Dtschl. (1972) 33.
[37]
Z. für Relig. und S., hg. G. Wünsch 1–5 (1929–33).
[38]
G. Wünsch: Evang. Wirtschaftsethik (1927).
[39]
Unsere Aufgabe, a.O. [37] 1 (1929) 1–7, bes. 3; vgl. Schieder, a.O. [15 zu 1.] 993.
[40]
Vgl. Pius XI.: Encyclica Quadrogesimo anno. Act. Apost. Sedis 23 (1931) Nr. 6, 177–228; vgl. H. Denzinger: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchl. Lehrentscheidungen, hg. P. Hünermann (371991) 1021–1031, bes. 1031.
[41]
Der relig. Sozialist 15 (12. 2. 1933) 25; zit. nach: Deresch (Hg.), a.O. [24] 218.
[42]
Heinrich, a.O. [28] (ND 1980) 7.
[43]
Vgl. Breipohl (Hg.), a.O. [36] 14; vgl. Breipohl, a.O. [35] 144–166, bes. 162ff.
[44]
E. Fuchs: Pr. eines relig. Sozialisten (1928).
[45]
Die Kraft des S. (1925).
[46]
a.O. 63.
[47]
Br. an K. Schumacher. Abschied von der SPD (1949), in: W. Dirks/K. Schmidt/M. Stankowski (Hg.): Christen für den S. II: Dok. 1945–59 (1975) 58–62, hier: 61.
[48]
Christi, und marxist. Ethik 1–2 (1956/59); zur parall. Disk. in der BRD vgl. z.B.: O. von Nell-Breuning: Christl. S.? Begegnung. Z. Kultur Geistesleben 2 (15. 5. 1947) 145–149.
[49]
Ewald: Einf., in: Ewald (Hg.), a.O. [9] 7–20, hier: 12f.
[50]
Christ und Sozialist. Bl. des Bundes der Relig. Sozialisten Deutschlands e.V. (1976); vormals: Christ und Sozialist. Bl. der Gemeinschaft für Christentum und S., hg. H. Schleich (1949ff.).
[51]
Bund der Relig. Sozialisten Deutschlands e.V.: Bundessatzung 1977/93, § 2. 1., in: Als Christ Sozialist. Der Bund der Relig. Sozialisten e.V., hg. Vorstand des Bundes der r.S. Dtschl. e.V. (1991) 74–77.
[52]
Satzung § 2. 2., a.O. 74; vgl. Deresch (Hg.), a.O. [24] 31.
[53]
Ewald: Einf., in: Ewald (Hg.), a.O. [9] 9.
[54]
a.O. 11.
H. Dietrich s. Anm. [4]. – J. Gunz: S. und Relig. im Dtschl. der Nachkriegszeit (1933). – R. Breipohl s. Anm. [35] und [36]. – W. Deresch: Pr. und Agitation der relig. Sozialisten (1971); s. Anm. [24]. – A. Pfeiffer (Hg.): Religiöse Sozialisten (1976). – E. Buess/M. Mattmüller s. Anm. [7]. – M. Rudloff: Weltanschauungsorganisationen innerh. der Arbeiterbewegung der Weim. Rep. (1991). – D. Rostig: Bibliogr. zum relig. S. in der SBZ und der DDR: Berichtszeit: 1945–85 (1992). – S. Heimann/F. Walter: Relig. Sozialisten und Freidenker in der Weim. Rep. (1993). – U. Peter: Der ‘Bund der religiösen Sozialistenʼ in Berlin von 1919 bis 1933: Geschichte – Struktur – Theologie und Politik (1995).
9. Westlicher Marxismus. – Verglichen mit der Lebhaftigkeit der Begriffsdiskussion bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, sollte bei den Autoren des erstmals wohl von M. Werner [d.i. A. Schifrin] und K. Korsch so bezeichneten und hernach von M. Merleau-Ponty exponierten «westlichen Marxismus» («marxisme ‘occidentalʼ») [1] nur wenig von ‹S.› die Rede sein. Das mag zum einen mit der Distanz zu dem bereits seit den sechziger Jahren des 19. Jh. verbreiteten Gebrauch des Begriffs als Parteibezeichnung, sodann mit den Nachrichten über die bolschewistische Revolution von 1917 und aus der Sowjetunion (die indirekt auch eine Neubelebung des «christlichen» bzw. «prophetischen» S. etwa bei M. Scheler provozierten [2]) sowie mit dem abschreckenden Beispiel des «real existierenden» S. zusammenhängen.
