Physikotheologie (engl. physico-theology; frz. physico-théologie; ital. fisico-teologia). «Der Schluß ... von der in der Welt so durchgängig zu beobachtenden Ordnung und Zweckmäßigkeit ... auf das Dasein einer ... Ursache»
[1], mithin auf Gott und seine Eigenschaften ist in der Geschichte der Philosophie seit je vollzogen und später als physikotheologischer (Gottes-)Beweis oder als Physikotheologie [Ph.] bezeichnet worden: so etwa die Auffassung des
Sokrates, die Welt gleiche «allerdings ganz dem Werk eines weisen und freundlichen Werkmeisters» (
σοφοῦ τινος δημιουργοῦ καὶ φιλόζῴου τεχνήμασι)
[2],
Aristoteles' Umbildung des Höhlengleichnisses
[3] und der fünfte Weg zum Beweis des Daseins Gottes («Quinta via sumitur ex gubernatione rerum ...»
[4]) des
Thomas von Aquin[5].
Der Begriff selbst kommt in England um die Mitte des 17. Jh. innerhalb der christlich-apologetischen Literatur auf:
W. Charletons Abhandlung ‹The darkness of atheism dispelled by the light of nature› trägt den Untertitel ‹A physico-theologicall treatise›
[6]. Von einer Ausnahme abgesehen
[7], ist der Begriffsgebrauch fortan eindeutig: unter ‹Ph.› versteht man nun die teleologische Betrachtung der Körperwelt und den Beweis, der von der so konstatierten zweckmäßigen Einrichtung, Vollkommenheit und Schönheit dieser Welt auf die Existenz Gottes und seine Eigenschaften schließt. Dieser Gottesbeweis (später auch ‘teleologischerʼ Gottesbeweis [s.d.] genannt) erfolgt explizit unter Berücksichtigung
der Ergebnisse der aufkommenden Naturwissenschaften. Dieses Programm bringt
S. Parker im Titel seines Buches von 1665 zum Ausdruck: ‹Tentamina Physico-Theologica De Deo ... Ad Normam Novae & Reformatae Philosophiae Concinnata, & Duobus Libris comprehensa: Quorum altero De Dei Existentia adversus Atheos & Epicureos ... disputatur. Altero de Ejusdam Essentia & Attributis ...›
[8].
Die Notwendigkeit, die Offenbarung angesichts einer fortschreitenden Naturwissenschaft durch physikotheologische Argumente zu ergänzen, reflektiert
J. Ray: Gottes Existenz «must be demonstrated by Arguments drawn from the Light of Nature, and Works of Creation ... Supernatural Demonstrations [are] ... not common to all Persons and Times. Proofs taken from Effects ... [are] exposed to every Man's View, not to be denied by any ...». Und der Zweiteilung des physikotheologischen Erkenntniszieles entsprechend, führt er aus: «Secondly ... The Particulars of this Discourse serve not only to demonstrate the Being of a Deity, but also illustrate some of his principal Attributes ... his infinite power and wisdom.» Schließlich hätten solche Betrachtungen moralischen Nutzen: «Lastly, they serve to stir up and increase in us the Affection and Habits of Admiration, Humility and Gratitude»
[9].
Als das – neben
B. van
Nieuwentyts Werk ‹Het regt gebruyk der weereld beschouwinge›
[10] – prominenteste Buch, das der physikotheologischen Bewegung durch seinen Titel erst eigentlich zum Namen verholfen hat, ist
W. Derhams ‹Physico-Theology›
[11] anzusehen. Als Motiv für die Abfassung gibt Derham an: «I was minded to try what I could do towards the improvement of
Philosophical Matters to
Theological Uses»
[12].
Im weiteren Verlauf des 18. Jh. breitet sich die physikotheologische Bewegung in ganz Europa aus (lokales Zentrum für Deutschland ist Hamburg
[13]) und zeitigt eine ungeheure Flut von Literatur (häufig auch poetischen oder erbaulichen Charakters), die sich immer entlegenerer und ausgefallenerer Naturphänomene annimmt: so entstehen etwa Ichthyo-(Fisch-), Rana-(Frosch-), Locusta-(Heuschrecken-), Litho-(Stein-), Sismo-(Erdbeben-), Hydro-(Wasser-), Pyro-(Feuer-), Chiono-(Schnee-) und Chorto-(Gras-)Theologien
[14].
