(engl. nonconceptuality)
I. – Der Sammelbegriff ‹U.› bezeichnet, was in Anschauung und Erfahrung außerhalb der Verweisungsfähigkeit von Begriffen bleibt und bleiben muß: theoretische Redeformen, «die in die begreifend-begrifflich nicht erfüllbare Lücke und Leerstelle» einspringen, «um auf ihre Art auszusagen»
[1].
H. Blumenberg, der das Konzept 1979 ausformuliert hat, spricht von Metaphern, von Mythen und Symbolen – von Darstellungsmitteln, die aus dem theoretischen Diskurs heraus auf «Lebenswelt» verweisen.
Blumenbergs Interesse gilt dem Phänomenbestand und dem Leistungspotential «philosophischer Sprachwirklichkeit»
[2]. 1957 klingt der Begriff erstmals an: «Die Philosophie, die es immer wieder mit dem Unbegriffenen und Vorbegriffenen aufzunehmen hat, stößt dabei auch auf die Artikulationsmittel des Unbegreifens und Vorbegreifens, übernimmt sie und bildet sie, abgelöst von ihrem Ursprung, weiter»
[3]. Die wenig später erschienenen ‹Paradigmen zu einer Metaphorologie› (1960) nehmen diese Fragestellung auf und verweisen auf die Vorgänger
G. Vico[4],
I. Kant[5] und
F. Nietzsche[6], bei denen der Begriff noch fehlt. Indem die ‹Paradigmen› darauf abzielen, «die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein» zu bringen, «innerhalb deren Begriffe ihre Modifikationen erfahren», formulieren sie ein Programm, das sich in ein Verhältnis der «Dienstbarkeit»
[7] zu einer Begriffsgeschichte (s.d.) gestellt sieht, die aus darstellungsökonomischen Gründen auf die Behandlung von U. verzichtet
[8]. Zwei Jahrzehnte später weitet sich die metaphorologische Perspektive endgültig zur «Theorie der U.», deren Aufmerksamkeit nun verstärkt «die rückwärtigen Verbindungen zur Lebenswelt»
[9] einbezieht. Die Fragerichtung ist vorgegeben durch eine philosophische Anthropologie, derzufolge U. auf eine «Bedürfnislage» verweist, deren historisch variable Erfüllungen
Blumenberg in umfangreichen Monographien thematisch erschließt. Dabei ist das Symbol (s.d.) von besonderem Interesse, sofern es die Möglichkeit bietet, die – so Blumenbergs Heidegger-Kritik – Frage nach dem Sinn von Sein funktional zu entkräften. Die symbolische und damit bilderlose «Verkoppelung von Dasein und Sein»
[10] bietet reinere Formen von U. als die Metapher.
Zweifel an der vom aufklärerischen Finalismus geweckten Erwartung der Erschöpfbarkeit philosophischer Gegenstände durch anschaulich erfüllbare Begriffe haben andernorts zu vergleichbaren Konsequenzen geführt. So ist die «Einsicht in den konstitutiven Charakter des Nichtbegrifflichen im Begriff» für
Th. W. Adorno Bedingung für die erfolgreiche Befreiung vom «Identitätszwang»; die Begrifflichkeit «dem Nichtidentischen zuzukehren», versichert Adorno, sei «das Scharnier negativer Dialektik»
[11]. Der Weg zur entwickelten philosophischen Theorie führe über die «Anstrengung des Begriffs, das nichtbegriffliche Moment zu vertreten und es durch den Inbegriff selber zur Geltung kommen zu lassen»
[12]. Ein vergleichbares Verständnis davon, was philosophische Begriffe seien und zu leisten hätten, lassen Vertreter des französischen Poststrukturalismus erkennen. Ebenfalls Nietzsche folgend, betrachtet
J. Derrida «le concept comme intuition différée-différante»
[13]. Ähnlich der Theorie der U. versucht die «Archäologie»
M. Foucaults, die Regeln des «niveau ‘préconceptuelʼ» einer diskursiven Praxis aufzudecken: «Das vorbegriffliche Feld [le champ préconceptuel] läßt die Regelmäßigkeiten und diskursiven Zwänge erscheinen, die die heterogene
Multiplizität der Begriffe [la multiplicité hétérogène des concepts] möglich gemacht haben»
[14].
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H. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie [1960] (1998) 177; vgl. Art. ‹Begriff›. Hist. Wb. Philos. 1 (1971) 780–787; ‹Metapher›, a.O. 5 (1980) 1179–1186. |
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Die sprachl. Wirklichkeit der Philosophie. Hamb. Akad. Rdsch. 1 (1946/47) 428–431, 428. |
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Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philos. Begriffsbildung. Studium Generale 10 (1957) 432–447, 432. |
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Parad., a.O. [1] 8; vgl. G. Vico: Scienza nuova II, 2 (1725); dtsch.: Prinzipien einer neuen Wiss. über die gem. Natur der Völker 2 (1990) 188ff. |
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a.O. 11f.; I. Kant: KU A 195. 251ff.; vgl. Art. ‹Hypotypose›. Hist. Wb. Philos. 3 (1974) 1266f. |
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a.O. 24. pass.; F. Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermor. Sinne 1 (1873). Krit. Ges.ausg., hg. G. Colli/M. Montinari (1967ff.) 3/2, bes. 373ff. |
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J. Ritter: Vorwort, in: Hist. Wb. Philos. 1 (1971) bes. VIIIf.; vgl. H. Blumenberg: Beobacht. an Metaphern. Arch. Begriffsgesch. 15 (1971) 161–214, bes. 161f. |
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H. Blumenberg: Ausblick auf eine Theorie der U., in: Schiffbruch mit Zuschauer (1979) 77. |
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Th. W. Adorno: Negat. Dialektik (1966). Ges. Schr. (1970ff.) 6, 24; vgl. Ästhet. Theorie (1970), a.O. 7, 208. 382f. |
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Philos. Terminologie 1, hg. R. zur Lippe (1973) 87. |
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J. Derrida: La différance, in: Théorie d'ensemble (Paris 1968) 56f. |
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M. Foucault: L'archéologie du savoir (Paris 1969) 84; dtsch.: Die Archäologie des Wissens (1973) 93. |
D. Adams: Metaphors for mankind. The development of H. Blumenberg's anthropol. metaphorology. J. Hist. Ideas 52 (1991) 152–166. – R. Konersmann: Geduld zur Sache. Ausblick auf eine Philos. für Leser. Neue Rdsch. 109 (1998) 30–46.