Die Zurückhaltung hat aber auch theoretische Gründe. Der westliche Marxismus versteht sich vorrangig als kritisch und hält sich mit Idealentwürfen der definitiven Organisation gesellschaftlichen Lebens zurück. «Dem an der dialektischen Theorie Geschulten» widerstrebe es, notiert exemplarisch Th. W. Adorno, «in positiven Vorstellungen von der richtigen Gesellschaft sich zu ergehen» [3]. So sind hier gerade das Fehlen und die Meidung des S.-Begriffs signifikant. In dem Maße, wie sie sich von den theoretischen und praktischen Vorgaben der Orthodoxie löst, gewinnt die im Umkreis des westlichen Marxismus geduldete Rede vom S. tendenziell metaphorische Züge.
Bedeutungsgeschichtlich besonders wirksam ist die historische Entgegensetzung von ‘wissenschaftlichemʼ und ‘utopischem S.ʼ. Der von F. Engels ausgangs der siebziger Jahre für den Marxismus reservierte Anspruch auf Wissenschaftlichkeit setzt das utopische Moment, das dem S. bis dahin unveräußerlich gewesen war und ihm auch weiterhin erhalten bleiben sollte [4], nun verstärktem Legitimationsdruck aus. Die frühen Vertreter des westlichen Marxismus sehen sich vor die Aufgabe gestellt, diese theoretische Legitimation bereitzustellen, und sie bevorzugen dabei den bereits von Engels eingeschlagenen Weg über die Philosophie [5]. Anders freilich als Engels und anders auch als A. Labriola in seinen mit G. Sorel geführten ‹Gesprächen über S. und Philosophie› (1898) [6], die den deutschen Idealismus als Conditio sine qua non des «wissenschaftlichen S.» [7] beansprucht hatten, lassen sich die westlichen Marxisten bei ihren Reformulierungen bevorzugt auf zeitgenössische Theorieangebote ein.
Deutlich präsent ist die von Engels vorgegebene Alternative noch bei G. Lukács, der den S. in ‹Taktika és ethika› (‹Taktik und Ethik›, 1919) als einen «Endzweck» bezeichnet, der im Unterschied zu konkurrierenden Idealvorstellungen sozialer Organisation nicht «ideologisch» (bzw. «utopisch») außerhalb der Wirklichkeit verbleibe [8]. Der S. seinerseits sei utopisch in dem Maße, wie er über die gegebene Gesellschaft hinausgehe und sie vernichte, und er sei nicht utopisch insofern, als er frei-schwebende Vorstellungen verwirkliche. Getragen ist dieser S. von einer geschichtsphilosophisch gestifteten Immanenz, die den Abstand zu den herrschenden Verhältnissen und deren Kritik einschließen soll. «Wenn es eine historische Bewegung gibt, für die die Realpolitik verhängnisvoll und unheilvoll ist, so ist es die des S.» [9]. Während Jahrzehnte später die Vertreter der heterodoxen ‹Budapester Schule› diese Überlegungen aufgreifen werden, wenn sie sich für die «Verwirklichung sozialistischer Werte» [10] in einer «Produktionsdemokratie» [11] aussprechen, warnt Lukács bereits in ‹Geschichte und Klassenbewußtsein› energisch und ganz im Geiste von Engels vor einer Trennung von «wissenschaftlichem Marxismus» und S. [12]. 1924 nimmt er das kritische Potential zugunsten der, wie er schreibt, «revolutionären Realpolitik» im Sinne Lenins noch weiter zurück. Die Utopisten mißdeuteten den S., der ein Werden sei, als Sein, erklärt er nun, und definiert den S. als die «höhere Wirtschaftsform», die den «staatsmonopolistischen Kapitalismus» ablöse, als die «Umgestaltung» der Industrie «im Sinne eines immer sinnvoller werdenden Lebens» [13].
Der von Lukács eingeschlagene Weg von der Philosophie zur Partei, von der Kritik zur Sinnstiftung, ist untypisch für die westlichen Marxisten. Diese Feststellung gilt auch für den sozialistischen bzw. – seit 1921 – kommunistischen Parteitheoretiker A. Gramsci, der das einheitliche proletarische Bewußtsein und sein «kontinuierliches Werden» [14], das er als ‹S.› bezeichnet, mit Nachdruck auf «Kritik» gegründet wissen möchte. Wie er haben in der Folgezeit selbst diejenigen die von Lukács gesuchte Linie der Orthodoxie verlassen, die seinen Schriften Maßgebliches verdanken [15].
