Germanistik in der Schweiz
Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode
GiS Band 18Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode10.24894/1664-2457.00019 28.06.2022Germanistik in der Schweiz Band 18:64-96Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller64 Schwerpunkt: Kulturlinguistik in der Schweiz. Hg. von N. Bubenhofer, D. Knuchel, L. Schüller Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller 1. Kulturlinguistik goes digital – einleitende Bemerkungen Die Idee, eine Digitale Kulturlinguistik zu vertreten, erscheint im Zeitalter der Digitalität als völlig selbstverständlich und gleichzeitig total unterspezifiziert. Soll das Adjektiv digital eine Variante der Methoden der Kulturlinguistik ausdrücken oder geht es vielmehr darum, digitale Kultur kulturlinguistisch zu untersuchen? Sowohl als auch, wobei ein engeres Verhältnis zwischen den beiden Lesarten besteht, als man auf den ersten Blick annehmen mag: 1) Digitale Methoden, auf die wir im Folgenden genauer eingehen werden, sind sicher eine interessante Möglichkeit für kulturanalytische Untersuchungen generell. 2) Wenn wir uns jedoch für digitale Kultur interessieren, gilt es das Verhältnis von digitaler Methode und digitalem Untersuchungsgegenstand genauer zu überdenken. 3) Schliesslich verstehen wir unter digitalen Methoden mehr als die Anwendung eines digitalen Werkzeugkastens auf digitalisierte oder nativ-digitale Daten – vielmehr können digitale Methoden mit ihrer Digitalität ein heuristisches Instrument werden, ähnlich wie dies beispielsweise im Zuge des iconic turn für Bildlichkeit behauptet wird: Dort soll es nicht darum gehen, «Bilder zu verstehen, sondern die Welt durch Bilder zu verstehen» (Bachmann-Medick 2006, 350; vgl. ferner Bubenhofer 2019). Ähnlich versuchen wir, Welt durch Digitalität zu verstehen und nicht nur, digitale Welt zu verstehen. Das Interesse der Kulturlinguistik an musterhaftem sprachlichem Handeln (vgl. Einleitung) führt zum Entdecken verfestigter Formen an der sprachlichen Oberfläche. Dies eröffnet methodologisch gesehen interessante Möglichkeiten: Musterhaftigkeit ist etwas, was empirisch und quantitativ gemessen werden kann – nicht nur als simples Auszählen und mit einem eingeengten Blick auf Häufiges, sondern differenziert als Erkennen von Typik und Auffälligkeit in Relation zu Erwartetem, wie das beispielsweise statistische Assoziationstests leisten. Während nun seit längerem mit vielen korpuslinguistischen Arbeiten mit einem Fokus auf Texte ein umfangreicher Methodenapparat für solche Analysen1 entEin grosser Teil unserer bisherigen kulturlinguistisch grundierten Forschung hat sich insbesondere mit der Erarbeitung und Verfeinerung dieses statistisch grundierten und mit digitalen Elementen versehenen Methodenapparates – wir kommen nochmals auf das «digital» bei «digitalen Methoden» zurück – beschäftigt. Diese Vorarbeiten sind von zentraler Bedeutung, um überhaupt Fragen nach dem Verhältnis von Digitalität, Sprache und Kultur aufwerfen zu können. Wir verzichten aber an dieser Stelle auf eine ausführliche Rekapitulation (vgl. zu diesem Methodenapparat auch Buben1 GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode wickelt wurde, ergeben sich jüngst mit den Fortschritten im Machine Learning, aber auch der immer breiteren Verfügbarkeit von digitalen Daten, neue Möglichkeiten. Es weitet sich die Methodenpalette zur Analyse von Typizität von Sprachgebrauch, es wird aber auch zunehmend einfacher, Bild, Audio, Video, aber auch digitale Gebrauchsspuren in komplexere Analysen zu integrieren. Darauf werden wir im Folgenden anhand eines Beispiels eingehen. Mit den digitalen Gebrauchsspuren und den digitalen Daten klingt nun aber ein Thema an, das unserer Ansicht nach ganz besondere Auswirkungen auf das Verständnis von Kulturlinguistik haben sollte, vor allem, wenn wir die Tragweite der Digitalisierung und ihre Folgen für die Gesellschaft beachten (vgl. dazu auch weiter unten). Es stellen sich dabei eine Reihe von Fragen: Wie hängen Digitalität und Gesellschaft bzw. Kultur zusammen? Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen digitalen und analogen Daten, zwischen digitalen und analogen Methoden? Welche Formen von Handeln sind auf digitalen Plattformen zu beobachten und handelt es sich dabei um sprachliches Handeln? Wie kann Kultur verstanden werden, wenn Digitalität als heuristisches Instrument eingesetzt wird – auch für nicht-digitale Kultur? Und welche Konsequenzen hat dies alles für die Theorie und Methodologie der Kulturlinguistik? Wir plädieren dafür, dass solche Fragen nur angegangen werden können, wenn «digitale Kulturlinguistik» mit der oben dargestellten Trias von Aspekten des Verhältnisses zwischen digitalen Methoden und digitaler Kultur reflektiert wird. Und diese Fragen sind derart komplex, dass wir sie hier nur skizzieren und hoffentlich zeigen können, dass sie die Kulturlinguistik als Forschungsfeld stark beeinflussen und daher eingehender diskutiert werden müssen. Wir wollen zudem zeigen, wie wir in unterschiedlichen Projekten diese methodologischen und theoretischen Auswirkungen der Digitalität angehen und untersuchen. 2. Theoretisches Fundament einer digitalen Kulturlinguistik Angelika Linke sieht in den Konzepten der Praxis (bzw. der Praktiken) und der Dialogizität mit Recht fundamentale Aspekte zu einem Verständnis von Kultur und Kommunikation (Linke 2016). Der Fokus auf die Praktiken, und damit auf Körperlichkeit, Materialität und Räumlichkeit, behauptet in soziologischer Lesart etwa bei Reckwitz (2003) zunächst eigentlich die Relativierung der Bedeutung von Sprache für Kulturtheorien: hofer 2009; Bubenhofer/Scharloth 2014; Bubenhofer 2017; Knuchel 2019; Knuchel/Bubenhofer 2020; Knuchel 2021; Knuchel i. V.), da wir zwar durch die Reflexion digitaler Aspekte und von Digitalität im Rahmen der Entwicklung von und der Arbeit mit diesen Methoden begonnen haben, Digitalität in einem weiteren Sinn zu denken. Aber die stärker theoretische Auseinandersetzung mit Digitalität ist an neuere noch laufende Projekte gebunden, die hier z. T. auch vorgestellt werden. GiS 18/2021, 64–96 65 66 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller Sie [= die Praxistheorie] kritisiert jene Tendenz zu einer Identifizierung des Sozialen mit selbstreproduzierenden Zeichensystemen, wie sie die ‹textualistischen› Ansätze der Kulturtheorie betreiben, und erkennt in ihr eine weitere Form der ‹Intellektualisierung› des Sozialen (Reckwitz 2003, 298). In der linguistischen Relektüre wird jedoch deutlich, dass es nicht sinnvoll ist, eine Opposition zwischen (nichtsprachlichen) Praktiken und Sprachgebrauch zu konstruieren, und dass stattdessen Sprachgebrauch immer bereits als eingebettet in körperliche Praktiken gedacht werden muss (Linke 2016, 357). Diese Forderung bringt nun sehr textorientierte Teildisziplinen wie die Korpuspragmatik oder die korpuslinguistische Diskursanalyse (Bubenhofer 2009; Bubenhofer/ Scharloth 2013; Felder et al. 2011) in die Bredouille. Meist werden dort umfangreiche Textkorpora auf sprachliche Muster hin untersucht; die Basis bilden häufig Zeitungstexte, da diese vergleichsweise gut archiviert, meist sogar digitalisiert und somit für die Analyse gut zugänglich sind (vgl. z. B. Knuchel 2019). Es bleibt also zu fragen, wie Perspektiven der Praxistheorie besser in eine korpuspragmatische Methodologie eingebunden werden können. Vor dem Hintergrund einer ‹digitalen Gesellschaft›2, in der wir heute leben, ergeben sich jedoch weitere Probleme: Formen der (körperlichen) Praktiken in (realen) Räumen gibt es auf digitalen Plattformen nicht in dieser Form. Auch Dialogizität spielt zwar in der digitalen Welt eine bedeutende Rolle, jedoch unter veränderten Vorzeichen und mit neuen Mitspielern, wie etwa mit Algorithmen, die Kommunikation beeinflussen. Es wird deshalb deutlich, dass zunächst eine kulturlinguistische Antwort auf die digitale Gesellschaft gefunden werden muss. Eine Grundlage dafür sind soziologische Arbeiten von Armin Nassehi (2019) und Nick Couldry/Andreas Hepp (2017). Nassehi skizziert in seinem Buch mit dem Titel Muster eine Theorie, die digitale Gesellschaft systemtheoretisch liest. Digitalität ist dabei nicht ein Medium oder ein Zustand von Daten, sondern ein soziales System, das alles verdatet und der Systemlogik und damit einer autopoietischen Prozessierung nach der Codierung von 0 und 1 unterwirft. Laufend werden Daten zu neuen Daten prozessiert und aneinander angeschlossen: Die leistungsfähige Digitaltechnik folgt demselben Muster wie die gesellschaftlichen Funktionssysteme: Sie kann ihren Formenreichtum und damit auch ihren Siegeszug in fast alle Praktiken der modernen Gesellschaft nur erreichen, weil sie strukturell ebenfalls um das Verhältnis von Einfalt und Vielfalt aufgebaut ist. Ihre brutal einfache Codierung und Medialität in binären Mustern ist der Boden für den vielfältigen, Wie digital unsere Gesellschaft ist, wird kontrovers diskutiert. Armin Nassehi etwa macht aber darauf aufmerksam, dass zwar in unserer digitalen Gesellschaft «nicht alles, was darin geschieht, sich über die Digitalität einer Technik erschließen ließe», aber die «Digitaltechnik […] letztlich nur die logische Konsequenz einer in ihrer Grundstruktur digital gebauten Gesellschaft» sei (Nassehi 2019, 11). Wir können das an dieser Stelle nicht vertiefen, ist jedoch für die weitere Argumentation auch sekundär. 