Zurückhaltender in der Aufnahme physikotheologischen Gedankengutes ist die Aufklärung in Frankreich: zwar hat sie einige der prominenten Vertreter der Ph. aufzuweisen (wie etwa
N. A. Pluche[15]) und macht sich auch in gewissem Umfange die Teleologie zu eigen
[16], charakteristisch dürfte jedoch die Ablehnung des extensiven Gebrauchs der Endursachen bei der Naturerklärung sein, wie sie
Voltaire in der satirischen Überzeichnung des Philosophen Pangloss zum Ausdruck bringt. Pangloss lehrt die «métaphysico-théologo-cosmolonigologie» (einer Lesart zufolge gar die «métaphysico-théologo-mattologie»
[17]), die u.a. besagt: «... tout étant fait pour une fin, tout est nécessairement pour la meilleure fin ...», welcher Grundsatz so illustriert wird: «Remarquez bien que les nez ont eté faits pour porter des lunettes, aussi avons-nous des lunettes»
[18].
Indiz für den Zusammenhang ist die Tatsache, daß sich in Frankreich trotz einer Übertragung der Schrift Derhams unter dem Titel ‹Théologie Physique ou demonstrations de l'existence et des attributs de Dieu, Tirée des œuvres de la Creation›
[19] der Terminus selbst nicht hat durchsetzen können
[20].
Als
Ch. Wolff im Jahre 1724 mit seinem physikotheologischen Lehrbuch
[21] auftrat und sich später mit
der physikotheologischen Bewegung zu identifizieren suchte, war diese schon in voller Blüte. Sein Anspruch auf die Leitung (oder sogar auf die Urheberschaft) dieser Richtung
[22] entsprang zweifellos der Notwendigkeit, sich gegen die Beschuldigung des Fatalismus zu wehren. Tatsächlich war Wolffs physikotheologische Einstellung von anderen, geläufigen, scharf unterschieden: er vereinigte sie mit einem strengen, impulsionistischen Mechanismus, und der physikotheologische Gottesbeweis wurde von ihm als durchaus nicht zwingend angesehen: «Hinc non mirum, quod existentia Dei ex iis, quae de creaturis nobis innotescunt, firmiter concludi non possit, nisi a contingentia earundem» («Daher ist es nicht verwunderlich, daß von dem, was wir an den Geschöpfen wahrnehmen, auf das Dasein Gottes nicht zwingend geschlossen werden kann, es sei denn von ihrer Zufälligkeit»)
[23].
Kants ‹Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprünge des ganzen Weltgebäudes› (1755) wird gewöhnlich als ein unbedingt physikotheologisches Werk mißdeutet; sie ist eine Reaktion gegen die Übertreibungen der Ph. (die etwa auch
Maupertuis kritisiert, der zwar nicht jede physikotheologische Betrachtung aus der Physik ausschließen, sie aber auf das Wesentliche beschränken will
[24]).