Eine erneute Stärkung erfährt das utopische Moment bei E. Bloch, dessen Opus magnum den S. geradezu als «Praxis der konkreten Utopie» [16] entfaltet. Bloch begründet die «Wissenschaftlichkeit» des S. geschichtsphilosophisch und erklärt, der S. sei um so «wissenschaftlicher», je «konkreter» er «die Sorge um den Menschen» in den Mittelpunkt stelle und «die reale Aufhebung seiner Selbstentfremdung» bezwecke [17]. Demnach ist der S. dadurch ausgezeichnet, daß er wissenschaftliche und utopische Elemente und überhaupt das vorderhand Widersprüchliche menschlicher Daseinsbewältigung in einem bündigen Praxiskonzept zu integrieren vermag [18]. Die mit der Fundierung auf das «Noch-Nicht-Gewordene, Noch-Nicht-Herausgebrachte, Herausmanifestierte in der Welt» [19] erzielte Dynamisierung des S.-Begriffs hatte bereits 1938 die Feststellung erlaubt, der S. werde «nur insofern und in dem Maße» siegen, «als er die errungenen Freiheiten der bürgerlichen Revolution in sich trägt und sie danach konsequent, als materielle Demokratie, nicht zurücknimmt, sondern umfunktioniert» [20]. Vorgreifend und insofern metaphorisch bezeichnet der S. die Zweckidee des «Totums» Geschichte. Gut dreißig Jahre später kann Bloch hier anknüpfen, wenn er den mittlerweile konsolidierten, sich selbst so nennenden S. seinerseits in kritischer Absicht mit den säkularen, doch keineswegs eingelösten Erwartungen seiner eigenen Geschichte konfrontiert: «Keine Demokratie ohne S., kein S. ohne Demokratie» [21].
Ungleich distanzierter ist das S.-Verständnis der Kritischen Theorie. Ihr ist die Hintergrundstellung des Motivs von Beginn an vorgegeben, da das «Institut für Sozialforschung» – so C. Grünberg 1924 in seiner Einweihungsrede – die Gesellschaft der Zeit «vom Kapitalismus zum S.» übergehen sieht [22] und fernerhin für sich in Anspruch nimmt, dem «wissenschaftlichen» S. «eine von jeder außerwissenschaftlichen Einmischung freie akademische Heimstätte zu schaffen» (F. Weil[23]). Die Trennung von Theorie und Tages- bzw. Parteipolitik, die Lukács in jenen Jahren zurücknimmt, gehört zu den Selbstverständlichkeiten der dem S. verpflichteten Forschungsarbeit am Institut.
Eine abweichende Auffassung vertritt in dieser Konsolidierungsphase K. Korsch, der dem Institut kritisch verbunden ist. Mit gelinder Ironisierung der voraufgegangenen Wortstreitigkeiten in Philosophie, Wissenschaft und Politik, die zwar zu immer neuen Epitheta, doch zu keinem Konsens geführt hatten und fuhren konnten, präsentiert Korsch «kurzerhand» einen «praktischen S.», der «mehr» sein soll «als Wissenschaft», nämlich «schöpferischer Wille und Bereitschaft zur Tat» [24]. Im Mittelpunkt dieses Vorschlags steht eine Synthese von «Realpolitik» und «Radikalsozialismus» [25], die sich vom Fatalismus des «wissenschaftlichen» bzw. «orthodoxen» S. ebenso entschieden lossagt wie von der kompromißbereiten Sozialpolitik des «Mehrheitssozialismus» [26]. Würden die aktuellen Richtungen und Programme nicht in dieser Weise zusammengeführt, argwöhnt Korsch, sänke der S. zum Moralismus ab, «und es wäre in der Tat nicht abzusehen, warum es einer grundsätzlichen, bis auf die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse erstreckten Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsordnung überhaupt bedürfte» [27].
