Weltweisheit ist ein im Deutschen seit dem Mittelalter (mhd. ‹werltwîsheit›
[1]) belegtes, zeitweilig vorherrschendes Synonym von ‹Philosophie› (mhd. auch ‹filosofî›
[2]). Diese Redundanz des deutschen Wortschatzes steht in auffälligem Kontrast zur Aufnahme des griechischen Ausdrucks
φιλοσοφία (bzw. des lat. ‹philosophia›) in den übrigen europäischen Sprachen. Wie im Englischen oder Französischen wurde der griechische bzw. lateinische Ausdruck zumeist als Fremdwort, nur sprachlich-morphologisch den jeweiligen Gastsprachen anverwandelt, praktisch unverändert übernommen; ein anders gelagerter Sonderfall ist das Niederländische, das neben ‹filosofie› die dem griechischen Wort genau nachgebildete Variante ‹wijsbegeerte› kennt.
Der Sonderweg der deutschen Terminologie ist in zweifacher Hinsicht von sachlicher Bedeutung. Zum einen reichen die wortgeschichtlichen Wurzeln des Kompositums ‹W.› weit in die Ideengeschichte zurück. Zum anderen hat man in der Wahl dieses Ausdrucks bzw. in seiner (besonders im Zeitalter der Aufklärung auffälligen) Bevorzugung gegenüber ‹Philosophie› immer wieder ein programmatisches Signal erblickt. Das erste Element des Kompositums (‹
Weltweisheit›) wird vielfach als Indikator «für das Weltlichwerden der Philosophie in der Aufklärung»
[3] verstanden; es verleihe «dem Gegensatz ... zu den herrschenden christlich-theologischen Überzeugungen unmittelbar Ausdruck»
[4]. Mit der Betonung des zweiten Elements des Kompositums (‹Welt
weisheit›) scheint sich ein gesteigerter Kompetenzanspruch der Philosophie anzumelden, die sich (in impliziter Zurückweisung des ancilla-theologiae-Motivs
[5]) nicht mehr mit der ‘Liebe zur Weisheitʼ begnügt, sondern den Titel ‹Weisheit› (s.d.) für sich reklamiert
[6].
Häufig werden, wenn ‹W.› anstelle des Fremdwortes ‹Philosophie› verwendet wird, jedoch keinerlei inhaltliche Akzente gesetzt. Die beiden Ausdrücke sind vielmehr gegeneinander substituierbar. Von zweisprachig (deutsch/lateinisch) schreibenden Autoren und von Übersetzern lateinischer Texte ins Deutsche werden sie in denselben Kontexten unterschiedslos verwendet – «weder aus Demuth, noch Hochmuth ..., sondern ohne grosse Ueberlegung»
[7] und ohne die programmatischen Untertöne, die man an ‹W.› hat wahrnehmen wollen. Lapidar definiert
Ch. Thomasius: «Die Erkantnüß so aus der Heiligen Schrifft entstehet / wird Gottes-Gelahrtheit / die aber so aus der menschlichen Vernunfft herrühret / W. genennet»
[8]. Gelegentlich werden die angeblich profan-säkularistischen Konnotationen von ‹W.› sogar ausdrücklich bestritten: So ist es aus der Sicht
G. F. Meiers «lächerlich, wenn man ... die W. der Religion entgegen setzt», denn sie «enthält so gar die natürliche Religion in sich»
[9]. In dieser neutralen Bedeutung, als «gewöhnliches»
[10] Äquivalent zu ‹Philosophie›, bleibt ‹W.› noch im späten 18. Jh. (vgl. z.B.
I. Kants Bezeichnung der «Transcendental-Philosophie» als «eine W. der reinen, bloß speculativen Vernunft»
[11]) gebräuchlich. Manchmal wird der Ausdruck – etwa in
J. G. Herders Formel von einer «W. des gesunden Verstandes»
[12] – dem Begriff einer Popularphilosophie (s.d.), wie er gleichzeitig
als «Philosophie für die Welt»
[13] oder «Philosophie der Welt»
[14] im Schwange war, angenähert.Im 18. Jh. hat es jedoch
eine vielbeachtete und bis ins 19. Jh. ausstrahlende Debatte über die inhaltlichen Konnotationen des Wortes ‹W.› gegeben. Ihr lag allerdings eine ganz andere sprachliche Intuition als den modernen Deutungen zugrunde. Den Anstoß gab nicht die Wahrnehmung einer selbstbewußten Weltlichkeit der Philosophie, sondern im Gegenteil die Erinnerung an ihre Verunglimpfung durch
Paulus. Dieser hatte sie als «Weisheit dieser Welt» (
σοφία τοῦ κόσμου τούτου), die eine «Torheit bei Gott» sei, bezeichnet (1. Kor. 3, 19 und 1, 20)
[15]. Auch die Kirchenväter benutzen die griechischen und lateinischen (‹sapientia mundi›) Entsprechungen zu ‹W.› zur Schmähung der Philosophie
[16]. Verwendet wird auch (in Anlehnung an Jak. 3, 15:
σοφία ἐπίγειος) die Variante «irdische Weisheit» («terrena philosophia»)
[17]. Der Stellenwert dieser biblischen Vorgaben ist an der Schrift des Platonikers
Kelsos gegen die Christen ablesbar. Er erblickt in der Devise, «die Weisheit dieser Welt sei etwas Schlechtes» (
κακὸν ἡ ἐν τῷ κόσμῳ σοφία), die Grundlage des christlichen Verbots einer Prüfung (
ἐξετάζειν) der Glaubenslehren, durch welches ein blinder, «vernunftloser Glaube» (
ἀλόγως πιστεύειν) befördert wird
[18].