2 GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode kaum begrenzbaren Einsatz in allen Bereichen der Gesellschaft. […] Die Digitalisierung ist also kein Fremdkörper in der Gesellschaft, sondern, wenn man so will, Fleisch vom Fleische der Gesellschaft. (Nassehi 2019, 176–177) Die Verdatung und Prozessierung innerhalb des Systems führt dazu, dass die Digitalisierung eine Verdoppelung aller anderen sozialen Systeme darstellt, eine Verdoppelung allerdings, die «keine Abbildung von etwas, sondern eine Repräsentationsform ohne Original» ist und «in ihrer Struktur die Gesellschaft als Spur enthält» (Nassehi 2019, 141). Ein thumbs up oder Applaus in einer Videokonferenz ist eben nicht ein physisch hochgestreckter Daumen oder ein hörbares Klatschen von Händen, sondern eine ‹verdatete› digitale Repräsentation einer kommunikativen Praktik.3 Das Ausüben der digitalen kommunikativen Praktik wird dabei sofort als neues Datum prozessiert und triggert beispielsweise eine automatische Berechnung eines Zustimmungsquotienten. Selbstlernende Algorithmen können in der Folge verschiedene digitale Datenspuren aufgrund ihrer 0/1-Codierung miteinander kombinieren, Korrelationen berechnen (z. B. zwischen Zustimmungsbekundungen, Personen, Themen etc.) und Voraussagen über mögliches digitales Verhalten treffen. Die Verdoppelung sozialer Systeme in der Digitalisierung mit digitalen Spuren von kommunikativen Praktiken macht es nun möglich, direkten Zugang zu den Prozessen sozialer Konstruktion zu erhalten, wie einerseits Bruno Latour (2007) argumentiert, andererseits aus medienwissenschaftlicher Sicht Couldry und Hepp (2017) deutlich machen. Letztere sehen diesen Prozess als «tiefgreifende Mediatisierung» (deep mediatization), mit der sowohl das Selbst als auch das Kollektiv digital konstruiert werden und die Grenzen zwischen ‹analog› und ‹digital› verschwimmen. Für Couldry und Hepp ist beispielsweise die extensive Pflege digitaler Profile in sozialen Netzwerken und die dann digital stattfindende Kommunikation zwischen diesen ein Indiz für diese Ununterscheidbarkeit von digitalem und analogem Selbst. Zumal – und das lässt sich mit Nassehis Idee der Verdoppelung und dem autopoetischen Operieren des Systems Digitalisierung begründen – die Daten immerwährend neu und auch ohne Zutun der Menschen aus Fleisch und Blut prozessiert werden. Es sind also Ensembles von menschlichen Praktiken im digitalen Raum, digitalen Daten und Algorithmen, die gemeinsam agieren (Couldry/Hepp 2017, 169 mit Bezug auf Latour; vgl. ausführlicher: Bubenhofer/Dreesen i. V.). 3 Die Verdatung ist dabei mehr als die Überführung eines nicht-digitalen Objekts in ein digitales Format. So beschreibt etwa Ernst diesen Vorgang wie folgt: «Digitalisierung bedeutet die Wandlung materieller Objekte oder elektronischer Bildvorlagen und Töne in Information.» Im Unterschied zu fotografischen Dokumenten etwa sind «digitale Bilder […] als Verbildlichung, Visualisierung einer mathematischen Struktur, von Algorithmen» zu lesen (Ernst 2013). GiS 18/2021, 64–96 67 68 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller Folgt man dieser Argumentation, ergeben sich aus kulturlinguistischer Sicht eine Reihe von Konsequenzen. Zwei davon möchten wir im Folgenden als Hypothesen genauer ausführen: 1. Die Differenz zwischen digitalem Untersuchungsgegenstand und digitaler Methode schwindet: Digitale Methoden werden ebenfalls zum zu untersuchenden Gegenstand. 2. Digitalisierung ist nicht nur ein (technisches und gesellschaftliches) Phänomen, sondern ein heuristisches Instrument zur Analyse sowohl digitaler, aber auch vor-digitaler Untersuchungsgegenstände. Mit den Fallstudien zu einer korpuspragmatischen Analyse von Kommentaren auf einer Online-Rezeptplattform (chefkoch.de) und der digitalen (Re‐)Konstruktion einer Telefonzentrale illustrieren wir diese beiden Hypothesen. 2.1 Methoden als Untersuchungsgegenstand Richard Rogers diskutiert digitale Methoden nach dem computational turn in den Geistes- und Sozialwissenschaften und unterscheidet dabei digitalisierte und nativ-digitale Daten sowie digitalisierte und nativ-digitale Methoden (Rogers 2021). Klassische korpuslinguistische Methoden, etwa im Bereich der Diskurslinguistik, wären nach dieser Unterscheidung als die Anwendung digitalisierter Methoden auf digitalisierte Daten zu verstehen: Es handelt sich bei der Datengrundlage um Material, das verdatet worden ist, sei es, dass es überhaupt erst in ein digitales Format überführt werden musste (z. B. durch Scanning und OCR). Sei es, dass es zwar schon digital erschienenen ist, jedoch aus dem digitalen Kontext in eine neue digitale Ordnung überführt worden ist. Dies ist etwa der Fall, wenn online erschienene Zeitungsartikel automatisiert heruntergeladen, in ein einheitliches Format (z. B. XML) konvertiert und korpuslinguistisch aufbereitet (z. B. durch Wortarten-Annotation und Lemmatisierung) werden. Diese Transformationen zwischen verschiedenen digitalen Formaten sind nicht zu unterschätzen, denn sie verändern die Daten deutlich. So kann beispielsweise aus diagrammatischer Sicht argumentiert werden, dass durch diese Konvertierung eines online auf einer Webseite der Zeitung erschienenen Artikels in eine von allem Kontext (z. B. Werbung, Navigationselemente etc.) befreite Buchstabenkette in einer Datenbank auch Transformationen zwischen diagrammatischen Grundfiguren stattfinden: Der Text wird rekontextualisiert und mit anderen Dimensionen angereichert (Bubenhofer 2020, 192). Es ist nun möglich, Ausschnitte des Textes z. B. über ein Suchwort mit vielen anderen Ausschnitten anderer Texte in einer Konkordanz in Verbindung zu bringen, womit der ursprüngliche Kontext des Ausschnitts im Artikel (und an einem bestimmten Ort auf der Webseite) in GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode einen neuen Kontext gebracht wird4 und damit mit neuen Dimensionen, z. B. Ähnlichkeit der Ausschnitte, angereichert wird. Solche Transformationen sind Fluch und Segen gleichzeitig, denn damit geht einerseits etwas verloren (die ursprünglichen Kontexte), andererseits wird ein neuer Blick auf die Daten gewonnen (Bubenhofer 2020, 195). Es ist nun plausibel, mit Rogers zu argumentieren, dass dieser beschriebene Typus von digitalisierten Daten anderer Art ist als nativ-digitale Daten, die also für die Analyse in ihren digitalen Kontexten verbleiben. Zusätzlich zur Datenebene unterscheidet Rogers jedoch auch auf Methodenebene diese beiden Typen. Digitalisierte Methoden sind in seiner Lesart «migrierte» und vergleichsweise einfache Methoden, die sich an nicht-digitalen Kategorien orientieren (Rogers 2021, 30); er erwähnt z. B. Culturomics oder Cultural Analytics, die über Worthäufigkeiten oder Veränderung von Farbigkeit in Bildern Schlüsse ziehen. Einerseits werden dabei korpuslinguistische Methoden, die weit avancierter sind, ausgeblendet. Andererseits ist die Unterscheidung zwischen nativ-digitalen und digitalisierten Methoden nicht haltbar, wenn Methoden wie neuronales Lernen, Machine Learning etc. hinzugezogen werden. Machine Learning ist eine zentrale Operation vieler digitaler Plattformen. Verkaufsplattformen wie Amazon oder Musik-Streaming-Angebote wie Spotify nutzen diese, um den Benutzer:innen Vorschläge für Produkte oder Musik zu machen, die ihnen ebenfalls gefallen könnten. Microblogging-Dienste wie Twitter oder Instagram optimieren damit die Streams, die den Nutzer:innen angezeigt werden (Bubenhofer 2019). Dies ist jedoch nur die Anwendungsebene, die für die Nutzenden der Plattformen erfahrbar sind. Daneben ist zu vermuten, dass diese Methoden auch für interne Zwecke der Firmen eingesetzt werden, um Voraussagen über das Verhalten der Nutzenden zu machen und den Geschäftserfolg zu erhöhen. Mit Nassehi gesprochen, operiert das System der Digitalisierung autopoietisch und schliesst Daten an Daten an. Aus der Perspektive der Forschung ist es nun wichtig, Digitalität mit den Methoden der Digitalität selbst zu untersuchen. Das fordert auch Rogers: Als Methode solle ein Code genutzt werden, der «nativ» sei, also der «für das Online-Medium geschrieben wurde, und nicht das, was dorthin migriert wurde» (Rogers 2021, 32). So sollen die Interfaces der digitalen Plattformen ausgereizt – nutzbar gemacht – und einer Art «reverse engineering» und einem «repurposing» unterworfen werden (Rogers 2021, 42). Ähnlich argumentieren auch Hepp/Loosen/Hasebrink (2021), die dafür plädieren, «digitale Medien und deren Infrastrukturen selbst zum Instrument der Datenerhebung zu machen» (Hepp et al. 2021, 10). Sich dabei aber den von den Plattformen angebotenen InteraktiAus medienlinguistischer Sicht wird Rekontextualisierung dabei für digitale Kommunikation als zentrales Konzept diskutiert (vgl. Meier/Viehauser/Sahle 2020), wir sehen aber gerade auch im Bereich der Datenaufbereitung, dass schon vor der Analyse über die Formen und Wirkungen von Rekontextualisierung nachgedacht werden muss. 4 GiS 18/2021, 64–96 69 70 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller onsmöglichkeiten zu unterwerfen, greift jedoch zu wenig weit, denn Machine Learning ist ja eine Methode, die jede verdatete Information in den Lernprozess mit einbeziehen kann. Nach unserem Verständnis ist es auch sinnvoll, die digitalen Daten weiteren digitalen Transformationen zu unterziehen, etwa indem sie in ein eigenes Datenbanksystem eingespeist und korpuslinguistisch aufbereitet werden. Gerade aus kulturlinguistischer Sicht scheint es uns geboten, digitale Praktiken und Formen der Dialogizität als Ensemble von digitalen Operationen auf verschiedenen Ebenen – von den für die Nutzer:innen sicht- und wahrnehmbaren bis hin zu den ‹tiefen Ebenen› neuronalen Lernens (deshalb: ‹Deep Learning›), die sich der menschlichen Einsicht entziehen – aufzufassen. In unserer ersten Fallstudie werden wir eine Onlineplattform mit unterschiedlichen digitalen Methoden untersuchen, um unterschiedliche Aspekte einer solchen digitalen Kulturlinguistik zu skizzieren. Dabei werden wir sprachliche Information und digitale Praktiken wie Sternerating kombinieren. Zudem wenden wir maschinelles Lernen in den Bereichen distributionelle Semantik und automatisierte Textanalyse an, um zu explorieren, welche sprachlichen Muster und damit digitalen Praktiken identifizierbar sind. Dafür transformieren wir die digitalen Daten der zu untersuchenden Kommunikationsplattform mehrfach, wenden jedoch mutmasslich ähnliche Methoden an, wie der Anbieter der Plattform sie (zumindest potenziell) ebenfalls anwenden kann. Digitale Dialogizität und digitale Praktiken sind damit ein Untersuchungsgegenstand; die Methoden, die für die digitale Repräsentation dieser Praktiken zur Anwendung kommen, jedoch ebenfalls, indem wir die Methoden, die wir selbst nutzen, kulturlinguistisch reflektieren. 