Pneumatologie, Pneumatik (von griech.
πνεῦμα Geist; lat. pneumatologia, pneumatica; engl. pneumatology, pneumatics; frz. pneumatologie, pneumatique; ital. pneumatologia, pneumatica). P. ist eine von
J.-H. Alsted 1620 erstmals eingeführte
[1] Bezeichnung für den speziellen Teil der Metaphysik, der von Gott (dem «Spiritus independens»
[2]) und den geschaffenen Engeln und Seelen der Menschen als den drei stofflosen und vernunftbegabten «Geistern» (
πνεύματα, Spiritus) – im Unterschied bzw. im Verhältnis zur Körper-Substanz – handelt: «Pneumatica est scientia de spiritu. ... Potest etiam haec disciplina dici Pneumatologia ... a consideratione entis generalis veniendum esse ad considerationem substantiae, tanquam entis primarii; et omnium primo ad contemplationem spiritus: quae dicitur Pneumatica a subiecto tractationis» («Pneumatik ist die Wissenschaft vom Geist. Diese Disziplin kann auch P. genannt werden. Von der Betrachtung des Seienden im allgemeinen ist auf die Betrachtung der Substanz zu kommen, als des ersten Seienden; und von allem zuerst zur Betrachtung des Geistes: die nach dem Gegenstand der Betrachtung Pneumatik heißt»)
[3]. Die zuerst von
B. Pererius 1562 geforderte Unterscheidung dieses Teils der Metaphysik von dem allgemeinen, der die dem Seienden universal zukommenden Strukturmomente beschreibt
[4], hat
J. Martini 1604 und 1608 zuerst systematisch durchgeführt
[5]. Das literarische Genus ‹P.› hat als erster
J. Scharf geschaffen
[6]. P. verselbständigt sich damit als Wissenschaft zwischen Ontologie und Physiologie (Physik)
[7], die bis zum Ende des 17. Jh. häufig dargestellt wird
[8].
Zu Beginn des 18. Jh. erscheint es
J. F. Buddeus als nicht mehr ausreichend, «den Teil der theoretischen Philosophie, der die Körperdinge erwägt, als Physik zu benennen, von dem man die P. (pneumaticam, quae spiritus contemplatur), die die Geister betrachtet, und die natürliche Theologie, die von Gott handelt, unterscheidet». Er schlägt vor, «hier auf anderem Wege vorzugehen» und «vom Menschen zu Gott aufzusteigen» («ascendere ab homine ad Deum»)
[9]. Neben der schon bei Buddeus und anderen empirisch breit entfalteten Kosmologie und der empirischen Psychologie bürgert sich bei
Ch. Wolff und anderen der Sprachgebrauch ein, nach dem einerseits «Psychologia & Theologia naturalis nonnunquam Pneumaticae nomine communi insigniuntur ...» («Psychologie und natürliche Theologie bisweilen gemeinsam als P. bezeichnet werden»), andererseits «Ontologia vero, Cosmologia generalis et Pneumatica communi Metaphysicae nomine compellantur» («aber Ontologie, allgemeine Kosmologie und P. gemeinsam
als Metaphysik benannt werden»)
[10]. In diesem Aufbau wird, bei
Ch. Thomasius schon 1688, die Geisterlehre als Engellehre aus der P. verdrängt
[11] und nur noch als «Appendix hypothetica de spiritibus seu pneumatica hypothetica» behandelt
[12]. Aber auch die Lehre von der «anima separata» (der vom Körper getrennten Seele) wird – «wenn daneben auch die noch ältere Frage nach ... ihrer Unsterblichkeit ... nicht ganz fehlte»
[13] – auf P. im Sinne der «Wissenschaft von dem nothwendigen Wesen eines Geistes, und von denen Unterschieden und Eigenschaften, welche sich daraus a priori verstehen lassen»
[14], reduziert. Die P. wird damit zur Psychologie
[15]. Schließlich löst
Kant den Anspruch der «P.», in «der Theorie von Geistern» «in Absicht auf eine vermutete Art Wesen» die Existenz einer «Geisterwelt nach pneumatischen Gesetzen» zu erweisen, als «Erdichtung» aufgrundeiner «notwendigen Unwissenheit» erkenntniskritisch auf
[16]: «daß ... die rationale Psychologie niemals P. als erweiternde Wissenschaft werden könne»
[17]. Dennoch wird der Begriff von Kant noch im Rahmen der bisherigen Schulmetaphysik verwendet
[18], ja noch von
Hegel in Auseinandersetzung mit dieser
[19]. «Nachpneumatologisch» ist erst «die Singularisierung von Geist ... etwa gegen 1800», die sich 1785 in der Übersetzung von P. mit «Geisteswissenschaft» ankündigt
[20] und in Hegels Auffassung von P. als «Geisteslehre. Bewußtsein[s]- und Seelenlehre» erscheint
[21]. Aber diese «Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie»
[22] ist das Ende von P. in philosophisch-systematischem Sinne. Der Begriff wird historisch-beschreibend verwendbar
[23]. Der Versuch von
K. Rosenkranz, ihn neben «Anthropologie» und «Phänomenologie» als «Psychologie oder die Wissenschaft vom subjektiven Geiste» (1837) zu bewahren
[24], bleibt folgenlos wie andere ähnliche
[25]. Auch im 20. Jh. bleiben neue Aneignungen des Begriffs für eine Geistesphilosophie Episoden
[26]. Die «Theorie der Geisterkunde»
[27] lebt aber fort in den P. ablösenden Begriffen ‹Spiritualismus› und ‹Spiritismus›.
Einzig
A. E. Biedermann eignete sich den in der Philosophie beheimateten Begriff in der «Kritik der kirchlichen P.», d.h. der Engel- und Dämonenlehre als «Aberglauben» theologisch an
[28].
A. von Oettingen gab dann 1902
[29] unter Rückgriff auf zwei den Begriff 1894 verwendende Theologen
[30] «P.» die traditionsfreie, völlig neue trinitätstheologische Bedeutung einer «Lehre von der Person des heiligen Geistes»
[31]. Aber später findet
M. Rade, der sich von Oettingen ausdrücklich anschließt
[32], damit keine Nachfolge. Bezeichnenderweise beobachtet
F. Kattenbusch 1926, E. Schaeder «könnte», da er – wie ähnlich auch andere Theologen damals – «die Geistfrage die theologische Kernfrage genannt» hat
[33], seine Theologie «pneumatozentrisch nennen»
[34]. Nach
W. Elert «könnte man (so) mit guten Gründen die gesamte Dogmatik nicht nur mit der P. eröffnen, sondern sogar das Werk des Geistes zum Thema des Ganzen machen»
[35]. Aber erst nachdem
K. Barth 1943 den Begriff ‹P.› als «Geistlehre» bzw. «Lehre vom Heiligen Geist» aufgriff
[36], beginnt er sich zu verbreiten
[37]. Seit Barth 1968 «die Möglichkeit einer Theologie des 3. Artikels, beherrschend und entscheidend also des Heiligen Geistes» als «P.» zum Ausgangspunkt der Dogmatik zu wählen erwog
[38], hat sich der Begriff weithin durchgesetzt
[39].