Die Ausgangserwartungen des Frankfurter Instituts und die Zuversicht, mit der Korsch die «bewußte menschliche Tätigkeit» für den «sozialistischen Aufbau» [28] zu mobilisieren sucht, werden jedoch bald revidiert [29]. Bereits zu Beginn der dreißiger Jahre läßt M. Horkheimer eine in späterer Zeit noch verstärkte Neigung zur Ethisierung des S. erkennen, die nach der parteitheoretischen allmählich auch die geschichtsphilosophische Lesart des S.-Begriffs verdrängt. An ihre Stelle treten aporetische Zuspitzungen. «Wenn der S. unwahrscheinlich ist, bedarf es der um so verzweifelteren Entschlossenheit, ihn wahr zu machen» [30]. Die gleiche Tendenz tritt wenig später in der ökonomischen Bestimmung des S. zutage. Horkheimer macht den S.-Begriff zum Fluchtpunkt einer Sozialkritik, die auf die Einführung einer gerechteren und von den totalitären Erscheinungen in der Sowjetunion – nunmehr gleichfalls, doch eindeutig polemisch «Staatssozialismus» [31] genannt – freien Wirtschaftsform drängt. Die Restriktivität von Planung und Planungskontrolle läßt es freilich dahingestellt sein, «ob die Produktionssteigerung den S. verwirklicht oder liquidiert» [32].
Derlei Irritationen begünstigen schon bald die Remetaphorisierung des S.-Begriffs auch in der Kritischen Theorie. Indizien dafür sind zum einen vermehrte Synonymbildungen, die das Gemeinte eher umschreiben als aussprechen – «gerechte Ordnung», «höhere Lebensform der Gesellschaft», «selbstbewußte Menschheit», «Gemeinschaft freier Menschen», «vernünftige Gesellschaft» [33] –, und zum anderen eine entschiedene Bedeutungserweiterung. Die Kritik der Kritischen Theorie zielt über die Politische Ökonomie hinaus auf «das Ganze des gesellschaftlichen Seins», auf eine «vernünftige Wirklichkeit» [34]. Vor diesem Hintergrundsind beiläufige Formulierungen zu sehen, in denen W. Benjamin Mitte der dreißiger Jahre zur Markierung zeitgenössischer kultureller Veränderungen den «Anbruch des S.» [35] zitiert. Die knappe Referenz ist eher eine metaphorische Forcierung als ein Ausdruck prägnanter Begrifflichkeit. Namentlich Benjamin weist den Optimismus der sozialistischen Parteien, wonach das Proletariat – als Träger des S. – «mit dem Strom» der Geschichte schwimme [36], als geschichtsphilosophisches Fehlurteil und Ausdruck einer verhängnisvollen politischen Strategie zurück.
Teilweise unter dem Einfluß Benjamins weichen konkretisierbare Vorstellungen vom S. bei den meisten Vertretern der Kritischen Theorie nach 1945 einem Theorienmodell konsequenter Negativität. Wie Horkheimer mit einiger Bitterkeit feststellt, ist im Osten inzwischen die «geschichtliche Demonstration» gelungen, daß der S. sich «als sein eigenes Gegenteil» verwirklichen lasse [37]. Dessenungeachtet halten A. Weber, M. Mitscherlich, E. Fromm und H. Marcuse an der Vorstellung eines positivierbaren S.-Begriffs fest. Während Weber und Mitscherlich mit ihrem «Programm» eines «freien Sozialismus» über die bloße Regelung der Produktionsverhältnisse hinaus die soziale Lebensform des Menschen in der modernen Massengesellschaft verändern wollen [38], sucht Fromm den Begriff von problematischen Konnotationen, besonders von Verbindungen zum Stalinismus freizuhalten, indem er ihn historisiert und auf die Ideale der Französischen Revolution zurückbezieht. Seine Fehlentwicklungen widerlegten den «demokratischen», an den menschlichen Aspekten des sozialen Problems orientierten S. [39] keineswegs im Grundsatz, meint Fromm. Sein Entwurf eines «communitarian socialism» ist eine Form der Wirtschaftsorganisation, «in which every working person would be an active and responsible participant, where work would be attractive and meaningful, where capital would not employ labor, but labor would employ capital» [40]. Das Konzept plädiert für ebendie Auffassung, die einst Korsch in den Entstehungsjahren der Kritischen Theorie als unzulänglich bemängelt hatte: für einen S. als «theoretical vision» und als «one of the most significant, idealistic and moral movements of our age» [41]. Marcuse kann hier anknüpfen, als er über die in der Frankfurter Schule gepflegte systemübergreifende Kritik der Industriegesellschaften [42] hinausgeht und noch einmal das utopische Potential des S. erneuert. Mit ausdrücklicher Reserve gegenüber der orthodoxen Lehre und Praxis sucht er Ende der sechziger Jahre die «traditionellen», vornehmlich ökonomisch und politisch begründeten Bestimmungen des Begriffs durch eine «Neudefinierung» des S. [43] zu übertreffen. Indem er den Produktionsprozeß zum «Schöpfungsprozeß» umgestalte, bewerkstellige der S. «das Einbrechen der Freiheit in das Reich der Notwendigkeit und die Vereinigung von Kausalität aus Notwendigkeit und Kausalität aus Freiheit» [44]. Die anvisierte Synthese von ökonomischen und ästhetischen Momenten, von S. und Surrealismus, versteht sich als «S. in Aktion» [45] und als «Vision einer neuen Lebensform» [46]. In dem Maße freilich, wie Marcuse sich einer aporetischen Gedankenfigur nähert, artikuliert sich auch sein S.-Verständnis metaphorisch: Zwar sei die «Alternative ‘S. oder Barbareiʼ... aktueller denn jemals zuvor» [47], versichert er 1975, doch ebenso gewiß stehe der S. «nicht auf der Tagesordnung» [48].