2.2 Digitalisierung als heuristisches Instrument Digitale Methoden sind Teil des zu untersuchenden Gegenstandes der Digitalität, wie wir im letzten Abschnitt argumentiert haben. Und mit der Verdatung werden gesellschaftliche Systeme, darunter auch kommunikative Praktiken (Begrüssungen, Beziehungspflege, Bewertungen etc.), in ein System der Digitalität transformiert. Es entsteht eine Verdoppelung dieser Praktiken als digitale Spur. Diese digitalen Praktiken haben sich mit der Entwicklung der Digitalisierung gebildet und können aus kulturlinguistischer Perspektive analysiert werden. Doch was passiert, wenn kommunikative Praktiken ganz gezielt für analytische Zwecke digitalisiert werden? Z. B. kommunikative Praktiken, die wir aus einer vor-digitalen Zeit kennen? Wir kennen unter der Bezeichnung «Retrodigitalisierung» die Möglichkeit, Daten post hoc zu digitalisieren (Rogers 2021, 31). Alle Medien können so digitalisiert und verdatet werden. Wir wollen jedoch im Folgenden zeigen, dass gan- GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode ze kommunikative Praktiken «retrodigitalisiert» werden können.5 Das ist nicht neu und kennen wir beispielsweise von der Telefonie: Nach wie vor stehen Telefonapparate auf Bürotischen, sie funktionieren jedoch völlig unterschiedlich im Vergleich zur ‹analogen› Telefonie: Nicht Kupferleitungen transportieren ein Sprachsignal, sondern das Telefon ist ein kleiner Computer und Sprache wird als digitalisiertes Signal über eine IP-Infrastruktur transportiert. Eigentlich könnte ein Softwaretelefon auf dem Computer dies ebenso erledigen, doch noch stehen vielerorts Telefonapparate auf Tischen, die die Materialisierung einer vor-digitalen kommunikativen Praktik symbolisieren. Die Repräsentation von Medien in anderen Medien, bzw. die Transformation zwischen Medien, wurde bereits verschiedentlich theoretisiert. Aus semiotischer Perspektive spricht Ludwig Jäger hier von einem «transkriptiven Verfahren», das er als ein «grundlegendes sinninszenierendes Verfahren der kulturellen Semantik» versteht (Jäger 2007, 13). Eine «Transkription» von einem Medium zu einem anderen erzeugt ein «Script» und konstituiert damit gleichzeitig das mit dem Script Paraphrasierte als «Präscript» (Jäger 2007, 13; vgl. für eine vertiefte Diskussion: Bubenhofer 2020). Durch die Transkription werden Zeichen in eine andere mediale Logik überführt und dadurch transformiert. Entsprechend sprechen Bolter und Grusin dabei auch von einer «Remediatisierung» (Bolter/Grusin 2000). Das Softwaretelefon ist ein remediatisiertes analoges Telefon: Es simuliert ein analoges Telefon, allerdings nur bezüglich bestimmter Aspekte (z. B. sieht es ähnlich aus und es ermöglicht ähnliche Funktionen). Das Softwaretelefon folgt aber einer eigenen Medienlogik, einer digitalen; so werden z. B. die Schallwellen nicht als analoge Wellen über das Kupferkabel übertragen, sondern in ein digitales Format transformiert. Jäger macht deutlich, dass transkriptive Verfahren genutzt werden, um «unlesbares Wissen lesbar zu machen bzw. lesbares Wissen zu arkanisieren, […] tradierte Semantik zu enteignen und neue Semantiken und Ästhetiken zu generieren» und damit «den Zugriff auf die in den kulturellen Archiven stillgelegte Semantik [zu] ermöglichen» (Jäger 2007, 16). Warum nicht genau diesen Effekt ganz gezielt für kulturanalytische Zwecke auslösen? Mit der Digitalisierung, unter der wir mehr verstehen, als etwas zu digitalisieren, sondern eben im Sinne von Nassehi etwas in ein System der Digitalisierung (oder mit Rogers in die nativ-digitale Welt) zu überführen, stünde damit ein Instrument zur Verfügung, um zu beobachten, wie durch diese Transkription ein neues Script und dabei auch ein neues Präscript entsteht. Es wäre damit also die Hoffnung verbunden, mit der Digitalisierung unlesbares Wissen Wir halten im Folgenden aber an der Bezeichnung «Digitalisierung» fest, um den Eindruck zu vermeiden, es handle sich dabei um einen vergleichsweise eher trivialen Vorgang wie die Retrodigitalisierung von gedruckten Büchern. 5 GiS 18/2021, 64–96 71 72 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller wieder lesbar zu machen – wieder nicht als Simulation des Historischen, sondern als Historisches im Jetzt. In der zweiten Fallstudie werden wir zeigen, wie vor-digitale kommunikative Praktiken rund um den Beruf der Telefonistin und die Telefonzentrale durch die Digitalisierung als Virtual-Reality neu verstanden und gedeutet werden können. 3. Fallstudien 3.1 Digitale Methoden für die Analyse der Rezepteplattform Chefkoch Wie wir im theoretischen Teil dargelegt haben, argumentieren wir, dass Digitalität auf unterschiedlichen Ebenen für kulturlinguistische Forschungsvorhaben als Folie produktiv gemacht werden muss: Einerseits gilt es, sich mit der inhärenten digitalen Logik des Untersuchungsgegenstandes und der spezifischen Strukturen der Datengrundlage auseinanderzusetzen und andererseits gilt es, potenziell digitale Werkzeuge auf ihre encodierten Forschungslogiken und (sprach‐)theoretischen Prämissen hin zu befragen. Ausgangspunkt dieser Forderung nach einer kulturlinguistischen Reflexion von Digitalität sowohl der Daten als auch Methoden ist u. a. die Beobachtung, dass sich mit dem Aufkommen von Textmining, Machine Learning und Big Data noch nie so viele unterschiedliche Disziplinen von Informatik über Ingenieurswissenschaft hin zu Sozial- und Wirtschaftswissenschaften für Sprache und Sprachanalysen interessiert haben. Zudem ist gleichzeitig auch der Bedarf der Wirtschaft an Hochschulabgänger:innen mit Kompetenzen in den Bereichen des Natural Language Processing und der Data Science gross, was wiederum bedeutet, dass Wissen über Sprachgebrauch und dessen Analyse potentiell wichtiger wird.6 Neben wissenschaftlichen sind also auch wirtschaftliche Akteur:innen daran interessiert, aus grossen Mengen digitaler Daten Sinn herzustellen. Ziel ist hierbei in der Regel, die Unternehmensstrategie weiterzuentwickeln, Unternehmensprozesse zu optimieren sowie dazugehörige digitale Plattformen zu verbessern.7 Dieses Interesse fusst auf der Prämisse, dass mittels einer Analyse der Ein Blick in die entsprechenden Stellenbörsen offenbart die Breite an Branchen, in denen es zur Firmenstrategie gehört, digitale und zu einem grossen Teil sprachliche Daten auszuwerten. Neben den bekannten Digitalunternehmen wie z. B. Google, Amazon oder Zalando sind es auch Finanzdienstleister wie UBS, Credit Suisse oder Versicherungsunternehmen wie die Mobiliar die entsprechende Data Science Abteilungen führen. In den Stellenausschreibungen wird aber auch sehr schnell ersichtlich, dass vor allem informatische und engineerstechnische Kompetenzen als zentral erachtet werden und Wissen zu und über Sprache – wenn überhaupt – nur eine marginale Rolle spielt. 