Kants physikotheologische Betrachtungen sind in diesem Werk der mechanistischen Einstellung streng untergeordnet: sogar die Kosmogonie wird von Kant, anders als von Maupertuis, mechanistisch erklärt. Die Tendenz, die physikotheologische Betrachtungsweise da keine Anwendung finden zu lassen, wo eine mechanische Erklärung von Naturphänomenen zureicht, setzt sich bei Kant in seiner Schrift ‹Der einzig mögliche Beweisgrundzu einer Demonstration des Daseins Gottes› (1763) fort. Von den drei Arten, «das Dasein Gottes aus den Wirkungen desselben zu erkennen» («durch die Wahrnehmung desjenigen, was die Ordnung der Natur unterbricht ... durch Wunder ...», durch «die
zufällige Ordnung der Natur» oder durch «die
notwendige Einheit, die in der Natur wahrgenommen wird, und die wesentliche Ordnung der Dinge») können «die beide[n] letztere[n] Arten ... physikotheologische Methoden» genannt werden, «denn sie zeigen beide den Weg, aus den Betrachtungen über die Natur zur Erkenntniß Gottes hinauf zu steigen»
[25]. Allerdings haften der «bis dahin gebräuchlichen physischtheologischen Methode» (die mit der zufälligen Ordnung der Natur argumentiert) wesentliche Mängel an. «Sie betrachtet alle Vollkommenheit, Harmonie und Schönheit der Natur als zufällig und als eine Anordnung durch Weisheit, da doch viele derselben mit notwendiger Einheit aus den wesentlichsten Regeln der Natur abfließen»
[26]. Dadurch wird überdies das Aufsuchen allgemeinerer Gesetze behindert. Schließlich kann diese Methode «nur dazu dienen, einen Urheber der Verknüpfungen und künstlichen Zusammenfügungen der Welt, aber nicht der Materie selbst und den Ursprung der Bestandteile des Universum zu beweisen», also «ein[en] Werkmeister und nicht ... ein[en] Schöpfer der Welt»
[27].
Hält Kant hier noch die gebräuchliche Ph. für verbesserungsfähig, wenn nur so weit als möglich allgemeine Gesetze zur Erklärung der Naturphänomene aufgesucht werden, so tut er in der ‹Kritik der reinen Vernunft› die völlige «Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises» dar
[28]. Von den drei allein möglichen «Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft»
sind der ontologische und kosmologische widerlegt
[29]. Aber auch der Beweis aus einer «bestimmte[n] Erfahrung, mithin die der Dinge der gegenwärtigen Welt, ihre Beschaffenheit und Anordnung» können keinen «Beweisgrundabgebe[n], der uns sicher zur Überzeugung von dem Dasein eines höchsten Wesens verhelfen» kann. «Denn, wie kann jemals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemessen sein sollte?»
[30] Damit sieht sich der physikotheologische Beweis auf den kosmologischen zurückverwiesen, der seinerseits als ein verkappter ontologischer entlarvt worden war. Sein Wert ist somit ein beschränkter: er «könnte also höchstens einen Weltbaumeister, der durch die Tauglichkeit des Stoffs, den er bearbeitet, immer sehr eingeschränkt wäre, aber nicht einen Weltschöpfer, dessen Idee alles unterworfen ist, dartun, welches zu der großen Absicht, die man vor Augen hat, nämlich ein allgenugsames Urwesen zu beweisen, bei weitem nicht hinreichend ist»
[31]. Das Urteil, das Kant 1763 lediglich über die gewöhnliche, nicht aber über die verbesserte Ph. gefällt hatte, trifft diese nun insgesamt und wird auch trotz differenzierter Überlegungen zur Teleologie in der ‹Kritik der Urteilskraft› (1790) nicht grundsätzlich revidiert
[32].
Die Destruktion der Gottesbeweise, der
D. Hume bereits wesentlich vorgearbeitet hatte
[33] und die die ‹Kritik der reinen Vernunft› nun gründlich vollzog, wurde in der Folge breit diskutiert
[34].
J. G. Herder hatte aus seinem Bemühen heraus, Offenbarungs- und Glaubensinhalte vor dem Hintergrundihrer historischen Entstehung verstehen zu wollen, die Ph. zunächst abgelehnt: «... die Nieuwentyts ... ohne Sinn, ohne Haltung am Text ... in unserem so aufgeklärten Physik-Jahrhunderte ...» Die Verbindung von Physik und Theologie war ihm ein «unseliger, sägender Doppeleindruck ... Werke dieser Art sind meist dem Physischen Theil nach gut oder vortrefflich: dem Theologischen und zumal Auslegungstheil nach erbärmlich. Siehe die halbhundert Physikotheologien ...»
[35]. In der ‹Metakritik› dagegen gilt ihm die Kantische «sogenannte Widerlegung der physikotheologischen Beweise fürs Daseyn Gottes ... schwerlich für etwas anders, als eine Kritik des Misbrauchs derselben; obwohl, wenn Wahl stattfände», er «lieber eine zu ihrer letzten Absicht auch mangelhafte Exposition großer und schöner Naturgesetze geschrieben haben möchte, als die scharfsinnigste Kritik ihrer Fehler»
[36].