Antideterministisch wie die Begrifflichkeit der Kritischen Theorie ist auch das S.-Verständnis J.-P. Sartres, der den S. als «Mittel» vorstellt, den Humanismus hingegen als «Ziel» [49]. Seine «Philosophie der Freiheit» macht ein «soziales Grundgesetz» geltend, das seine Erfüllung in der Tat findet, mit welcher der Revolutionär «die Befreiung seiner ganzen Klasse und, allgemeiner, der ganzen Menschheit» [50] verlange. «Aber gerade weil der Mensch frei ist, ist der Sieg des S. durchaus nicht gesichert» [51]. Sartre, dessen Denken erklärtermaßen diesseits des Marxismus [52] operiert, widerspricht der auf ein Engels-Zitat R. Luxemburgs zurückgehenden Losung «S. oder Barbarei» [53], die seit Ende der vierziger Jahre in Frankreich durch eine trotzkistische, strikt auf die Autonomie des Proletariats setzende Gruppe um C. Castoriadis verbreitet wird [54]. Die Forcierung der Alternative, so Sartres Bedenken, erweise die Formel als Spielart des wissenschaftlichen, die Notwendigkeit seiner Heraufkunft deduzierenden und insofern deterministischen S. Angesichts der Erfahrungsberichte aus der Sowjetunion hält Sartre «sogar einen barbarischen S.» [55] für denkbar – eine Befürchtung, die er Jahre später durch die drakonische Beendigung des «Prager Frühlings» und den Oktroi eines «S. qui venait du froid» [56] bestätigt findet. Die herkömmlichen Mitbedeutungen des S.-Begriffs sind damit auf bezeichnende Weise verändert. War ‹S.› in der Anfangszeit und besonders im Saint-Simonismus als Gegenbegriff zu ‹Liberalität› und ‹Individualismus› aufgefaßt worden, so entwickelt Sartre nun ein dezidiert existentialistisches, auf Unvorgreiflichkeit beharrendes S.-Konzept, das «libertaire» ist [57].
Die darin bestätigte Metaphorisierungstendenz ist charakteristisch für das S.-Verständnis des westlichen Marxismus insgesamt. Auch da, wo man auf eine philosophische [58] oder wissenschaftliche [59] Auffrischung der marxistischen Theorie drängt, fungiert der S., sofern überhaupt davon gesprochen wird, als Inbegriff des theoretischen Bemühens und seiner Zwecke, entbehrt jedoch der terminologischen Prägnanz. Die dadurch begünstigte Reduktion zum politischen Schlagwort hat der Begriff mit anderen, gleichzeitig aufgekommenen Ismus-Bildungen der «Sattelzeit» [60] gemeinsam. Anders jedoch als in diesen Vergleichsfällen – «Republikanismus», «Liberalismus», «Konservatismus» usw. – gebieten Programmatik und Selbstverständnis des S. die Konvergenz von Wissenschaft und Ideologie. Selbst und gerade der «wissenschaftliche» S., der seinem Selbstverständnis folgend mit der Unausweichlichkeit zugleich die Überlegenheit des S. gegenüber den Konkurrenzmodellen gesellschaftlicher Organisation zu behaupten und darzulegen hat, bleibt stets als politischer Aktionsbegriff beanspruchbar. Die Einziehung der Differenz von «Lehre» und «Gesellschaftsform», von «Theorie» und «Gegenstand», von «Wissenschaftlichkeit» und «Parteilichkeit» ist Teil des Konzepts [61].