7 Im Zuge der Enthüllungen rund um Cambridge Analytica ist einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden, wie digitale Daten von unterschiedlichen Akteur:innen genutzt werden können, um z. B. sehr gezielt mittels kommunikativer Settings die Wahrnehmung über bestimmte Phänome- 6 GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode menschengemachten Datenspuren – die zu einem grossen Teil sprachliche Spuren sind – Rückschlüsse auf menschliches Handeln gezogen werden können. Diese Prämissen und Interessen sind teilweise sehr ähnlich zu denjenigen, die auch die Digital Humanities sowie die kulturlinguistisch grundierte Erforschung von kommunikativen Praktiken in der ‹digitalen Gesellschaft› teilt. Es werden dementsprechend auch ähnliche Methoden für Analysen verwendet, wobei die angewandte Forschung, die von Unternehmen wie Alphabet, Facebook, Microsoft aber auch Zalando stark ausgebaut wird, viele dieser Werkzeuge entwickelt, wobei aber linguistische Expertise i. d. R. nur eine marginale Rolle spielt und insbesondere wirtschaftliche Interessen Treiber von Entwicklungen sind. Wir kommen aus diesen Gründen nicht umher, die Forschungslogik solcher ‹alinguistischen› Methoden der Sprachanalyse (vgl. Bubenhofer 2018; Bubenhofer/Dreesen 2018) zu reflektieren und für die spezifischen linguistischen Interessen zu adaptieren: Das heisst, wie oben ausgeführt, die Eigenlogik der digitalen Daten und Werkzeuge produktiv zu machen, weiterzuentwickeln und kreativ einzusetzen (vgl. dazu auch Knuchel/Bubenhofer i. Dr.; Herrmann et al. 2022). In der soziologischen Auseinandersetzung mit Digitalität wird der Aspekt des Positionierens resp. des Bewertens als zentral erachtet und verschiedentlich ausgearbeitet.8 Wir schliessen daran an, indem wir Bewertungspraktiken auf einem Webportal zum Ausgangspunkt nehmen, um die oben skizzierten Punkte mit einem Beispiel zu konkretisieren. Bewerten modellieren wir hierbei als kommunikative Praktik, in der ein Subjekt ein Bewertungsobjekt auf einer Skala positioniert und dadurch einen bestimmten Wert attribuiert. Diese Positionierung erfolgt sowohl reflektiert als auch unreflektiert mithilfe eines Wertmassstabs, der durch unterschiedliche kontextuelle Faktoren wie z. B. kulturelle und gesellschaftliche Normvorstellungen, Erwartungshaltung, Vergleichsobjekt, Situation sowie imaginiertes resp. vorhandenes Gegenüber beeinflusst ist. Die Bewertungshandlung kann sich hierbei auf unterschiedlichen semiotischen Ebenen sowie unterschiedlich detailliert manifestieren, wobei die Explizitheit der zeichenhaften Manifestation stark vom jeweiligen situativen Kontext abhängt (vgl. spezifisch für Chefkoch: Knuchel/Bubenhofer i. V.; allgemein: Habscheid 2015; spezifisch mit einem interaktionalen Hintergrund: Hrncal 2020, 7–48). ne zu manipulieren. Ebenfalls ist im Zuge dieser Diskussionen auch breiter diskutiert worden, welchen Einfluss Algorithmen im Alltag haben können (vgl. z. B. Fry 2018). 8 Z. B. als Scorisierung bei Mau (2017); zur These der Valorisierungsgesellschaft Reckwitz (2018); zur Methodologie einer digitalen Bewertungssoziologie Kropf/Laser (2019) sowie zur Frage nach dem Zusammenhang von performance, valuation und competition Stark (2020). GiS 18/2021, 64–96 73 74 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller Chefkoch – eine Rezepteplattform als Beispiel für kulturlinguistische Untersuchungen Das komplexe Zusammenspiel verschiedener semiotischer Codes und der Einbezug der digitalen Logik der Plattform zur Analyse von kommunikativen Bewertungspraktiken erfordert zuerst eine Auseinandersetzung mit der gewählten Datengrundlage chefkoch.de. Chefkoch ist ein deutschsprachiges Webportal, das seit 1998 Rezepte online zugänglich macht. Es handelt sich mit rund 90 Millionen Visits um die meistgenutzte Community rund um die Themen Backen und Kochen. Eine aktive Community mit rund 5 Millionen User:innen lädt eigene Rezepte hoch, bewertet und kommentiert Rezepte anderer und tauscht sich in Foren zu unterschiedlichen Themen aus. Es handelt sich also um ein kollaboratives Setting, in dem gemeinsam digital gehandelt wird. Das Webportal verstehen wir als Interaktionsraum, in dem das gemeinsame Handeln einer community of practice (vgl. dazu CoP Wenger 1998) sich semiotisch manifestiert und so analytisch zugänglich wird. Es handelt sich aber nicht um eine digitale ‹Aufzeichnung› kommunikativen Handelns, sondern das Handeln folgt schon einer bestimmten digitalen Logik (vgl. oben Abschnitt 2). Sollen nun Bewertungspraktiken fokussiert werden, spielen Affordanzen – verstanden als mediale Handlungsmöglichkeiten mit Einbezug des Kontextes (vgl. dazu Pentzold/Fraas/ Meier 2013) – eine zentrale Rolle. Mithilfe eines Python-Scripts haben wir die HTML-Seiten aus der Rezeptdatenbank von Chefkoch9 gecrawlt und für korpuslinguistische Zwecke aufbereitet10, sodass verschiedene Abfragen und Analysen durchgeführt werden können. Insgesamt wurden so 321 316 Rezepte heruntergeladen, wobei 22 349 ohne Kommentare und 89 944 Rezepte ohne Sternewertung waren. Die rund 300 000 Rezepte weisen insgesamt 1 015 439 Kommentare auf. Das Korpus umfasst so ca. 100 Millionen laufende Wortformen (= token). Wie in Abb. 1 ersichtlich wird, besteht das Digitalrezept aus verschiedenen Elementen und es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie User:innen, Rezepte bewerten können. Eine numerische Bewertung wird durch die Vergabe von Sternen möglich, wobei eine Skala mit fünf Sternen vorgegeben wird: mangelhaft, ausbaufähig, ganz gut, sehr gut, perfekt. Die Sternewertung wird anschliessend aggregiert angezeigt, es gibt also einen Durchschnittswert aus. Das heisst, es ist nicht möglich zu eruieren, wer welche Sternewertung vergibt, sodass weder der Wertemassstab noch die Verteilung aller Bewertungen rekonstruiert werden 9 Werden frei zugängliche digitale Daten im Netz als Grundlage für ein Korpus akquiriert, so müssen rechtliche und ethische Fragen geklärt werden (vgl. Knuchel/Luth 2018). Im vorliegenden Fall sind wir der Überzeugung, dass eine Anonymisierung der User:innen ein wichtiger Schritt ist, um mit den Daten arbeiten zu können, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass korpuslinguistische Analysen in der Regel mit aggregierten Sprachdaten arbeitet. 10 Die Texte wurden in eine XML-Struktur überführt, tokenisiert und mit verschiedenen Annotationen wie Lemma und Named Entity versehen. GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode Abb. 1: Elemente der Rezeptepage am Beispiel Wurstring im Ofen GiS 18/2021, 64–96 75 76 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller kann. Neben der Sternevergabe nutzen User:innen die Kommentarfunktion, um Bewertungen vorzunehmen. Das Kommentieren der Rezepte übernimmt dabei unterschiedliche Funktionen, wobei evaluative Elemente neben phatischen, emotiven oder auch metasprachlichen stehen.11 Die unterschiedlichen Elemente – Sternerating, Zutatenliste sowie Kommentare – werden wir im Folgenden nutzen, um etwas über Bewertungspraktiken auf Chefkoch herauszufinden und über kulinarische Vorlieben von Chefkochuser:innen. Das Sternerating als inhärent digitale Logik Wie oben bereits erwähnt wurde, ist es nicht möglich, das Sternerating mit Einzelkommentaren oder User:innen in Verbindung zu bringen. Nichtsdestotrotz erlaubt das Sternerating, etwas über Kochen/Backen und Rezepte im deutschsprachigen Raum herauszufinden. Mit 4.9 Sternen zum Beispiel hat das Rezept «Gulaschsuppe im Kessel oder Topf» die höchste Wertung, wohingegen mit 1.07 Sternen das Rezept «Schoko Erdbeeren an Mousse au Chocolate» die niedrigste Wertung aufweist. Bei beiden Rezepten entspricht die Sternewertung zudem auch den Kommentaren, mit denen das Rezept resp. das Gericht bewertet wird. Beim Gulaschrezept findet sich in fast jedem Kommentar ein evaluatives Adjektiv wie lecker oder grandios. Es wird zwar evaluiert, aber viele der Kommentare dienen eher der phatischen Kommunikation, so dass sich die Frage stellt, inwiefern überhaupt noch von Evaluation gesprochen werden kann. Beim SchokoErdbeeren-Rezept hingegen sind nur zwei Kommentare vorhanden, wobei das Rezept sprachlich negativ bewertet wird und nicht das Gericht: «das ist ja gar kein richtiges kochen sondern nur Tüte auf 3-mal umrühren und fertig.» Die beiden Rezepte zeigen, dass die Sternewertung zwar in der ganzen Breite genutzt wird, dass aber nicht klar wird, was gewertet wird. Im Schnitt erreichen die Rezepte rund 3.51 Sterne, die Verteilung auf die unterschiedlichen Sterne ist in Abb. 2 ersichtlich. Es wird deutlich, dass tendenziell eher positive als negative Wertungen vergeben werden. Dies dürfte sich in den Kommentaren noch stärker akzentuieren als in der Sternevergabe, was auch mit der Logik digitaler Daten zusammenhängt: Negativ bewertete Rezepte erhalten weniger Aufmerksamkeit. Einerseits beachten User:innen negativ bewertete Rezepte weniger, z. B. indem das Sternerating zur Sortierung verwendet wird, was wiederum auch eine schwächer ausgeprägte Interaktion mit dem Rezept via Kommentierung nach sich ziehen kann. Andererseits bevorzugen z. B. gewisse Algorithmen gut bewertete Rezepte, um diese User:innen vorzuschlagen, wodurch ebenfalls eine Steuerung der Interaktion auf der Plattform – also welche Rezepte angeklickt und kommentiert werden Donalies (2017) hat für Kochrezepte untersucht, welche Erwartungshaltung User:innen in den Kommentaren an gute Rezepte formulieren. 11 GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode Abb. 2: Verteilung der Sterneratings – erfolgt. Der Wert des Sterneratings lässt sich zudem mit sprachlichen Daten kombinieren, um Voraussagen treffen zu können, ob ein Rezept wohl eher positiv oder negativ bewertet wird (vgl. Liu et al. 2014). Solche predictions spielen auf vielen digitalen Plattform eine Rolle – so z. B. bei Kaufempfehlung auf Amazon – und sind deshalb Teil der digitalen Logik und so auch unter kulturlinguistischer Perspektive interessant.12 Zutaten positiv bewerteter Rezepte: Salz, Zucker, Mehl, Ei(er), Butter, Zwiebel(n), Milch, Öl, Backpulver, Wasser, Sahne, Pfeffer, Olivenöl, Tomate(n), Vanillezucker, Knoblauch, Kartoffel(n), Paprikaschote(n), Zitrone(n), Knoblauchzehe(n), Käse, Gemüsebrühe, Petersilie, Zitronensaft, Paprikapulver, Tomatenmark Zutaten negativ bewerteter Rezepte: Korinthen, Pizzagewürz, Marone(n), Pimentkörner, Rinderfond, Palmfett, Creme, Kaninchen, Harissa, Cabanossi, Pökelsalz, Gelatinepulver, Weizen, Dinkel, Austernsauce, Traubensaft, Hühnerbrust, Fond, Mangochutney, Zwiebelpulver, Pasta, Orangenlikör, Fondor, Kreuzkümmelpulver, Dickmilch, Grenadine Es wird in dieser Liste schnell ersichtlich, dass Zutaten für gut bewertete Rezepte Grundzutaten wie Salz, Zucker, Mehl sowie Geschmacksträger wie Butter, Sahne, Käse sind. Es handelt sich also um für uns konventionelle Zutaten, was nahelegt, dass sich die User:innen kulinarisch gerne auf gewohntem Terrain bewegen. Aufschlussreicher ist die Liste mit ‹schlechten› Zutaten: Es handelt sich hierbei Das Script für die prediction analysis hat Selena Calleri im Rahmen des bereits genannten SNFProjektes zu Forschungslogiken geschrieben. 