Dagegen übernimmt der deutsche Idealismus im wesentlichen die Ergebnisse der Kantischen Kritik:
Fichte spricht von «Trugschlüssen und Sophistereien», die «in der ganzen Ph. herrsche[n]»
[37]; auch für
Schelling war mit dem «Physiko-theologischen, also physiko-logischen», dem «dritten Argument der ehemaligen Metaphysik ... der Begriff Gottes als solcher nicht erreicht»
[38].
Hegel übt schon 1796 – unter dem Eindruck der Unwirtlichkeit der Alpen – heftige Kritik an der Ph.
[39]. Wohl mißt er ihr später durchaus propädeutischen Wert zu, auch scheint ihm die Kantische Kritik nicht in allen einzelnen Punkten stimmig zu sein, fest steht für ihn jedoch: «die physikotheologische Betrachtung [ist] ... bloß Betrachtung äußerlicher Zweckmäßigkeit ...» und damit «unangemessen dem, was Gott ist»
[40].
Gleichwohl bleiben Begriff und Sache der Ph. nach wie vor gegenwärtig
[41].
Goethe ist sich zwar darüber im klaren: «Den teleologischen Beweis vom Dasein Gottes hat die kritische Vernunft beseitigt; wir lassen es uns gefallen.» Dennoch: «was aber nicht als Beweis gilt, soll
uns als Gefühl gelten, und wir rufen daher von der Brontotheologie bis zur Niphotheologie alle dergleichen fromme Bemühungen wieder heran. Sollten wir im Blitz, Donner und Sturm nicht die Nähe einer übergewaltigen Macht, im Blütenduft und lauem Luftsäuseln nicht ein liebevoll sich annäherndes Wesen empfinden dürfen?»
[42] Ähnlich äußert sich
F. Schlegel[43].
Neben heftiger Kritik an der Ph. und am physikotheologischen Gottesbeweis
[44] – jetzt meist als Teleologie und teleologischer Gottesbeweis bezeichnet
[45] (singulär die Benennung «Physiko-teleologisch»
[46]) – weist das weitere 19. Jh. ein starkes Interesse an der Problematik der Teleologie (dies gerade im Zeichen des aufkommenden Darwinismus) auf und diskutiert sie häufig wohlwollend: Im deutschen Sprachbereich tut dies vor allem der sog. spekulative Theismus
[47], in England wirken ältere Traditionen fort. Beleg dafür sind etwa
W. Paleys ‹Natural Theology: or, Evidences of the Existence and Attributes of the Deity, collected from the appearance of nature›
[48] und die ‹Bridgewater Treatises› (1833ff.)
[49].
Verschiedenartig ist die Behandlung der Ph. und des physikotheologischen Gottesbeweises innerhalb der zwei großen christlichen Konfessionen: während im Protestantismus eine weitgehende Übereinstimmung in der Ablehnung der Gottesbeweise festzustellen ist
[50], hat die römisch-katholische Theologie an ihnen festgehalten. Unter Berufung auf das Schriftwort «Invisibilia enim ipsius, a creatura mundi, per ea quae facta sunt, intellecta, conspiciuntur ...» (Röm. 1, 20) und im Anschluß an die «fünf Wege» zum Beweise des Daseins Gottes des Thomas von Aquin und oft mit Wendung gegen Kant und neuere Erkenntnistheorie (wie in der ‹Eidesformel gegen den Modernismus› (1910), an deren erster Stelle die Geltung der aposteriorischen Beweise steht
[51]) vertreten der Katholizismus bzw. in seiner Tradition stehende Autoren den physikotheologischen bzw. teleologischen Gottesbeweis bis heute
[52].
Daneben figuriert das zwischen Naturwissenschaft und Religion oszillierende und daher nur schwer zu beurteilende Phänomen der Ph.
[53] als bloß historisches in neueren Religionsphilosophien
[54]; aber, «obgleich der teleologische oder physikotheologische Gottesbeweis ... den Forderungen eines Beweises nicht genügt ... behält er für die Menschen seine Faszination ...»
[55].