Nichts bestätigt eindrucksvoller den lange vor dem realhistorischen Zusammenbruch erkennbaren Prägnanzverlust des Begriffs als die Beobachtung, daß sich die Verteidiger der «sozialistischen» Länder und ihrer Ideologie [62] auf eben dieselbe Terminologie stützen können wie die Kritiker («S. mit menschlichem Antlitz»). Dementsprechend erblickt die jugoslawische Praxis-Gruppe, als sie gegen den dogmatischen Marxismus-Leninismus aufbegehrt und auf ihr Recht «der schonungslosen Kritik alles Bestehenden» pocht [63], gleichwohl im S. die «einzige humane Lösung» aktueller Menschheitsprobleme und namentlich der kulturellen Entfremdung [64]. Ungeachtet der Eindringlichkeit solcher Prätentionen und des Anspruchs auf «Wissenschaftlichkeit», mit dem marxistische Theoretiker gegen die Mehrdeutigkeit des Begriffs angehen, gerät das, was er umfassen soll, schließlich einmal mehr zur Vision. Das zweihundert Jahre andauernde Bemühen um angemessene Epitheta entsprang dieser Elementarfunktion des Begriffs. Was nach der realhistorischen Brüskierung seiner Programme vom S. bleibt, ist die einst von Engels verabschiedete, nichtsdestoweniger auch künftig mit alten und neuen Erwartungen besetzbare Metapher für die Idee der Vollendbarkeit der sozialen Welt.
Ralf Konersmann
[1]
Vgl. M. Werner: Sowjetmarxismus. Gesellschaft 2 (1927) 42–67; K. Korsch: Marxismus und Philos. [1930] (1970) 50 (Anm. 17); M. Merleau-Ponty: Les aventures de la dialectique (Paris 1955) ch. II; P. Anderson: Consid. on Western Marxism (London 1976) 24ff.; dtsch.: Über den westl. Marxismus (1978) 44ff.
[2]
Vgl. Scheler, a.O. [45 zu 6.].
[3]
Th. W. Adorno: Minima Moralia. Refl. aus dem beschädigten Leben (Anhang). Ges. Schr. (1980) 4, 297.
[4]
Vgl. Schieder, a.O. [23 zu 1.] 551. 546ff.
[5]
Vgl. Engels: Die Entwickl. ..., a.O. [5 zu 3.] 588.
[6]
Vgl. A. Labriola: In memoria del Manifesto dei Comunisti (1895). Scritti filos. e polit. 2 (Turin 1973) 469–530, hier: 483f.; Discorrendo di socialismo e di filosofia (1897), a.O. 658–780, hier: 778f.; dtsch.: Über den hist. Materialismus (1974) 88f. 412.
[7]
a.O.
[8]
G. Lukács: Taktik und Ethik. Werke 2 (21977) 46f.
[9]
a.O. 48.
[10]
G. Lukács/A. Heller u.a.: Individuum und Praxis. Positionen der ‘Budapester Schuleʼ (1975) 102.
[11]
a.O. 120.
[12]
G. Lukács: Gesch. und Klassenbewußtsein. Studien über marxist. Dialektik (1923), a.O. [8] 194.
[13]
Lenin, Studie über den Zus. seiner Gedanken, a.O. 567f.
[14]
A. Gramsci: Utopia (1918). Scritti giov. 1914–1918 (41975); dtsch.: Utopie, in: Zu Politik, Gesch. und Kultur, hg. Ch. Riechers (1980) 23; vgl. auch: S. und Kultur, in: Philos. der Praxis (1967) 20ff.
[15]
Vgl. I. Mészáros (Hg.): Aspekte von Gesch. und Klassenbewußtsein (1972); R. De La Vega: Zur Rezeptionsgesch. von ‹Gesch. und Klassenbewußtsein›, in: G. Ahrweiler (Hg.): Betr.: Lukács. Dialektik zw. Idealismus und Proletariat (1978) 51–74; R. Wiggershaus: Die Frankfurter Schule. Geschichte. Theoret. Entwicklung. Polit. Bedeutung (21989) 92ff.
[16]
E. Bloch: Das Prinzip Hoffnung [1938–47] (1954–59). Ges.ausg. (1959ff.) 5, 16.
[17]
a.O. 306.
[18]
Vgl. 1082f.
[19]
12.
[20]
Der Intellektuelle und die Politik [1938], a.O. 11, 202f.
[21]
Liegt es am System? [1965], a.O. 394.
[22]
C. Grünberg: Festrede, geh. zur Einweihung des Inst. für Soz.forsch. an der Univ. Frankfurt a.M. am 22. Juni 1924. Frankf. Univ.reden 20 (1924) 8f.; vgl. Wiggershaus, a.O. [15] 36f.