12 GiS 18/2021, 64–96 77 78 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller um sehr spezifische Dinge wie Pökelsalz, Gelatinepulver, Dickmilch, Grenadine, Korinthen, die zum Teil eher ungebräuchlich sind. Auch wenn die einzelnen Zutaten Hinweise geben können, wann ein Rezept eher positiv oder negativ bewertet wird, so bleibt dennoch unklar, was bewertet wird: Ist das Rezept – also der Anleitungstext – oder das Gericht – das Endprodukt – Bewertungsobjekt? Zudem spielt die Vergabe eines Wertes zwar durchaus eine Rolle auf Chefkoch, aber das Kommentieren der Rezepte ist viel zentraler, wobei die Kommentare zwar formal evaluative Adjektive aufweisen, aber deren Funktion – dies deuten die Kommentare zum Gulaschrezept (siehe oben) – womöglich keine primär evaluative ist. Word Embeddings als Methode der digitalen Kulturlinguistik Um mehr über die Struktur der Kommentare zu erfahren, werden wir eine Methode aus dem Bereich der distributionellen Semantik einsetzen. Bei dieser Methode, den sogenannten Word Embeddings, wird von der gleichen Grundidee ausgegangen, die auch für das Konzept der Kollokation13 zentral ist: Die Bedeutung eines Ausdrucks lässt sich mittels einer Analyse seiner Gebrauchsspuren modellieren. Es sind also die Verwendungskontexte, die einen Ausdruck definieren und nicht eine fixierte Bedeutung (vgl. Bubenhofer 2017). Operationalisiert wird diese Idee nun als Word Embeddings mithilfe von Machine Learning und Vektorgeometrie (vgl. Lenci 2018): Jeder type im Korpus hat eine über einen Vektor beschriebene Position in einem semantischen Raum, der ein an den Daten gelerntes statistisches Sprachmodell repräsentiert; types, die in diesem Raum ‹nahe› beieinander stehen, also deren Vektoren nur durch einen kleinen Winkel voneinander abweichen, kommen systematisch in ähnlichen Kontexten vor und weisen damit – so die Hypothese – eine semantische Ähnlichkeit auf (vgl. Bubenhofer/Calleri/Dreesen 2019; Knuchel/Bubenhofer i. Dr.). Word Embeddings werden insbesondere im Bereich des Text Minings und der Computerlinguistik eingesetzt, so z. B. bei maschineller Übersetzung, Dialogsystemen, Chat Bots und Suchmaschinen. Ziel in diesen Kontexten ist es, ein möglichst stabiles Modell zu finden, das ‹die Sprache› repräsentieren soll. Wenn wir nun die inhärente Logik resp. die ins Tool encodierte Prämisse der Sprachrepräsentation kulturlinguistisch reflektieren, wird klar, dass das Tool anders, aber dennoch produktiv eingesetzt werden muss. So gehen wir aus kulturlinguistischer Perspektive davon aus, dass es nicht ‹die Sprache› gibt, sondern diskursiv und kulturell geformte Sprachgebräuche. Word Embeddings – so unsere Hypothese – bieten sich dementsprechend an, diese Kulturalität und sprachliche Praktiken Die Berechnung von Kollokationen ist eine etablierte Methode aus dem Standardrepertoire der Korpuslinguistik für semantische Fragestellungen. Dabei wird gefragt, welche Ausdrücke überzufällig häufig zusammen auftreten, sodass eine semantische Bindung der Ausdrücke angenommen werden kann. 13 GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode Abb. 3: Position der sprachlichen Indikatoren für Bewertungspraktiken in den Kommentaren systematisch zu ergründen (vgl. Bubenhofer 2021; Knuchel/Bubenhofer i. Dr.; Bubenhofer 2022). Im vorliegenden Fall verwenden wir ein Clusteringverfahren (vgl. Arthur/ Vassilvitskii 2006), um das Word-Embedding-Modell (vgl. Mikolov et al. 2013) hermeneutisch besser auswerten zu können.14 Nach einer qualitativen Durchsicht haben wir für ausgewählte Cluster, die sprachliche Indikatoren für Bewertungspraktiken beinhalten, die Position im Kommentar – also an welcher Stelle Ausdrücke, die zu einem Cluster gehören, im Kommentar vorkommen – berechnet. Wie in Abb. 3 ersichtlich wird, findet sich ein Grossteil des Vokabulars der Bewertungscluster eher in der zweiten Hälfte der Kommentare. Dies gibt uns bereits einen Hinweis auf die argumentative Entfaltung in diesen Texten: Bevor eine Bewertung explizit sprachlich codiert wird – zum Beispiel durch die KomDa wir hier nur exemplarisch zeigen, worin wir das Potential digitaler Methoden sehen, verzichten wir an dieser Stelle auf detaillierte Ausführungen zum Vorgehen. An anderer Stelle sind unterschiedliche Vorgehen ausführlich dokumentiert (vgl. Bubenhofer/Calleri/Dreesen 2019; Bubenhofer 2020b; Knuchel/Bubenhofer i. Dr.). 14 GiS 18/2021, 64–96 79 80 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller bination Steigerungspartikel + Adjektiv – gibt es noch andere kommunikative Elemente, wie der folgende Beispielkommentar aus dem Korpus illustriert: (1) Hallo, wir hatten dieses Gericht heute als Beilage zu Gegrilltem. Suuper lecker! Und ganz schnell zubereitet LG [ALIAS] Kommentar zum Rezept Gebratene Aubergine, 11. 07. 2009, Markierung nicht im Original, chefkoch_c3c059a20898eb1b6f829b7bf95059b7_3 Das Word-Embedding-Modell sagt nicht, dass andere kommunikative Elemente wie z. B. die Anrede Hallo in Beispiel 1 zwingend vorkommen müssen und Kommentare nicht direkt mit einer klar codierten Wertung beginnen können. Wir können aber erkennen, dass evaluative Elemente eher in der zweiten Hälfte vorkommen. Das ist insofern zentral, da mithilfe von Word Embeddings eben nicht nur klar evaluative Sprachmuster wie z. B. suuper lecker erkannt werden, sondern auch sprachliche Muster, die isoliert noch keine Bewertung darstellen. Dies hängt mit der weiter oben genannten kulturlinguistische Prämisse zusammen, dass wir von geprägten Sprachgebräuchen ausgehen. Mit Word Embeddings ist es nun möglich, datenbasiert die evaluative Funktion von sprachlichen Mustern zu erfassen. Denn diese treten in bestimmten Kontexten auf, in denen auch explizit evaluative Elemente wie zum Beispiel Adjektive wie gut, schlecht, lecker, schrecklich vorkommen. Es können also auch komplexere sprachliche Praktiken zum Untersuchungsgegenstand einer digitalen Kulturlinguistik werden, die mit traditionellen korpuslinguistischen Methoden nicht analysiert werden können. Topic Modeling als Methode der digitalen Kulturlinguistik Eine andere Methode, die im Bereich der Digital Humanities zum Zweck einer automatisierten Textanalyse breit eingesetzt wird, ist das sogenannte Topic Modeling. Topic Modeling basiert ebenfalls auf der Idee, dass über die statistische Analyse der Verteilung von Wörtern Texte thematisch gruppiert werden können. Ausgangshypothese ist, dass ein Text immer unterschiedliche topics15 beinhaltet, diese aber in unterschiedlicher Ausprägung vorkommen. Durch eine statistische Modellierung werden also solche Gruppen von Ausdrücken ausfindig gemacht, die für die untersuchten thematischen Gruppen der Texte typisch sind (vgl. Blei/Ng/Jordan 2003). Wie aber auch schon bei Word Embeddings spielt Topic ist nicht gleichzusetzen mit Thema. Auch wenn zwar durchaus auf Themen gezielt wird, so handelt es sich bei Topic schlicht um ein statistisches Phänomen, das als eine Annäherung an Themen gelesen wird (vgl. zur Frage, was Topic umfassen könnte, auch: Jannidis 2016). 15 GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode linguistisches Wissen für die Arbeit mit Topic Modeling nur eine marginale Rolle. Wenn wir die in der Einleitung (vgl. die Einleitung zu diesem Themenheft) skizzierten sprachtheoretischen Annahmen der Dialogizität, der Praxisorientierung und Perspektivierungsfunktion ernst nehmen wollen, dann gilt es, die encodierte Forschungslogik16 dieses Tools zu reflektieren, um Topic Modeling als linguistisch nutzbares Tool zu konturieren. Diese Reflexion wird umso wichtiger, da Topic Modeling nicht als linguistisch grundiertes Tool konzipiert wurde und nicht klar ist, wie und ob Sprache theoretisiert wird (vgl. Knuchel /Bubenhofer i. V.). Ein Beispiel für einen linguistisch reflektierten Umgang mit Topic Modeling geben wir wiederum am Beispiel von Chefkoch. Führen wir ein klassisches Topic Modeling auf den Kommentaren von Chefkoch durch, so lassen sich anhand der Wortlisten durchaus eine semantische Beziehung zwischen den zu einem Topic zugehörigen Ausdrücken herausarbeiten.17 Topic Modeling hilft in diesem Fall also, grosse Datenmengen grob zu ordnen. Wie die beiden unten gelisteten Topics bereits verdeutlichen, ist aber nicht ganz klar, wie dieser Zusammenhang entsteht. Gelistet sind 11 Ausdrücke, die typisch für diese Topics sind: Modell klassisch – Topic 1: Tomaten, Knoblauch, Paprika, Zwiebeln, Zucchini, Pfeffer, anbraten, gewürzt, Tomatenmark, Kräuter, Chili Modell klassisch – Topic 2: Teig, gebacken, Creme, Boden, der Teig, Schokolade, Mandeln, geschmacklich, locker, Backzeit, Kirschen Während bei Topic 2 ersichtlich wird, dass es um die Tätigkeit des Kuchen-Backens geht, ist dies bei Topic 1 etwas weniger deutlich. Ein Blick auf weitere Ausdrücke aus diesem Topic 1 – z. B. Schinken, Feta, Curry – deuten an, dass es sich um Zutaten bei Toppings und Saucen – z. B. bei Pasta-Rezepten – handelt. Ansatzweise ist bereits ersichtlich, dass bei beiden Topics nicht einfach ein Themenkreis die semantische Verbindung ausmacht, sondern eben die Praktik des Zubereitens, die stark an bestimmte Zutaten gebunden ist. Es handelt sich also um eine Praktik, die sprachlich beschrieben wird. Wir erfahren aber noch nichts über kommunikative Praktiken auf der Plattform, sondern bleiben mit dem Topic Modeling auf der Ebene einer thematischen Ordnung. Software und digitale Tools sind nie theoriefrei, vielmehr sind ganz unterschiedliche Entscheidungen durch theoretische Annahmen geprägt, sie weisen also eine encodierte Forschungslogik auf (vgl. Fuller 2003; Manovich 2013; Bubenhofer 2020a, 119–32). Dies zeigt sich beispielsweise bei korpuslinguistischen Tools anhand der Auswahl an statistischen Massen, die überhaupt verfügbar sind resp. die als Default gesetzt sind (vgl. dazu Knuchel i. V.). 