Wenn der Ausdruck ‹W.› in einer inhaltlich aufgeladenen Weise verwendet wird, spricht aus ihm das Verständnis der Formeln des 1. ‹Korintherbriefs›
[19] als Feindseligkeit gegenüber der Philosophie. Diese Sicht hat namentlich
M. Luther geteilt, der die «wellt-weyszen, das sind die blinden und heubtnarren fur gott»
[20], verspottet. Damit gab er der antiphilosophischen Strömung des älteren Protestantismus (bes. den in den ‘Hoffmannischen Streitigkeitenʼ des frühen 17. Jh. zeitweilig erstarkenden «Metaphysikhassern») Auftrieb
[21]. Außerhalb Deutschlands gehört z.B. «wisdome of this world» zum Kampfvokabular der Puritaner
[22]. Und auch später wurde, wenn theologischer Einspruch gegen eine sich von offenbarungstheologischen Vorgaben emanzipierende Philosophie erhoben wurde, mit der Verwendung der Äquivalente von ‹W.› gern auf die Paulinische Diffamierung der Philosophie
[23] zurückgegriffen. Vor diesem Hintergrundplädiert der Thomasius-Schüler
Ch. A. Heumann[24] dafür, «daß man sich dieser Nahmen / Welt-Weiser und Welt-Weißheit / gar enthalte / und sich mit gleicher Freyheit / wie vor Zeiten die Römer / des Griechischen Nahmens
Philosoph und
Philosophie bediene»
[25]. Denn die «Feinde der Philosophie [hätten] ihr keinen gefährlichern Streich versetzen können / als da sie derselben den garstigen Nahmen der Welt-Weißheit beygeleget»
[26]. In diesem Wort lebe die auf Paulus zurückgehende Philosophie- und Bildungsfeindlichkeit («odium erga ipsas literas») weiter
[27]. Auch gegenwärtig sei eine Wiederbelebung dieser Paulinischen Haltung möglich. Das Wort ‹W.› sei das geeignete sprachliche Vehikel des Obskurantismus und der Gegenaufklärung, «ein rechter Staats-Streich der Barbarey und Ignoranz, die Vernunfft und die daher kommende Weißheit verhast und gefährlich zu machen / um die in der Religion eingerissenen Irrthümer desto besser zu behaupten»
[28]. Heumanns Bedenken gegen das durch seine theologische Herkunft belastete Wort ‹W.› wurden vielfach geteilt
[29]. In der die deutsche Szenerie lange Zeit beherrschenden Strömung – im Wolffianismus – schloß man sich ihnen jedoch nicht an. So wollte
J. Ch. Gottsched die Wahl des Titels seines philosophischen Hauptwerks (‹Erste Anfangsgründe der Gesamten W.›) als Geste der Bescheidenheit
verstanden wissen: «W.» ist die unter Endlichkeitsbedingungen erreichbare und deshalb «unvollkommene Weisheit»
[30].
Auch später gibt es Reserven gegen das Wort ‹W.›; andererseits wird seine abschätzige Nebenbedeutung, die Heumann beanstandet hatte, auch nach der Aufklärung in den philosophisch-theologischen Debatten eingesetzt. Dies hat
G. W. F. Hegel im Auge, wenn er moniert, daß man «für die Philosophie den Spitznamen der W. wieder aufgewärmt, und damit [hat] bezeichnen wollen, daß sie wegbleiben müsse, wo von Höherem, z.B. der Religion die Rede sey»
[31]. Für
F. Nietzsche sind die im ‹Korintherbrief› enthaltenen Schmähungen der Philosophie als W. unvermindert provozierende «Proben der heiligen Unverschämtheit»
[32], aus denen der Bibel-Leser aber immerhin eine Nutzanwendung ziehen kann: «Man liest das neue Testament nicht ohne eine Vorliebe für das, was darin misshandelt wird, – nicht zu reden von der ‘Weisheit dieser Weltʼ, welche ein frecher Windmacher» – Paulus – «zu Schanden zu machen sucht»
[33].