[23]
F. Weil: Ges. für Soz.forsch. Br. an den Preuß. Minister für Wiss., Kunst und Volksbildung vom 1. 11. 1929, zit. nach: G. Schmid Noerr: Vollendete Negativität als Spiegelschrift der Erlösung. Über den krit. S. der Frankf. Schule, in: Faber (Hg.), a.O. [6 zu 5. b)] 167–185, hier: 169 (Anm. 6).
[24]
K. Korsch: Prakt. S. (1920). Ges.ausg., hg. M. Buckmiller (1980) 2, 187; vgl. auch: 183.
[25]
a.O. 185f.
[26]
188.
[27]
86.
[28]
184.
[29]
Vgl. M. Horkheimer: Dämmerung [1932]. Ges. Schr. (1985ff.) 2, 375.
[30]
a.O. 343.
[31]
‘Autoritärer Staatʼ, a.O. 5, 300.
[32]
a.O. 313.
[33]
Zit. nach: Schmid Noerr, a.O. [23].
[34]
H. Marcuse/M. Horkheimer: Philos. und krit. Theorie. Z. Soz.forsch. 6 (1937, ND 1970) 625–647, bes. 638.
[35]
W. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techn. Reproduzierbarkeit IV [3. Fass., 1936/37]. Ges. Schr., hg. R. Tiedemann/H. Schweppenhäuser (1974ff.) 1, 481; vgl. auch: Der Autor als Produzent [1934], a.O. 2, 690ff.
[36]
Über den Begriff der Gesch. XI (1942), a.O. 1, 698.
[37]
M. Horkheimer: Nachgel. Notizen 1949–1969, a.O. [29] 14, 112f.; vgl. auch: a.O. 76f; a.O. 6, 367f.
[38]
A. Mitscherlich/A. Weber: Freier S. (1946) 31.
[39]
E. Fromm: The sane society (New York 1955) 327; dtsch.: Wege aus einer kranken Gesellschaft. Ges.ausg. 4 (1980) 228f.
[40]
a.O. 283f./dtsch. 198.
[41]
247/173.
[42]
Vgl. H. Marcuse: Soviet-Marxism: A crit. analysis (New York 1958); dtsch.: Die Ges.lehre des sowjet. Marxismus (1964); The one-dimensional man (Boston, Mass. 1964); dtsch.: Der eindimens. Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschr. Industrieges. (1967).
[43]
Freiheit und Notwendigkeit. Bem. zu einer Neubestimmung (1968). Schr. (1978ff.) 8, 228; vgl. auch: 235.
[44]
Versuch über die Befreiung (1969), a.O. 260.
[45]
a.O. 309.
[46]
a.O. [43] 232.
[47]
Zeit-Messungen (1975), a.O. 9, 170.
[48]
a.O. 167.
[49]
J.-P. Sartre: Matérialisme et révolution (Paris 1949); dtsch.: Materialismus und Revol. (1950) 93.
[50]
a.O. (dtsch.) 100.
[51]
a.O. 106.
[52]
Vgl. Questions de méthode, in: Crit. de la raison dial. (Paris 1960).
[53]
R. Luxemburg: Die Krise der Sozialdemokratie [1916]. Ges. Werke 4 (1974) 62; vgl. auch oben 5. b).
[54]
Vgl. C. Castoriadis: La société bureaucratique 1–2 (Paris 1973): Les rapports de production en Russie 1, 99ff.; dtsch.: S. oder Barbarei. Analysen und Aufrufe zur kulturrevol. Veränd. (1980) bes. 99ff.
[55]
Sartre, a.O. [49] (dtsch.) 105.
[56]
Der S., der aus der Kälte kam, in: Mai '68 und die Folgen. Reden, Interviews, Aufsätze (1975) 2, 151ff.
[57]
J.-P. Sartre/Ph. Gavi/P. Victor: On a raison de se révolter (Paris 1974) 26; dtsch.: Der Intellektuelle als Revolutionär. Streitgespräche (1976) 18.
[58]
Vgl. K. Kosík: Die Dialektik des Konkreten. Eine Studie zur Problematik des Menschen und der Welt (1967) 161ff.; H. Lefebvre: Problèmes actuels du marxisme (Paris 1958) 19ff.; dtsch.: Probl. des Marxismus heute (61971) 25ff.