17 Wie auch schon bei den Word Embeddings verzichten wir an dieser Stelle auf genaue Ausführungen zur Operationalisierung des Topic Modelings. Wir diskutieren dies an anderer Stelle detailliert: Knuchel/Bubenhofer i. V. 16 GiS 18/2021, 64–96 81 82 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller Wenn nun semantisches und pragmatisches Wissen aus der Sprachwissenschaft die Grundlage für das Topic Modeling bilden, so bietet es sich an, nicht nur thematische Ordnungen, sondern auch andere semantische Beziehungen zu modellieren. Analog dazu, wie wir dies bereits mit Word Embeddings weiter oben diskutiert haben. Mit Bezug zu unserem Interesse an Bewertungspraktiken könnte es also hilfreich sein, wenn diejenigen sprachlichen Ausdrücke, die für das klassische Topic Modeling zentral sind, weniger gewichtet werden: Nomen spielen eine zentrale Rolle bei der Konstruktion von Themen. Im Fall von Kochrezepten sind dies insbesondere Zutaten. Es bietet sich also an, Zutaten aus den Kommentaren zu entfernen. Damit aber die syntaktische Struktur erhalten wird, löschen wir die Zutaten nicht einfach aus den Rezepten, sondern maskieren diese. Das heisst, wir erstellen ein Lexikon mit allen in den Rezepten genannten Zutaten und werden in den Daten diese Zutaten mit der Information ZUTAT überschreiben. Auf diesen annotierten Daten rechnen wir ein neues Modell. Der Algorithmus wird nun andere Topics generieren, da die semantische Information zu den Zutaten nicht mehr als Ordnungskriterium funktioniert. Wir gehen dabei davon aus, dass eben genau kommunikative Praktiken so manifest werden, da bei diesen durchaus semantisch-pragmatische Beziehungen eine Rolle spielen. Modell linguistisch – topic 1: leider, zwar, überhaupt, irgendwie, daran, meine Meinung, dennoch, falsch machen, schaden Wie im Topic 1 oben deutlich wird, erhärtet sich unsere These im neu gerechneten Modell: Es werden Positionierungspraktiken mit Begründung manifest. Dies kann nun helfen, die unterschiedlichen Bewertungspraktiken herauszuarbeiten, da Bewerten und Positionieren in einem engen Zusammenhang stehen. Topic Modeling bietet sich also durchaus als digitale Methode an, um digitale Praktiken des Bewertens kulturlinguistisch zu erforschen. Die Ausführungen oben zeigen, wie zentral es ist, Digitalität als Methode nicht nur anzuwenden, sondern eben auch in ihrer Logik zu reflektieren. So wird der Kulturlinguistik ermöglicht, das komplexe Zusammenspiel von Sprachgebrauch, technischem Kontext und gesellschaftlichen Praktiken miteinander in Bezug zu setzen. 3.2 Digitale (Re‐)Konstruktion einer Telefonzentrale mit Virtual Reality Wie sich oben bereits akzentuiert, heisst kulturlinguistisches Arbeiten, kommunikative Praktiken in all ihren semiotischen Codes und damit auch unterschiedliche sinnliche Ebenen ernst zu nehmen. Neben sprachlichen Mustern und deren Veränderungen sollen daher etwa auch para- und nonverbale Elemente und GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode damit körperkommunikative Praktiken sowie unterschiedliche interaktionale Settings untersucht werden. Besonders beim historischen Arbeiten stellen sich hierbei allerdings Probleme hinsichtlich der Quellenlage (vgl. Schüller i. V.). Kulturlinguistisches Arbeiten provoziert daher auch eine Offenheit und Mut für neue – und unter anderem auch digitale – methodische Zugänge – gerade beim historischen Arbeiten. Gleichzeitig erfordert dieser Mut zu neuen, (noch) nicht etablierten Zugängen stets eine kritische metareflexive Auseinandersetzung mit diesen. Am Beispiel der Arbeit von Telefonistinnen in historischen Telefonzentralen wollen wir einen solchen neuartigen Zugang erproben und danach fragen, ob eine Virtual-Reality-Anwendung einen Weg darstellen kann, an die Praktiken der Arbeit von Telefonistinnen ‹heranzukommen› und damit die alltäglichen und vielfältigen Tätigkeiten18 in einem historischen Kommunikationsberuf zu ‹erfassen› sowie die sinnlichen Eindrücke, welche vom Raum, der Gestaltung der Vermittlerpulte, aber auch von den Tätigkeiten der anderen Kolleginnen ausgehen, erfahrbar zu machen. Mit dem Ziel, das Potential einer Virtual-Reality-Anwendung für sprachwissenschaftliche und kommunikationshistorische Fragestellungen auszuloten, haben wir das Projekt Virtuelle Telefonzentrale. Kommunikationsräume um 1900 als VR-Erfahrung19 gestartet. Im Rahmen des Projekts wurde bereits ein Prototyp einer virtuellen historischen Telefonzentrale (re)konstruiert. Digitales re-enactment Setzt man die VR-Brille auf, so taucht man in die virtuelle Telefonzentrale ein, in welcher man selber zur Telefonistin wird und ihre Tätigkeiten nachstellen sowie die Enge des Arbeitsplatzes, den Stress und den Lärm, welcher in einer historischen Telefonzentrale entstand, nachempfinden kann. Noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden telefonische Verbindungen manuell hergestellt. Die Herstellung von telefonischen Verbindungen war von Anfang an fast ausschliesslich Frauenarbeit. Die Arbeit von Telefonistinnen war sehr vielseitig: Sie mussten die Bewegungsabläufe zum Stöpseln der telefonischen Verbindungen an sogenannten Vermittlerpulten (vgl. Abb. 1) möglichst schnell durchführen, einen Überblick über die Dauer telefonischer Gespräche haben und diese verrechnen und technische Probleme lösen, wenn eine Verbindung nicht funktionierte. Ausserdem mussten sie gut hören sowie deutlich und schnell (meist in mehreren Sprachen) mit den Telefonabonnent:innen sowie mit den Kolleginnen sprechen können. 19 Teilfinanziert durch den Universitären Forschungsschwerpunkt Sprache und Raum der Universität Zürich. Das Projekt ist am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft von Prof. Dr. Noah Bubenhofer angesiedelt und entsteht in Zusammenarbeit mit BA Maaike Kellenberger, MA Christoph Hottiger und dem VR-Spezialisten Patrick Jost. Geleitet wird das Projekt von MA Larissa Schüller und Prof. Dr. Noah Bubenhofer. Weitere Kollaborationspartner:innen sind Heike Bazak, Leiterin des PTT-Archivs und Juri Jaquemet, Sammlungskurator Informations- und Kommunikationstechnologie des Museums für Kommunikation in Bern. 18 GiS 18/2021, 64–96 83 84 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller Der/die Forschende wird im digitalen re-enactment (vgl. zur Rolle des reenactments in der experimentellen Medienarchäologie Fickers 2015) zum «selfreflexive ethnographer» (Fickers 2018, 98), der mit dem virtuellen Arbeitssetting interagiert und somit einen Zugang zur Arbeit von Telefonistinnen erhält, der nicht über das Lesen von Texten oder das Betrachten von Fotografien oder Videoaufnahmen erfolgt, sondern über das Nachstellen von körperlichen und sprachlichen Praktiken in einer virtuellen Umgebung. Es handelt sich somit um eine Simulation dieses Raumes und der darin getätigten Arbeit und um ein Nachempfinden am eigenen Körper, dessen Aussagewert für wissenschaftliche Fragestellungen genauso reflektiert werden muss wie der klassische philologische Zugang. Nach einem kurzen Überblicksbericht über die Erstellung der virtuellen Telefonzentrale werden im Folgenden diese Probleme ebenso wie Erkenntnisse und Forschungsfragen, welche sich aus dem Virtual-Reality-Experiment für eine digitale Kulturlinguistik ergeben, thematisiert. VR-Anwendung Im Rahmen des Projekts Virtuelle Telefonzentrale – Kommunikationsräume um 1900 als VR-Erfahrung haben wir auf der Vorlage von historischen Fotografien und schriftlichen Beschreibungen historischer Telefonzentralen20 eine solche in einer Virtual-Reality-Anwendung (re)konstruiert. Als erstes wurde mit der 3D-Software Blender21 der Raum der virtuellen Telefonzentrale nach historischen Vorbildern gestaltet, mit Fischgrätenparkett auf dem Boden und Tapeten an den Wänden. Im Depot des Museums für Kommunikation haben wir Fotos von Vermittlerpulten sowie den dazugehörigen Stühlen und Lampen gemacht und diese als 3D-Objekte modelliert. Danach wurde der Ablauf beim Herstellen einer telefonischen Verbindung und damit der interaktive Teil programmiert. Bestimmte Bewegungen, das Drücken und Umlegen der jeweiligen Knöpfe und Schalter sowie das Ein- und Ausstecken der richtigen Kabel, muss zur rechten Zeit in der richtigen Abfolge geschehen. Neben dieser körperlichen Interaktion mit dem Arbeitssetting zeichnete sich die Arbeit von Telefonistinnen massgeblich durch die sprachliche Interaktion mit den Telefonabonnent:innen aus. In der sprachlichen Interaktion mit den Telefonabonnent:innen mussten sich die Telefonistinnen damals strengstens an vorgegebene Formulierungen halten und dabei darauf achten, dass sie weder zu schnell noch zu langsam, weder 20 Die Quellen stammen aus dem Schweizer PTT-Archiv, dem Museum für Kommunikation sowie dem Depot des Museums für Kommunikation. 21 Vgl. https://www.blender.org [18. 10. 2021]. GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode zu laut noch zu leise und vor allem stets höflich sprechen.22 Für die virtuelle Telefonzentrale mussten wir eine automatische Spracherkennung einsetzen, in welcher geprüft wird, ob der/die Spieler:in die für die Interaktion mit den virtuellen Anrufenden vorgegebenen Formulierungen wiedergibt. Während in der ‹analogen› historischen Telefonzentrale eine Aufsichtstelefonistin kontrollierte, ob die Telefonistin sich sprachlich und auch paraverbal richtig verhält, sorgt die Programmlogik beim Prototypen für entsprechende Hinweise auf das Fehlverhalten, wenn man eben nicht der vorgegebenen Norm entsprechend spricht. Was wir im Prozess gelernt haben Um die virtuelle Telefonzentrale bauen zu können, mussten wir uns mit der Materialität und den technischen Abläufen des Arbeitssettings auseinandersetzen. Wir mussten die Vermittlerpulte, die Lampen und Stühle aus historischen Telefonzentralen anschauen, anfassen, anhören und ausprobieren, um etwa alle Schritte zu verstehen, welche für die Herstellung einer telefonischen Verbindung notwendig waren und um uns vorstellen zu können, wie sich die Arbeit in historischen Telefonzentralen angehört und die körperlichen Bewegungen und Berührungen angefühlt haben. Dabei sind uns einerseits in Bezug auf die historischen Objekte und in der konkreten Auseinandersetzung mit diesen interessante Aspekte aufgefallen und mögliche Forschungsfragen haben sich ergeben, welche beim alleinigen Lesen und Betrachten von Text- und Bildquellen nicht in den Fokus gerückt wären. Andererseits mussten wir uns auch mit dem für uns neuen methodischen Zugang Virtual Reality – dessen Programmierung sowie der Materialität und dem Design von dessen Interface – intensiv auseinandersetzen. Im Prozess der Erstellung der virtuellen Zentrale und beim ersten Testen des Protoyps23 liessen sich viele Anknüpfungspunkte an bereits etablierte kulturlinguistische Forschungsbereiche finden und es taten sich neue Gebiete auf, deren kulturlinguistische Betrachtung zukünftig sinnvoll wäre. Wir wollen hier diese möglichen Bereiche und Fragestellungen in aller Kürze antippen, denen es zu einem späteren Zeitpunkt nachzugehen gilt: – In der Gesprächsforschung wurde in den letzten Jahren zunehmend mehr Aufmerksamkeit auf die Räumlichkeit von Interaktion gelenkt. So ist man sich einig, dass «Raum und Räumlichkeit interaktiv in Anspruch genommen und interaktiv hergestellt [werden]» (Hausendorf 2010, 163). Was diese Die Aufsichtstelefonistin kontrollierte das richtige – auch sprachliche – Verhalten/Handeln der Telefonistinnen und vermerkte allfällige Fehler auf einer sogenannten Fehlertabelle. In einer späteren Version der virtuellen Telefonzentrale werden diese Fehler ebenfalls auf einer virtuellen Fehlertabelle vermerkt, was beim Telefonistinnen-Spielen zu zusätzlichem Stress führen wird. 23 Der Prototyp wurde einerseits vom Team selber getestet und andererseits an der Scientifica: Zürcher Wissenschaftstage ausgestellt. Dabei wurde er von einem breiten (bzgl. Alter, Gender usw.) Publikum ausprobiert. 22 GiS 18/2021, 64–96 85 86 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller Abb. 4: Links: Person mit VR-Brille und Controllern in der Hand, rechts: Bildschirm, auf dem man sieht, was die Person mit der VR-Brille sieht (doppelt, weil es sich um ein stereoskopisches Bild zur Simulation von Räumlichkeit handelt), nämlich ein Vermittlerpult. Vor dem Bildschirm: Personen, welche die Interaktion der Person mit VR-Brille und virtueller Telefonzentrale beobachten. Annahme für virtuelle Räume bedeutet, wie virtuelle Räume interaktiv – sprachlich und körperkommunikativ – hergestellt und wie und von wem in Anspruch genommen werden, ist allerdings noch kaum beleuchtet.24 Auch Fragen wie die Folgenden können für eine interaktionstheoretisch fundierte Kulturlinguistik von Interesse sein: Wie interagieren Menschen mit VR-Brille mit solchen, die keine tragen? Beim Testen des Prototyps haben wir festgestellt, dass diejenigen Personen, welche keine VR-Brille aufhaben, allerdings auf einem Monitor sehen, was die Person mit Brille sieht, ihr stets Anweisungen geben, und zwar sowohl sprachlich als auch körperlich (durch Blickverhalten und Zeigegesten etwa), und dies obwohl allen Beteiligten bewusst ist, dass die Person mit Brille diese Gesten nicht sehen kann. Wer interagiert in einem solchen Setting mit wem und was lässt sich unter diesen bestimmten Umständen über zwischenmenschliche Kommunikation lernen?25 Zu den wenigen Ausnahmen gehören etwa Kato/Bauer 2018, Jucker et al. 2018 und Frick i. V. Damit bleibt auch zu ergründen, wie eigentlich sozialwissenschaftliche Methoden, wie die teilnehmende Beobachtung, Eingang in die kulturlinguistische Forschung finden können und sollen. 24 25 GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode – Genauso wenig beleuchtet wie die Interaktion im und mit dem virtuellen Raum – und in unserem Fall mit dem virtuellen Arbeitssetting – ist innerhalb der Linguistik die Interaktion mit dem user interface (etwa den Controllern). Im Erstellungsprozess der virtuellen Telefonzentrale wurde deutlich, wie wichtig taktile Aspekte für die Arbeit in historischen Telefonzentralen sind. Ehemalige Telefonistinnen thematisieren dies in schriftlichen Berichten über ihre Arbeit oft und auch wir haben beim Bau der virtuellen Telefonzentrale und dann vor allem beim Testen des Prototyps bemerkt, wie wichtig diese Aspekte sind und vor allem, wie sehr taktile Aspekte den Grad der Immersion einer VR-Anwendung beeinflussen. In der virtuellen Telefonzentrale kann man die Kabel, welche man vor sich sieht, nicht wie gewohnt mit den Fingern greifen, sondern man muss dafür einen Knopf auf den Controllern drücken. Die aus dem virtuellen Arbeitssetting hervorgehenden «Benutzbarkeitshinweise» (Hausendorf/Schmitt 2013, 8) täuschen. Diese Irritation und die Art, wie sie thematisiert wird, wären ebenfalls ein interessanter kulturlinguistischer Untersuchungsbereich, da hierbei ein «Explizieren impliziter Wissens- und Nichtwissensbestände (Handlungswissen)» (Fickers 2015, 84) stattfindet. Es liesse sich dann auch danach fragen, ob und wie Vergleiche zu welchen anderen Medienpraktiken hergestellt werden. Ausserdem fiel uns auf, dass Kinder anders mit der Diskrepanz der «Benutzbarkeitshinweise» (Hausendorf/Schmitt 2013, 8) in der virtuellen und ‹analogen› Welt umgehen. Es liesse sich also zudem nach altersspezifischen und weiteren soziokulturellen Unterschieden hierbei fragen. – Für semantische Fragestellungen interessant ist im Zusammenhang mit der VR-Anwendung das Sprechen über Sinnliches. Arbeitsräume sind geprägt von bestimmten Geräuschen, Gerüchen ebenso wie von taktilen und visuellen Reizen. Um die Geräusche in einer historischen Telefonzentrale zu (re)konstruieren, haben wir unter anderem Audioaufnahmen von historischen Vermittlerpulten erstellt, zum Beispiel von den Geräuschen, welche entstehen, wenn man ein Kabel ein- und aussteckt. Beim Sprechen über diese Geräusche und ganz konkret beim Beschriften der jeweiligen Audiodateien, ist uns aufgefallen, wie schwer es ist, Geräusche zu bezeichnen und zu umschreiben.26 Beim Ausprobieren des Prototyps fiel uns – wie bereits angetönt – die Divergenz zwischen den «Benutzbarkeitshinweisen» (Hausendorf/Schmitt 2013, 8) des virtuellen Arbeitssettings und denjenigen des Interface-Designs der VRController auf, weil dies von den User:innen auch stets thematisiert wurde. 26 In der Zusammenarbeit von Kulturlinguistik und Sensorik entstand zwischen dem Deutschen Seminar der Universität Zürich und dem Institut für Lebensmittel und Ernährungswissenschaften der ETH Zürich ein Forschungsseminar sowie ein Proceedings-Band zur «Semantik der Sinne», wobei in diesem Zusammenhang besonders der Geschmacks- und Geruchswortschatz des Deutschen im Fokus der Untersuchungen stand (vgl. Linke/Nuessli 2005). GiS 18/2021, 64–96 87 88 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller Die Frage, wie diese haptischen und akustischen Erfahrungen oder auch die Schwierigkeit, diese in Worte zu fassen, thematisiert werden, wäre auch eine interessante erweiternde Frage zu «Semantik der Sinne» (Linke/Nuessli 2005). Kulturlinguistisches Arbeiten erfordert – wie die obigen Ausführungen auch zeigen – oftmals einen Blick und ein Brückenschlagen über disziplinäre Grenzen hinweg. Die Forschungsfragen, welche sich aus der VR-Anwendung ergeben, würden sich etwa für eine Zusammenarbeit mit game / user interface Designer: innen oder auch mit einer Technikgeschichte, die sich historisch für das Design von Interfaces und dessen Implikationen interessiert (vgl. etwa Katz 1997, Weber 2009, Hessler 2009, Liggieri/Müller 2019), anbieten. Semiotische Relektüre Die virtuelle Telefonzentrale soll nicht einen möglichst authentischen historischen Raum sowie die darin getätigten Praktiken und Erfahrungen abbilden, sondern es geht unter anderem um eine Sensibilisierung für Materialitäten und symbolische Zeichenhaftigkeiten (vgl. dazu ausführlicher Fickers 2015, 84). Die Digitalisierung wird damit zu einem heuristischen Instrument, mit dem gezielt transkriptive Verfahren ausgelöst werden. Es geht also weniger darum, mit der virtuellen (Re-)Konstruktion einer historischen Telefonzentrale eine ikonische Darstellungsfunktion zu erfüllen. Vielmehr soll die Eigenheit der virtuellen Zentrale und deren materielle Grundlage selbst untersucht werden. Das heisst, man muss den Transformationsprozess, der von der historischen Quelle bis hin zur virtuellen Zentrale führt, thematisieren und reflektieren. Die Text- und Bildquellen, welche wir von historischen Vermittlerpulten hatten, genauso wie die Geräusche, welche beim Erstellen von telefonischen Verbindungen am Vermittlerpult entstehen, mussten zuerst in Daten transformiert werden, damit ein Computer damit operieren kann. Das Ergebnis ist ein neuer, andersartiger virtueller Raum, ein «Script», mit Jäger gesprochen, mit dem gleichzeitig ein «Präscript» rekonstruiert wird, also das «Original», das transformiert worden ist. Mit der virtuellen Telefonzentrale wird also auch die alte Telefonzentrale als ‹analoge›, ‹historische› Telefonzentrale rekonstruiert. Die ‹alte› Telefonzentrale kann nur noch mit der Erfahrung aus der virtuellen Telefonzentrale gelesen werden. Erst jetzt wird sie z. B. als ‹analog› verstanden. Neben einem ‹neuen Blick› auf die alte Telefonzentrale, lohnt es sich u. E. nun, die Transformationsprozesse und die mediale Logik der virtuellen Telefonzentrale zu analysieren. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, sie semiotisch zu lesen: In toto soll die virtuelle Telefonzentrale, wie oben erwähnt, keine ikonische Darstellungsfunktion erfüllen. Doch differenziert nach Ebenen kann analysiert werden, welche semiotischen Beziehungen zwischen analoger und digitaler Zentrale GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode bestehen. Es sind nämlich sowohl symbolische, arbiträre Beziehungen, als auch ikonische sichtbar: – Die digitalen Repräsentationen des Raumes in Form des virtuell begehbaren Raums, der darin hörbaren Töne, der räumlichen Verortung der sich darin befindlichen Person stehen in einem arbiträren, symbolischen Verhältnis zur analogen Telefonzentrale. – Allerdings wird beim Bau und der Programmierung der virtuellen Zentrale deutlich, dass es Elemente gibt, die in ihrer digitalen Repräsentation in einem stärker ikonischen Verhältnis zur analogen Zentrale stehen. Dazu gehört der Spielverlauf und die Spracherkennung. Um die virtuelle Telefonzentrale funktionsfähig zu machen, mussten die Anrufenden und die Angerufenen sowie deren Verhalten simuliert werden. Dafür war es nötig, eine Spiellogik zu programmieren, die unterschiedliche Spielverläufe ermöglicht. Es gibt dafür verschiedene Implementierungsmöglichkeiten, doch eine naheliegende Lösung ist es, mit einem Verlaufsdiagramm (State Machines) zu arbeiten. Im Grunde werden damit Zustände definiert (ein Anrufer klingelt, die Leitung zum Anrufer ist gesteckt, die Leitung zum Anzurufenden ist gesteckt etc.) und Wege zwischen den Zuständen verbunden mit den Bedingungen, die den einen oder anderen Weg öffnen. Dieses Verlaufsdiagramm wurde in der benutzten Software VVVV grafisch als Netzdarstellung programmiert – und dieser Verlauf steht damit in einem offensichtlichen Ähnlichkeitsverhältnis sowohl zu den Bedienelementen der Zentrale als auch zur verborgenen Struktur der Verkabelung, die das Funktionieren überhaupt erst ermöglicht (vgl. Abb. 5). Der zweite Aspekt betrifft die für die virtuelle Telefonzentrale notwendige Spracherkennung: Die Anrufenden werden zwar simuliert und deren Aussagen werden durch die Spiellogik in Abhängigkeit der Zustände als voraufgezeichnete Audiodateien abgespielt. Aber das sprachliche Verhalten der Person, welche die Telefonistin spielt, muss über eine Spracherkennung erfasst werden: Sie muss erkennen, ob die Telefonistin im richtigen Moment «Nummer bitte!» sagt, die richtige Nummer wiederholt und sich an alle anderen sprachlichen Vorgaben hält. Dafür wird eine Spracherkennung eingesetzt: Das vortrainierte Sprachmodell ist zwar grundsätzlich in der Lage, beliebige sprachliche Signale zu erkennen, allerdings schwankt die Erkennungsrate je nach Stimme und Sprachvarietät und erkennt zudem bestimmte Wörter schlecht. Da jedoch das Sprechverhalten der Telefonistin hochgradig reguliert ist, was das Gesamtrepertoire ‹erlaubter› Aussagen betrifft, zusätzlich aber noch weiter durch die Optionen des jeweiligen Zustands eingeschränkt wird, kann die Spracherkennung vereinfacht werden: Nicht jeder mögliche Satz muss erkannt werden, sondern es muss nur geprüft werden, ob der erkannte Satz ungefähr einem erwarteten entspricht oder nicht. Auch bei diesem Aspekt zeigt sich nun eine Ähnlichkeitsbeziehung zur analogen Zentrale: Die kommunikative Situation ist ja auch diese, dass sowohl die GiS 18/2021, 64–96 89 90 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller Abb. 5: Links: Verlaufsdiagramm, rechts: virtuelles Vermittlerpult Anrufenden, als natürlich auch die Telefonistin, genaue Erwartungen an die möglichen Äusserungen im Kontext einer Gesprächsvermittlung haben. Die automatische Spracherkennung funktioniert also ähnlich, wie auch Menschen ihr Hören und Sprechen an den kommunikativen Kontext anpassen und damit bestimmte Hör- und Sprecherwartungen hegen. Doch inwiefern hilft diese Erkenntnis, die analoge Telefonzentrale zu verstehen – und damit den Zusammenhang von Digitalität und Gesellschaft aus kulturlinguistischer Perspektive? Durch die Digitalisierung werden Parallelen zwischen der virtuellen und der analogen Zentrale deutlich, die klar über eine ikonische Gesamtähnlichkeit und Simulation hinausgehen. Das rekonstruierte Präscript, die analoge Telefonzentrale, könnte nun als computerähnlich gelesen werden: Die Telefonistin erscheint dabei als «Computer» avant la lettre; sie erscheint als programmiert und ihre kommunikativen Praktiken als programmhaft. Während bei der Spracherkennung der virtuellen Zentrale der Computer zwischen kommunikativen Signalen in der Leitung unterscheiden muss, war diese Translation anfangs 20. Jahrhunderts eine Aufgabe von Telefonistinnen (vgl. Carmi 2019, 446). Alles bis auf ihre Tätigkeit ist bereits automatisiert – ihre Tätigkeit ähnelt jedoch aus heutiger Sicht dem eines Computers. Und nach wenigen Jahrzehnten wurde sie ja tatsächlich durch einen Computer ersetzt.27 27 Wir können diese These – die nicht neu ist – an dieser Stelle nicht weiter ausführen; sie steht im Kontext von Organprojektionstheorien, wie sie etwa bei Marshall McLuhan (Medien als «Extensions of Man») anklingen und deren Kritik, die die Menschen als Heer von Angestellten im Dienst der GiS 18/2021, 64–96 Digitale Kulturlinguistik: Digitalität als Gegenstand und Methode Das Experiment mit Virtual Reality erweist sich somit aus unterschiedlichen Gründen als äusserst produktiv für kulturlinguistisches Arbeiten. Einerseits lassen sich Anlehnungspunkte an bereits bestehende kulturlinguistische Fragestellungen und Forschungsbereiche finden und andererseits ermöglicht die VRAnwendung eine neue Perspektive auf lange bestehende Fragen über die Beziehungen zwischen Mensch und Maschine. 4. Fazit Digitale Kulturlinguistik ist, so hoffen wir gezeigt zu haben, weit mehr als die kulturlinguistische Analyse von digitalen Daten. Wenn die digitale Gesellschaft als autopoietisch operierendes System der Digitalisierung aufgefasst wird, wenn Verdatung und Digitalisierung semiotisch als transkriptive Verfahren verstanden werden, ergeben sich neue Analyseperspektiven für eine digitale Kulturlinguistik: Einerseits wird die Digitalisierung zu einem heuristischen Instrument, um nicht nur rezente, sondern auch historische Kommunikationssituationen zu untersuchen, wie wir das anhand der virtuellen Telefonzentrale illustriert haben. Theoretisch lässt sich dies etwa mit Nassehi (2019) begründen und die Argumentation fällt ähnlich aus wie beim iconic turn: Auch dort sollen nicht nur Bilder, sondern die Welt durch Bilder verstanden werden (Bachmann-Medick 2006, 350). Ähnlich macht der Prozess der Digitalisierung, verstanden als transkriptives Verfahren, die spezifische kulturelle Semantik einer Kommunikationssituation sichtbar. Andererseits helfen digitale Methoden, die Spuren kommunikativen Handelns im Digitalen zu analysieren. Allerdings sind digitale Methoden dabei nicht einfach ein nützliches Werkzeug, sondern werden aus kulturlinguistischer Perspektive ebenfalls zum Untersuchungsgegenstand: Ihre digitale Bedingtheit und ihre Forschungslogik müssen und sollen mitreflektiert werden und es ergibt sich damit die Möglichkeit, die Funktionslogik der digitalen Plattformen, auf denen sprachlich gehandelt wird, genauer zu analysieren. Es sind erste Schritte zu einem «reverse engineering» (Rogers 2021, 42), das aber nicht bloss die technische Funktionsweise der Plattform im Blick hat, sondern diese vor dem Hintergrund einer kulturellen Einbettung sieht: Welche Vorstellungen von Sprache zeigen sich in den Algorithmen encodiert? Welche Sprachhandlungen, z. B. des Bewertens, werden bevorzugt und idealisiert? Maschinen sieht (Samuel Butler). Vgl. dazu Werber (2019) und grundlegend zum Verhältnis von Mensch und Maschine Heßler (2019). GiS 18/2021, 64–96 91 92 Noah Bubenhofer, Daniel Knuchel, Larissa Schüller Auf dem kulturlinguistischen Fundament kann nun ‹Digitalisierung› in allen Bedeutungsfacetten angegangen werden: Als Gegenstand und als Methode der Kulturlinguistik. Literatur Arthur, David/Vassilvitskii, Sergei: k-means++: The Advantages of Careful Seeding, Stanford 2006. Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns: Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften (Rowohlts Enzyklopädie), Reinbek 2006. 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