[59]
Vgl. L. Althusser: Pour Marx (Paris 1965); dtsch.: Für Marx (1968) 12ff. (Vorw. ‹An die deutschen Leser›); L. Althusser/E. Balibar: Lire le Capital 1 (Paris 1968, 21970) 33f.; dtsch.: Das Kapital lesen 1 (1972) 37f.
[60]
Vgl. R. Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtl. Zeiten (1979) 113. 339ff.
[61]
R. Konersmann: Hist. Semantik und Politik, in: A. Luckner (Hg.): Philos. und Politik (1995) 81–98.
[62]
Vgl. M. Buhr u.a.: Theoret. Quellen des wiss. S. (1975); Art. ‹S. und Kommunismus›, ‹S. und Kommunismus, utopischer›, in: G. Klaus/M. Buhr (Hg.): Marxist.-leninist. Wb. der Philos. (1972) 1114ff. 1127ff.
[63]
G. Petrovic: Kritik am S. Praxis 2 (1966) 177–191, 184.
[64]
G. Petrovic (Hg.): Revolut. Praxis. Jugoslawischer Marxismus der Gegenwart (1969) 251f.; vgl. auch: P. Vranicki: S. und das Problem der Entfremdung, in: Mensch und Gesch. (1969) 88ff.; ähnlich: B. Baczko: Weltanschauung, Met., Entfremdung, Philos. Versuche (21969) 110ff.; vgl. Art. ‹Entfremdung›. Hist. Wb. Philos. 2 (1972) 509–525.
C. Grünberg: Der Ursprung der Worte ‹S.› und ‹Sozialist›. Arch. Gesch. Sozialismus Arbeiterbewegung 2 (1912) 372–379. – A. Becker: Gesch. des relig. und atheist. Frühsoz. (1932). – G. Soballa s. Anm. [37 zu 7.]. – S. Krupka: ‹S.›. Ein Beitr. zur hist.-soziolog. Begriffsbildung (1953). – H. Lübbe s. Anm. [1 zu 4.] 85–125. – F. Venturi s. Anm. [2 zu 1.]. – H. Müller s. Anm. [4 zu 1.]. – I. Fetscher/H. Grebing/G. Dill (Hg.): Der S. Vom Klassenkampf zum Wohlfahrtsstaat (1968). – W. Hofmann: Ideengesch. der soz. Bewegung (41971). – W. Schröder: Utop. S. und Kommunismus, in: M. Buhr u.a. s. Anm. [62] 60–88. – A. Meyer: Frühsoz.: Theorien der soz. Bewegung 1789–1848. (1977). – H. Sachsse: Was ist S.? Zur Naturphilos. der Ges. (1979). – H. Stuke: Art. ‹Frühsoz.›, ‹S.›, in: Stuke: Soz.gesch. s. Anm. [21 zu 5. c)] 121–138. 139–166. – W. Schieder/H. Pelger/D. Dowe/K. Tenfelde: Wiss. und Arbeiterbewegung. Begr.gesch. und Dühring-Rezeption. Schr. aus dem Karl-Marx-Haus Trier 24 (1980). – L. Knatz: Utopie und Wiss. im frühen dtsch. S., in: M. Otte /H.-J. Sandkühler (Hg.): Philos. und Gesch. der Wiss.en 4 (1984). – W. Schieder s. Anm. [15 zu 1.]. – K. D. Bracher: Zeit der Ideologien (1985). – G. Claeys: ‘Individualismʼ, ‘Socialismʼ, and ‘Social Scienceʼ. J. Hist. Ideas 47 (1986) 81–93. – I. Fetscher/H. Müller (Hg.): Pipers Hb. der polit. Ideen 4 (1986). – G. Labica/G. Bensussan (Hg.): Krit. Wb. des Marxismus 7 (1988). – F. Liedtke: S. – ein Reimwort. Sprache Lit. Wiss. Unterricht 20 (1989) 23–38. – G. Schwan/R. Morsey: Art. ‹S.›, in: Staatslex., hg. Görres-Ges. 4 (71989) 10–26. – M. Hahn /L. Knatz/M. Hundt: Art. ‹S./Kommunismus›, in: H.-J. Sandkühler (Hg.): Europ. Enzykl. zu Philos. und Wiss. 4 (1990) 340–359. – W. Schieder s. Anm. [23 zu 1.]. – A. M. Thomas: Das Ende des Mythos S. (1993). – H. Holzhey (Hg.) s. Anm. [4 zu 4.]. – R. Faber (Hg.) s. Anm. [6 zu 5. b)].